Abriss der Wissenschaftslehre II.




Bei dem folgenden Text handelt es sich um die Einleitung zu Fichtes System der Sittenlehre nach Prinzipien der Wissenschafts- lehre. Besagte Prinzipien fasst er in didaktischer Absicht zusammen. Weder werden 'Bedingungen aufgesucht' noch 'Vorstellun- gen hergeleitet': Es wird von den Ergebnissen berichtet, zu denen Fichte gekommen ist. Soll man sie ihm glauben? Nein, das nicht. Aber der Leser, der seine Sittenlehre verstehen will, sollte sie doch immerhin zur Kenntnis genommen haben.

Der Gefahr, sie dogmatisch misszuverstehen und als bloßen Wissensschatz im Gedächtnis zu bunkern, muss er sich freilich bewusst bleiben. JE
 


1. Wie ein Objektives jemals zu einem Subjektiven, ein Sein für sich zu einem vorgestellten werden möge - dass ich an diesem bekannteren Ende die Aufgabe aller Philosophie fasse - wie es, sage ich, mit dieser sonderbaren Verwandlung zugehe, wird nie jemand erklären, welcher nicht einen Punkt findet, in welchem das Objektive und Subjektive überhaupt nicht geschieden, sondern ganz Eins sind. Einen solchen Punkt nun stellt unser System auf, und geht von demselben aus. Die Ichheit, die Intelligenz, die Vernunft, oder wie man es nennen wolle, ist dieser Punkt.

Diese absolute Identität des Subjekts und Objekts im Ich lässt sich nur schließen, nicht etwa unmittelbar als Tat- sache des wirklichen Bewusstseins nachweisen. Wie ein wirkliches Bewusstsein entsteht, sei es auch nur das Be- wusstsein unserer selbst, erfolgt die Trennung. Nur inwiefern ich mich, das Bewusstseiende, von mir, dem Gegen- stande dieses Bewusstseins, unterscheide, bin ich mir meiner bewusst. Auf den mancherlei Ansichten dieser Trennung des Subjektiven und Objektiven und hinwiederum der Vereinigung beider, beruht der ganze Mechanismus des Bewusstseins.

2. Das Subjektive und das Objektive wird vereinigt oder als harmonierend angesehen zuvörderst so, dass das Subjektive aus dem Objektiven erfolgen, das erstere sich nach dem letzteren richten soll: Ich erkenne. Wie wir zu der Behauptung einer solchen Harmonie kommen, untersucht die theoretische Philosophie. Beides wird als harmo- nierend angesehen so, dass das Objektive aus dem Subjektiven, ein Sein aus meinem Begriffe (dem Zweckbegrif- fe) folgen soll: Ich wirke. Woher die Annahme einer solchen Harmonie entspringe, hat die praktische Philosophie zu untersuchen.

Der erste Punkt, wie wir dazu kommen mögen, die  Übereinstimmung unserer Vorstellungen mit unabhängig von uns vorhanden sein sollenden Dingen zu behaupten, ist denn allenfalls in Frage gekommen. Was den zweiten anbelangt, wie es möglich sei, einige unserer Begriffe zu denken als darstellbar und zum Teil wirklich dargestellt in der ohne unser Zutun bestehenden Natur, darüber hat bisher die Philosophie sich auch nicht einmal gewundert. Man hat es ganz natürlich gefunden, dass wir auf die Welt wirken können. Wir tun es ja alle Augenblicke, wie jedermann weiß; es ist dies Tatsache des Bewusstseins; und damit gut.

3. Die Sittenlehre ist praktische Philosophie. So wie die theoretische Philosophie das System des notwendigen Denkens, dass unsere Vorstellungen mit einem Sein übereinstimmen, darzustellen hat, hat die praktische das System des notwendigen Denkens, dass mit unseren Vorstellungen ein Sein übereinstimme und daraus folge, zu erschöpfen. Es kam uns daher zu, uns auf die zuletzt aufgeworfene Frage einzulassen und zu zeigen, teils, wie wir überhaupt dazu kommen, einige unserer Vorstellungen für den Grund eines Seins zu halten, teils, woher insbe- sondere uns das System derjenigen Begriffe entstehe, aus welchen ein Sein schlechthin notwendig folgen soll.

