Freitag, 31. August 2018

Sich setzen ist sich voraussetzen.

Degas
 
Dein Ich kommt lediglich durch das Zurückgehen deines Denkens auf dich selbst zu Stande, wurde behauptet. In einem kleinen Winkel deiner Seele liegt dagegen die Einwendung, – entweder: ich soll denken, aber ehe ich denken kann, muss ich seyn; oder die: ich soll mich denken, in mich zurückgehen; aber was gedacht werden soll, auf welches zurückgegangen werden soll, muss seyn, ehe es gedacht oder darauf zurückgegangen wird. 

In beiden Fällen postulirst du ein von dem Denken und Gedachtseyn deiner selbst unabhängiges, und dem- selben vorauszusetzendes Daseyn deiner selbst; im ersten Falle als des Denkenden, im zweiten als des Zu-Den- kenden. Hierbei sage mir vorläufig nur dies: wer ist es denn, der da behauptet, dass du vor deinem Denken vor- her gewesen seyn müssest? Das bist ohne Zweifel du selbst, und dieses dein Behaupten ist ohne Zweifel ein Denken; / und, wie du noch weiter behauptest, und wir dir mit beiden Händen zugeben, ein nothwendiges, in diesem Zusammenhange dir sich aufdringendes Denken. Du weisst doch hoffentlich von diesem vorauszuset- zenden Daseyn nur insofern, inwiefern du es denkst; und dieses Daseyn des Ich ist sonach auch nichts mehr, als ein Gesetztseyn deiner selbst durch dich selbst. 

In dem Factum, das du uns aufgezeigt hast, liegt sonach, wenn wir es scharf genug ansehen, nichts mehr, als dies: du musst deinem gegenwärtigen, zum deutlichen Bewusstseyn erhobenen Selbst-Setzen ein anderes sol- ches Setzen, als ohne deutliches Bewusstseyn geschehen, voraus denken, worauf das gegenwärtige sich beziehe und dadurch bedingt sey.
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Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre, SW Bd. I, S. 524f.


Nota. - Ja, es ist wahr, indem es sich als ein solches setzt, setzt sich das Ich als sich selbst voraus gesetzt. Das, was 'als ein solches gesetzt' ist, ist bestimmt. Was bestimmt ist, ist - zumindest zu einem bestimmten 'Quantum' - be- griffen. Begriff ist Tätigkeit, als Ruhe vorgestellt. Die Ruhe muss als der Tätigkeit vorausgegangen aufgefasst werden. So kommt es, dass ich, wenn ich mich als tätig vorstellen soll, mich als der Tätigkeit "zu Grunde lie- gend" denken muss.
JE

Donnerstag, 30. August 2018

Wissen ist ein Zirkel.

lichtkunst.73, pixelio.de
 
Der Faden der Betrachtung wird an dem hier durchgängig als Regulativ herrschenden Grundsatze: nichts kommt dem Ich zu, als das, was es in sich setzt, fortgeführt. Wir legen das oben abgeleitete Factum zum Grunde, und sehen, wie das Ich dasselbe in sich setzen möge. 

Dieses Setzen ist gleichfalls ein Factum, und muss durch das Ich gleichfalls in sich gesetzt werden; und so be- ständig fort, bis wir bei dem höchsten theoretischen Factum ankommen; bei demjenigen, durch welches das Ich (mit Bewusstseyn) sich setzt, als bestimmt durch das Nicht-Ich. 

So endet die theoretische Wissenschaftslehre mit ihrem Grundsatze, geht in sich selbst zurück, und wird demnach durch sich selbst vollkommen beschlossen.
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Grundriss des Eigenthümlichen der Wissenschaftslehre, in Rücksicht auf das theoretische Vermögen, SW I, S. 333.



Nota. - Zirkulär verfahren muss die Wissenschaftslehre allenthalben - denn das Wissen ist ein Zirkel. Sein gesam- ter Umkreis ist das Bewusstsein, in dem verfährt es ständig im Kreis und kommt nirgends aus ihm hinaus. "Hat" es einen Anfang? Im Kreis lässt sich keiner finden. 

Der Geometer konstruiert den Umfang des Kreises, indem er irgendeinen Mittelpunkt setzt. Einen ausgezeichne- ten Ort im Kreis, an dem er anfangen dürfte, kann der Philosoph nicht finden. Auch er muss ihn willkürlich setzen - aber doch so, dass sein Fortschreiten immer wieder nur auf ihn hin führt.

Der Ausgangspunkt ist ein schlechthin Unbestimmtes; 'bestimmt' allerdings als ein Ausgangs punkt, sonst 'gäbe es' nicht einmal eine Aufgabe. Bestimmen ist sein 'Trieb', es 'findet sich vor' in einem Unbestimmten - indem es sich ihm entgegensetzt und es 'als Raum bestimmt'. So geht es mit dem Bestimmen immer fort - ins Unendliche nämlich: ins schlechterdings Unbestimmte, das ewig zu bestimmen sein wird. Der hypothetische Ausgangspunkt, den er hinter sich gelassen hat, ist sein Ziel, das virtuell vor ihm liegt.  Er kommt von nichts zu nichts? Wenn ein Endgültiges gemeint ist, ja. Aber zwischen den äußeren Unbestimmten lagen und werden liegen unendlich viele Durchgänge, unendlich viele "vorübergehende" Bestimmungen, und die bilden uns eine Welt.

