Alexei Goloborodko
aus Philosophierungen, 10. 5. 14
Lieber Leser... ...das Blog Philosophierungen und Fichtiana gehören zusammen. Jedenfalls sachlich: Dass den harten Kern meiner eigenen fragmentarisch-systematischen Philosophierungen die Fichte'sche Wissenschaftslehre ausmacht, daran habe ich nie einen Zweifel gelassen. So wird man, was auf diesem Blog zu lesen ist, nicht recht verstehen können, ohne das zu kennen, was in dem andern Blog steht.
Dass die Beiträge dieses oder jenes Tages einander unmittelbar kommentieren, kommt dagegen nur selten und fast zufällig vor. Dass ich in den letzten Tagen auf Philosophierungen nichts Eigenes, sondern nur Ein-, Zwei-, Dreizeiler von andern Autoren gebracht habe, liegt allerdings daran, dass ich mich auf die Fichtiana konzentriert habe. Mein Interesse ist nicht philologisch, darum seziere ich fremde Texte nicht gern. In den letzten Tagen aber, nachdem mir der unmittelbare Zusammenhang zwischen der Bestimmung des Menschen und dem Brief Jacobi an Fichte einerseits und den Rückerinnerungen andererseits deutlicher geworden war als zuvor, wollte ich im Detail darstellen, dass und warum Fichte in der Folge des Atheismusstreits in der Tat von der Transzendentalphilo- sophie abgekommen ist; nicht, dass ihm vor der eigenen Radikalität bange geworden wäre, sondern weil er von Anfang an nicht ganz so radikal war, wie er glaubte und wie er hätte sein müssen, wenn er wirklich den Kant'schen Weg bis zu seinem Schluss gehen wollte - so, wie er es selbst beanspruchte und wie Jacobi es ihm vorschnell bescheinigt hat.
...
Nachtrag.
Geahnt habe ich es lange, dass es die mystifizierende Verwendung des Vernunft-Begriffs (na, ein Begriff ist es ja eben nicht!) war, die Fichte empfindlich gemacht hat für die metaphysisch-spekulativen Versuchungen, die der Atheismus-Streit an ihn herangetragen hat. Aber dass ich es andern mit philologischer Präzision an einer zitierbaren 'Stelle' zeigen kann, hatte ich nicht erwartet. Ich hatte Jacobi an Fichte gar nicht in vollem Wortlau gekannt, 'man weiß ja', was in etwa drinsteht. Man braucht aber schon den richtigen Anfangsverdacht, um zu erkennen, worauf es 'in etwa' ankommt, und der volle Wortlaut steht erst seit kurzem im Internet.
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"Ich meine, vernünftig zu denken, wenn ein Anderer, dem ich vor-denke, gar nicht anders kann, als mir nach-zu-denken und mir beizustimmen. Nun gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder, ich lasse es drauf ankommen; das wäre die pragmatische, die 'findende', die problematische Version. Oder ich nehme eine prä-etablierte Übereinstimmung an, die eine andere Möglichkeit gar nicht offen lässt und einen wirklichen Andern gar nicht braucht; das ist die dogmatische Version..."
Fichte hat zwischen der pragmatisch-problematischen Auffassung, wonach die Vernunft sich aktual ergibt im wirklichen Verkehr vernunftbegabter Menschen, und insofern im besten Fall als proiectum aufzufassen ist, und der dogmatischen Auffassung eines apriorischen Programms, das sich mittels vernünftig wirkender Individuen selbst verwirklicht, lange geschwankt; wobie in den früheren, sürmischen Jahren die Neigung zur aktualistisch-problematischen Version zu überwiegen scheint. Es war erst Jacobis Eingreifen in den Atheismusstreit, das ihn bewogen hat, sich schließlich für die dogmatische Variante zu entscheid.
Von einer an sich seienden Vernunft vor der Zeit und vor ihrem "Erscheinen" in der Endlichkeit kann man nichts weiter wissen, nicht, wo sie herkommt, noch, worauf sie hinauswill. Da kann man nur glauben. An eine problematische Verunft, die auch scheitern mag, kann man nicht glauben, sondern man müsste sich ihrer jeden Tag neu vergewissern: Man muss wissen. Nämlich wo sie herkommt und worauf sie hinausläuft.
Her kommt sie aus dem Vermögen der Menschen, wertend zu urteilen; das ist ihr ästhetisches Vermögen. Hinaus läuft sie auf eine ewig prozessierende Verständigung der Menschen über ihre gemeinsamen, nämlich öffentlichen Angelegenheiten; überall da, bis wohin die Notwendigkeiten reichen und ab wo frei gewählt werden darf: Von da an kann man fröhlich streiten.
19. 5. 2014
siehe auch
Auf Grund gestoßen.
Sie haben es bemerkt, mit den letzten drei Einträgen des vergangenen Jahres (und einstweilen meines Fichte-Breviers) sind wir auf Grund gestoßen. Was verbürgt uns, dass "es" Wahrheit wirklich "gibt", dass nicht Alles auf Sand gebaut und beliebig ist? Dass es also 'einen Sinn hat', nach dem Rechten zu suchen? Tiefer kann man nicht bohren, und an dieser Stelle muss sich erweisen, ob nicht Fichte selbst auf Sand gebaut und sich alles nur aus den Fingern gesaugt hat.
Die intellektuelle Anschauung, die am Anfang der Wissenschaftslehre steht, war als Begriff gewagt genug und hatte ihm den unvermeidlichen Tadel der rechtgläubigen Kantianer eingetragen. Und nun kommt als nachträgliches Fundament gar noch ein "intellektuelles Gefühl" dazu!
Das ist eine geeignete Gelegenheit, noch einmal auf das streng phänomenologische Verfahren der Wissen- schaftslehre hinzuweisen. Die Wissenschaftslehre gibt durchaus nicht vor, etwas zu konstruieren, was es zuvor nicht gab. Sie stellt lediglich das dar, was in unserm Denken, in unseren Wissensakten tatsächlich passiert, und versucht, es in eine verständliche Ordnung, in ein Schema zu bringen. Es ist nicht ihr Ehrgeiz, zu erweisen, dass 'es Warheit gibt', noch nachzuweisen, wodurch. Sie begnügt sich aufzuweisen, dass wir in allen Formen unseres Wissens diese Prämisse tatsächlich zugrunde legen, auch wenn es der eine oder andere durchaus nicht wahrhaben will. Auch Paul Feyerabend hat, wenn er etwa mit seinem Nachbarn frei über Gott und die Welt plauderte und nicht gerade am Schreibtisch saß und hochinteressante Gedanken zu Papier brachte, zwischen wahr und unwahr unterschieden; so wie auch der idealistische Philosoph an die Wirklichkeit der Welt glaubt, sobald er das Katheder verlässt.
Dass es in Wahrheit 'nur Teilwahrheiten' gäbe, ist eine denkfaule Ausflucht. Teile von Etwas, das es selber gar nicht gibt? Die Qualität, immerhin 'ein Teil' der Wahrheit zu sein, wäre ihnen doch gemeinsam, und die verdiente es wohl, mit einem Namen benannt zu werden; und mit welchem wenn nicht - Wahrheit? Es ist auch nicht 'wahr', dass Menschen nur solches wüssten oder nur zu wissen wünschten, was sich "praktisch bewährt", nämlich am Maßstab von Vor- und Nachteil. Sie wollen nicht nur mehr wissen, sondern setzen tagtäglich wirklich voraus, dass sie es tun.
Da heißt es tatsächlich: so oder gar nicht, entweder oder, tertium non datur.
*
Natürlich kann man den Standpunkt beziehen, dass es Wahrheit überhaupt nicht gäbe. Aber vertreten kann man ihn schon nicht mehr - jedenfalls nicht, ohne den Anspruch zu erheben, wahr zu reden. Wer meint, es gibt keinen Sinn, der verlässt den Boden, auf dem er sich einem andern mitteilen kann.
Das beweist freilich nicht, dass 'es Wahrheit gibt'.
Das Verfahren der Wissenschaftslehre ist nicht, dass sie zuvörderst das Sein von Wahrheit erweist, indem sie ihren Grund freilegt. Das könnte nur ein dogmatisches Verfahren leisten, oder richtiger: leisten wollen. Das Verfahren der Wissenschaftslehre geht umgekehrt: Da wir uns verständigen können, da es Vernunft also wirklich gibt, muss es auch einen Grund dafür geben. Sie schließt nicht aus dem Grund auf die notwendige Folge, sondern schließt aus der Tatsache auf den notwendigen Grund. Notwendig bedeutet hier nicht: wenn/dann, sondern um/zu.
Die Annahme, dass alles auf einen letzten Zweck zuläuft, an dem es sich bewähren muss, ist selber Vernünftig- keit. 'Es gibt' Vernunft nur als das effektive Gelten dieser Prämisse in den wirklichen Urteilen der Menschen. Anders ist sie nicht.
