Donnerstag, 30. Juni 2016

Der erste Grundsatz ist ein Postulat.


2. Keine von beiden Meinungen scheinen die Besseren, die sich dagegen auflehnen, zu haben. Prof. Beck eifert auch gegen das Suchen eines ersten Grundsatzes. Er meint, die Philosophie müsse ausgehen von einem Postula- te dieses ist aber auch ein Erstes, das nicht weiter bewiesen werden wird, also auch ein Grundsatz. Grundsatz ist jede Erkenntnis, die nicht weiter bewiesen werden soll. Wer also ein Poatulat angibt, gibt auch einen Grundsatz an. 

Der Prof. Beck hat den Akzent auf / 'Satz' gelegt, und soll sein etwas Objektives, Gefundenes, aus dem durch Analyse herausgebracht wird. Aber wer hat ihn geheißen, Grundsatz so zu erklären? Die Philosophie soll nicht gefunden werden in einem Gegebenen, sondern durch synthetisches Fortschreiten.

Der Satz des Bewusstseins* ist bei Reinhold ein Faktum; durch bloße Zergliederung dessen, was in diesem Satze liegt, soll nach seiner Behauptung die ganze Philosophie zustande kommen. Ein Verfahren, das mit Recht zu tadeln ist. [*) "Im Bewußtsein wird die Vorstellung vom Vorstellenden und Vorgestellten unterschieden und auf beides bezogen." nach Eisler, Wörterbuch]

Die Wissenschaftslehre stellt zuerst auf ein Ich, dies will sie aber nicht analysieren; dies würde eine leere Philosophie sein, sondern sie lässt dieses Ich nach seinen eigenen Gesetzen handeln und dadurch eine Welt konstruieren; dies ist keine Analyse, sondern eine immer fortschreitende Synthese. Übrigens ist es richtig, dass man in der Philosophie von einem Postulate ausgehen müsse; auch die Wissenschaftslehre tut dies und drückt es durch Tathandlung aus. 

Dies Wort wurde nicht verstanden. Es heißt aber und soll nichts anderes heißen, als man soll innerlich handeln und diesem Handeln zusehen. Wer also einem andern die Philosophie vorträgt, der muss ihn auffordern, diese Handlung vorzunehmen, er muss also postulieren.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 27f.









Dies ist das Postulat, mit dem das Philosophieren beginnt:


wikipedia

Der erste Grundsatz ist ein Postulat. So wie der Unterricht in der Geometrie ausgeht von dem Postulat, den Raum zu beschreiben, so muss auch in der Philosophie der Leser oder Zuhörer so etwas tun. Wer den ersten Satz versteht, der wird in die philosophische Stimmung versetzt.

Postulat.
 
Man denke sich den Begriff Ich und denke dabei an sich selbst. Jeder versteht, was dies heißt, jeder denkt darunter etwas, er fühlt sein Bewusstsein auf eine gewisse Weise bestimmt, //29// dass er sich eines Gewissen bewusst ist. Man bemerke nur, wie man es mache, indem man diesen Begriff denkt.

Man denke sich irgend ein Objekt, z. B. diese Wand, den Ofen. Das Denkende ist das Vernunftwesen, dieses frei Denkende vergisst sich aber dabei, es bemerkt die freie Tätigkeit nicht; dies muss aber geschehen, wenn man sich auf den Gesichtspunkt der Philosophie erheben will: Im Denken des Objekts verschwindet man in demselben, man denkt das Objekt, aber nicht, dass man selbst das Denkende sei. Indem ich z. B. die Wand denke, bin ich das Denkende und die Wand das Gedachte. Ich bin nicht die Wand und die Wand ist nicht Ich, beide - das Denkende und das Gedachte - werden als unterschieden.

Nun soll ich das Ich denken. Ich bin also, wie in allem Denken, das Handelnde. Mit derselben Freiheit, mit der ich die Wand denke, denke ich auch das Ich, beim Denken des Ich wird auch etwas gedacht, es wird aber das Denkende und das Gedachte nicht so unterschieden, wie beim Denken der Wand. Beide sind eins, das Denken- de und das Gedachte. Beim Denken der Wand geht meine Tätigkeit auf etwas außer mir, beim Denken des Ich geht sie aber auf Ich zurück. (Der Begriff der Tätigkeit braucht nicht erklärt zu werden, wir sind uns derselben unmittelbar bewusst, sie besteht in einem Anschauen.)
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 28f.