Es war durchaus kein Missverständnis, dass die Jenaer Romantiker Fichte als einen der Ihren zählten - bis zur Jahrhundertwende. Danach gingen sie unteschiedliche Wege.
JE

Mittwoch, 29. August 2018

Begriff ist Handlungsanleitung.

Helene Souza  / pixelio.de

Also – der Begriff oder das Denken des Ich besteht in / dem auf sich Handeln des Ich selbst; und umgekehrt, ein solches Han- deln auf sich selbst giebt ein Denken des Ich, und schlechthin kein anderes Denken. Das erstere hast du soeben in dir selbst gefunden und mir zugestanden: solltest du an dem zweiten Anstoss nehmen, und über unsere Berechtigung zur Umkehrung des Satzes Zweifel haben, so überlasse ich es dir selbst, zu versuchen, ob durch das Zurückgehen deines Denkens auf dich, als das Denkende, je ein anderer Begriff herauskomme, als der deiner selbst; und ob du dir die Möglichkeit denken könnest? dass ein anderer herauskomme. –

Beides sonach, der Begriff eines in sich zurückkehrenden Denkens, und der Begriff des Ich, erschöpfen sich ge- genseitig Das Ich ist das sich selbst Setzende, und nichts weiter: das sich selbst Setzende ist das Ich, und nichts weiter. Durch den beschriebenen Act kommt nichts anderes heraus, als das Ich: und das Ich kommt durch keinen möglichen anderen Act heraus, ausser durch den beschriebenen. 

Hier ersiehst du zugleich, in welchem Sinne dir das Denken des Ich zugemuthet wurde. Die Sprachzeichen nem- lich sind durch die Hände der Gedankenlosigkeit gegangen, und haben etwas von der Unbestimmtheit derselben angenommen; man kann durch sie sich nicht sattsam verständigen. 

Nur dadurch, dass man den Act angiebt, durch welchen ein Begriff zu Stande kommt, wird derselbe vollkommen bestimmt. Thue, was ich dir sage, so wirst du denken, was ich denke. Diese Methode wird auch im Fortgange unserer Untersuchung ohne Ausnahme beobachtet werden.
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Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre,[1797] SW I, S. 521f.



Nota. - Da steckt mehr drin, als Fichte zu dem Zeitpunkt ahnt (und ganz scharf ist es ihm wohl auch später nicht zu Bewusstsein gekommen, sonst hätte er es nicht nur im Vorbeigehen erwähnt, sondern selbst zum The- ma gemacht). In der "neuen Darstellung" der Wissenschaftslehre, der Wissenschaftslehre nova methodo, wird gar nicht erst von Begriffen ausgegangen, sondern werden - genetisch - Schritt für SchrittVorstellungen entwickelt. Begriffe fallen dabei als Reflexionsprodukte ab, sie sind aber nicht der Stoff der Darstellung. Die Entwicklung geschieht so, dass das, was im vorliegenden Text als Handlungsanleitung aufgefasst ist, als Forschreiten des sich-selbst-setzenden Ich "beobachtet" wird; nämlich indem der Hörer aufgefordert wird, es selber zu machen und beim Selber-Machen sich zuzusehen. Sachlich ist das dasselbe, aber es ist nicht Referat, sondern Experiment.

In der transzendentalphilosophischen Darstellung sind die Begriffe nicht allein darum nicht brauchbar, weil sie "durch die Hände der Gedankenlosigkeit gegangen" sind, sondern weil sie das, was die Darstellung erst leisten soll: das System der Vernünftigkeit, schon voraussetzen. Im historisch gewordenen beweglichen System der Ver- nunft werden die gegebenen Begriffe durch einander bestimmt. In der Wissenschaftslehre bestimmt sie das voran- schreitende Ich. Das sind zwei verschiedene Kontinente.

JE 

Dienstag, 28. August 2018

Immer nur Durchgänge; kein Zugang.


Unsere Philosophie macht umgekehrt das Leben, das System der Gefühle, des Begehrens zum Höchsten und läßt der Erkenntnis überall nur das Zusehen. Es ist nach ihr ein solches System der Gefühle bestimmt: es ist frei- lich mit ihnen ein Bewußtsein verknüpft; und dies gibt eine unmittelbare, nicht eine durch / Folgerungen erschlos- sene, durch freies, auch zu unterlassendes Räsonnement erst erzeugte Erkenntnis. Nur diese unmittelbare Erkennt- nis hat Realität, ist, als aus dem Leben kommend, etwas das Leben bewegendes: und wenn philosophisch die Rea- lität einer Erkenntnis erwiesen werden soll, muß ein Gefühl – ich will mich hier noch dieses Worts bedienen und werde über den Gebrauch desselben sogleich noch bestimmtere Rechenschaft geben – aufgezeigt werden, an welches diese Erkenntnis sich unmittelbar anschlösse.