Ob indessen ein "intellektuelles Gefühl" hinreicht, uns der Gültigkeit dieser Annahme zu versichern, ist ein Thema für sich. Darauf werde ich zurückkommen müssen.
2. Januar 2014
Zweifel.
...und leider auch Theologie durchaus studiert...
So wohl glaube ich nunmehr einen guten Theil der Welt, die mich umgiebt, zu kennen; und ich habe in der That Mühe und Sorgfalt genug darauf verwendet. Nur der übereinstimmenden Aussage meiner Sinne, nur der beständigen Erfahrung, habe ich Glauben zugestellt; ich habe betastet, was ich erblickt, ich habe zerlegt, was ich betastet hatte; ich habe meine Beobachtungen wiederholt, und mehrmals wiederholt; ich habe die verschiedenen Erscheinungen unter einander verglichen; und nur, nachdem ich ihren genauen Zusammenhang einsah, nachdem ich eine aus der anderen erklären und ableiten, und den Erfolg im Voraus berechnen konnte, und die Wahrnehmung des Erfolges meiner Berechnung entsprach, habe ich mich beruhigt.
Dafür bin ich nun auch der Richtigkeit dieses Theiles meiner Erkenntnisse so sicher, als meines eigenen Daseyns, schreite mit festem Tritte in der mir bekannten Sphäre meiner Welt einher, und wage in jedem Augenblicke Daseyn und Wohlseyn auf die Untrüglichkeit meiner Ueberzeugungen.
Aber, – was bin ich selbst, und was ist meine Bestimmung?
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Die Bestimmung des Menschen, SW II, S. 169
Bild: Karl-Heinz Laube, pixelio.de
So wohl glaube ich nunmehr einen guten Theil der Welt, die mich umgiebt, zu kennen; und ich habe in der That Mühe und Sorgfalt genug darauf verwendet. Nur der übereinstimmenden Aussage meiner Sinne, nur der beständigen Erfahrung, habe ich Glauben zugestellt; ich habe betastet, was ich erblickt, ich habe zerlegt, was ich betastet hatte; ich habe meine Beobachtungen wiederholt, und mehrmals wiederholt; ich habe die verschiedenen Erscheinungen unter einander verglichen; und nur, nachdem ich ihren genauen Zusammenhang einsah, nachdem ich eine aus der anderen erklären und ableiten, und den Erfolg im Voraus berechnen konnte, und die Wahrnehmung des Erfolges meiner Berechnung entsprach, habe ich mich beruhigt.
Dafür bin ich nun auch der Richtigkeit dieses Theiles meiner Erkenntnisse so sicher, als meines eigenen Daseyns, schreite mit festem Tritte in der mir bekannten Sphäre meiner Welt einher, und wage in jedem Augenblicke Daseyn und Wohlseyn auf die Untrüglichkeit meiner Ueberzeugungen.
Aber, – was bin ich selbst, und was ist meine Bestimmung?
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Die Bestimmung des Menschen, SW II, S. 169
Bild: Karl-Heinz Laube, pixelio.de
Die Rede des Dogmatikers.
Erklären kann ich freilich nicht, wie die Naturkraft den Gedanken hervorbringe; aber kann ich denn besser erklären, wie sie die Bildung einer Pflanze, die Bewegung eines Thieres hervorbringe? Aus blosser Zusammensetzung der Materie das Denken abzuleiten, – auf dieses verkehrte Unternehmen werde ich freilich nicht verfallen; könnte ich denn daraus auch nur die Bildung des einfachsten Mooses erklären? – Jene ursprünglichen Naturkräfte sollen überhaupt nicht erklärt werden, noch können sie erklärt werden; denn sie selbst sind es, aus denen alles Erklärbare zu erklären ist. Das Denken ist nun einmal, es ist schlechthin, so wie die Bildungskraft der Natur nun einmal ist, und schlechthin ist. Es ist in der Natur; denn das Denkende entsteht und entwickelt sich nach Naturgesetzen: es ist sonach durch die Natur. Es giebt eine ursprüngliche Denkkraft in der Natur, wie es eine ursprüngliche Bildungskraft giebt.
Diese ursprüngliche Denkkraft des Universums schreitet fort, und entwickelt sich in allen möglichen Bestimmungen, deren sie fähig ist, so wie die übrigen ursprünglichen Naturkräfte fortschreiten, und alle mögliche Gestalten annehmen. Ich bin eine besondere Bestimmung der bildenden Kraft, wie die Pflanze; eine besondere Bestimmung der eigenthümlichen Bewegungskraft, wie das Thier; und überdies noch eine Bestimmung der Denkkraft: und die Vereinigung dieser drei Grundkräfte zu Einer Kraft, zu Einer harmonischen Entwickelung, macht das unterscheidende Kennzeichen meiner Gattung / aus; so wie es die Unterscheidung der Pflanzengattung ausmacht, lediglich Bestimmung der bildenden Kraft zu seyn.
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Die Bestimmung des Menschen, SW II, S. 180f.
Libertäre Gegenrede.
Dass ich bestimmt seyn sollte, ein Weiser und Guter, oder ein Thor und Lasterhafter, zu seyn, dass ich an dieser Bestimmung nichts ändern, von dem ersteren kein Verdienst, und an dem letzteren keine Schuld haben sollte, – dies war es, was mich mit Abscheu und Entsetzen erfüllte. Jener Grund meines Seyns, und der Bestimmungen meines Seyns ausser mir selbst, dessen Aeusserung wiederum durch andere Gründe ausser ihm bestimmt wurde, – er war es, der mich so heftig zurückstiess. Jene Freiheit, die gar nicht meine eigene, sondern die einer fremden Kraft ausser mir, und selbst an dieser nur eine bedingte, nur eine halbe Freiheit war, – sie war es, die mir nicht genügte.
Ich selbst, dasjenige, dessen ich mir als meiner selbst, als meiner Person bewusst bin, und welches in jenem Lehrgebäude als blosse Aeusserung eines höheren erscheint, – ich selbst will selbstständig, – nicht an einem anderen, und durch ein anderes, sondern für mich selbst Etwas seyn; und will, als solches, selbst der letzte Grund meiner Bestimmungen / seyn. Den Rang, welchen in jenem Lehrgebäude jede ursprüngliche Naturkraft einnimmt, will ich selbst einnehmen; nur mit dem Unterschiede, dass die Weise meiner Aeusserungen nicht durch fremde Kräfte bestimmt sey. Ich will eine innere eigenthümliche Kraft haben, mich auf unendlich mannigfaltige Weise zu äussern, ebenso wie jene Naturkräfte: und die sich nun gerade so äussere, wie sie sich äussert, schlechthin aus keinem anderen Grunde, als weil sie sich so äussert; nicht aber, wie jene Naturkräfte, weil es gerade unter diesen äusseren Bedingungen geschieht.
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Die Bestimmung des Menschen, SW II, S. 192f.
Nota.
Die Philosophie, deren Ergebnis ein Determinismus ist, mag theoretisch richtig sein. Lebenspraktisch ist sie es nicht. Denn sie erlaubt keine Entscheidungen. Was immer ich tue, ist es richtig, ist es falsch, ist es gut oder schlecht? Weder noch, es ist gleich-gültig. Das erlaubt nur ein vor-sich-hin-Vegetieren, mein Leben zu führen erlaubt es mir nicht. Das System selber mag richtig sein, aber sicher nicht seine Konsequenzen.
Auf die kam es der Philosophie aber an.
JE
Systemprogramm.
Das System der Freiheit befriedigt, das entgegengesetzte tödtet und vernichtet mein Herz. Kalt und todt dastehen, und dem Wechsel der Begebenheiten nur zusehen, ein träger Spiegel der vorüberfliehenden Gestalten – dieses Daseyn ist mir unerträglich, ich verschmähe und verwünsche es. Ich will lieben, ich will mich in Theilnahme verlieren, mich freuen und mich betrüben. Der höchste Gegenstand dieser Theilnahme für mich bin ich selbst; und das einzige an mir, womit ich dieselbe fortdauernd ausfüllen kann, ist mein Handeln. Ich will alles aufs beste machen; will mich meiner freuen, wenn ich recht gethan habe; will mich über mich betrüben, wenn ich unrecht that; und sogar diese Betrübniss soll mir süss seyn; denn es ist Theilnahme an mir selbst, und Unterpfand der künftigen Besserung.
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Die Bestimmung des Menschen, SW II, S. 196
Eine erdichtete Einheit.
