Montag, 31. August 2015

Der Grund des Ästhetischen ist das Staunen.


lomboki

Ist einmal das Auffassen nicht möglich, so entsteht ein Staunen, welches der Grund des Erhabenen ist.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 57


Nota. - Bei Kant kam das Erhabene etwas verlegen hinter dem Schönen hergehinkt, Schelling stellte es gleichberechtigt an seine Seite, und bei den Modernen, heißt es seit Adorno, träte es geradezu an seine Stelle. - Da ist was dran, und wenn man das Ästhetische nicht auffasst als etwas, das immer gegeben war, sondern als etwas, das immer erst werden muss, dann könnte man obige Fichte-Stelle als Grund-Satz für eine Theorie der Ästhetik ansehen: im Unterschied nämlich zu einer Theorie des Wissens.

PS. - Dass den Römern der Satz Nil admirari als maßgebende Lebensweisheit galt, weist darauf hin, wieso sie in ästhetischen Dingen nie aus dem Schatten der Griechen heraustreten konnten.

PPS. - Könnte man nicht der Charakter einer Nation danach beurteilen, ob ihre Sprache für das Staunen ein treffendes Wort hat?

PPPS. - ...und verstünde man besser, warum Joh. Fr. Herbart ausgerechnet die 'ästhetische Darstellung der Welt' für die eigentlichste Angelegenheit der Pädagogik nehmen konnte.

PPPPS. - Und schließlich wäre auch der Anfang aller Philosophie ein ästhetischer (und die Römer konnten ihn nie finden).
JE





Sonntag, 30. August 2015

Diskursivität.


turnlol.com

Begreifen heißt, ein Denken an ein anderes anknüpfen, das erstere vermittelst des letzteren denken. Wo eine solche Vermittlung möglich ist, da ist nicht Freiheit, sondern Mechanismus. Einen Akt der Freiheit begreifen wollen, ist also absolut widersprechend. Eben wenn sie es begreifen könnten, wäre es nicht Freiheit.
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Das System der Sittenlehre nach Prinzipien der Wissenschaftslehre, SW IV, S. 182









Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE 

Samstag, 29. August 2015

Das Gegebene ist das Bestimmbare.


J. Pollock, N° 6

Man denke das Bestimmbare als Etwas. Dieses Prädikat kommt ihm zu, denn es ist anschaubar. Unter diesem Etwas, welches in der Sphäre des Bestimmbaren liegt, wählt die absolute Freiheit. Sie kann in ihrer Wahl nicht gebunden sein, denn sonst wäre sie nicht Freiheit. Sie kann ins Unendliche mehr oder weniger wählen, kein Teil ist ihr als der letzte vorgeschrieben. Aus dieser Teilbarkeit ins Unendliche wird vieles folgen (der Raum, die Zeit und die Dinge); unendlich teilbar ist alles, weil es eine Sphäre für unsere Freiheit ist.

Hier ist die praktische Tätigkeit nicht gebunden, weil sie sonst aufhören müsste, Freiheit zu sein, aber darin ist sie gebunden, dass sie nur aus dem Bestimmbaren wählen muss. Das Bestimmbare erscheint nicht als hervor- gebracht, weder durch ideale noch durch reale Tätigkeit. Es erscheint als gegeben zur Wahl. Es ist gegeben heißt nicht, es ist dem Ich überhaupt gegeben, sondern dem wählenden praktischen Ich. 
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 57


Nota. - Was immer gegeben ist, ist als bestimmbar gegeben.
JE




Freitag, 28. August 2015

Der Zweckbegriff ist nichts Wirkliches...


casinoexperten

...also der Zweckbegriff ist nichts Wirkliches, sondern bloß gesetzt, [um] das Wollen zu erklären. Das Auswählen des Zweckbegriffs aus dem mannigfaltigen Möglichen wird als das Bestimmende gedacht.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 190


Nota. - Dass bestimmt gewollt wird, nämlich dieses unter allen Möglichen, macht hier allein den Begriff aus - ohne dass er als solcher schon 'gefasst' wäre. Zweckbegriff ist der Entschluss, der dem Deliberieren ein Ziel setzt.
JE



Donnerstag, 27. August 2015

Selbst die Gefühle kommen nicht von außen.