Nota. - Mit dem Postulat, das Ich zu denken im Unterschied zu allen äußeren Objekten, beginnt das Philoso-phieren selbst. Ob auch die Darstellung des ganzen Systems einst von einem - und von diesem! - Postulat wird ausgehen müssen, ist eine ganz andere Frage.
JE




Dienstag, 28. Juni 2016

Muss es einen Ersten Grundsatz geben?



Wissenschaftslehre

§ 1

Vorläufige Bemerkung

Es ist neuerdings sehr geeifert worden gegen das Aufstellen eines ersten Grundsatzes in der Philoso-phie; von einigen, weil sie etwas dabei denken, von anderen aber, weil sie die Mode mitmachen.

Diejenigen, welche sagen: Sucht keinen ersten Grundsatz, können sagen wollen entweder, Ihr sollt in der Philosophie überhaupt nicht systematisch verfahren, so etwas ist unmöglich – werden widerlegt durch das wirkliche Aufstellen eines Systems.

Oder: Alles Beweisen geht aus von einem Unbewiesenen. Was heißt beweisen? Es heißt doch wohl bei dem, der sich einen deutlichen Begriff davon macht, die Wahrheit eines Satzes an einen andern anknüpfen; ich leite die Wahrheit eines bekannten Satzes auf einen andern über. Wenn aber dies beweisen heißt, dann muss es in den Menschen eine Wahrheit geben, die nicht bewiesen werden kann und die keines Beweises bedarf, von der aber selbst alles andere abgeleitet wird. Sonst gibt es keine Wahrheit, und wir werden ins Unendliche getrieben.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 27


Nota. – Soviel zu unsern heutigen "Systematikern", die nicht wissen, was der Name, den sie gewählt haben, historisch wie semantisch bedeutet. 
JE



Montag, 27. Juni 2016

Der Wechsel vom praktischen Gesichtspunkt zum idealen verlangt Übung.



Den Gesichtspunkt des Individuums kann man den gemeinen nennen, oder den der Erfahrung. Wird er genetisch angesehen a priori, wenn man auf ihn kommt, so findet sich, dass man durch das Handeln auf ihn komme, er heißt daher der praktische. Alle philosophische Spekulation ist nur möglich, in wie fern abstrahiert wird (im Handeln findet keine Abstraktion statt), und heißt darum der ideale Gesichtspunkt. Der praktische Gesichts-punkt steht unter dem idealen.

Wenn der Philosoph auf dem praktischen Gesichtspunkt steht, so handelt er wie jedes andere Vernunftwesen, und wird nicht durch Zweifel gestört, weil er weiß, wie er auf diesen Standpunkt kommt. Die Spekulation kann nur den stören, der erst angefangen hat zu spekulieren, aber noch nicht im Reinen ist; dem kritischen Philoso-phen kann so etwas nicht einfallen, weil die Resultate der Erfahrung und der Spekulation immer zusammentref-fen.

Es gehört aber Festigkeit dazu, sich von dem einen Gesichtspunkt auf den andern zu setzen; hierin fehlt oft der Anfänger, der durch realistische Zweifel in der Spekulation gestört wird, der wird auch im Handeln durch idea-listische gestört. 


[Ende der II. Einleitung]
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 25



Sonntag, 26. Juni 2016

Der Idealist sieht doppelt.



§ 8. 

Der Idealismus geht aus vom Sichsetzen des Ich, oder von der endlichen Vernunft überhaupt. Aber wenn von einem Überhaupt die Rede ist, so ist dies ein unbestimmter Begriff, er geht also von einem unbestimmten Be-griff aus. Nun sieht der Idealist dem Bestimmen der Vernunft in ihren Begrenzungen zu und lässt durch das Bestimmen ein vernünftiges Individuum, ein wirkliches Vernunftwesen werden, welches etwas ganz anderes ist als der unbestimmte Begriff vom Ich. 

Dieses Ich sieht die Welt und die Dinge auch an, //25// diese seine Ansicht wird auch von dem Gesichtspunkte des Idealismus erblickt, der Idealist sieht, wie dem Individuum die Dinge werden müssen, die Sache ist also für das Individuum anders als für den Philosophen. Für das Individuum nun sind die Dinge, Menschen usw. unab-hängig von ihm vorhanden. Der Idealist aber sagt: Dinge außer mir und unabhängig von mir vorhanden, gibt es nicht. 