Alles, was ich weiss, ist mein Bewusstseyn selbst. Jedes Bewusstseyn ist entweder ein unmittelbares, oder ein vermitteltes. Das erstere ist Selbstbewusstseyn, das zweite, Bewusstseyn dessen, was nicht ich selbst ist. Was ich Ich nenne, ist sonach schlechthin nichts Anderes, als eine gewisse Modification des Bewusstseyns, welche Modification Ich heisst, eben weil sie ein unmittelbares, ein in sich zurückgehendes, und nicht nach aussen gerichtetes Bewusstseyn ist. –
Da alles Bewusstseyn nur unter Bedingung des unmittelbaren Bewusstseyns möglich ist, so versteht sich, dass das Bewusstseyn Ich alle meine Vorstellungen begleitet, in ihnen, wenn auch nicht immer von mir deutlich bemerkt, nothwendig liegt, und ich in jedem Momente meines Bewusstseyns sage: Ich, Ich, Ich, und immer Ich – nemlich Ich, und nicht das bestimmte in diesem Momente gedachte Ding ausser mir. – Auf diese Weise würde mir das Ich in jedem Momente verschwinden und wieder neu werden; zu jeder neuen Vorstellung würde ein neues Ich entstehen; und Ich würde nie etwas Anderes bedeuten, als Nichtding.
Dieses zerstreute Selbstbewusstseyn wird nun durch das Denken, durch das blosse Denken, sage ich, in der Einheit des – erdichteten Vermögens vorzustellen, zusammengefasst. Alle Vorstellungen, die von dem unmittelbaren Bewusstseyn meines Vorstellens begleitet werden, sollen, zufolge dieser Erdichtung, aus Einem und demselben Vermögen, das in Einem und demselben Wesen ruht, hervorgehen; und so erst entsteht mir der Gedanke von Identität und Persönlichkeit meines Ich und von einer wirkenden und reellen Kraft dieser Person; nothwendig eine blosse Erdichtung, da jenes Vermögen und jenes Wesen selbst nur erdichtet ist.
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Die Bestimmung des Menschen, SW II, S. 244
Unheroischer Nihilismus.
Es giebt überall kein Dauerndes, weder ausser mir, noch in mir, sondern nur einen unaufhörlichen Wechsel. Ich weiss überall von keinem Seyn, und auch nicht von meinem eigenen. Es ist kein Seyn. –
Ich selbst weiss überhaupt nicht, und bin nicht. Bilder sind: sie sind das Einzige, was da ist, und sie wissen von sich, nach Weise der Bilder: – Bilder, die vorüberschweben, ohne dass etwas sey, dem sie vorüberschweben; die durch Bilder von den Bildern zusammenhängen, Bilder, ohne etwas in ihnen Abgebildetes, ohne Bedeutung und Zweck. Ich selbst bin eins dieser Bilder; ja, ich bin selbst dies nicht, sondern nur ein verworrenes Bild von den Bildern. –
Alle Realität verwandelt sich in einen wunderbaren Traum, ohne ein Leben, von welchem geträumt wird, und ohne einen Geist, dem da träumt; in einen Traum, der in einem Traume von sich selbst zusammenhängt. Das Anschauen ist der Traum; das Denken, – die Quelle alles Seyns und aller Realität, die ich mir einbilde, meines Seyns, meiner Kraft, meiner Zwecke, – ist der Traum von jenem Traume.
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Die Bestimmung des Menschen, SW II, S. 245
Nota I.
Das Fazit aus der Atheismusdebatte hatten die Rückerinnerungen, Antworten, Fragen ziehen sollen. Doch Fichte hat sie nicht fertiggestellt. Warum? War ihm aufgefallen, dass er sich tatsächlich auf dem Weg in den Atheismus befand? War er davor zurückgeschreckt, das "intellektuelle Gefühl", das ihm so unerwartet 'das Abolute' alias die Wahrheit verbürgen musste, als das anzusprechen, was es allenfalls sein konnte: eine ästhetische Idee -?
Oder war es die Einsicht, dass seine eigentlichen philosophischen Spekulationen nicht (gedruckt) vor das große Publikum gehörten, wo sie doch nicht verstanden, aber womöglich absichtsvoll missverstanden wurden? Dass er die Philosophie selbst dem mündlichen Vortrag vor wissensdurstigen Hörern vorbehalten und dem großen Publikum nur die Ergebnisse seiner Spekulation vortragen dürfe - bevor ein anderer sie entstellen konnte?
Was davon zutrifft, ist eine philologische Frage, und Philologen haben sie vielleicht längst geklärt. Fest steht jedenfalls, dass anstelle der Rückerinnerungen... es die Bestimmung des Menschen war, mit der Fichte nach dem Atheismusstreit erstmals wieder an die Öffentlichkeit trat. Ein wesentlicher Ertrag der Rückerinnerungen bleibt erhalten: Der theoretische, 'transzendentale' Teil der Philosophie, genannt Wissenschaftslehre, wird klipp und klar als rein kritisch und eo ipso rein negativ definiert.
Die Bestimmung des Menschen besteht aus drei Teilen. Im ersten, Zweifel überschriebenen, wird das positive Wissen der rationalistischen Metaphysik dargestellt, das durchgängig aus Ursachen und Wirkungen zusammengesetzt ist und das seine erste Ursache notwendig außerhalb des Wissbaren annehmen muss. Theoretisch findet er dagegen nichts einzuwenden, aber praktisch. Es folgt daraus unvermeidlich eine rein passive Lebenslehre - die ihn allerdings empört. Und das ist ja wohl eine ästhetische Stellungnahme, nicht wahr?
Die Wissenschaftslehre selbst, im zweiten Teil namens Wissen dargestellt, ist aber kritisch und negativ, sie vernichtet nur den logischen Schein des dogmatisch-metaphysischen Systems; aber weiter hilft sie nicht. -
Auf diesem Standpunkt finden wir den Verfasser im obigen Textausschnitt
Nota II.
Die Überschrift des obigen Eintrags habe ich nachträglich um ein Un ergänzt. - Mit Heroismus verbindet man allgemein eine Haltung der Entsagung. Doch die mir bekannten Vertreter der im Eintrag beschriebenen Weltauffassung zeichnen sich mehr durch ihre Selbstgefälligkeit aus. 23. 4. 14
JE
Vor-Bild.
Der gestrige Eintrag markiert einen Wendepunkt. Wissen ist - "nur" - ein Bild. Ein Bild muss nicht immer ein Nachbild sein - von etwas, das 'an sich' schon vorher da war (was Plato an den bildenden Künsten verachtete). Aber ein Abbild ist es in jedem Fall; das Bild von Etwas, und nicht "die Sache selbst". Es mag Vorbild sein, ein "Entwurf"; das Bild von Etwas, das nicht "ist", sondern erst noch sein soll. Mit andern Worten, ein Postulat.
Wissen würde dann zu wissen Wollen.
Damit hört aber die Philosophie auf, theoretisch zu sein. Das Wollen mag sich in Begriffe kleiden. Aber das sind dann Zweckbegriffe. Herleiten lassen sie sich nicht. Sie könnten nur behauptet werden.
Die Erkenntnisbegriffe fassen unter sich ein Mannigfaltiges, das 'vor ihnen' da war und ohne sie da ist. Zweckbegriffe fassen ein Mannigfaltiges, das noch nicht da ist. Es müsste in sie erst eingepasst werden.
Alles nur Konstrukt.
Bauhaus Design
Du wolltest wissen von deinem Wissen. Wunderst du dich, dass du auf diesem Wege auch nichts weiter erfuhrst, als – wovon du wissen wolltest, von deinem Wissen selbst; und möchtest du, dass es anders sey? Was durch das Wissen, und aus dem Wissen entsteht, ist nur ein Wissen. Alles Wissen aber ist nur Abbildung, und es wird in ihm immer etwas gefordert, das dem Bilde entspreche. Diese Forderung kann durch kein Wissen befriedigt werden; und ein System des Wissens ist nothwendig ein System blosser Bilder, ohne alle Realität, Bedeutung und Zweck. Hast du etwas Anderes erwartet? Willst du das innere Wesen deines Geistes ändern, und deinem Wissen anmuthen mehr zu seyn, denn ein Wissen?
Die Realität, die du schon erblickt zu haben glaubtest, eine unabhängig von dir vorhandene Sinnenwelt, deren Sklav du zu werden fürchtetest, ist dir verschwunden; denn diese ganze Sinnenwelt entsteht nur durch das Wissen, und ist selbst unser Wissen; aber Wissen ist nicht Realität, eben darum, weil es Wissen ist. Du hast die Täuschung eingesehen, und kannst, / ohne deine bessere Einsicht zu verläugnen, dich nie derselben wieder hingeben. Und dies ist denn das einige Verdienst, das ich an dem Systeme, das wir soeben mit einander gefunden, rühme: es zerstört und vernichtet den Irrthum. Wahrheit geben kann es nicht; denn es ist in sich selbst absolut leer. Nun suchst du denn doch etwas, ausser dem blossen Bilde liegendes Reelles – mit deinem guten Rechte, wie ich wohl weiss – und eine andere Realität, als die soeben vernichtete, wie ich gleichfalls weiss. Aber du würdest dich vergebens bemühen, sie durch dein Wissen, und aus deinem Wissen zu erschaffen, und mit deiner Erkenntniss zu umfassen. Hast du kein anderes Organ, sie zu ergreifen, so wirst du sie nimmer finden.