Was hierüber in der folgenden Untersuchung ausführlich vorgetragen worden unter einem einzigen Gesichts- punkte kurz zusammenzufassen, ist der Zweck dieser Einleitung.

4. Ich finde mich als wirkend in der Sinnenwelt. Davon hebt alles Bewusstsein an; und ohne dieses Bewusstsein meiner Wirksamkeit ist kein Selbstbewusstsein; ohne dieses kein Bewusstsein eines anderen, das nicht ich selbst sein soll. Wer einen Beweis dieser Behauptung begehrt, der findet denselben ausführlich in folgenden zweiten Hauptstücke. Hier wird sie nur aufgestellt als unmittelbare Tatsache des Bewusstseins, um daran unser Räsonne- ment an zuknüpfen.

Welches Mannigfaltige ist in dieser Vorstellung meiner Wirksamkeit enthalten; und wie mag ich zu diesem Man- nigfaltigen kommen?
 

Möge man auch vorläufig annehmen, dass die Vorstellung des bei meiner Wirksamkeit fortdauernden und durch sie schlechthin nicht zu verändernden Stoffes, die Vorstellung der Beschaffenheiten dieses  Stoffes, die durch meine Wirksamkeit verändert werden, die Vorstellung dieser fortschreitenden Veränderung, bis die Gestalt dasteht, die ich beabsichtigte; dass alle diese in der Vorstellung von meiner Wirksamkeit enthaltenen Vorstellungen mir von außen gegeben werden, welchen Ausdruck ich freilich nicht verstehe; dass es Erfahrung ist, oder wie man etwa diesen Nichtgedanken noch ausdrückt; so liegt doch noch etwas in der Vorstellung von meiner Wirksamkeit, was mir schlechthin nicht von außen kommen kann, sondern in mir selbst liegen, was ich nicht erfahren und lernen kann, sondern unmittelbar wissen muss: dass ich selbst der letzte Grund der geschehenen Veränderung sein soll.
 

Ich bin der Grund dieser Veränderung, heißt: Dasselbe und kein anderes, welches um die Veränderung weiß, ist zugleich auch das Wirkende; das Subjekt des Bewusstseins und das Prinzip der Wirksamkeit sind Eins. Was ich aber beim Ursprunge alles Wissens vom Subjekte des Wissens selbst aussage, was ich weiß, dadurch, dass ich überhaup weiß, kann ich aus keinem anderen Wissen gezogen haben; ich weiß es unmittelbar, ich weiß es schlechthin. 

Demnach, sowie ich überhaupt nur weiß, weiß ich, dass ich tätig bin. In der bloßen Form des Wissens ist das Bewußtsein meiner selbst und meiner selbst als eines Tätigen enthalten und dadurch unmittelbar gesetzt. 


Nun könnte es wohl sein, dass, wenn auch nicht unmittelbar, dennoch vermittelst des soeben aufgezeigten Un- mittelbaren in der bloßen Form des Wissens alles übrige Mannigfaltige, das in der oben berührten Vorstellung meiner Wirksamkeit liegt, gleichfalls enthalten wäre. Sollte es sich so finden, so würden wir der misslichen An- nahme, daß es von außen komme, schon dadurch überhoben, dass wir es auf eine andere und natürlichere Wei- se zu erklären vermöchten. Es würde durch diese Erklärung die oben aufgeworfene Frage beantwortet, wie wir dazu kämen, uns eine Wirksamkeit in einer Sinnenwelt außer uns zuzuschreiben, indem die Notwendigkeit einer solchen Annahme unmittelbar aus dem vorausgesetzten Bewusstsein abgeleitet würde. 