Beide sagen also das Gegenteil und widersprechen sich doch nicht, denn der Idealist zeigt von seinem Ge-sichtspunkte aus die Notwendigkeit der Ansicht der Individuen. Wenn der Idealist sagt: außer mir, so heißt dies: außer der Vernunft; bei dem Individuum heißt es: außer der Person. 

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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 24f.



Samstag, 25. Juni 2016

Was heißt denn 'wirklich', was heißt Realität?

The Truman Show

Verhältnis dieses Systems zur Erfahrung. 

In der Erfahrung, welche durch dieses System deduziert werden soll, findet man die Objekte und ihre Beschaf-fenheiten; in dem System selbst die Handlungen des Vernunftwesens und die Weisen desselben, inwiefern Ob-jekte durch sie hervorgebracht werden, denn der Idealismus zeigt, dass alle andre Art, zu den Objekten zu kommen, keinen Sinn habe.

Der Philosoph fragt, wie entstehen Vorstellungen von den Dingen, die außer uns sein sollen? Dann die Vorstel-lungen von Pflicht, Gott und Unsterblichkeit. Diese Frage heißt soviel: Wie kommen wir zu den Objekten, die diesen Vorstellungen entsprechen? Man könnte die notwendigen Vorstellungen objektive Vorstellungen nennen, weil sie auf ein Objekt bezogen werden. –

Dies gilt auch von den Vorstellungen der Pflicht, Gottheit und Unsterblichkeit. Man kann daher fragen: Woher das Objekt für uns? Die Philosophie enthielte sonach ein System solcher Handlungen, wodurch Objekte für uns zu Stande kommen. Aber gibt es denn nun wirklich solche Handlungen, wie im Idealismus vorgetragen werden? Hat das darin Vorgetragene Realität, oder ist es nur von der Philosophie erdichtet?

Zuvörderst, der Idealismus stellt auf eine Reihe von ursprünglichen Handlungen. Dass es eine Reihe gibt, wird nicht behauptet, dies wäre gegen das System, denn darin heißt es: Das Erste kann nicht sein ohne eine Zweites usw. Die Handlungen kommen also nicht einzeln vor, da ja die eine nicht ohne die andere sein soll.

Mit einem Schlage bin ich und 
//23// ist die Welt für mich. Aber im System müssen wir, was eigentlich nur eins ist, als eine Reihe von Handlungen betrachten, weil wir nur Teile, und zwar bestimmte, auffassen können. Wenn das Vernunftwesen nach gewissen Gesetzen in der Erfahrung verfährt und so verfahren muss, so muss es auch im Gebiete der Philosophie verfahren. Ein Gedanke muss an den andren angeknüpft werden.

Dann muss man den, der so fragt, bitten zu bedenken, was er denn eigentlich frage. Was heißt denn wirklich, was heißt Realität? Nach dem Idealismus: das, was notwendig im Bewusstsein vorkommt. Kommen denn diese Handlungen vor, wo und wie? Auf dem Gebiete der Erfahrung nicht, kämen sie da vor, so wären sie selbst Erfahrung und gehörten nicht in die Philosophie, welche den Grund der Erfahrung angeben soll. Also eine solche Wirklichkeit wie die der Erfahrung haben diese Handlungen nicht, auch kann man nicht sagen, diese Handlungen geschähen in der Zeit, weil die Erscheinungen nur [=nur die Erscheinungen] Realität in der Zeit haben.

Herr Prof. Beck, der die Kritik der reinen Vernunft gefasst [=richtig aufgefasst] hat, will nicht über die Erfahrung hinausgehen. Dadurch wird alle, auch seine, Philosophie abgeschnitten. Auch ist es nicht Kants Meinung, denn [d]er fragt, wie ist Erfahrung möglich. Er erhebt sich also über sie.

Aber das, was nicht im Gebiete der Erfahrung liegt, hat keine Wirklichkeit im eigentlichen Sinn, es darf nicht in Raum und Zeit betrachtet werden, es muss betrachtet werden als etwas notwendig Denkbares, als etwas Idea-les. Z. B. das reine Ich ist in diesem Sinn nichts Wirkliches; das Ich, das in der Erfahrung vorkommt, ist die Person. Wenn jemand das reine Ich als philosophischen Begriff darum tadelt, weil es nicht in der Erfahrung vorkommt, so weiß er nicht, was er will.