Du wolltest wissen von deinem Wissen. Wunderst du dich, dass du auf diesem Wege auch nichts weiter erfuhrst, als – wovon du wissen wolltest, von deinem Wissen selbst; und möchtest du, dass es anders sey? Was durch das Wissen, und aus dem Wissen entsteht, ist nur ein Wissen. Alles Wissen aber ist nur Abbildung, und es wird in ihm immer etwas gefordert, das dem Bilde entspreche. Diese Forderung kann durch kein Wissen befriedigt werden; und ein System des Wissens ist nothwendig ein System blosser Bilder, ohne alle Realität, Bedeutung und Zweck. Hast du etwas Anderes erwartet? Willst du das innere Wesen deines Geistes ändern, und deinem Wissen anmuthen mehr zu seyn, denn ein Wissen?
Die Realität, die du schon erblickt zu haben glaubtest, eine unabhängig von dir vorhandene Sinnenwelt, deren Sklav du zu werden fürchtetest, ist dir verschwunden; denn diese ganze Sinnenwelt entsteht nur durch das Wissen, und ist selbst unser Wissen; aber Wissen ist nicht Realität, eben darum, weil es Wissen ist. Du hast die Täuschung eingesehen, und kannst, / ohne deine bessere Einsicht zu verläugnen, dich nie derselben wieder hingeben. Und dies ist denn das einige Verdienst, das ich an dem Systeme, das wir soeben mit einander gefunden, rühme: es zerstört und vernichtet den Irrthum. Wahrheit geben kann es nicht; denn es ist in sich selbst absolut leer. Nun suchst du denn doch etwas, ausser dem blossen Bilde liegendes Reelles – mit deinem guten Rechte, wie ich wohl weiss – und eine andere Realität, als die soeben vernichtete, wie ich gleichfalls weiss. Aber du würdest dich vergebens bemühen, sie durch dein Wissen, und aus deinem Wissen zu erschaffen, und mit deiner Erkenntniss zu umfassen. Hast du kein anderes Organ, sie zu ergreifen, so wirst du sie nimmer finden.
Aber du hast ein solches Organ. Belebe es nur, und erwärme es; und du wirst zur vollkommensten Ruhe gelangen.
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Die Bestimmung des Menschen, SW II, S. 246
Proiectio.
Die Bestimmung des Menschen fährt fort:
Diese [innere] Stimme also kündigt mir gerade das an, was ich suchte; ein ausser dem Wissen Liegendes, und seinem Seyn nach von ihm völlig Unabhängiges.
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Die Bestimmung des Menschen, SW II, S. 248
Nota.
Ist das der feste Punkt, an den er sich halten könnte?
Ich ahne es schon: Es wird doch wieder nur etwas sein, das er sich, um in seiner Sprache zu bleiben, eingebildet hat. Denn was er wissen konnte, reichte ihm ja nicht aus. Es war nur ein Bild. Nur ein Nachbild. Jetzt entwirft er sich ein Vorbild, aus freien Stücken. Und das wäre sicherer?
- Die Bestimmung des Menschen war, wie überhaupt die mit den Rückerinnerungen eingeleitete Wendung in Fichtes Philosophie, die Antwort auf Friedrich Heinrich Jacobis Beitrag zum 'Atheismusstreit', der 1799 unter dem Titel Jacobi an Fichte in Hamburg erschienen war. Und dessen entscheidender, schon einleitend ausgesprochener Vorwurf gegen die Wissenschaftslehre war eben der gewesen: sie verwandele alles Seiende in bloßes Wissen, ein bloßes Bild ohne alle Realität, in ein Schema ohne Wesen. Philosophisch hat er nichts dagegen einzuwenden, für ihn ist Fichte der radikaler Vollender des Vernunftsystems, das Kant unfertig gelassen hatte. Aber gegen dieses System wendet er ein, was Fichte gegen den 'Dogmatismus' (dessen einzig reine Form für ihn die Lehre Spinozas war) eingewendet hatte: Danach könne und wolle er nicht leben.
Jacobis Antwort ist der Sprung aus dem Wissen der Philosophen in den Glauben. 'Glauben' heißt auch, nach 'Zweifel' und 'Wissen', der dritte Abschnitt der Bestimmung des Menschen, in dem wir uns hier befinden.
JE
Der Mensch kann handeln; weil er muss.
Nicht blosses Wissen, sondern nach deinem Wissen Thun ist deine Bestimmung: so ertönt es laut im Innersten meiner Seele, sobald ich nur einen Augenblick mich sammle und auf mich selbst merke. Nicht zum müssigen Beschauen und Betrachten deiner selbst, oder zum Brüten über andächtigen Empfindungen, – nein, zum Handeln bist du da; dein Handeln und allein dein Handeln bestimmt deinen Werth.
Diese Stimme führet mich ja aus der Vorstellung, aus dem blossen Wissen heraus auf etwas ausser demselben Liegendes und ihm völlig Entgegengesetztes; auf etwas, das da mehr und höher ist, denn alles Wissen, und den Endzweck des Wissens selbst in sich enthält. Wenn ich handeln werde, so werde ich ohne Zweifel wissen, dass ich handle, und wie ich handle; aber dieses Wissen wird nicht das Handeln selbst seyn, sondern ihm nur zusehen.
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Die Bestimmung des Menschen, SW II, S. 248
Nota.
(Irgend)etwas tun muss das Tier auch. Aber es muss nicht entscheiden, was. Was es zu tun hat, ist ihm gattungsgeschichtlich vorgegeben, und das tut es, recht oder schlecht. Es gehört seiner Umwelt, so wie sie ihm gehört. Es kann, was es muss. Es existiert nur als Specimen der Gattung. Es ist empirisch keine Person und logisch kein Subjekt.
Anders der Mensch. Er hat seine angestammte Umwelt verlassen und ist in eine offene Welt aufgebrochen, durch die er sein Leben führen muss. Das kann er so oder so; nur führen muss er. Mit andern Worten, der Mensch ist Subjekt geworden und kann mehr als er muss (als seine Uhrahnen auf den Bäumen mussten). Wenn der Mensch etwas tut, handelt er. Denn er hätte es unterlassen und etwas anderes tun können.
JE
Wer sich einmal auf die Kritik eingelassen hat, muss Alles selber aus nichts hervorbringen.
So ist es, ich weiss es unmittelbar. Aber ich habe mit der Speculation mich einmal eingelassen; die Zweifel, welche sie in mir erregt hat, werden insgeheim fortdauern, und mich beunruhigen. Nachdem ich nun in diese Lage mich gesetzt habe, kann ich keine vollkommene Befriedigung erhalten, ehe nicht alles, was ich annehme, selbst vor dem Richterstuhle der Speculation gerechtfertigt ist. Ich habe mich sonach zu fragen: wie wird es so? Woher entsteht jene Stimme in meinem Innern, welche mich aus der Vorstellung herausweist?
Es ist in mir ein Trieb zu absoluter, unabhängiger Selbstthätigkeit. Nichts ist mir unausstehlicher, als nur an einem anderen, für ein anderes, und durch ein anderes zu seyn: ich will für und durch mich selbst etwas seyn und werden. Diesen Trieb fühle ich, sowie ich nur mich selbst wahrnehme; er ist unzertrennlich vereinigt mit dem Bewusstseyn meiner selbst.
Ich mache mir das Gefühl desselben durch das Denken deutlich, und setze gleichsam dem an sich blinden Triebe Augen ein, durch den Begriff. Ich soll, zufolge dieses Triebes, / als ein schlechthin selbstständiges Wesen handeln; so fasse und übersetze ich jenen Trieb. Ich soll selbstständig seyn. –
Wer bin Ich? Subject und Object in Einem, das allgegenwärtig Bewusstseyende und Bewusste, Anschauende und Angeschaute, Denkende und Gedachte zugleich. Als beides soll ich durch mich selbst seyn, was ich bin, schlechthin durch mich selbst Begriffe entwerfen, schlechthin durch mich selbst einen ausser dem Begriffe liegenden Zustand hervorbringen. Aber wie ist das letztere möglich? Schlechthin an Nichts kann ich kein Seyn anknüpfen; aus Nichts wird nimmer Etwas; mein objectives Denken ist nothwendig vermittelnd. Ein Seyn aber, das an ein anderes Seyn angeknüpft wird, wird eben dadurch durch dieses andere Seyn begründet, und ist kein erstes ursprüngliches und die Reihe anhebendes, sondern ein abgeleitetes Seyn. Anknüpfen muss ich; an ein Seyn kann ich nicht anknüpfen.
Nun aber ist mein Denken und Entwerfen eines Zweckbegriffes seiner Natur nach absolut frei – und etwas aus dem Nichts hervorbringend. An ein solches Denken müsste ich mein Handeln anknüpfen, wenn es als frei und als schlechthin aus mir selbst hervorgehend soll betrachtet werden können.
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Die Bestimmung des Menschen, SW II, S. 249f.
Ein völlig neues Terrain.