Wir wollen versuchen, ob eine solche Ableitung möglich sei. Ihr Plan ist folgender: Was in der Vorstellung von unserer Wirksamkeit liege, haben wir soeben gesehen. Die Voraussetzung ist, dass dasselbe im Bewusstsein überhaupt enthalten und mit demselben notwendig gesetzt sei. Wir gehen daher aus von der Form des Bewusst- seins überhaupt, leiten ab von ihr; und unsere Untersuchung ist geschlossen, wenn wir auf dem Weg der Ablei- tung wieder zur Vorstellung unserer sinnlichen Wirksamkeit zurückkommen. 


5. Ich setze mich als tätig, heißt nach obigem: Ich unterscheide in mir ein Wissendes und eine reelle Kraft, die als solche nicht weiß, sondern ist; sehe aber beides als schlechthin Eins an. Wie komme ich zu dieser Unter- scheidung; wie gerade zu dieser Bestimmung der Unterschiedenen? Die zweite Frage dürfte wohl durch Beant- wortung der ersten zugleich mit beantwortet werden. 


Ich weiß nicht, ohne etwas zu wissen; ich weiß nicht von mir, ohne eben durch dieses Wissen mir zu etwas zu werden; oder, welches dasselbe heißt, ein Subjektives in mir und ein Objektives zu trennen. Ist ein Bewusst- sein gesetzt, so ist diese Trennung gesetzt, und es ist ohne sie gar kein Bewusstsein möglich. Durch diese Tren- nung aber ist unmittelbar zugleich das Verhältnis des Subjektiven und Objektiven zueinander gesetzt. Das letz- tere soll bestehen ohne Zutun des Subjektiven und unabhängig von ihm, durch sich selbst; das erstere soll ab- hängig sein vom letzteren, und seine materielle Bestimmung nur daher erhalten. Das Sein ist durch sich selbst, das Wissen aber hängt ab vom Sein; so muss uns beides erscheinen, so gewiss uns überhaupt etwas erscheint; so gewiss wir Bewusstsein haben. 


Die wichtige Einsicht, welche wir dadurch erhalten, ist folgende. Wissen und Sein sind nicht etwa außerhalb des Bewusstseins und unabhängig von ihm getrennt, sondern nur im Bewusstsein werden sie getrennt, weil diese Trennung Bedingung der Möglichkeit alles Bewusstseins ist; und durch diese Trennung entstehen erst beide. Es gibt kein Sein außer vermittelst des Bewusstseins, sowie es außer demselben auch kein Wissen, als bloß subjek- tives und auf sein Sein gehendes, gibt. Um mir nur sagen zu können: Ich, bin ich genötigt zu trennen; aber auch lediglich dadurch, dass ich dies sage und indem ich es sage, geschieht die Trennung. Das Eine, welches getrennt wird, das sonach allem Bewusstsein zum Grunde liegt, und zufolge dessen das Subjektive und Objektive im Be- wusstsein als Eins gesetzt wird, ist absolut = X, kann als einfaches auf keine Weise zum Bewusstsein kommen.


Wir finden hier eine unmittelbare Übereinstimmung zwischen dem Subjektiven und Objektiven: ich weiß von mir dadurch, dass ich bin, und bin, dadurch, dass ich von mir weiß. Es wäre möglich, dass alle andere Überein- stimmung beider, ob nun das Objektive aus dem Subjektiven folgen solle, wie beim Zweckbegriffe, oder das Subjektive aus dem Objektiven, wie beim Erkenntnisbegriffe, nichts anderes wäre, als nur eine besondere An- sicht jener unmittelbaren Übereinstimmung; und sollte sich dies wirklich / nachweisen lassen, so wäre - da diese unmittelbare Trennung und Übereinstimmung die Form des Bewusstseins selbst ist; jene anderen Tren- nungen und Übereinstimmungen aber den gesamten Inhalt alles möglichen Bewusstseins erschöpfen - zugleich erwiesen, dass alles, was im Bewusstsein nur vorkommen kann, durch die bloße Form desselben gesetzt sei. Wie es sich damit verhalte, wird sich ohne Zweifel im Verlaufe unserer Untersuchung ergeben.
 