Das freie Räsonnement kann jene Erkenntnis nur durchleuchten, läutern, verknüpfen und trennen, das Mannig- faltige derselben, und dadurch den Gebrauch desselben sich erleichtern und sich fertiger darin machen: aber sie [sic] kann es nicht vermehren. Unsere Erkenntnis ist uns mit einem Male, für alle Ewigkeit gegeben, und wir kön- nen dieselbe nur weiter entwickeln, den Stoff nur aus eben diesem Stoff vermehren. 

Nur das Unmittelbare ist wahr: und das Vermittelte ist wahr, inwiefern es sich auf jenes gründet, außerdem Schimäre und Hirngespinst.

*) Das Leben ist die Basis: und wenig bedeuten die Worte. 
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Rückerinnerungen, Antworten, Fragen [S. 138f.]



Nota. - Unsere Erkenntnis sei uns mit einem Male, für alle Ewigkeit gegeben - das klingt anstößig. So, als sei sie 'an sich' da und könne mit Eifer nur noch entborgen werden. So hat er es in einem gewissen Sinne auch gemeint: Raum unserer Erkenntnis ist unsere Vorstellung, aus der - "über die" - kommen wir nicht hinaus. Sie ist aller Stoff, über den wir verfügen können, wir können ihn 'quantifizieren', vermannigfaltigen, aber nicht vermehren. Jenseits ist nichts, was gewusst werden könnte.

Die Wissenschaftslehre fügt materialiter nicht hinzu, sondern lediglich - dass es so sei. Greift die Erkenntnis in mein Leben ein? Ja, wenn ich es will. Sie setzt mich gewissermaßen auf den ironischen Standpunkt; ich werde die Welt nicht aus lauter Zugängen bestehend finden, sondern wieder, wie nach Nietzsche die Kinder, aus lauter Durchgängen.
JE






Nota - Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und ihre Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Ihre Nachricht auf diesem Blog.  
JE
 

Montag, 27. August 2018

Die ästhetische Ansicht ist der Angelpunkt.


Ich mache mich deutlicher. Auf dem transzendentalen / Gesichtspunkt wird die Welt gemacht, auf dem gemei- nen ist sie gegeben: auf dem ästhetischen ist sie gegeben, aber nur nach der Ansicht, wie sie gemacht ist. Die Welt, die wirkliche Welt, die Natur, denn nur von ihr rede ich, - hat zwei Seiten: sie ist [1.] Produkt unserer Be- schränkung; sie ist [2.] Produkt unseres freien, es versteht sich, idealen Handelns (nicht etwa unserer reellen Wirksamkeit). In der ersten Ansicht ist sie selbst allenthalben beschränkt, in der letzten selbst allenthalben frei. Die erste Ansicht ist gemein, die zweite ästhetisch. ... 

Wer der ersten Ansicht nachgeht, der sieht nur verzerrte, gepreßte, ängstliche Formen; er sieht die Häßlichkeit; wer der letzten nachgeht, der sieht kräftige Fülle der Natur, er sieht Leben und Aufstreben; er sieht die Schön- heit. So bei dem Höchsten. Das Sittengesetz gebietet absolut, und drückt alle Naturneigung nieder. Wer es so sieht, verhält sich zu ihm als Sklav. Aber es ist zugleich das Ich selbst; es kommt aus der inneren Tiefe unseres eigenen Wesens, und wenn wir ihm gehorchen, gehorchen wir nur uns selbst. Wer es so ansieht, sieht es ästhe- tisch an. 

Der schöne Geist sieht alles von der schönen Seite; er sieht alles frei und lebendig. ...  Wo ist die Welt des schö- nen Geistes? Innerlich in der Menschheit, und sonst nirgends. Also: die schöne Kunst führt den Menschen in sich selbst hinein, und macht ihn da einheimisch. Sie reißt ihn los von der gegebenen Natur, und stellt ihn selbständig und für sich allein hin. ... 

Ästhetischer Sinn ist nicht Tugend: denn das Sittengesetz fordert Selbständigkeit nach Begriffen, der erstere aber kommt ohne alle Begriffe von selbst. Aber er ist Vorbereitung zur Tugend, er bereitet ihr den Boden, und wenn die Moralität / eintritt, so findet sie die halbe Arbeit, die Befreiung aus den Banden der Sinnlichkeit, schon voll- endet. Ästhetische Bildung hat sonach eine höchst wirksame Beziehung auf die Beförderung des Vernunftzwecks.
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Das System der Sittenlehre nach den Principien der Wissenschaftslehre, SW Bd. IV, S. 353ff.


Nota. - Wir haben eine Welt nur als Vorstellung; aber die haben wir gemacht: Das ist der Standpunkt der philoso- phischen Reflexion. Fürs bürgerliche Leben dagegen sind Welt und Vorstellung gleichermaßen gegeben. Das ist eine geschäftige, prosaische und enge Welt. Sie ist hässlich. 