Wer sich zur Philosophie erhebt, für den haben diese Handlungen Realität, nämlich die des notwendigen Den-kens, und für dieses ist Realität[sic]. Diese Realität hat auch die Erfahrung. So gewiss wir sind und leben, so ge-wiss muss die Erfahrung sein, und so gewiss wir philosophieren, so gewiss müssen wir //24//diese Handlungen denken. Im Bewusstsein des Philosophen kommt etwas vor, was im gemeinen Menschenverstand als solchen [sic] nicht vorkommt, das Bewusstsein des Philosophen erweitert sich, und dadurch wird es ein vollständiges, vollendetes. Sein Denken erstreckt sich so weit, wie es nur gehen kann.

Über die Erfahrung hinaus kann gefragt werden, und dies geschieht; aber über die Philosophie kann mit Ver-nunft nicht hinaus gefragt werden; z. B. was der Grund der Beschränktheit an sich sei, dies widerspricht sich selbst und wäre eine Absurdität. Es wäre eine Anwendung der Vernunft, die von aller Vernunft abstrahiert wäre.

Das Fortschreiten von Realität zu Realität, von einer Stufe des Bewusstseins zur anderen, ist der Gang des natürlichen Menschen, und wir können da drei Stufen annehmen:

1) Er verknüpft die Objekte der Erfahrung nach Gesetzen, aber ohne dessen sich bewusst zu sein. - Jedes Kind, jeder Wilde sucht zu dem Zufälligen einen Grund, urteilt also nach den Gesetzen der Kausalität, ist sich aber dessen nicht bewusst.

2) Der, der über sich reflektiert, bemerkt, dass er nach diesen Gesetzen verfährt; dem entsteht ein Bewusstsein dieser Begriffe. In dieser zweiten Region kann es wohl kommen, dass man die Resultate dieser Begriffe für Eigenschaften der Dinge hält; dass man sagt, die Dinge an sich sind in Raum und Zeit. 

3) Der Idealist bemerkt, dass die ganze Erfahrung nichts sei als ein Handeln des Vernunftwesens.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 22ff.


Nota. - Was wirklich ist, kommt in meinem Bewusstsein vor; das nenne ich Erfahrung, und was gar nicht in mein Bewusstsein tritt, ist für mich nicht wirklich. Das ist nach dem Bisherigen klar. Aber nicht alles, was in mein Bewusstsein tritt, ist darum schon wirklich, es könnte auch lediglich Erdachtes darunter sein. Es ist auch lediglich Erdachtes darunter; nämlich solches, was ich notwendig denken muss - notwendig unter der Bedingung, dass ich denke, weil ich denken will

Wenn die Intelligenz handeln will, kann sie es nur auf bestimmte Weise tun - 'notwendig', nach 'Gesetzen'. Die 'Weise' tritt nun zwar selber nicht ins Bewusstsein, doch da sie die Erfahrung erst möglich macht, ist sie so 'wirklich' wie sie.

Und dann gibt es nur-Gedachtes, das in meinem Bewusstsein vorkommt, das ich aber notwendig denken musste - Ursache und Wirkung, Möglichkeit und Notwendigkeit, aber auch Raum und Zeit... Sie sind zwar bloß Hand-lungen meiner Intelligenz, aber ich stelle sie vor, als ob sie aus meiner Erfahrung stammten; weil sie auf ihnen beruht.

(Und wenn er mir zeigen könnte, dass Gott und Unsterblichkeit zu den notwendigen Handlungen meiner Intelligenz gehören, würde ich auch daran glauben; ich meine: dann täte ich es längst.)
JE




Freitag, 24. Juni 2016

Die Wissenschaftslehre ist für Selbstdenker und braucht keine festen Begriffe.



Der Philosoph ist nicht ein bloßer Beobachter, sondern er macht Experimente mit der Natur des Bewusstseins und lässt sich auf seine bestimmten Fragen antworten. Das System ist für Selbstdenker, durch bloßes Lernen kann es nicht gefasst werden. Jeder muss es in sich hervorbringen, besonders weil / keine feste Terminologie angenommen wird; durch das Gegenteil machte sich Kant so viele Nachbeter.

Wer an dieses System geht, braucht eben noch keine Selbstdenker zu sein, nur muss er Liebe zum Selbstdenken haben. Bei jungen Leuten ists nicht leicht der Fall, dass ihr Kopf schon in Falten eingezwängt sei und dass sie daher zum Selbstdenken unfähig seien. Man kann zum Selbstdenken anführen dadurch, dass man Stoff gibt, worüber gedacht wird, dass man vordenke und dadurch zum Nachdenken erwecke.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 21f.