6. Ich setze mich als tätig, heißt in dem zu untersuchenden Gemütszustande keineswegs, ich schreibe mir Tä- tigkeit überhaupt, sondern, ich schreibe mir eine bestimmte, gerade eine solche und keine andere Tätigkeit zu.

Das Subjektive wird, wie wir soeben gesehen haben, durch seine bloße Trennung vom Objektiven ganz abhän- gig und durchaus gezwungen, und der Grund dieser seiner materiellen Bestimmtheit, seiner Bestimmtheit in Rücksicht des Was, liegt keineswegs in ihm, sondern in dem Objektiven. Das Subjektive erscheint als ein bloßes Erkennen eines ihm Vorschwebenden, keineswegs und in keiner Rücksicht als ein tätiges Hervorbringen der Vorstellung. So muss es beim Ursprunge alles Bewusstseins, wo die Trennung des Subjektiven und Objektiven vollkommen ist, notwendig sein. Im Fortgange des Bewusstseins erscheint, aber vermittelst einer Synthesis, das Subjektive auch als frei und bestimmend, indem es als abstrahierend erscheint; und dann vermag es z. B. auch Tätigkeit überhaupt und als solche zwar nicht wahrzunehmen, aber doch frei zu beschreiben. Hier aber stehen wir beim Ursprunge alles Bewusstseins, und die zu unter- suchende Vorstellung ist daher notwendig eine Wahr- nehmung, d. h. das Subjektive erscheint in ihr als ganz und durchgängig und ohne sein eignes Zutun bestimmt./


Was heißt nun das: eine bestimmte Tätigkeit, und wie wird sie zur bestimmten? Lediglich dadurch, dass ihr ein Widerstand entgegengesetzt wird; entgegengesetzt durch ideale Tätigkeit, gedacht und eingebildet als ihr gegen- überstehend. Wo und inwiefern du Tätigkeit erblickst, erblickst du notwendig auch Widerstand; denn außerdem erblickst du keine Tätigkeit.

Zuvörderst lasse man sich hierbei dies nicht entgehen: Dass ein solcher Widerstand erscheint, ist lediglich Re- sultat der Gesetze des Bewusstseins, und der Widerstand lässt sich daher füglich als ein Produkt dieser Gesetze betrachten. Das Gesetz selbst, nach welchem er für uns da ist, lässt sich ableiten aus der notwendigen Trennung eines Subjektiven von einem Objektiven, und aus dem schlechthin gesetzten Verhältnisse des ersteren zum letz- teren, wie es soeben geschehen ist. Aus diesem Grunde ist das Bewusstsein des Widerstandes ein vermitteltes, keineswegs ein unmittelbares Bewusstsein; vermittelt dadurch, dass ich mich als bloß erkennendes und in dieser Erkenntnis von der Objektivität ganz abhängiges Subjekt betrachten muss.

Dann entwickle man die Merkmale dieser Vorstellung von einem Widerstande aus ihrer Entstehungsweise. Die- ser Widerstand wird als das Gegenteil der Tätigkeit vorgestellt; also als etwas nur Bestehendes, ruhig und tot Vorliegendes, das da bloß ist, keineswegs aber handelt, das nur zu bestehen strebt, und daher allerdings mit einem Maße von Kraft zu bleiben, was es ist, der Einwirkung der Freiheit auf seinem eignen Boden widersteht, nimmermehr aber dieselbe auf ihrem Gebiete anzugreifen vermag; kurz, bloße Objektivität. So etwas heißt mit seinem eigentümlichen Namen Stoff. 