Schreck, Ferd. Liebermann

Dass dieses System der Sensibilität nicht gefühlt wird, kommt daher: Die Sensibilität  ist nichts Bestimmtes, sondern ein Bestimmbares, würde sie also nicht verändert, so würde nicht gefühlt. Man denke sich das bloße Fühlen als ideale Tätigkeit, dann steht es unterm Gesetze der idealen Tätigkeit, welche nur im Übergehen vom Bestimmbaren zum Bestimmten etwas sein könnte. So ists hier: Das besondere Gefühl ist ein bestimmtes, als solches kann es nur vorkommen, wenn es auf ein Bestimmbares bezogen wird, und dies ist das System der Sensibilität. Sonach geschieht die Vergleichung der Gefühle nur mittelbar, jedes bestimmte Gefühl wird an das ganze System gehalten. /

Dadurch wird nun dem Dogmatismus aller Vorwand genommen. Selbst die Gefühle können nicht von außen in uns hereinkommen, sie wären nichts für uns, wenn sie nicht in uns wären. Soll es Gefühle für uns geben, so wird das System der Gefühle a priori vorausgesetzt.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 70f.






Mittwoch, 26. August 2015

Ein System der Sensibilität schlechthin.


sonnentaler

Diese mannigfaltigen Gefühle sind völlig entgegengesetzt und haben nichts miteinander gemein, es gibt keinen Übergang von einem zum anderen. Jedes Gefühl ist ein bestimmter Zustand des Ich. Sonach wäre das Ich selbst ein Mannigfaltiges - aber wo bliebe dann die Identität des Ich? Das Ich soll diese Zustände auf sich beziehen; es soll es als sein Mannigfaltiges ansehen. Wie ist dies möglich?

Kant beantwortet die Frage, wie das Mannigfaltige im Bewusstsein vereinigt werde, vortrefflich, aber nicht, wie das Mannigfaltige der Gefühle, da doch die Beantwortung des ersten sich auf die Beantwortung des ersten gründet [sic]. Er bezieht (vide Kritik der Urteilskraft) alle Gefühle auf Lust und Unlust. Nun muss es aber zwischen der Beziehung der Gefühle auf Lust und Unlust ein Mittleres geben, wo-/durch dies Beziehung erst möglich werde. Um zu empfinden, ob A oder B mehr Lust gewähre, muss ich sie erst beide beisammen haben, um sie zu vergleichen. Wie bekomme ich nun beide beisammen?

Wenn man z. B. zwei Weine kostet, nicht um zu sehen, welcher von beiden besser schmeckt, sondern nur, um die Verschiedenheit des Gefühls zu wissen, so scheint eine solche Vergleichung unmöglich, denn wenn man den einen schmeckt, schmeckt man den anderen nicht. Es ist immer nur ein Geschmack, und zum Vergleichen gehört doch zweierlei, und jedermann weiß doch, dass er diesen Vergleich anstellen kann.

Man muss hier auf das Verfahren merken. Bei dem Kosten ist Tätigkeit. Man fasst seinen ganzen Sinn auf den Gegenstand, den man kostet, zusammen und konzentriert ihn auf denselben. Man bezieht dieses besondere Gefühl auf die ganze Sinnlichkeit. So wie das beim Kosten des ersten geschieht, so geschieht es auch beim zweiten; dadurch werden beide mit etwas Gemeinschaftlichem zusammengehalten, nämlich mit der ganzen Sensibilität, welche in beiden Momenten dieselbe bleibt.

Es wird bei dieser Erklärung angenommen ein System der Sensibilität überhaupt, welches schlechthin vor aller Erfahrung da sein soll, welches System aber nicht als solches unmittelbar gefühlt wird, sondern vermittelst dessen und in Beziehung auf dasselbe alles Besondere gefühlt wird, was gefühlt werden mag. Das Besondere ist eine Veränderung des gleichmäßigen Zustands des ersten.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 69f.


Nota. - Ist es selbstverständlich? Ich sage es trotzdem: Anders als das Ich ist das sinnliche Individuum aller Er- fahrung und mithin allem Bewusstsein vorausgesetzt. Es muss nicht nachträglich aus dem Ich herausgerechnet werden.
JE





Dienstag, 25. August 2015

Das Gefühl ist schlechthin: Es ist die Grenze des Ichs.