Der Abschnitt 'Wissen' in der Bestimmung des Menschen endete mit dem Ergebnis Nichts gilt und Alles nur Konstrukt. Das ist der Schlusspunkt der theoretischen Philosophie. Kann man unter dieser Prämisse sein Leben führen? Offenbar nicht, wenn alles gleich-gilt. Es ist ein Nihilismus, der prima vista allenfalls heroisch zu ertragen ist.
Oder den zu ertragen man sich weigert und sich am eignen Schopf aus dem Morast zieht. So wie der Wendung von der dogmatischen zur kritischen Betrachtungsweise ein praktisches Motiv zugrunde lag - Es war dasselbe: Unter dieser Prämisse lässt sich ein Leben nicht führen -, wird nun aus praktischer Not ein neues Terrain betreten. Ein neues Terrain, denn das ist festzuhalten: Die Möglichkeiten der Theorie sind, mit Abschluss des kritischen Durchgangs, erschöpft.
Das neue Terrain heißt: Wenn die Welt und das Leben in ihr einen eigenen Sinn nicht haben, dann kann, wenn und weil ich will, nur ich ihnen einen Sinn geben. Geben, nicht entgegennehmen. Aus vollkommener Freiheit, wie er sagt. An etwas Vorgegebenes kann ich mich immer noch nicht halten.
Viel weiter ist er also nicht gekommen. Sein Ergebnis ist einstweilen nur: Ich muss, wenn ich will...
*
Ob für die Lebensführung damit viel gewonnen ist, muss er uns noch zeigen. Für die positiven - 'historischen' - Wissenschaften ist es dagegen schon eine Menge: In ihrem Ergebnis begründet die Wissenschaftslehre eine Anthropologie.
Ein intellektuelles Gefühl?
Ich denke diese meine reelle Thatkraft, aber ich erdenke sie nicht. Es liegt diesem Gedanken das unmittelbare Gefühl meines Triebes zur Selbstthätigkeit zu Grunde; der Gedanke thut nichts als dieses Gefühl abbilden, und es aufnehmen in seine eigene Form, die Form des Denkens. Dieses Verfahren scheint vor dem bestehen zu können.
Wie? will ich abermals wissentlich und absichtlich mich selbst täuschen? Dieses Verfahren kann vor jenem strengen Gerichte schlechterdings nicht bestehen. Ich fühle in mir ein Treiben und Streben weiter hinaus; dieses scheint wahr zu seyn, und das einzige Wahre, was an der Sache ist. Da Ich es bin, der dieses Treiben fühlt, und da ich über mich selbst, weder mit meinem ganzen Bewusst; seyn, noch insbesondere mit meinem Gefühle hinaus kann, da dieses – Ich selbst das letzte bin, wo ich jenes Treiben erfasse, so erscheint es mir freilich als ein in mir selbst gegründetes Treiben zu einer in mir selbst gegründeten Thätigkeit.
Könnte es nicht aber doch, nur von mir unbemerkt, das Treiben einer mir unsichtbaren fremden Kraft, und jene Meinung von Selbstständigkeit lediglich Täuschung meines auf mich selbst eingeschränkten Gesichtskreises seyn? Ich habe keinen Grund dies anzunehmen; aber ebensowenig einen Grund, es zu läugnen. Ich muss mir bekennen, dass ich darüber schlechthin nichts weiss, noch wissen kann.
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Die Bestimmung des Menschen, SW II, S. 250
Nota.
Nirgends wird so deutlich wie hier, wie unmittelbat die Bestimmung des Menschen an die unvollendeten Rückerinnerungen anknüpft. Dort war [GA, S. 146f.] als Bürge einer absoluten letzten Instanz der Vernünftigkeit ein 'intellektuelles Gefühl' postuliert worden; ein Kuriosum, das sich bei Fichte nie zuvor, und, soweit ich es überblicke, auch später nicht wieder findet. Doch an dieser Stelle nimmt er das Thema noch einmal auf, wenn auch vom andern Ende her. Denn dass er da sehr salopp über den eigentlich springenden Punkt hinweg- geglitten war, muss ihm doch aufgefallen sein.
JE
Ein intellektuelles Gefühl.
Zuförderst über den Doppelsinn des Wortes Gefühl, der auch Herrn E. an meiner Meinung irrig gemacht. Das Gefühl ist entweder sinnlich und das des Bittern, Roten, Harten, Kalten usw., oder intellektuell. Herr E. und mit ihm alle Philosophen seiner Schule scheint die letztere Art gänzlich zu ignorieren, nicht zu beachten, daß auch eine solche Gattung angenommen werden müsse, um das Bewußtsein begreiflich zu machen.
Ich habe es hier mit dem ersten nicht zu tun, sondern mit dem letztern. Es ist das unmittelbare Gefühl der Gewißheit und Notwendigkeit eines Denkens. – Wahrheit ist Gewißheit: und woher glauben die Philosophen der entgegengesetzten Schule zu wissen, was gewiß ist? Etwa durch die theoretische Einsicht, daß ihr Denken mit den logischen Gesetzen übereinstimmt? Aber woher wissen sie denn, daß sie sich in diesem Urteile über die Übereinstimmung nicht wieder irren? Etwa wieder durch theoretische Einsicht? Aber wie denn hier? – Kurz, da werden sie ins Unendliche getrieben, und ein Wissen ist schlechthin unmöglich. – Überdies, ist denn Gewißheit ein Objektives, oder ist es ein subjektiver Zustand? Und wie kann ich einen solchen wahrnehmen, außer durch das Gefühl?
/ Es ist klar, daß dieses Gefühl nur mein Denken begleitet und nicht eintritt ohne dieses. – Daß das Gefühl eine Wahrheit geben solle, ist unmöglich und würde keinen Sinn haben. Es, dieses Gefühl der Gewißheit und Wahrheit, begleitet nur ein gewisses Denken.
Es ist klar, daß, wenn ein solches Denken die Bedingung der Vernünftigkeit selbst ist und das Gefühl der Gewißheit unabtrennlich einfaßt, alle Menschen über dieses Gefühl übereinkommen müssen und es jedem anzumuten ist, wenn es ihm auch nicht anzudemonstrieren wäre, welches in Absicht des Unmittelbaren überhaupt nirgends stattfindet.
Es ist dieses Gefühl ein intellektuelles Gefühl.
Es ist dies der Grund aller Gewißheit, aller Realität, aller Objektivität.
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Rückerinnerungen, Antworten, Fragen, [S. 147f.]
Proiectio per hiatum irrationalem.
Fichte hat den Ausdruck proiectio per hiatum irrarionalem in seiner Auseinandersetzung mit Jacobi geprägt. Jacobis Argument gegen den Idealismus war dieses: Der Idealismus führe unweigerlich in einen unendlichen Regress, bei dem er nie zu einem Absoluten vordringen könnte, bei dem er Ruhe fände. Man müsse aus dem idealistischen Verfahren resolut heraustreten und könne zu einem Absoluten nur durch einen setzenden Akt gelangen. Diesen Akt nennt er Glauben, sein 'Grund' ist Offenbarung.
In der WL 042 versucht Fichte, Jacobi zum Trotz, auf real-idealistischen Wegen ein absolutes Reale 'her' zu leiten; auf abenteuerlichen Wegen.
Doch
Jacobi hatte Recht. Der idealistische Regress muss einmal abgebrochen
werden. Das 'Problem' des Absoluten ist nur zu 'lösen', in dem man es,
mit Goethe zu reden, in ein Postulat verwandelt. Ein Absolutes muss gelten, damit Wahrheit sein kann.
Proiectio per hiatum irrationalem ist ein 'posi/tiver' Begriff.
Der Idealist kann seine Prämissen ebenso wenig beweisen wie der Realist die seinen; noch können sie die Prämissen der Gegenseite widerlegen.
Sind darum Idealismus und Realismus gleich gültig und gehören 'synthetisch' unter einen Hut, wie Schelling meinte?
Nein, denn anders als der Idealist kann der Realist seine Aufgabe nicht erfüllen. Er kann uns niemals bis zu der Stelle führen, wo aus dem 'Ding' ein Wissen von dem Ding wird
Der Idealist kann uns nicht die Stelle zeigen, wo aus dem Wissen von den Dingen ein Ding 'an sich' hervor geht.
Das muss er aber auch nicht. Gemeinsam ist beiden diese Prämisse: Es gibt ein Wissen von… Dieses Wissen gilt es, aus einem Grund zu erklären. Das kann der Realist mit seiner zweiten Prämisse – 'von den Dingen her' – nicht. Der Idealist kann es: aus der Intentionalität des Wissens selbst. Ob die Dinge außerdem noch 'an sich' sind, ist für ihn kein theoretisches Problem. Es ist ein praktisches Problem: Ohne Vertrauen auf die Wirklichkeit der Welt kann sich das wirkliche irdische Individuum in seiner Welt nicht einen Tag behaupten. Die Wirklichkeit der Welt ist ein Axiom des gesunden Menschenverstands.