Das Sittengesetz gebietet absolut. Aber es lautet in seiner schlichtesten Form: Handle nach eigenem Urteil. For- mal drückt es nieder, material lehrt es uns, auf eigenen Füßen zu stehen. "Wenn wir ihm gehorchen, gehorchen wir nur uns selbst." 

Wer vom Standpunkt der philosophischen Reflexion ins wirkliche Leben zurückkehrt, mag die transzendentale Ansicht beigehalten: Sie wird ihm zur ästhetischen. Auf der andern Seite bildet die ästhetische Ansicht den Über- gang vom gewöhnlichen Standpunkt zum transzendentalen, und ohne ihn wäre die kritische und Transzendental- philosophie gar nicht möglich geworden.

Ästhetischer Sinn sei nicht Tugend, sagt er des öftern: Das Sittengesetz fordere Selbstständigkeit nach Begriffen. Nach Zweck begriffen, setze man erläuternd hinzu: Nach einem Urteil um/zu, und da das Sittengesetz immer mo- mentan und unmittelbar gebietet, nach einem Urteil ad hoc. Urteile ad hoc sind die ästhetischen Urteile auch. Nach Begriffen werden sie nicht gefällt, sondern aus bloßer Anschauung. Doch auch so, als wären sie mir absolut gebo- ten, einen Raum zum Deliberieren habe ich nicht.

Er hätte gut daran getan, das Sittengesetz und den ästhetischen Sinn phänomenal in einem Komplex zusammen- zufassen. Sein abtrünniger Schüler Herbart hat diesen Schritt konsquenter Weise getan und das Ethische als Schön- heit im Reich der Willensakte dem Ästhetischen als dessen Teilbereich untergeordnet. Ethische Urteile haben streng genommen ebenso wie ästhetische Urteile keinen Gegenstand; ihr Zweck ist nämlich nicht, dieses oder jenes so oder anders zu bestimmen. Sondern eine eingetretene Bestimmung meines Zustands zu bestätigen oder zu verwerfen.

Und dies nun macht die gemeinsame Besonderheit des ethischen und ästhetichen Urteils aus: Es geschieht nicht stückweise, 'quantifizierend', synthetisch a posteriori, sondern ganz und auf einmal: synthetisch a priori.  

"Erfassen" ließe sich mein ganzer Zustand nur, soweit er von einem Teilstück zum andern übergehe und sie nach einander verknüpft. "Wenn unser Zustand auf einmal aufgefasst würde, so würde nicht übergegangen, und so würde nichts Ganzes aufgefasst. Was ist nun das Ganze dieses Zustandes? Nach dem soeben Gesagten ist es Synthesis des Wollens und des Seins, Beziehung beider auf einander, welches beide nicht zu trennen ist." Nova methodo, S. 155

Der springende Punkt: Ästhetische wie ethische Urteile werden nicht gefasst, aufgefasst die das Vernunfturteil nach Deliberation, nicht bestimmt durch 'mein Ich', sondern angeschaut als ein Zustand, in dem ich bin. Es tritt zwischen Wollen und Sein eine Scheidung gar nicht erst ein. Und wenn ich zu einem Verstandesurteil komme, dann immer erst hinterher.
JE



Sonntag, 26. August 2018

Ist die Wissenschafslehre materialistisch?

Harald Schottner, pixelio.de

…es ist nicht möglich, auf den Raum zu reflektieren, ohne auf das Objekt, das im Raume ist, zu reflektieren; denn der Raum ist die subjektive Bedingung des Objekts, und der Raum ist bedingt durch die Reflexion auf das Objekt.. Es ist nicht möglich, auf das Objekt zu reflektieren, ohne auf den Raum, aber es gibt auch keinen Raum ohne Objekt, sonach sind beide im Bewusstsein notwendig vereinigt; ursprünglich ist kein Objekt und kein Raum gegeben allein, sondern zugleich. Objekt im Raum aber heißt Materie; folglich ist ursprünglich Materie.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 113

 

Nota. - Ja gewiss, die Wissenschaftslehre ist keine Metaphysik, über das Wesen der Welt lehrt sie nichts. Sie lehrt allerdings, siehe oben: Die Vernunft ist materialistisch, sie muss die Materie als ursprünglich ansehen. 

Nach Kant ist der Raum eine Anschauungsform a priori, ist also vor aller Reflexion, denn er liegt ihr zu Grunde. Nach Fichte ist der Raum ein Schritt in der Selbstsetzung des Ich. "Der Raum ist die Form der äußeren Anschau- ung. - Form ist das Bestimmbare bei einer Handlung des Ich, man könnte also auch Materie Form der äußeren Anschauung nennen. Die Materie ist es, welche in der äußeren Anschauung konstruiert / und begrenzt wird. Der Raum ist die Sphäre für die Freiheit, das, was im Raume uns beschränkt, ist das Materiale, was immer bleibt. Zum Unterschied wäre der Raum die subjektive, die Materie die objektive Form." ebd. 113f.

Materie ist das Erste, sie ist nicht die (zu überwindende) Schranke, an die unsere Freiheit stößt, sondern der Klotz, der ihr längst am Bein hängt, aber den sie nicht spüren könnte, wenn sie sich nicht regte. Doch spüren muss sie, denn Gefühl ist Bedingung des Bewusstseins, und ohne Bewusstsein ist keine Freiheit.