Nota. - Auf eine feste Terminonologie kann F. verzichten, weil die Wissenschaftslehre nicht von gegebenen Begriffen ausgeht, sondern angibt, wie welche Vorstellungen hervorzubringen seien; weshalb es bei der Inter-pretation der Texte so wenig hilft, 'Stellen' gegeneinander auszuspielen: Die Wörter bedeuten nicht überall dasselbe. Fichtes Terminologie ist beweglich, man kann Jedes nur aus seinem Zusammenhang verstehen. 
JE






Donnerstag, 23. Juni 2016

Fast wie Locke.


 Idrac, L'Amour piqué par une guêpe

Übrigens: Wie bei John Locke ist das Ich bei Fichte zuerst eine tabula rasa. Aber mit diesem feinen und wesentlichen Unterschied: Es will schlechterdings tätig werden. Es ist daher die Möglichkeit von Allem. Diese allweilige Möglichkeit zu bestimmen ist seine charakterisierende Aufgabe und macht schließlich seine Individualität aus. Es ist bestimmt als unbestimmt und (sich-)bestimmend zugleich.

Ebenfalls wie bei Locke bedeutet Gefühl bei Fichte nichts anderes als die Sinnesdaten, die die Nervenenden dem Zentralorgan melden. Doch anders als bei Locke ist es das Ich, das ihre Qualität ihr So- oder Anderssein bestimmt; genauer gesagt: Indem ein Naturwesen sein Gefühl als so oder anders bestimmt, wird es macht es sich zu einem Ich.

Wie es dazu kommt? Es tut es aus Freiheit. Das macht den ganzen Unterschied zum Sensualisten aus.










Dienstag, 21. Juni 2016

Das System kann nur auffordern.



Das System kann jeden nur auffordern, in sich selbst hineinzusehen, wie er es macht; nun aber behauptet es allgemeine Gültigkeit, dass jedes Vernunftwesen so verfahren müsse. Diese Forderung geschieht mit Recht, und vorausgesetzt, dass das Wesen der Vernunft in dem Sichselbstsetzen bestehe, so gehen ja alle als notwen- dig aufgestellten Handlungen aus demselben hervor: Sie gehen sonach aus dem Wesen der Vernunft hervor, und jedes Vernunftwesen muss daher die Richtigkeit des Systems anerkennen.

Ferner die Einsicht in dieses System gründet sich darauf, dass man alle Handlungen, die hier betrachtet werden, innerlich nachmacht. Denn es zählt nicht eine Reihe von Tatsachen auf, die nur so gegeben werden, sondern eine Reihe von Handlungen, in denen bemerkt wird, worauf es ankommt.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 21


Nota. - Dass das Wesen der Vernunft im Sich-selber-setzen besteht, bleibt immer vorausgesetzt und lässt sich aus nichts Elementarem herleiten, es ist selber elementar. Und nur, wer so verfährt, soll Vernunftwesen heißen, das ist tautologisch. Doch dass es, wenn es sich selber setzt, so verfährt und anders nicht verfahren kann, das ist rein faktisch so und beruht auf keinerlei Gesetz: denn dann wäre es kein Sich-selber-Setzen. - 


Irritierend bleibt immer der Ausdruck "Wesen der Vernunft". Er hat es ja selber so definiert, aber der Wortge-brauch klingt, als sei zuerst das "Wesen" da, und daraus folge das Sich-selber-Setzen, während die Voraussetzung doch umgekehrt vorging. - Ich werde nicht müde, auf diese Doppeldeutigkeit hinzuweisen, die sich bei Fichte von Anbeginn zeigt.
JE












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Montag, 20. Juni 2016

Wozu aber ein System? oder: Worauf es ankommt.




Die meisten Idealisten vor Kant sagten, die Vorstellungen sind in uns, weil wir sie in uns hervorbringen; sie verstanden es so: Wir können diese hervorbringen oder nicht. Dies ist ein grundloser Idealismus.

Es lassen sich zwei Wege denken, die das Räsonnement leiten, //21// entweder man geht aus von der uns bekannten Beschaffenheit der Welt oder den notwendigen Vorstellungen, die im Bewusstsein vorkommen: Dies ist ein bloßes Herumtappen und Probieren; man lässt sich immer das Resultat vor Augen schweben. Dies taugt nicht.