F. X. Messerschmidt

Das Gefühl ist eins, es ist Bestimmtheit, Beschränktheit des ganzen Ich, über die es nicht hinausgehen kann. Es ist die letzte Grenze, es kann sonach nicht weiter zergliedert und zusammengesetzt werden, das Gefühl ist schlechthin, was es ist und weil es ist. Das durch das Gefühl Gegebene ist die Bedingung alles Handelns des Ich; die Sphäre, aber nicht das Objekt.

Die Darstellung des Gefühls in der Sinnenwelt ist das Fühlbare und wird gesetzt als Materie. Ich kann keine Materie hervorbringen oder vernichten, ich kann nicht machen, dass sie mich anders affiziere, als sie ihrer Natur nach tut. Entfernen oder annähern kann ich sie wohl. Das Positive soll Mannigfaltigkeit sein. Es müsste also mannigfaltige Gefühle geben, oder der Trieb müsste auf mannigfaltige Art affizierbar sei; welches man auch so ausdrücken könnte: Es gibt mehrere Triebe im Ich.


Diese Mannigfaltigkeit der Gefühle ist nicht zu deduzieren oder aus einem Höheren abzuleiten, denn wir stehen hier an der Grenze. Dieses Mannigfaltige ist mit dem Postulate der Freiheit postuliert; hinterher wohl wird dieses Mannigfaltige im Triebe sich zeigen als Naturtrieb und wird aus der Natur erklärt werden; aber die Natur wird erst selbst zufolge des Gefühls gesetzt.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 69


Nota. -  Das Gefühl ist die Grenze; auf der einen Seite beginnt das Ich, auf der andern die empirische Person. (Sie verstehn mich schon: Das ist eine Metapher.)
JE


Montag, 24. August 2015

Das Bewusstsein hebt mit dem Wollen an.


ilkflotante

Also ist es auch möglich, dass die ideale Tätigkeit nicht auf einen Punkt gerichtet sei? O ja. Die Reflexion ist frei in der Wahl dessen, worauf sie geht, und ist überhaupt frei, zu reflektieren oder nicht. Aber dies ist nur möglich, wenn schon reflektiert worden ist in der Zeit. Wunsch und deliberieren sind nur möglich, in wiefern gewollt worden ist. Das Bewusstsein hebt mit dem Wollen an.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 158


Nota. - Wollen ist reale Tätigkeit. Dieses eine, wirkliche Wollen ist das erste, worauf die Einbildungskraft überhaupt zurückgehen kann, um es als Dieses zu bestimmen. So erst wird aus dem über die reale Tätigkeit hinausgehenden 'Quantum' Einbildungskraft ideale Tätigkeit. - Ab da ist sie frei in ihrer Wahl.
JE 





Sonntag, 23. August 2015

Das Individuum ist die Grenze der Vernunft.


Der Zweck wird uns in der Aufforderung gegeben, also die individuelle Vernunft lässt sich aus sich selbst nicht erklären - [dies] ist das wichtigste Resultat, es besteht nur im Ganzen durchs Ganze und als Teil des Ganzen. Denn wie soll sonst Kenntnis eines Vernunftwesens außer ihm zu erklären sein, wenn in ihm kein Mangel ist? 

Dies ist so dargetan worden: Wir haben uns Mühe gegeben, den Zweckbegriff zu erklären, da kamen wir in einen Zirkel; nun aber ist sie beantwortet, denn im Fortlaufe der Vernunft ists damit nicht schwer, es ist nur darum zu tun, den ersten Zweckbegriff dar-/zulegen; den ersten aber bekommen wir, doch wird uns der Zweck nicht als Bestimmtes, sondern überhaupt der Form nach gegeben, etwas, woraus wir wählen können. (Vide in der Rechtslehre Folgerungen daraus.) 

Kein Individuum kann sich aus sich selbst erklären. Wenn man also auf ein erstes Individuum kommt, worauf man kommen muss, so muss man auch ein noch höheres unbegreifliches Wesen annehmen.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 177f.