Ferner, alles Bewusstsein ist bedingt durch das Bewußtsein meiner selbst, dieses ist bedingt durch die Wahrneh- mung meiner Tätigkeit, diese durch das Setzen eines Widerstandes als eines solchen. Also, der Widerstand mit dem soeben angegebenen Charakter erstrecket sich notwendig durch die ganze Sphäre meines Bewusstseins; dauert neben demselben fort, und die Freiheit kann nie gesetzt werden als das geringste über ihn vermögend, weil dadurch sie selbst und alles Bewusstsein und alles Sein wegfiele. - Die Vorstellung eines durch meine Wirk- samkeit schlechthin nicht zu verändernden Stoffes, die wir oben in der Wahrnehmung unserer Wirksamkeit ent- halten fanden, ist aus den Gesetzen des Bewusstseins abgeleitet.

Die eine der aufgeworfenen Hauptfragen ist beantwortet: wie wir nämlich dazu kommen, ein Subjektives, einen Begriff anzunehmen, der aus einem Objektiven, einem Sein, folgen und dadurch bestimmt sein soll. Es ist dies, wie wir gesehen haben, die notwendige Folge davon, dass wir ein Subjektives und ein Objektives in uns im Be- wusstsein trennen und doch als eins ansehen. Das bestimmte Verhältnis aber, dass das Subjektive durch das Ob- jektive bestimmt sein soll, nicht aber umgekehrt, entsteht aus dem schlechthin gesetzten Verhältnisse des Subjek- tiven als solchen zu einem Objektiven als solchen. Und so ist das Prinzip und die Aufgabe aller theoretischen Philosophie abgeleitet.

7. Ich setze mich als tätig. Vom Subjektiven und Objektiven in diesem Setzen, seiner Trennung, seiner Vereini- gung und dem ursprünglichen Verhältnisse beider zu einander ist zur Genüge gesprochen; nur das Prädikat, welches dem einen und unzertrennlichen Ich zugeschrieben wird, haben wir noch nicht untersucht. Was heißt doch das, tätig sein, und was setze ich eigentlich, wenn ich mir Tätigkeit zuschreibe?

Das Bild der Tätigkeit überhaupt, einer Agilität, Bewegung oder wie man es mit Worten ausdrücken mag, wird bei dem Leser vorausgesetzt und lässt sich keinem andemonstrieren, der es nicht in der Anschauung seiner selbst findet. Diese innere Agilität lässt dem Objektiven als solchen schlechthin sich nicht zuschreiben, wie wir soeben gesehen haben; es besteht nur und ist und bleibt, was es ist. Nur dem Subjektiven, der Intelligenz als solcher, kommt sie der Form ihres Handelns nach zu. Der Form nach, sage ich; denn das Materielle der Bestim- mung soll, wie wir oben gesehen haben, in einer anderen Beziehung durch das Objektive bestimmt sein. /

Das Vorstellen, seiner Form nach, wird angeschaut als freieste innere Bewegung. Nun soll ich, das Eine unteil- bare Ich, tätig sein; und das, was auf das Objekt wirkt, ist ohne allen Zweifel dies Objektive in mir, die reelle Kraft. Dies alles bedacht, lässt meine Tätigkeit sich nur so setzen, dass sie ausgehe vom Subjektiven, als bestim- mend das Objektive; kurz, als eine Kausalität des bloßen Begriffs auf das Objektive, welcher Begriff insofern nicht wieder durch ein anderes Objektives bestimmt werden kann, sondern absolut in und durch sich selbst bestimmt ist.

Es ist jetzt auch die zweite der oben aufgeworfenen Hauptfragen beantwortet: Wie komme ich dazu, anzuneh- men, dass ein Objektives aus einem Subjektiven, ein Sein aus einem Begriffe erfolge? - und es ist dadurch das Prinzip der ganzen praktischen Philosophie abgeleitet. Diese Annahme kommt nämlich daher, weil ich mich absolut als tätig setzen muss - aber, nachdem ich ein Subjektives in mir und ein Objektives unterschieden habe, diese Tätigkeit nicht anders beschreiben kann, denn als eine Kausalität des Begriffs. - Absolute Tätigkeit ist das eine schlechthin und unmittelbar mir zukommende Prädikat; Kausalität durch den Begriff ist die durch die Ge- setze des Bewusstseins notwendig gemachte und einzig mögliche Darstellung desselben. In dieser letzten Ge- stalt nennt man die absolute Tätigkeit auch Freiheit. Freiheit ist die sinnliche Vorstellung der Selbsttätigkeit, und dieselbe entsteht durch den Gegensatz mit der Gebundenheit des Objekts und unserer selbst als Intelligenz, inwiefern wir dasselbe auf uns beziehen.