Die Wissenschaftslehre behauptet keinen Materialismus. Aber sie setzt ihn voraus. Sie ist nicht Metaphysik, sondern Transzendentalphilosophie. Diese greift ihre Vorussetzhungen nicht aus der Luft, sondern aus der Wirklichkeit.
JE

 

Samstag, 25. August 2018

Das Fichtisieren artistisch treiben.

Michael Rittmeier, pixelio.de

Es wäre wohl möglich, dass Fichte Erfinder einer neuen Art zu denken wäre – für die die Sprache noch keinen Namen hat. Der Erfinder ist vielleicht nicht der fertigste und sinnreichste Künstler auf seinem Instrument – ob ich gleich nicht sage, daß es so sei.   Es ist aber wahrscheinlich, dass es Menschen gibt und geben wird, die weit besser Fichtisieren werden, als Fichte. Es können wunderbare Kunstwerke hier entstehen – wenn man das Fichtisie- ren erst artistisch zu treiben beginnt.
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Novalis, Logologische Fragmente [a], N° 11


Nota. - Fichte hat die Wissenschaftslehre nicht zum Abschluss gebracht, er ist in Folge des Atheismusstreits vom kritischen Denken abgekommen. Dabei war er schon kurz vorm Ziel. Es hätte nur noch eines gewagten Schrittes ins Artistische bedurft. Den müssen nun andere nachholen.
JE


 

Freitag, 24. August 2018

Das Ich ist keine Substanz.

Himi  / pixelio.de

Das ich ist nicht Seele, die Substanz ist; jeder denkt sich bei dem Ich noch etwas im Hinterhalte. Man denkt, ehe ich so und so es machen kann, muss ich sein. Diese Vorstellung muss gehoben werden. Wer dies behauptet, be- hauptet, dass das Ich unabhängig von seiner Handlungen sei.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 29


Nota. -  Die Wissenschaftslehre ist keine theoretische Psychologie, kein metaphysisches Weltsystem, keine Seelen- kunde. Sie ist Vernunftkritik. Das Ich, von dem die Wissenschaftslehre redet, ist Vernunft in der Tätigkeitsform. Von nichts Anderm handelt sie. Wie andere Wissenszweige ihr Ich auffassen, ist deren Sache, die Wissenschafts- lehre mischt sich da nicht ein, und keine von deren Bestimmungen gehört in die Wisenschaftslehre. Das Ich ist ausschließlich das, was vernünftig tätig ist - und nur, sofern es vernünftig tätig ist.

Die Wissenschaftslehre will sein ein Modell der Vernunft. Sie ist von Fichte nicht zu ihrem Ende gebracht wor- den. Das bleibt  noch zu tun.
JE 



Donnerstag, 23. August 2018

Das Ich ist kein Spiegel, sondern ein Auge.

Fabian Lackner, Fotocommunity

Das Ich der bisherigen Philosophen ist ein Spiegel, nun aber sieht der Spiegel nichts, darum wird bei ihnen das Anschauen, das Sehen nicht erklärt, es wird bei ihnen nur der Begriff des Abspiegelns gesetzt. Dieser Fehler kann nur gehoben werden durch den richtigen Begriff vom Ich. Das Ich der Wissenschaftslehre ist kein Spiegel, es ist ein Auge.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 54   


Nota. - Der Spiegel gibt nur das Bild wieder, das in ihn fällt. Wer hat ihn wie aufgestellt? Äußerstenfalls der Zu- fall. Das Auge sieht nicht einfach, was in seinem Gesichtskreis vorkommt. Es muss seinen Gesichtskreis selbst bestimmen. Ein Blick ist schlechterdings gerichtet. Und das Auge nimmt eher wahr, was es erwartet, als was es gar nicht kennt. Oder im Gegenteil das, was noch niemals dagewesen ist! Das Auge bildet nicht einfach ab, sondern bildet.
JE



Mittwoch, 22. August 2018

Das Gefühl der Gewissheit.


Wahrheit ist Gewißheit: und woher glauben die Philosophen der entgegengesetzten Schule zu wissen, was gewiß ist? Etwa durch die theoretische Einsicht, daß ihr Denken mit den logischen Gesetzen übereinstimmt? Aber wo- her wissen sie denn, daß sie sich in diesem Urteile über die Übereinstimmung nicht wieder irren? Etwa wieder durch theoretische Einsicht? Aber wie denn hier? – Kurz, da werden sie ins Unendliche getrieben, und ein Wis- sen ist schlechthin unmöglich. – Überdies, ist denn Gewißheit ein Objektives, oder ist es ein subjektiver Zustand? Und wie kann ich einen solchen wahrnehmen, außer durch das Gefühl? /

Es ist klar, daß dieses Gefühl nur mein Denken begleitet und nicht eintritt ohne dieses. – Daß das Gefühl eine Wahrheit geben solle, ist unmöglich und würde keinen Sinn haben. Es, dieses Gefühl der Gewißheit und Wahr- heit, begleitet nur ein gewisses Denken. 