Oder man geht aus von der Handelsweise des vorstellenden Wesens und zeigt nun, wie nach diesen Gesetzen solche Vorstellungen zu Stande kommen, man hat da nur die Art vor Augen, wie etwas zu Stande kommen soll. Wenn man so zu Werke geht, so wird von allem Wirklichen abstrahiert. Wäre der Grundsatz richtig und würde richtig aus ihm gefolgert, so muss das Resultat mit der gemeinen Erfahrung übereinstimmen. Träfe etwa beides nicht zusammen, so würde nicht gerade die Unrichtig-keit des ganzen Unternehmens, sondern nur des Verfahrens durch einen Fehlschluss folgen; diesen müsste man aufsuchen. 

Es ist zu erweisen, dass das Ich sich nicht setzen könne, ohne noch manches andere zu setzen. Dies wäre lediglich in der Selbstanschauung nachzuweisen, so wie* das erste Gesetz, dass ich mich nur auf diese Weise setzen kann. Dies wäre der Gang des Systems.
...

Ferner die Einsicht in dieses System gründet sich darauf, dass man alle Handlungen, die hier betrach-tet werden, innerlich nachmacht. Denn es zählt nicht eine Reihe von Tatsachen auf, die nur so gege-ben werden, sondern eine Reihe von Handlungen, in denen bemerkt wird, worauf es ankommt.
*) [so wie = als]
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 20f.


Nota. - Das System ist ein Modell. Aber das Modell kommt nicht zustande, indem man aus allen möglichen Varianten (in Wahrheit: der begrenzten Zahl derer, die einem einfallen) einen Durchsch-nitt ermittelt, sondern indem man ins Modell nur das aufnimmt, worauf es ankommt.

Was aber ist es, worauf es ankommt? Das kann man nicht her aus suchen, sondern muss es vor aus setzen. Hat man das Richtige getroffen, "so muss das Resultat mit der gemeinen Erfahrung über-einstimmen". Das ist der Prüfstein: Eine 'Reihe vernünftiger Wesen' ist das historisch Reale. Dies muss erklärt werden.
JE





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Sonntag, 19. Juni 2016

Die genetische Darstellung ist nötig, wo die Worte fehlen.



Alles Geistige wird durch sinnliche Ausdrücke bezeichnet, daher kommen viele Missverständnisse. Denn die Zeichen sind oft willkürlich, und drum muss erst, wenn man ein Zeichen gebraucht, eine Erklärung gegeben werden. Wenn man eine Erklärung geben soll, wo das Wort fehlt, da muss man die Sache selbst, d. h. man muss genetisch erklären. Ich setze mich, und indem ich dies tue, bemerke ich, ich tue es auf eine gewisse Art und kann es nur so tun. 

Nun kann es kommen, dass ich auch vieles andere nur so tun kann, und das heißt ein Gesetz. Man spricht daher von Gesetzen des Anschauens, des Denkens usw.. Dieses notwendige Denken sind Denkgesetze. Gesetze sind eigentlich nur für ein handelndes Wesen; dies sehen wir für gewöhnlich als frei an, denn sagen wir: du musst so oder so verfahren, so sagt man nach der Analogie: Das Vernunftwesen muss so oder so verfahren, und dies sind seine Gesetze.

Die weitere Aufgabe für den Idealismus müsste also sein: Wir sind zu der Einsicht gekommen, dass das Setzende und das Gesetzte dasselbe sind. Ich kann das Ich nur auf eine gewisse Weise setzen, aber dies kann ich nicht, ohne auch ein zweites zu setzen, und dies nicht ohne ein drittes, und so könnte es kommen, dass wir alle die Gesetze, zufolge denen die Welt für uns zu Stande kommt, von dem ersten ableiten könnten. Dies müsste der Idealismus erweisen.
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Wissenschaftslehre nova methodo, II. Einleitung, Hamburg 1982, S. 20



Nota. - Das griechische poiein haben die lateinischen Autoren mit ponere übersetzt, und das wurde im Deutschen zu setzen. Satz, Satzung, Gesetz - überall steckt dieselbe Vorstellung drin. Doch für die Vorstellung selbst gibt es kein Wort. Die Analogie zu einem sinnlichen Vorgang muss ausreichen, und tut es in den meisten Fällen. Doch eine Metapher ist kein Begriff. Man kann daraus nicht konstruieren und konkludieren. Wenn es vorangehen soll, muss immer das lebendige Vorstellen neu bemüht werden. Das nennt Fichte die genetische Darstellungswei-se.
JE






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Materiale Logik II.