Nota. - Wieso aber sollte man das Individuum in und aus der Transzendentalphilosophie erklären wollen? Die Transzendentalphilosophie beschäftigt sich mit dem, was an den Individuen Ichheit ist. Außer Ichheit sind sie auch noch Leib, Stoffwechsel, Leidenschaft und vieles mehr. Reicht das nicht aus, um aus abstrakten Vernunft- wesen lebendige Individuen zu machen? 

Es ist wahr, in einem großen Quantum - um im Bilde zu bleiben - von Leib, Stoffwechsel und gar Leidenschaft hat Vernunft nichts zu suchen, es sei denn als ihre Grenze. Und eben darum sind die wirklichen Menschen in der 'Reihe vernünftiger Wesen' unaustauschbare Individuen. Denn historisch ist es ja andersrum: Leib, Stoff- wechsel und Leidenschaften verfolgen vor jeder Vernunft in der sinnlichen Welt ihre Zwecke ohne allen Be- griff. Vernunft und die Erfordernis, ihre Zwecke in Begriffe zu fassen, ergeben sich erst daraus, dass sich in der sinnlichen Welt ihre Wege kreuzen und schon immer gekreuzt haben. Die individuelle Vernunft entsteht dar- aus, dass das sinnliche Individuum von der Reihe der andern freien Wesen zur Vernunft aufgefordert wird; aufgefordert wird, seine Freiheit gegen seine Sinnlichkeit geltend zu machen. Die Individualität ist in der Welt das, was am wenigsten der Erklärung bedarf.

Dass er in der Wissenschaftslehre ein "noch höheres unbegreifliches Wesen" unterbringen will, ist im Übrigen aus dem längst ausgebrochenen Atheismusstreit zu erklären; biographisch, aber nicht logisch.

Nota II. - Obiges ist der Kommentar von einem, der noch nicht weit genug in die Wissenschaftslehre eingedrungen war. Auch das Individuum ist in der Wissenschaftslehre nicht das, was in Biologie oder Psychologie so heißt. Es ist vielmehr das bestimmte einzelne vernünftige Wesen in seinem Verhältnis – und Gegensatz – zu den anderen vernünftigen Wesen. Was nicht zu seiner Vernünftigkeit gehört – Sinnlichkeit, Leidenschaft, Irrtum – , kommt noch nicht in Betracht.

Individuum im Sinne der Wissenschaftslehre ist derjenige, der auf dem Weg der Bestimmung seines Wollens in der Reihe all der andern vernünftigen Individuen schon ein gewisses Stück zurückgelegt hat. 

Und genau besehen ist vernünftig überhaupt erst seine Wechselwirkung mit jenen.
JE im Feb. 2016



Samstag, 22. August 2015

Die Aufforderung verstehen ist Erkenntnis und Wollen zugleich.


Ferd. Hodler

Dies ist eine Erkenntnis, die wir suchten, in welcher das Wollen gleich drinnen läge; mit ihrer Erkenntnis ist ein Wille begleitet. Sinnlich betrachtet ist es so, entweder ich handle nach dem Willen oder nicht, habe ich die Aufforderung verstanden, so entschließe ich mich doch durch Selbstbestimmung, nicht zu handeln, der Aufforderung zu widerstreben, und handle durch Nichthandeln. Freilich muss die Aufforderung verstanden sein, dann muss man aber handeln, auch wenn man ihr nicht gehorcht, in jedem Fall äußere ich meine Freiheit. 
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 177






Freitag, 21. August 2015

In flagranti.

Bosch

Das Handeln des freien Wesens außer mir, auf welches so geschlossen ist, verhält sich zu dem mir angemuteten Handeln, wie der angefangene Weg zu der Fortsetzung desselben. Es ist mit gegeben eine Reihe der Glieder, durch welche der Zweck bedingt ist, eine Reihe, die ich vollenden soll. Zuförderst ist sonach alles Handeln freier Wesen ein Hindurchgehen durch unendlich viele Mittelglieder, die bloß durch die Einbildungskraft gefasst werden, wie bei der Bewegung durch unendlich viele Punkte. Es fordert mich jemand auf heißt: Ich soll an eine gegebene Reihe des Handelns etwas anschließen; er fängt an und geht bis auf einen gewissen Punkt, von da soll ich anfangen.