Es ist klar, daß, wenn ein solches Denken die Bedingung der Vernünftigkeit selbst ist und das Gefühl der Gewiß- heit unabtrennlich einfaßt, alle Menschen über dieses Gefühl übereinkommen müssen und es jedem anzumuten ist, wenn es ihm auch nicht anzudemonstrieren wäre, welches in Absicht des Unmittelbaren überhaupt nirgends stattfindet. 

Es ist dieses Gefühl ein intellektuelles Gefühl.

Es ist dies der Grund aller Gewißheit, aller Realität, aller Objektivität.

Das Objekt ist ja nicht durch die sinnlichen Gefühle: denn auch diese sind nur Prädikate desselben, die schon ein Objekt, schon eine Erfassung dessen, was eigentlich nur subjective [sic] ist, voraussetzen. Es ist durch das Den- ken. – Drum ist dieses nicht ein bloßes Denken. Woher das in ihm entsprechende [sic]? Aus dem intellektuellen Gefühle.
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Rückerinnerungen, Antworten, Fragen [S. 146f.]  



Nota I. - Gewiss ist ein Denken, das sich seiner gewiss ist - das ist ja wohl eine Tautologie. Wie auch anders? Ausdrücklich sagt er: Wahrheit verbürgt es nicht. Es bezeugt lediglich die Wahrhaftigkeit dessen, der so oder so meint. Die Gründe für sein Someinen wird er verteidigen müsse gegen jeden andern aus der Reihe vernünftiger Wesen, dessen Gefühl der Gewissheit einer andern Meinung gilt. Und sie werden streiten. Dass sie sich einigen, setzt voraus, dass das Gefühl der Gewissheit des Einen schließlich derselben Meinung gilt wie das Gefühl der Gewissheit des Andern. Doch ob oder ob nicht, steht nirgends geschrieben. 

Wenn es über dem Gefühl meiner Wahrhaftigkeit, d. h. dem Gefühl der Übereinstimmung meines Denkens mit sich selbst, ein Gefühl für die Wahrheit geben sollte, wäre es das Gefühl der Übereinstimmung meines Meinens mit einem Sein-an-sich. Nicht nur ist die Idee eines Gefühls für ein Ansich Unfug; Unfug ist die Vorstellung von einem Ansich.

Mit andern Worten: Durch kein wie immer geartetes Gefühl wird Streit überflüssig. Die geprüften Gründe werden bestehen, die mangelhaften Gründe müssen weichen. Einer mag trotzig auf seiner widerlegten Meinung behar- ren, und wenn er reich nud stark ist, kommt er im Leben damit eine Weile durch. Doch auf die Dauer - und im Kreise der Gelehrten recht bald - werden die bewährten Gründe aufgehoben und die widerlegten verworfen. Es werden mit der Zeit Gesichtspunkte auftreten, die für eine Revision sprechen; dann beginnt derselbe Prozess aufs neue. Mehr Wahrheit gibt es nicht. Und wozu könnte sie gut sein.

Nota II. - Von einer Stimmungslage - "mir ist grad so" - ist natürlich nicht die Rede. Sondern von einer denkprak- tischen Erfahrung: 'Wie immer ich es anstelle - anders geht es nicht.' Wenn ich mich nicht selbst für beschränkt halten wollte - was ich nicht könnte, wenn ich es wäre -, müsste ich annehmen: Ein anderer kann es auch nicht. Wenn er mich eines bessern belehrt, bin ich betreten und sage erstmal ein Weile nichts.
JE




Nota - Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und ihre Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Ihre Nachricht auf diesem Blog.  
JE

Dienstag, 21. August 2018

Als Tier ist der Mensch höchst unvollkommen.

Annamartha, pixelio.de

…daß der Mensch als solcher nicht Zögling der Natur ist, / noch es sein soll. Ist er ein Tier, so ist er ein äußerst unvollkommenes Tier, und gerade darum ist er kein Tier. [S. 81f.] ... Jedes Tier ist, was es ist: der Mensch ist ur- sprünglich gar nichts. Was er sein soll, muß er werden: und da er doch ein Wesen für sich sein soll, durch sich selbst werden. Die Natur hat alle ihre Werke vollendet, nur von dem Menschen zog sie die Hand ab, und übergab ihn gerade dadurch an sich selbst. Bildsamkeit, als solche, ist der Charakter der Menschheit. [S. 80]
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Grundlage des Naturrechts nach Principien der Wissenschaftslehre [1796] SW. Bd. III, S. 81f., 80


Nota. - Der Gedanke, dass der Mensch 'von Natur aus' ein Mängelwesen sei, nämlich im Vergleich zu allen Tieren fürs Leben in seiner Welt organisch ganz unzureichend ausgestattet, und dass, was er stolz seine Kultur nennt, doch immer nur eine unvollkommene Kompensation seiner Mangelhaftigkeit sei, ist von Arnold Gehlen in die philosophische Anthropologie eingeführt worden. Dass der aber in wesentlichen Teilen von Fichte ausging, hat er lauter betont, als für dessen philosophischen Ruf gut war. 

