Mittwoch, 4. Mai 2016

Das Übergehen zur Bestimmtheit geschieht aus Freiheit.


Gletscher kalbt

§ 3. 

Man werde finden, dass dieses Übergehen (§ 2) seinen Grund habe schlechthin in sich selbst. Die Handlung dieses Übergehens heißt daher reale Tätigkeit, die der idealen, welche die erste bloß nachbildet, entgegengesetzt, und dadurch das Ich überhaupt in diese beide Arten derselben eingeteilt wird. 

Nach dem Grundsatze der Bestimmbarkeit ist ein reales Handeln nicht zu setzen ohne ein reales oder praktisches Vermögen. Reale und ideale Tätigkeit sind durch einander bedingt und bestimmt, eine ist nicht ohne die andere, und was die erste sei, lässt sich nicht begreifen ohne die andere. 

In diesem Akte der Freiheit wird das Ich sich selbst Objekt. Es entsteht ein wirkliches Bewusstsein, an dessen ersten Punkt von nun an alles angeknüpft werden muss, was überhaupt Objekt desselben sein soll. Die Freiheit ist sonach der höchste Grund und die erste Bedingung alles Seins und alles Bewusstseins.
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Wissenschaftslehre nova methodo, S. 51



Nota. - Dies ist eine Zusammenfassung des dritten Paragraphen; vermutlich auch sie von F. den Hörern zur Mitschrift diktiert. - Fichte wünschte nicht, dass die Studenten seine Vorlesungen mitschrieben; sie könnten beim Schreiben nicht richtig zuhören; sie sollten nur Stichpunkte notieren und die ganze Lektion zuhause in ihren eigenen Worten nachschreiben. Entweder ist also Krause Fichtes Rat nicht gefolgt, oder er hat die vorliegenden Niederschrift "in seinen eigenen Worten" verfasst...


Nota II. - Das ist ein (Vorstellungs-)logisches Problem seit Plotin: Wie kommt das All-Eine dazu, 'aus sich heraus' zu gehen und in die Erscheinung zu fallen? Es hätte doch ganz bequem 'an und für sich' bleiben können. -  'Es gibt' zwar die Welt der Erscheinungen; aber dass sie zum All-Einen überhaupt ein Verhältnis hat, soll ja eben erst erwiesen und darf nicht einfach vorausgesetzt werden. So bis Spinoza. 

Die Wissenschaftslehre will aber nicht die 'Welt der Erscheinungen' aus einem metaphysisch postulierten All-Einen herleiten, sondern die empirisch konstatierbare Vernünftigkeit der Subjekte aus ihrer bloßen Subjektität. Dann erweist sich der Satz 'Das Subjekt setzt sich selbst aus Freiheit' als ein quasi-analytischer: Was sich die Vernunft unter Freiheit vorstellen kann, steckt in der Vorstellung von einem Subjekt bereits drin. Ohne Freiheit kann ich mir ein Subjekt gar nicht vorstellen. 'Man kann' sich natürlich zu Spinozas Determinismus bekennen; nur muss man dann auf den Anspruch verzichten, Subjekt zu sein (und sich überhaupt zu was bekennen zu wollen).
JE 





Nota - Obige Bilder gehören mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und ihre Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Ihre Nachricht auf diesem Blog. JE
 

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