Nun liegt hier ein unendlich Mannigfaltiges der Handlungsmöglichkeiten, welche bloß durch Einbildungskraft zusammengefasst werden. Denn das Handeln mehrerer Vernunftwesen ist eine einzige durch Freiheit bestimmte Kette. Die ganze Vernunft hat nur ein einziges Handeln; ein Individuum fängt an, ein anderes greift ein und s. f., und so wird der ganze Vernunftzweck durch unendlich viele bearbeitet und ist das Resultat von der Einwirkung aller. Es ist dieses keine Kette physischer Notwendigkeiten, weil von Vernunftwesen die Rede ist. Die Kette geht immer in Sprüngen, das Folgende ist immer durchs Vorher-/gehende bedingt, aber dadurch nicht bestimmt und wirklich gemacht. (vide Sittenlehre.) Die Freiheit besteht darin, dass aus allen möglichen nur ein Teil an die Kette angeschlossen werde.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 232f.


Nota. -  Das ist ja nun ein fauler Trick. Erinnern wir uns, dass noch an keiner Stelle des Vortrags bis jetzt dedu- ziert wurde, 'was Vernunft ist' - außer der nominellen Bestimmung, sie sei 'das Handeln freier Wesen', mit allen- falls der Umkehrung: Wo freie Wesen unfrei - anders als aus selbstgesetztem Zweckbegriff - handeln, da han- deln sie unvernünftig. Wir wissen außerdem, dass reelle Vernünftigkeit 'zustande kommt' durch gegenseitige Aufforderung. Eine über diese formalen Bestimmungen hinausgehende inhaltliche Füllung des Begriffs haben wir noch nicht. 

Nichts berechtigt insbesondere dazu, den Anteil der "unendlichen Mannigfaltigkeit der Handlungsmöglichkei- ten", der bis dato schon realisiert wurde, als einen Zweck zu identifizieren; einstweilen handelt es sich erst um eine endliche Mannigfaltigkeit von Handlungen. Machen wir's kurz: Dass Vernunft ihrem Gehalt nach durch einen Zweck und durch einen Zweck bestimmt wäre, hat er schlichtweg unterschoben. Denn wenn der Vernunft ein solcher vorgegeben wäre, wäre sie nicht frei und wäre keine Vernunft.

Wir finden im Grund unseres Glaubens an eine göttliche Weltregierungder an dieser Stelle der WL nova methodo längst vorlag, die merkwürdige Extrapolation eines vernünftigen Endzustandes, der nachträglich der endlichen Man- nigfaltigkeit reell gewählter Handlungsmöglichkeiten als deren gemeinsamer Bestimmungsgrund zugerechnet wird. Das wäre aber die Absurdität einer vollendeten Unendlichkeit. Aus allem bisher Vorgetragenen lässt sich 'her- leiten' lediglich eine aktuale Vernünftigkeit der 'Reihe vernünftiger Wesen', die immer nur in ihrem jeweiligen Handeln 'da ist' und ihren Zweck in jedem gegebenen Augenblick in sich selber hat; weshalb ein Ende sie zu- nichte machen würde: Durch den ihnen gemeinsamen Einen Zweck wäre die 'Reihe vernünftiger Wesen' zu einem Subjekt und wäre ihre mannigfaltige Vernünftigkeit zu einer Vernunft geworden; nur hätten sie ipso facto aufgehört, vernünftig zu sein. Es wäre eine Reductio ad absurdum.
JE

Donnerstag, 20. August 2015

Das Ich ist zuerst unendlich, aber die Welt wird aus endlichen Einzelnen zusammengesetzt.

dpa

In der Deduktion hebt das Bewusstsein von mir selbst an als dem Bewusstsein eines Unendlichen, und nur dadurch, dass / ich das Unendliche nicht fassen kann, dadurch, dass sich mit der unendlichen Anschauung die Endlichkeit des empirischen Denkens verknüpft, werde ich mir zum Endlichen.