Hier an dieser Stelle zeigt sich die Doppeldeutigkeit. Denn während Gehlen aus seiner Prämisse den Schluss zog, der Mensch gehöre, wo immer es geht, in allerlei Korsette geschnürt, weil er von seiner Freiheit überfordert sei, zieht Fichte im Gegenteil den Schluss, dass er, von der Natur vernachlässigt, umso verzweifelter seine Sache in die eignen Hände nehmen müsse, denn sonst hat er keinen, an den er sich halten kann.

Gehlen baute auf die Institutionen, die sich im Lauf der Jahrhunderte in den Gesellschaften ganz so von allein anla- gern wie Kalk in unsern Adern, die allein gäben der menschlichen Condition Halt. Gehlen war ein politischer Re- aktionär.

Fichte blieb zeitlebens entschiedener Parteigänger der französischen Revolution, und wenn er zu seinen deut- schen Landsleuten so viel besonnener sprach, so war es ja ihrer mangelhaften Bildung halber: Eine Nation waren sie noch gar nicht, hieß es in seinen Reden an ebendiese deutsche Nation, es bedürfte einer Nationalen Bildungsanstalt, um sie zu einer solchen erst zu formen.
JE

Montag, 20. August 2018

Das eine Grundvermögen.

Urs Flükiger, pixelio.de 

Lediglich durch den Trieb ist der Mensch ein vorstellendes Wesen. Könnten wir ihm auch, wie einige Philosophen wollen, den Stoff seiner Vorstellungen durch die Objekte geben, die Bilder durch die Dinge von allen Seiten her auf ihn zuströmen lassen, so bedürfte es doch immer der Selbsttätigkeit, um dieselben aufzufassen und sie auszu- bilden zu einer Vorstellung. ... Es bedarf dieser Selbsttätigkeit, um diese Vorstellungen nach willkürlichen Gesichts- punkten zu ordnen: ... um sie wiederzuerkennen und von allen ähnlichen zu unterscheiden. ...  

Inwiefern der Trieb solchergestalt auf Erzeugung einer Erkenntnis ausgeht, in welcher Rücksicht wir ihn auch um der Deutlichkeit und der Kürze willen den Erkenntnistrieb nennen können, gleichsam, als ob er ein besonde- rer Grundtrieb wäre - welches er doch nicht ist; sondern er und alle besonderen Triebe und Kräfte, die wir noch so nennen dü rfen, sind lediglich besondere Anwendungen der einzigen unteilbaren Grundkraft im Menschen... 
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Über Geist und Buchstab in der Philosophie. in: SW VII, S. 278


Nota. - Der Text wurde zwar erst 1796 gedruckt, ghet aber zurück auf die öffentlichen Vorträge, die Fichte noch vor Beginn seiner akademischen Vorlesungen im Frühjahr 1794 gehalten hatte. Unter Trieb versteht er die Gesamtheit der produktiven Vermögen des Menschen, die er als schlechthin tätig auffasst. Die Differenzierun- gen der menschlichen Tätigkeiten ja nach ihrem Gegenstand machen glauben, es handle sich um ebensoviele verschiedene Vermögen, die erst durch ihre Vereinigung im Gesamtorganismus zusammengführt werden. Dem setzt Fichte die Vorstellung entgegen, das Vermögen des Menschen sei all das, was er kann. Unterscheidungen sind lediglich nachträgliche Reflexionsprodukte. Merke: Die kritische Philosophie ist überall auf Jagd nach den Überresten des Ansich, und wo sie die findet, merzt sie sie aus.
JE


Sonntag, 19. August 2018

Handeln ist alle Realität.

Petra Bork  / pixelio.de

Anschauung des Wirklichen ist nur möglich durch Anschauung eines wirklichen Handelns des Ich, also alle Er- fahrung geht aus vom Handeln, es ist nur durch sie möglich [sic]. Ist kein Handeln, so ist keine Erfahrung, und ist diese nicht, so ist kein Bewusstsein. Nur meiner Tätigkeit kann ich mir bewusst werden, aber ich kann mir der- selben nur bewusst werden als einer beschränkten. Die Erfahrung bezieht sich auf Handeln, die Begriffe ent- stehen aus Handeln und sind nur um des Handelns willen da, nur das Handeln ist absolut. Im Handeln erst komme ich auf Objekte. Der Urgrund alles Wirklichen ist daher die Wechselwirkung oder Vereinigung des Ich und NichtIch.
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Wissenschaftslehre nova methodoHamburg 1982, S. 60f.


Nota. - Dass Fichte ein Idealist ist und also nicht von Objekten ausgeht, das 'weiß man'. Weit verbreitet ist aber die Annahme, dass er von dem Subjekt ausginge, das bei ihm generisch Ich heißt. 

Das ist ein Irrtum, wie wir oben sehen. Der Ausgangspunkt der Wissenschaftslehre ist, dass wirklich gehandelt wird. Das Handeln ist die ursprünglichste Synthesis, denn da treffen 'Tätigkeit' - noch ganz unbestimmt - und 'Widerstand' - Gegenstand, ebenfalls ganz unbestimmt - zusammen. Dass da ein Unterschied ist, wissen wir nur aus der Anschauung des Handelns, nicht aus der Anschauung des Handelnden, denn der ist nur der Eine von Bei- den, aber ohne den andern ist er nichts.