Ich setze mich frei, inwiefern ich ein sinnliches Handeln oder ein Sein aus meinem Begriffe, der dann Zweck- begriff heißt, erkläre. Das oben aufgestellte Faktum: Ich finde mich wirkend, ist daher nur unter der Bedingung möglich, inwiefern ich einen von mir selbst entworfenen Begriff voraussetze, nach welchem die Wirksamkeit sich richten und durch ihn sowohl formaliter begründet als materialiter bestimmt sein soll. Wir erhalten sonach hier außer den schon oben aufgestellten mannigfaltigen Merkmalen in der Vorstellung unserer / Wirksamkeit noch ein neues, welches oben zu bemerken nicht nötig war, und das hier zugleich mit abgleitet wurde. Aber es ist wohl zu merken, dass das vorhergegangene Entwerfen eines solchen Begriffs nur gesetzt werde und lediglich zur sinnlichen Ansicht unserer Selbsttätigkeit gehöre.

Der Begriff, aus welchem eine objektive Bestimmung erfolgen soll, der Zweckbegriff, wie man ihn nennt, ist, wie soeben erinnert worden, nicht selbst wieder durch ein Objektives bestimmt, sondern er ist absolut durch sich selbst bestimmt. Denn wäre er dies nicht, so wäre ich nicht absolut tätig und würde nicht unmittelbar so gesetzt, sondern meine Tätigkeit wäre abhängig von einem Sein und durch dasselbe vermittelt, welches gegen die Voraussetzung läuft. Im Verlauf des angeknüpften Bewusst- seins zwar erscheint der Zweckbegriff als durch die Erkenntnis eines Seins obwohl nicht bestimmt, doch bedingt; so aber ist hier, beim Ursprunge alles Bewusst- seins, wo von der Tätigkeit ausgegangen wird und dieselbe absolut ist, die Sache nicht anzusehen. - Das wichtigste Resultat hieraus ist dieses: Es gibt eine absolute Unabhängigkeit und Selbstständigkeit des Begriffs (das Kategorische in dem sogenannten kategorischen Imperativ) zufolge der Kausalität des Subjektiven auf das Objektive, ebenso wie es ein absolutes durch sich selbst gesetztes Sein (des materiellen Stoffs) geben soll, zufolge der Kausalität des Objektiven auf das Subjektive; und wir haben sonach die beiden Enden der ganzen Vernunftwelt anein- ander geknüpft.

(Wer nur wenigstens die Selbstständigkeit des Begriffs gehörig fasst, dem wird damit das vollkommene Licht über unser ganzes System und mit ihm die unerschütterlichste Überzeugung von der Wahrheit desselben ent- stehen.)

8. Aus dem Begriff erfolgt ein Objektives. Wie ist dies möglich und was kann es heißen? Nichts anderes, als dass der Begriff selbst mir als etwas Objektives erscheine. Aber der Zweckbegriff, objektiv angesehen, wird ein Wollen genannt, und die Vorstellung eines Wollens ist gar nichts anderes, / als diese notwendige Ansicht des - selbst nur um unserer Tätigkeit bewusst zu werden, gesetzten - Zweckbegriffs. Das Geistige in mir, unmittelbar als Prinzip einer Wirksamkeit angeschaut, wird mir zu einem Willen.