Umgekehrt, das Bewusstsein der Welt geht ja nicht aus von der Unendlichkeit, sondern von der Endlichkeit; meiner werde ich mir ganz bewusst, der Welt aber nicht als einer ganzen Welt, sondern einzelner Objekte. Ich fasse meine Begrenztheit auf, das die Absolutheit in sich Tragende kommt erst durch die Idee hinzu. Der Mensch des gemeinen Bewusstseins wohl findet sich ganz, die Welt aber nicht ganz, der Begriff des Universums wird erst allmählich zusammengesetzt.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 222f.


Nota. - Darum kann das empirische Denken nur diskursiv sein, weil es eines an das andere knüpfen muss; was es wiederum nur darum kann, weil es sich selbst als ein unendlich Bewegtes vorkommt.
JE



Mittwoch, 19. August 2015

Das Reale ist Materie.



Wir beziehen das Ideale auf das Reale. Bestimmheit, Fixiertsein ist der Hauptcharakter desselben, des Realen sowohl als Denken als des Subjekts, das durch dies reale Denken entsteht. Das Denken steht bei dem Realen gleichsam still und ist nicht, wie bei dem Idealen, in Bewegung. 

Das ist nun in diesem Realen das Gedachte? Die produzierende Einbildungskraft, und da hier Bestimmtheit eintritt, die Einbildungskraft im Produzieren. Es ist ein Produkt der Einbildungskraft, also was ists? Die Einbildungskraft synthetisiert ein unendlich teilbares Mannigfaltiges, nun ist dieses hier etwas Stehendes, daher, weils Objekt der realen Tätigkeit ist. Daher wird nicht auf das Mannigfaltige gesehen, sondern aufs Eine, es ist das Erblickte ein Teilbares bis ins Unendliche, es ist teilbarer Stoff, Materie im Raume. Eben diese Vereinigung des Mannigfaltigen, wo auf die Vereinigung bloß gesehen wird, macht es zur Materie. ...

Das Reale ist liegende tote Materie, aber es wird gedacht durch ein frei tätiges Wesen, und ist dessen Bestimmung; es muss also doch das Gepräge desselben tragen, wodurch es auch nur fähig ist, Gegenstand desselben zu werden. Die Absolutheit kann nicht sein Absolutheit des Handelns, sondern bloß Absolutheit des Seins, ein Sein durch seine Natur, durch seine Bestimmtheit, die Materie wird etwas an sich selbst und durch sich selbst, ein selbstständiges Ding, da es vorher bloß ein mir vorschwebendes war, und es wird für mich ein gegebenes, ganz ohne meine Zutun vorhandenes Objekt. Denn ich bin nur frei, alle Beschränktheit liegt außer mir.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 221 











Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE 

Dienstag, 18. August 2015

Die Aufforderung ist das Apriori der Vernünftigkeit.

Lothar Sauer

Ich finde mich zuvörderst als handeln Könnendes, rein als Handelndes bin ich gemacht durch mich, durch den Willen, nicht aber mir selbst gegeben. Als handeln Sollendes kann ich mich finden.

Was ist denn nun das Denken des Handelns seinem Charakter nach für ein Denken?

Das Handeln ist ein Fortfließen, es ist also ein versinnlichtes Denken, nur erscheint mir das Entwerfen eines Zweckbegriff nicht als ein Handeln, sondern als ein bloßes Denken, als etwas / außer mir als ein Ding. Wie ist beides verbunden? Durch die Anschauung meines Handelns, die insbesondere auch drum ... stattfinden muss, weil bloß durch sie eine Zweckerfüllung entsteht.

Ich finde mein Handeln als etwas Gegebenes, als ein Mögliches.* Gesetzt, ein Mensch hätte noch nichts getan (welches absurd ist und nur auf einen Augenblick gesetzt worden), dennoch soll er etwas tun. Es wird also postuliert, dass er schon einen Begriff vom Handeln habe. Dieser Begriff, der bei ihm nicht aus der Erfahrung kommen kann, müsste bei ihm ein Begriff a priori sein. So hier: Ich finde mich als ein Handelnsollendes, drin liegt das Handeln schon drinnen [sic]. Das ist ganz klar eine Versinnlichung, die zusammengesetzt ist aus dem Zweckbegriffe, der kein Handeln ist, und dem Realisieren, das nicht gefunden wird, also gleichsam zwischen beiden in der Mitte schwebend.