Das Handeln ist das schlechthin Objektive und das schlechthin Subjektive zugleich, das schlechthin Reale und das schlechthin Ideale.

Wenn man in wissenslogischer Hinsicht die Wissenschaftslehre zu Recht einen Idealismus nennt, so müsste man sie, wenn man sie ontologisch auffassen wollte, einen Aktualismus nennen. 
JE


 

Samstag, 18. August 2018

Ich als Idee.

Mensi / pixelio.de

Das Ich als Idee, ist das Vernunftwesen, inwiefern es die allgemeine Vernunft teils in sich selbst vollkommen dargestellt hat, wirklich durchaus vernünftig und nichts als vernünftig ist; also auch aufgehört hat Individuum zu sein, welch/ches letztere es nur durch sinnliche Beschränkung war: ... Die Welt bleibt in dieser Idee, als Welt überhaupt, als Substrat mit diesen bestimmten mechanischen und organischen Gesetzen... 

Die Idee des Ich hat mit dem Ich als Anschauung, nur das gemein, daß das Ich in beiden nicht als Individuum gedacht wird; im letzteren darum nicht, weil die Ichheit noch nicht bis zur Individualität bestimmt ist, im ersteren umgekehrt darum nicht, weil durch die Bildung nach allgemeinen Gesetzen die Individualität verschwunden ist. Darin sind aber beide entgegengesetzt, daß in dem Ich als Anschauung nur die Form des Ich liegt und auf ein eigentliches Material desselben, welches nur durch sein Denken einer Welt denkbar ist, gar nicht Rücksicht ge- nommen wird; da hingegen im letzteren die vollständige Materie der Ichheit gedacht wird. 

Von dem ersten geht die ganze Philosophie aus, und es ist ihr Grundbegriff; zu dem letzteren geht sie nicht hin; nur im praktischen Teile kann diese Idee aufgestellt werden, als höchstes Ziel des Strebens der Vernunft. Das erstere ist, wie gesagt, ursprüngliche Anschauung, und wird auf die zur Genüge beschriebene Weise Begriff: das letztere ist nur Idee; es kann nicht bestimmt gedacht werden, und es wird nie wirklich sein, sondern wir sollen uns dieser Idee nur ins Unendliche annähern.
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Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, SW I, S. 517f

 
Nota I. - Das Ich als Idee wäre eines, das ausschließlich in unsere Welt gehört. Aber ein solches kann nicht sein. Ob man sich ihm 'ins Unendliche annähern' soll, wäre noch zu diskutieren - aber nicht in der theoretischen Phi- losophie.

29. 11. 13

Nota II. - Das Ich "als Anschuung", nämlich als intellektuelle Anschauung, war zunächst nicht Gegenstand der Anschauung, sondern der Reflexion: Es ist diejenige Bedingung der Vernunft, von der sich am Ende des ersten Ganges der Wissenschaftslehre nicht mehr abstrahieren lässt: Wenn überhaupt etwas gedacht werden soll, dann muss es gedacht werden. Und zwar - eigentlich nachträglich - durch einen freien Akt hinzugedacht werden. Dann aber wird es einerseit zum Anfang: Was die analytische Suche als Resultat ergeben hat, muss sich nun als hinrei- chender Grund für die Rekonstruktion der Vernunft aus keiner andern Voraussetzung als ihr bewähren.

Nachdem im ersten Gang alle Bestimmung von ihmr abgezogen worden ist, muss es nun ohne jede Bestimmung mit sich selbst anfangen; als Tathandlung.

Soweit das aufgefundene Ich. Individuum muss es noch werden - nämlich durch progressives selbst-Bestimmen, was dasselbe ist wie das Bilden einer Welt. Eine überindividuelle Abstraktion ist auch das Ich "als Idee". Wenn als Ausgangsbestimmung des Ich unendliches Selbstbestimmen gesetzt ist, dieses aber nie zu einem Ende kommt, dann ist das Ich nicht nur an seinem Ursprung, sondern auch an seinem Ziel Streben. Es ist immer nur im Über- gang bestimmt, 'wesentlich' ist es, auf alle Ewigkeit, unbestimmtes Zu-Bestimmendes. Absolut, nämlich von jeder Bestimmung frei, ist es vorn wie hinten. 'Es selbst' so wie sein Gegenstand: Nicht-Ich. Es bleibt, wie am Anfang, ewig Tathandlung

Zur Erinnerung: In der Grundlage hat Fichte die Darstellung seines Systems nach scholastischer Konvention mit einem theoretischen Teil eingeleitet und im praktischen Teil ausgeführt. Das widersprach jedoch dem ganzen Sinn des Systems, das gant und gar im Praktischen gründet. Fichte war bald unzufrieden mit dieser ersten Dar- stellung. Die Nova methodo ist von vorn bis hinten praktisch - theoretisch ist immer nur die begleitende Reflexion.
JE