Nun aber soll ich auf den schon oben seiner Entstehung nach beschriebenen Stoff wirken. Aber es ist mir un- möglich, eine Wirkung auf ihn zu denken, außer durch das, was selbst Stoff ist; und wiefern ich mich so erblik- ke, nenne ich mich einen materiellen Leib. Ich, als Prinzip einer Wirksamkeit in der Körperwelt angeschaut, bin eine artikulierter Leib, und die Vorstellung meines Leibes ist nichts anderes denn die Vorstellung meiner selbst als Ursache in der Körperwelt; mithin nichts anderes als eine gewisse Ansicht meiner absoluten Tätigkeit.

Nun soll aber doch der Wille Kausalität und zwar eine unmittelbare Kausalität haben auf meinen Leib; und nur soweit, als diese unmittelbare Kausalität des Willens geht, geht mein Leib als Werkzeug oder als Artikulation. (Bis zur Ansicht meines Leibes als einer Organisation erstreckt sich diese vorläufige Übersicht nicht.) Der Wille wird daher vom Leibe auch unterschieden; erscheint daher nicht als dasselbe. Aber diese Unterscheidung ist nichts anderes denn eine abermalige Trennung des Subjektiven vom Objektiven, oder noch bestimmter: eine besondere Ansicht dieser ursprünglichen Trennung. Der Wille ist in diesem Verhältnisse das Subjektive, der Leib das Objektive.

9. Aber meine wirkliche Kausalität, die Veränderung, die dadurch in der Sinnenwelt erfolgen soll, die durch diese Kausalität veränderliche Sinnenwelt, was sind sie?

Indem ein Subjektives in mir selbst sich in ein Objektives, den Zweckbegriff in einen Willensentschluss und dieser in eine gewisse Modifikation meines Leibes verändern soll, stelle ich ja offenbar mich selbst vor als ver- ändert. Aber das letzte, was ich zu mir rechne, mein körperlicher Leib, soll in Ver-/bindung mit der gesamten Körperwelt stehen; wie daher der erste als verändert angeschaut wir, wird notwendig auch die letzte so erblickt.

Das durch meine Wirksamkeit veränderliche Ding oder die Beschaffenheit der Natur ist ganz dasselbe, was das Unveränderliche oder die bloße Materie ist; nur angesehen von einer anderen Seite; ebenso wie oben die Kau- salität des Begriffs auf das Objektive, von zwei Seiten angesehen, als Wille und als Leib erschien. Das Veränder- liche ist die Natur - subjektiv, und mit mir, dem Tätigen, in Verbindung angesehen; das Unveränderliche, diesel- be Natur, ganz und lediglich objektiv angesehen und unveränderlich, aus den oben angezeigten Gründen.

Alles in der Wahrnehmung unserer sinnlichen Wirksamkeit liegende Mannigfaltige ist gegenwärtig aus den Gesetzen des Bewusstseins abgeleitet, wie gefordert wurde; wir finden als letztes Glied unserer Folgerungen dasselbe, wovon wir ausgingen, unsere Untersuchung ist in sich selbst zurückgelaufen und also geschlossen.

Das Resultat derselbem ist kürzlich folgendes: Das einzige Absolute, worauf alles Bewusstsein und alles Sein sich gründet, ist reine Tätigkeit. Diese erscheint zufolge des Gesetzes des Bewusstseins und insbesondere zufolge seines Grundsatzes, dass das Tätige nur als vereinigtes Subjekt und Objekt (als Ich) erblickt werden kann, als Wirksamkeit auf etwas außer mir. Alles, was in dieser Erscheinung enthalten ist, von dem mir absolut durch mich selbst gesetzten Zwecke an, an dem einen Ende, bis zum rohen Stoffe der Welt, an dem anderen, sind vermittelnde Glieder der Erscheinung, sonach selbst auch nur Erscheinungen. Das einzige rein Wahre ist meine Selbstständigkeit.


aus J. G. Fichte, "System der Sittenlehre nach Prinzipien der Wissenschaftslehre"; in ders., Sämmtliche Werke Bd. IV. S. 1-12 sowie in dass., Hamburg (Felix Meiner) 1995, S. 1 - 12

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