Was schaue ich denn nun an? Etwas durch die Einbildungskraft Versinnlichtes. Im Handeln ist nicht bleibende Gestalt, weder des Subjekts, noch des Objekts. Das Denken des Handelns ist ganz sinnlich, und eine solche Ansicht ist von der Synthesis, durch die das Bewusstsein zustande kommt, unzertrennlich. Nun muss ich zu dem bestimmten Handeln etwas Bestimmbares setzen; da das Bestimmte sinnlich ist, muss auch das Bestimmbare sinnlich sein. Das Bestimmbare war nach dem Obigen meine Individualität, meine sinnliche Kraft, darum muss dieses auch als ein Sinnliches erscheinen. 

Was ist nun meine Individualität? Mein versinnlichtes Sollen. Eine Aufforderung zur freien Tätigkeit als Faktum in der Sinnenwelt. Es ist Beschränktheit meiner Freiheit in einer besonderen Sphäre, oder bestimmte Bestimmbarkeit meiner selbst. Die Aufforderung eines Sollens muss also erscheinen als Wahrnehmung, welche eine ganz eigene Idee dieses Systems** ist, eine ganz eigne Erklärungsweise, die Wirksamkeit in der Sinnenwelt zu erklären. Sie ist nichts als objektive versinnlichte Wahrnehmung meiner Bestimmung, auf andere und mit anderen Vernunftwesen in Wechselwirkung zu handelt. 

*) [= als etwas als möglich Gegebenes]
**) der Wissenschaftslehre
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 229f.


Nota. - Wir erinnern uns: Vernunft ist aus Freiheit handeln. Auch das Tier 'handelt', aber nicht aus einem Zweckbegriff, sondern naturbestimmt. Das macht den Unterschied der beiden aus. Aber wie kommt der Mensch dazu, sich einen Zweckbegriff zu setzen? - Dass er es tut, ist ein Faktum, doch ebendieses gilt es zu erklären; zu erklären, wie der Mensch zum Menschen, zu einem Vernunftwesen geworden ist. Aus der Erfahrung (aus seiner tierischen Vorgeschichte) kann er von Zwecken nichts wissen. Die einzige Erklärung: Er hat den Zweckbegriff "a priori". Er - nämlich sofern er Individuum ist. Dem Individuum ist der Zweckbegriff a priori! Es hat ihn nicht aus Erfahrung, sondern 'von außen', er ist ihm durch eine Aufforderung geworden. Die Aufforderung kam ihm aus einer 'Reihe vernünftiger Wesen'. Das Apriori für die Vernünftigkeit der mensch- lichen Individuen stammt aus dem Verkehr. Der Verkehr selbst ist das Apriori.

Die Wissenschaftslehre ist keine Anthropologie 'des Menschen überhaupt', sondern eine Anthropologie des bürgerlichen Menschen.
JE



Montag, 17. August 2015

Vernunftzweck und Sittengesetz.



...daher kann die besondre Wissenschaftslehre des Praktischen nur sein eine Ethik. Diese lehrt, wie die Welt durch vernünftige Wesen gemacht werden soll, ihr / Resultat ist Ideal, inwiefern dies Resultat sein kann, da es nicht begriffen werden kann. ...

Es wird in der Ethik nicht betrachtet das eine oder andere Individuum, sondern die Vernunft überhaupt. Nun ist die Vernunft dargestellt in mehreren Individuen, die sich in einer Welt durchkreuzen. Soll der Zweck der Vernunft an ihnen erreicht werden, so muss ihre physische Kraft gebrochen und die Freiheit Jedes eingeschränkt werden, damit nicht einer des andern Zwecke störe und hintertreibe. 

Daraus entsteht die Rechtslehre oder Naturrecht. Die Natur dieser Wissenschaft ist sehr lange verkannt worden. Sie hält die Mitte zwischen theoretischer und praktischer Philosophie, sie ist praktische und theoretische Philosophie zugleich. Juridische Welt muss vor der moralischen vorhergehen.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 241f.

aus Sittengesetz

Nota. - Die Frage nach dem Verhältnis zwischen Vernunft und Sittengesetz berührt den Kern der Wissen- schaftslehre. Ist Vernunft an sich und ist sie ein dem wirkliche Handeln wirklicher Menschen vorgegebenes Programm, das sie einzusehen und zu befolgen haben, dann betrifft sie all ihr Handeln, egal auf welchem Feld.