 Anne Vallayer-Coster, 1787

Das erste absolut freie, unbedingte Handeln ist das Setzen des Ich durch sich selbst; aus diesem könnteeine anderes notwendig folgen, von dem man sagen könnte, es sei notwendig, aber freilich nicht absolut, sondern bedingt.

In dem ersten Handeln des Sichsetzens findet schon Freiheit statt. Es ist möglich, dass man nicht auf sich, sondern auf Objekte reflektiere. Dies hängt von der Freiheit ab. Aber wenn ich auf mich reflektiere, so kann ich dies nur durch eine in sich zurückgehende Tätigkeit.

So verhält es sich schon mit dem Prinzip, und so könnte es wohl kommen, dass wir auf eine Reihe notwendiger Handlungen stießen, welche bedingt würden durch das Setzen des Ich, und so würde der Satz, das Ich ist, was es ist, durch //20// sich selbst, der vorher nur formale Bedingungen hatte, materiale Gültigkeit bekommen.

Das Ich ist, was es ist, darum, weil es sich durch sich selbst setzt. Das Selbstsetzen ist nur auf eine gewisse Art möglich, dies setzt, diese setzt eine andere voraus, diese wieder eine andere usw.
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Wissenschaftslehre nova methodo, II. Einleitung, Hamburg 1982, S. 19f.


Nota. - Die Wissenschaftslehre sei 'bloße Logik', schrieb Kant in seiner berüchtigten Erklärung gegen Fichte anlässlich des Atheismusstreits. Das ist mehr falsch als wahr, denn sie ist keine Logik der gesetzten Begriffe und notwendigen Schlüsse, sondern eine Genetik des bedingt-notwendigen Vorstellens. Bloße Logik ist das nicht. Es ist nicht nur Verfahren, sondern hat Gehalt; es hat Blut, Fleisch und Knochen.
JE


Samstag, 18. Juni 2016

Notwendig durch Freiheit.



§ 6

Dieser Beweis würde völlig hinreichen zu einer kategorischen Behauptung, um das Dass zu erklären, aber nicht zu einer bestimmten Einsicht in dasWie. Zu einer solchen Erklärung würde gehören, dass der ganze Akt des postulierten Hervorbringens der Vorstellungen dargestellt würde. Soll der Idealismus Wissenschaft sein, so muss er dies leisten können. //19// Jetzt wird im Voraus drüber nachgedacht, auf welche Weise der Idealismus diese Forderung erbringen könne.

Zuvörderst ist in der Philosophie die Rede von den mit dem Gefühl der Notwendigkeit begleiteten Vorstellun-gen. Da diese nun nicht, wie im Dogmatismus, durch ein Leiden, sondern aus einem Handeln der Freiheit er-klärt werden soll [sic], so würde dies ein notwendiges Handeln sein müssen, denn sonst würde es zu nichts hel-fen.

Anfangs zweifelt man, ob diese Vorstellungen Produkte einer Selbsttätigkeit sind, weil man sich dieses Tätigkeit nicht bewusst ist. Wenn die meisten Menschen von Tätigkeit, von Handeln hören, so verstehen sie darunter ein freies Handeln; aber es kann auch ein notwendiges Handeln geben. Ist aber ein notwendiges Handeln noch ein Handeln und nicht vielmehr ein Leiden zu nennen?

(Der echte Dogmatiker, der zugleich Fatalist sein muss, kann das Bewusstsein der Freiheit nicht leugnen, sondern er erklärt es für Täuschung. Das Handeln erfolgt erst zu Folge eines äußern Einwirkens. Vide Alexander von Joch (Hummel) über Belohnungen und Strafen in türkischen Gesetzen.)


Das notwendige Handeln ist nur unter der Bedingung eines freien Handelns notwendig, aber nicht überhaupt notwendig, sonst wäre es mit Leiden einerlei.
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Wissenschaftslehre nova methodo, II. Einleitung, Hamburg 1982, S. 18f.




Nota. - Wenn ich dies tun will, dann muss  ich es so machen. Die Freiheit liegt in der Zwecksetzung. In der Ausführung muss ich dem widerständigen toten Sein Rechnung tragen.
JE