Der Idealist kann seine zweite Prämisse, die phänomenale Gegebenheit des Wissens, nur 'aus ihr selbst' begründen, nicht aus einem ihr vorgegebenen Grund. Das ist theoretisch aber auch nicht nötig. Er behauptet ja gerade die Immanenz des Wissens. Ein Absolutes 'hinter' dem phänomenalen Wissen braucht er nicht.
Das wirkliche irdische Individuum ist es, das sich dabei nicht beruhigen kann. Um sein Leben zu führen, braucht es ein Kriterion. Es muss sich rechtfertigen, nämlich vor sich. Und wiederum ist es der gesunde Menschenverstand, der eingreift: Das Wahre, Absolute, Gültige, kurz: der Sinn ist sein praktisches Postulat.
Ein Hiatus ist allerdings der Sprung aus der theoretischen in die Lebensphilosophie. Es gibt zwischen den beiden keinen Übergang. Das Reich des Seienden kann das Sollen nicht aus sich hervor bringen.
Es war der Vorwurf des Atheismus, der Fichte getrieben hat, seine gottgefällige Lebensphilosophie aus dem theoretischen System der Wissenschaftslehre her zu leiten; eben den Weg zu beschreiten, den er sich in den Rückerinnerungen… verboten hatte. Ein hiatus irrationalis liegt allerdings vor – es ist der Bruch zwischen der ursprünglichen Wissenschaftslehre von 1794-99 mit den Rückerinnerungen als ihrer 'praktischen' Quintessenz, und den Wissenschaftslehren nach 1801. Es gibt keine Brücke zwischen der Philosophie, die, wenn sie wissenschaftlich ist, nur "kritisch und negativ" verfährt, und den praktischen Anweisungen zum seligen Leben. Der Sinn, das Wahre, das Absolute ist ein notwendiges Postulat der Lebensführung, eine "Idee" – so wie das Ich, sofern es einen positiven Sinn hat, 'nur eine Idee' ist. Die Lehre von der Lebensführung mag zur Urheberin der theoretischen Philosophie werden, indem sie die Kritik am metaphysischen Schein erforderlich macht. Die theoretische Philosophie ist, mit Kant zu reden, ein Katharktikon des Verstandes.
Doch die Umkehrung gilt nicht. Die Lebensführung findet ihren Stachel im Ästhetischen.
im Dezember 2008
Wahrheit ist eine praktische Kategorie.
Anders als die Gesetze der Geometrie ist die Annahme einer Wahrheit als konstitutivem Grund aller wahren Sätze nicht evident.
Wer sagt, er könne die Sätze des Pythagoras nicht einsehen, der ist von Sinnen oder er will nicht. Dass 'es Wahrheit gibt', bestreiten dagegen viele, heute wie gestern. Es gebe nur Wahrheiten, nicht als eine Ganzheit, sondern ein möglicherweise endloses Neben- und Miteinander einzelner wahrer Sätze. Das mag man so einsichtig finden wie das Gegenteil, und der pragmatisch-skeptizistischen Grundstimmung der realen Wissenschaften liegt es heute sogar näher.
Dagegen kann man einwenden, dass allen Wahrheitsatomen dann immerhin diese eine Qualität gemeinsam wäre: wahr zu sein (oder richtig oder zutreffend oder wie immer man es nennen will). Das ist aber Ergebnis einer Reflexion aus vorab bestimmten Begriffe, und eben nicht unmittelbar einleuchtend.
Und es ist "bloß ein Gedanke", von dem keiner sagen kann, ob ihm in der Wirklichkeit etwas entspricht...
*
Nun wäre Wahrheit, ob es sie nun gibt oder nicht, keine Qualität des Wirklichen. Was ist, ist, und ist so, wie es ist. Es ist zwar richtig, dass 'es' die Qualitäten der Objekte nur 'gibt' als Antworten auf die Fragen, die Subjekte ihnen stellen. Ob sie antworten, liegt im Subjekt. Aber dass sie mit ja oder nein antworten, liegt daran, dass sie so oder so sind.
Wahrheit ist keine Eigenschaft des Seienden. Wahrheit ist eine Eigenschaft von Sätzen, und die sind zunächst 'bloß ein Gedanke'. Wahr ist ein Satz, der gilt. Wenn er nur unter Bedingungen gilt, ist er nur bedingt wahr. Wenn er ohne Bedingungen gilt, ist er unbedingt wahr. Und das kann man denken. Gibt es mehrere Sätze, die unbedingt gelten, dann 'gibt es' die Qualität des Unbedingtgeltens.
Sätze über Erscheinungen in Raum und Zeit, vulgo in der Wirklichkeit, stehen unter den Bedingungen von Raum und Zeit. Dass sie unbedingt gelten könnten, wäre ein Widersinn.
In den Realwissenschaften kann es die Wahrheit nicht geben. Da reicht die Annahme einer Menge von einzelnen Wahrheitsatomen völlig aus, und da sie in Raum und Zeit bedingt sind, sind sie nur vorläufig. Mehr anzunehmen untergrübe die Wissenschaft.
*
Fichte betrieb nicht Realwissenschaft, sondern Wissenschaftslehre. Dass er sie auf einem Zirkel begründen musste, hat er den Skeptikern, die damals so in Mode waren wie heute, freimütig eingeräumt:
"Ueber diesen Cirkel hat man nun nicht Ursache betreten zu seyn. Verlangen, dass er gehoben werde, heisst verlangen,dass alles menschliche Wissen nur bedingt seyn, und dass kein Satz an sich, sondern jeder nur unter der Bedingung gelten solle, dass derjenige, aus dem er folgt, gelte, mit einem Worte, es heisst behaupten, dass es überhaupt keine unmittelbare, sondern nur vermittelte Wahrheit gebe – und ohne etwas, wodurch sie vermittelt wird."*
So muss, wer an die realen Wissenschaften mit dem Maßstab der formalen Logik heranginge, zugeben, dass auch sie 'vorübergehend' davon ausgehen muss, dass das, was jetzt gilt, gilt. Doch die Prämisse beruht auf einem Zirkel und gilt selber daher nur problematisch. In den reellen, 'theoretischen' Wissenschaften ist das kein wirklicher Mangel, denn der Wert ihrer Sätzen wird nicht an der Wahrheit gemessen, sondern daran, ob sie sich - technologisch oder forschungspraktisch - bewähren. Solange sie das tun, schadet es nichts, sie so anzusehen, als ob sie wahr wären - denn daran liegt nichts. Ob es "etwas gibt, wodurch sie vermittelt werden", muss sie nicht kümmern; Realwissenschaft ist nur vorläufig.
*
Ob es 'Geltung überhaupt' gibt, die nicht durch (wechselnde) Umstände von Raum und Zeit bedingt ist, wird zu einer Frage überhaupt nur für einen, dem es darum geht, sein Leben zu führen. Darf, kann, muss er das nach Lust und Laune tun, oder gibt es etwas, woran er sich halten soll? - Die Frage nach der Wahrheit ist ein praktisches Problem; von Evidenz ist keine Spur.
*)Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, SW Bd. I, S. 62
Der fundierende Zirkel.
Wenn im ersten Grundsatze der Satz liegt: das System des menschlichen Wissens sey ein einiges, so liegt freilich auch der darin, dass diesem einigen Systeme nichts widersprechen müsse; aber beide Sätze sind ja erst Folgerungen aus ihm selbst, und so wie die absolute Gültigkeit alles dessen, was aus ihm folgt, angenommen wird, wird ja schon angenommen, dass er absolut – erster und einziger Grundsatz sey, und im menschlichen Wissen schlechthin gebiete.
Also ist hier ein Cirkel, aus dem der menschliche Geist nie herausgehen kann; und man thut recht wohl darauf, diesen Cirkel bestimmt zuzugestehen, damit man nicht etwa einmal über die unerwartete Entdeckung desselben in Verlegenheit gerathe. Er ist folgender: Wenn der Satz X erster, höchster und absoluter Grundsatz des menschlichen Wissens ist, so ist im menschlichen Wissen ein einiges System; denn das letztere folgt aus dem Satze X: Da nun im menschlichen Wissen ein einiges System sein soll, so ist der Satz X, der wirklich (laut der aufgestellten Wissenschaft) ein System begründet, Grundsatz des menschlichen Wissens überhaupt, und / das auf ihn gegründete System ist jenes einige System des menschlichen Wissens.
Ueber diesen Cirkel hat man nun nicht Ursache betreten zu seyn. Verlangen, dass er gehoben werde, heisst verlangen, dass das menschliche Wissen völlig grundlos sey, dass es gar nichts schlechthin Gewisses geben, sondern dass alles menschliche Wissen nur bedingt seyn, und dass kein Satz an sich, sondern jeder nur unter der Bedingung gelten solle, dass derjenige, aus dem er folgt, gelte, mit einem Worte, es heisst behaupten, dass es überhaupt keine unmittelbare, sondern nur vermittelte Wahrheit gebe – und ohne etwas, wodurch sie vermittelt wird.
Wer Lust dazu hat, mag immer untersuchen, was er wissen würde, wenn sein Ich nicht Ich wäre, d. i. wenn er nicht existirte, und kein Nicht-Ich von seinem Ich unterscheiden könnte.