Ist aber Vernunft nichts als Vernünftigkeit, nämlich freies Handeln in einer 'Reihe vernünftiger Wesen', deren jeweilige Freiheit ich als meine Grenze annehme, dann betrifft sie nur solches Handeln, das die Freiheit anderer vernünftiger Wesen berührt, nicht wahr? Doch besteht die Vernünftigkeit nicht zuerst, sondern nur sekundär darin, meine eigene Freiheit an der der anderen einzuschränken; zuerst besteht sie noch immer darin, Zwecke zu setzen. In deren Verfolgung erst ergibt sich - oder nicht - ein Konflikt mit den Freiheiten der Andern.

Die Sittlichkeit betrifft nun aber nicht die Zwecke, die ich in der Welt verfolge, wo ich mit einer 'Reihe ver- nünftiger Wesen' zu tun bekäme: Denn das wäre das Reich des Rechts. Sittlich ist ein Problem immer dann, wenn ich mich frage, was ich vor mir selbst verantworten kann: ob ich im Begriff bin, meine Freiheit "nach dem Begriffe der Selbstständigkeit schlechthin ohne Ausnahme" zu bestimmen, oder mich hinreißen und verleiten lasse. Und dafür kann es keine Regeln geben. Das muss ich im gegebenen Fall stets selber entschei- den. 

Ein 'System der Sittlichkeit' aufstellen zu wollen, ist dann aber widersinnig. Dass Fichte es versucht hat, ent- spricht ganz seinem Schwanken in der Auffassung der Vernunft.
JE










Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE 

Sonntag, 16. August 2015

Jeder hat sein ganz besonderes Gewissen.



Um uns selbst zu finden, müssen wir die Aufgabe denken, uns auf eine gewisse Weise zu beschränken. Diese Aufgabe ist für jedes Individuum eine andre, und dadurch eben wird bestimmt, wer dieses Individuum eigentlich ist. Diese Aufgabe erscheint nicht auf einmal, sondern im Fortgangs der Erfahrung jedesmal, in wiefern ein Sittengesetz an uns ergeht. Aber in dieser Aufforderung liegt zugleich, da wir praktische Wesen sind, zu einem bestimmten Handeln Aufforderung. 

Dies ist für jedes Individuum auf besondere Weise gültig. Jeder trägt sein Gewissen in sich und hat sein ganz besonderes. Aber die Weise, wie das Vernunftgesetz  allen gebiete, lässt sich nicht in abstracto aufstellen. So eine Untersuchung wird von einem hohen Gesichtspunkte aus angestellt, auf welchem die Individualität verschwindet und bloß auf das Allgemeine gesehen wird. Ich muss handeln, mein Gewissen ist mein Gewissen. In sofern ist die Sittenlehre individuell...
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 241



In Fichtens Moral sind die richtigsten Ansichten der Moral. Die Moral sagt schlechterdings nichts Bestimmtes – sie ist das Gewissen – eine bloße Richterin ohne Gesetz. Sie gebietet unmittelbar, aber immer einzeln. Sie ist durchaus Entschlossenheit. Richtige Vorstellung vom Gewissen. Gesetze sind der Moral durchaus entgegen.
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Novalis, Allgemeines Brouillon N°670





Samstag, 15. August 2015

Was rot, süß, bitter ist, kann man nicht durch Begriffe mitteilen.


Yves Klein, IKB 191, 1962

Die Gefühle sind bloß subjektiv; was rot, süß, bitter etc ist, kann man nicht durch Begriffe mitteilen, denn Objekten kommen außer den Gefühlsprädikaten weiter nichts zu, als dass sie Materie im Raume sind.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 116


Nota. - Yves Klein hat sich seine Blaus patentieren lassen; wahrscheinlich hat er die chemische Rezeptur ange- geben. Aber ob das, was Sie auf obigem Bild (aus wikipedia) wahrnehmen, dieselbe Farbe ist, die er gesehen hat, kann schlechterdings nicht gewusst werden.

JE