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Über den Begriff der Wissenschaftslehre, SW I, S. 61f.
Die Reflexion kommt zu keinem Ende.
Ich weiss allerdings, und muss der Speculation gestehen, dass man auf jede Bestimmung des Bewusstseyns wieder reflectiren, und ein neues Bewusstseyn des ersten Bewusstseyns erzeugen könne, dass man dadurch das unmittelbare Bewusstseyn stets um eine Stufe höher rückt, und das erste verdunkelt und zweifelhaft macht, und dass diese Leiter keine höchste Stufe hat. Ich weiss, dass alle Skepsis auf dieses Verfahren, ich weiss, dass / jenes Lehrgebäude, das mich so gewaltig erschüttert hat, auf die Durchführung und auf das deutliche Bewusstseyn dieses Verfahrens sich gründet.
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Die Bestimmung des Menschen, SW II, S. 252f.
Nota.
Als Bürgen dafür, dass es über das bloße Denken hinaus noch etwas Reelles geben müsse, hatte er sein unmittelbares Gefühl geltend gemacht. Aber die Bestimmung des Menschen ist kein populäres Traktat zur allgemeinen Erbauung, sondern selber ein philosophische Schrift - freilich eine, die ohne Schulsprache, ohne "spitzfindige Zurüstungen" und ohne die großen Werke großer Männer auskommt; keine akademische Schrift. Aber gründlich verfährt sie wohl, sie ist von allen Fichte'schen Schriften die am gewissenhaftesten dialektisch ausgearbeitete. Kein sachlich berechtigter Widerspruch wird einfach übergangen, sondern 'aufgehoben'.
Anders gesagt, so unmittelbar ein Gefühl auch wahrgenommen würde - es kann ein Trug sein.
JE
Ja sagen.
Ich weiss, dass, wenn ich mit diesem Lehrgebäude nicht bloss ein Andere verwirrendes Spiel treiben, sondern nach demselben wirklich verfahren will, ich jener Stimme in meinem Innern den Gehorsam versagen muss. Ich kann nicht handeln wollen, denn ich kann nach jenem Lehrgebäude nicht wissen, ob ich handeln kann; ich kann nie glauben, dass ich wirklich handle; das, was mir als meine Handlung erscheint, muss mir völlig unbedeutend und als ein bloss trügliches Bild vorkommen. Aller Ernst und alles Interesse ist dann rein aus meinem Leben vertilgt, und dasselbe verwandelt sich, eben so wie mein Denken, in ein blosses Spiel, das von nichts ausgeht und auf nichts hinausläuft.
Soll ich jener inneren Stimme den Gehorsam versagen? – Ich will es nicht thun. Ich will jene Bestimmung mir freiwillig geben, die der Trieb mir anmuthet; und will in diesem Entschlusse zugleich den Gedanken an seine Realität und Wahrhaftigkeit, und an die Realität alles dessen, was er voraussetzt, ergreifen. Ich will in dem Standpuncte des natürlichen Denkens mich halten, auf welchen dieser Trieb mich versetzt, und aller jener Grübeleien und Klügeleien mich entschlagen, welche nur seine Wahrhaftigkeit mir zweifelhaft machen könnten.
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Die Bestimmung des Menschen, SW II, S. 253
Nota.
Mit andern Worten, das "intellektuelle Gefühl" ist aus der theoretischen Begründung schon wieder ausgeschieden. Es war ein Holzweg: Denn schon befinden wir uns, nachdem die Kritik die Möglichkeiten der theoretischen Philosophie erschöpft hatte, auf dem Boden der praktischen Vernunft, die 'durch Freiheit möglich' ist. Dass Freiheit möglich ist, kann nicht ex ante bewiesen, sondern muss ex post erwiesen werden, durch die Tat; es ist eine problematische Wahrheit. - Wir sind schon im Bereich der Lebensführung, wo allein ich etwas irreduzibel Gültiges brauche, an dem ich mich orientieren kann.
JE
Der Wille zur Geltung.
Ich habe das Organ gefunden, mit welchem ich diese Realität, und mit dieser zugleich wahrscheinlich alle andere Realität ergreife. Nicht das Wissen ist dieses Organ; kein Wissen kann sich selbst begründen und beweisen; jedes Wissen setzt ein noch Höheres voraus, als seinen Grund, und dieses Aufsteigen hat kein Ende. Der Glaube ist es; dieses freiwillige Beruhen bei der sich uns natürlich darbietenden Ansicht, weil wir nur bei dieser Ansicht unsere Bestimmung erfüllen können; er ist es, der dem Wissen erst Beifall giebt, und das, was ohne ihn blosse Täuschung seyn könnte, zur Gewissheit und Ueberzeugung erhebt. /
Er ist kein Wissen, sondern ein Entschluss des Willens, das Wissen gelten zu lassen.
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Die Bestimmung des Menschen, SW II, S. 253f.
Nota.
Dies ist die Proiectio per hiatum irrationalem. So wie Jacobi es ihm vorgeschlagen hatte. Nur ist es ein Glaube nicht an die Offenbarung und ihre Buchstaben, sondern an das eigene Vermögen, 'aus Freiheit' dem Leben einen Zweck zuzugedenken.
JE
Der Existenzialist unter den Romantikern.
Fichte hat in Jena mit Friedrich, August Wilhelm und Caroline Schlegel im selben Haus gewohnt, war auch beim legendären Romantikertreffen im September 1798 in Dresden dabei, und später in Berlin ließ er sich seine Post über die gemeinsame Adresse von Schlegel und Schleiermacher zustellen, um die Polizeispitzel irrezu- führen. Gehörte Fichte zum Romantikerkreis oder gehörte nicht der Romantikerkreis zu Fichte?
"Darum hat Fichte gesagt: »Die Kunst macht den transzendentalen Gesichtspunkt zum gemeinen.« Seine Philosophie ist, wenn man sie recht versteht, eine radikale Künstlerphilosophie. Und die Romantiker verstanden sie und machten Fichte zu ihrem Propheten," schrieb Egon Friedell,* und der war allerdings genial, doch in philosophischen Dingen ein Dilettant war er nicht, und promoviert hat er über Novalis als Philosoph.
Nicht nur die Schlegels waren an Fichte orientiert. Hölderlin gehörte in Jena zu seinen ersten, Brentano zu seinen letzten Hörern. Aber der Romantikerkreis ist im Jahr 1799 auseinandergebrochen, nein, auseinander- geflossen aus demselben Grund, aus dem Fichte Jena verlassen musste: Der Atheismusstreit hatte deutlich gemacht, dass nicht nur in Frankreich, sondern auch in Deutschland die Zeit des revolutionären Aufbruchs vorbei war. Bei diesen folgten frömmeld deutsche Innerlichkeit und Ergebung in biedermeierliche Restau- ration, bei jenem folgte... -
Es war ein existenzialistischer Sprung über den Abgrund, wie soll man es anders nennen? "Aller Ernst und alles Interesse ist dann rein aus meinem Leben vertilgt, und dasselbe verwandelt sich, eben so wie mein Denken, in ein blosses Spiel, das von nichts ausgeht und auf nichts hinausläuft", hieß es als Quintessenz jenes Abschnitts in der Bestimmung des Menschen, der die Überschrift Wissen trägt.
Die Existenzphilosophie des 20. Jahrhunderts hat in Fichte unmöglich ihren Stifter erkennen können, weil er ihr in R. Kroners schiefer, aber landläufig gewordenen Perspektive Von Kant zu Hegel vielmehr als Begründer eines sogenannten Deutschen Idealismus erschien. Wilhelm Weischedel hat dagegen mit seiner existenzialistischen Deutung der Wissenschaftslehre als einer Ontologie des Lebens** leider nie durchdringen können.
Die Absurdität des Daseins annehmen und Ja sagen zu dem, was wirklich ist, um darin meine Freiheit zu behaupten - wie soll man das anders nennen als existenzialistisch? Aber es liegt gar nichts an oder in diesem Wort. Ein anderes, ebenfalls treffendes wäre mir genauso recht; heroischer Nihilismus etwa.
Ob auch Artisten-Metaphysik, wie Friedell insinuiert, ist an dieser Stelle noch nicht zu entscheiden.
*) Kulturgeschichte der Neuzeit, III. Buch, 3. Kapitel
**) W. Weischedel, Der frühe Fichte, Stuttgart-Bad Cannstadt, ²1973; die Erstausgabe war 1939 unter dem absichtlich zweideutigen Titel Der Aufbruch der Freiheit zur Gemeinschaft erschienen und ist so zwar der Zensur entgangen, aber der Aufmerksamkeit der einschlägig interessierten Leserschaft wohl leider auch. Im Jahr der Neuauflage war dann Fichte noch nicht wieder aktuell, aber der Existenzialismus schon wieder passé.
Wir handeln nicht, weil wir erkennen, sondern wir erkennen, weil wir handeln müssen.
Wir handeln nicht, weil wir erkennen, sondern wir erkennen, weil wir zu handeln bestimmt sind; die praktische Vernunft ist die Wurzel aller Vernunft. Die Handelsgesetze für vernünftige Wesen sind unmittelbar gewiss:* ihre Welt ist gewiss nur dadurch, dass jene gewiss sind.
Wir können den ersteren nicht absagen, ohne dass uns die Welt, und mit ihr wir selbst in das absolute Nichts versinken; wir erheben uns aus diesem Nichts, und erhalten uns über diesem Nichts lediglich durch unsere Moralität.
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Die Bestimmung des Menschen, SW II, S. 263
*) "Die Moral sagt schlechterdings nichts Bestimmtes – sie ist das Gewissen – eine bloße Richterin ohne Gesetz. Sie gebietet unmittelbar, aber immer einzeln. Gesetze sind der Moral durchaus entgegen."
Novalis, Allgemeines Brouillon, N°670
Nota.
Ab hier wird die Wissenschaftslehre zu einer Fundamentalontologie. Sein ist Dasein und Dasein ist Handeln-müssen. Das ist keine Metaphysik, die aus Begriffen konstruiert. Es ist eine Existenzphilosophie, auf theore-tischen Erwägungen beruht sie nur ex negativo. Sie kann vielmehr als Metaphilosophie das theoretische Wissen ihrerseits begründen.
JE
Das Gewissen gebietet immer hier und jetzt.
Jene Stimme in meinem Innern, der ich glaube, und um deren willen ich alles Andere glaube, was ich glaube, gebietet mir nicht überhaupt nur zu thun. Dieses ist unmöglich; alle diese allgemeinen Sätze werden nur durch meine willkürliche Aufmerksamkeit und Nachdenken über mehrere Thatsachen gebildet, drücken aber nie selbst eine Thatsache aus. Sie, diese Stimme meines Gewissens, gebietet mir in jeder besonderen Lage meines Daseyns, was ich bestimmt in dieser Lage zu thun, was ich in ihr zu meiden habe: sie begleitet mich, wenn ich nur aufmerksam auf sie höre, durch alle Begebenheiten meines Lebens, und sie versagt mir nie ihre Belohnung, wo ich zu handeln habe. Sie begründet unmittelbar Ueberzeugung, und reisst unwiderstehlich meinen Beifall hin: es ist mir unmöglich, gegen sie zu streiten.
Auf sie zu hören, ihr redlich und unbefangen ohne Furcht und Klügelei zu gehorchen, dies ist meine einzige Bestimmung, / dies der ganze Zweck meines Daseyns. – Mein Leben hört auf ein leeres Spiel ohne Wahrheit und Bedeutung zu seyn. Es soll schlechthin etwas geschehen, weil es nun einmal geschehen soll: dasjenige, was das Gewissen nun eben von mir, von mir, der ich in diese Lage komme, fordert; dass es geschehe, dazu, lediglich dazu bin ich da; um es zu erkennen, habe ich Verstand; um es zu vollbringen, Kraft.
Durch diese Gebote des Gewissens allein kommt Wahrheit und Realität in meine Vorstellungen. Ich kann jenen die Aufmerksamkeit und den Gehorsam nicht verweigern, ohne meine Bestimmung aufzugeben.
Ich kann daher der Realität, die sie herbeiführen, den Glauben nicht versagen, ohne gleichfalls meine Bestimmung zu verläugnen. Es ist schlechthin wahr, ohne weitere Prüfung und Begründung, es ist das erste Wahre, und der Grund aller anderen Wahrheit und Gewissheit, dass ich jener Stimme gehorchen soll: es wird mir sonach in dieser Denkweise alles wahr und gewiss, was durch die Möglichkeit eines solchen Gehorsams als wahr und gewiss vorausgesetzt wird.
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Die Bestimmung des Menschen, SW II, S. 258f.
Nota.
Das ist die Stelle, wo es kritisch wird. Da ist erstens das Gewissen, das immer nur dieses oder das gebietet, und immer jetzt. Allgemeine Sätze werden daraus allenfalls von der Reflexion abstrahiert, aber sie haben keine Realität. Mit andern Worten, Begriffe finden in der Moralität keinen Platz. - Aber dann wird konstruiert, dass einem schwindelig wird: Nähme ich an, dass alle Taten, die mir mein Gewissen aufgegeben hat, zum Erfolg führen, könnte ich daraus einen tatsächlichen Zustand hochrechnen - die "Realität, die sie herbeiführen" -, aus dem ich wiederum rückwirkend "meine Bestimmung" begreifen kann. Und dieser 'Realität' kann ich "den Glauben nicht versagen".
Nachdem er eben vornherum aus der Moralität die Begriffe ausgetrieben hat, führt er nun hintenrum einen ganzen Begriffspalast ein, der so konstruiert ist, wie der Eiffelturm erst neunzig Jahre später. Warum das, damit hat es doch keine Not, er war doch schon bei einem Ergebnis angelangt, das praktischer gar nicht sein kann - ?
Es ist ein äußerer Zweck, den er verfolgt, er will den Vorwurf des Atheismus im nachhinein entkräften, indem er einen theoretischen Gott erklügelt...
JE
Der gute Wille allein.
Wer meine Gesinnung hat, den redlichen guten Willen, der wird auch meine Ueberzeugung erhalten: ohne jenen aber ist diese auf keine Weise hervorzubringen. –
Nachdem ich dieses weiss, weiss ich, von welchem Puncte alle Bildung meiner selbst und anderer ausgehen müsse: von dem Willen, nicht von dem Verstande. Ist nur der erstere unverrückt und redlich auf das Gute gerichtet, so wird der letztere von selbst das Wahre fassen. Wird lediglich der letztere geübt, indess der erstere vernachlässigt bleibt, so entsteht nichts weiter, als eine Fertigkeit, ins unbedingt Leere hinaus zu grübeln und zu klügeln. –
Ich vermag, nachdem ich dieses weiss, alles falsche Wissen, das sich gegen meinen Glauben erheben könnte, niederzuschlagen. Ich weiss, dass jede vorgebliche Wahrheit, die durch das blosse Denken herausgebracht, nicht aber auf den Glauben gegründet seyn soll, sicherlich falsch und erschlichen ist, indem das durchaus durchgeführte, blosse und reine Wissen lediglich zu der Erkenntniss führt, dass wir nichts wissen können; weiss, dass ein solches falsches Wissen nie etwas Anderes findet, als was es erst durch den Glauben in Seine Vordersätze gelegt hat, aus welcher es vielleicht weiter / hin unrichtig schliesst. –
Ich besitze, nachdem ich dieses weiss, den Prüfstein aller Wahrheit und aller Ueberzeugung. Aus dem Gewissen allein stammt die Wahrheit: was diesem, und der Möglichkeit und dem Entschlusse, ihm Folge zu leisten, widerspricht, ist sicher falsch, und es ist keine Ueberzeugung davon möglich; wenn ich auch etwa die Trugschlüsse, durch die es zu Stande gebracht ist, nicht entdecken könnte.
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Die Bestimmung des Menschen, SW II, S. 254f.
Nota.
Dabei kann einem schon mulmig werden. Wer würde denn den guten Willen nicht für sich in Anspruch nehmen? Wenn doch die Moral nicht in allgemeinen Sätzen, sondern immer nur ad hoc gebietet... ?!
Ja, wenn wir an dieser Stelle schon so weit wären und mit Herbart die Ethik ansehen könnten als die Ästhetik, sofern sie auf das Reich der Willensakte bezogen wird...
JE
Jacobi, Fichte und die Vernunft.
Von Vernunft ist die Wurzel, Vernehmen.
S. 14
Vernehmen setzt ein Vernehmbares; Vernunft das Wahre zum voraus: Sie ist das Vermögen zum Voraussetzen des Wahren. Eine das Wahre nicht voraussetzende Vernunft ist ein Unding.
S. 27
Wo die Weisung auf das Wahre fehlt, da ist keine Vernunft. Dieses Weisung; die Nötigung, das ihr nur in Ahndung vorschwebende Wahre als ihren Gegenstand, als die letzte Begierde aller Erkenntnis zu betrachten, macht das Wesen der Vernunft aus.
S. 28
Weil die Vernunft im Auge die Gottheit, Gott notwendig im Auge hat: deswegen allein halten wir sie für höher als das Selbst im gemein sinnlichen Verstande; und insofern mag es denn auch Sinn haben und für Wahrheit gelten: "dass Vernunft Zweck; Persönlichkeit nur Mittel sei."
S. 31
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Johann Heinrich Jacobi, Jacobi an Fichte, Hamburg, 1799
Nota.
Jacobi hat den springenden Punkt bloßgelegt.
Fichte hatte ein real Absolutes allezeit vorausgesetzt, und nicht einmal stillschweigend, sondern ausdrücklich; und doch, ohne es zu bemerken. Die Vernunft behandelt er als etwas reell Wirkendes; nicht etwa ein Regulativ, sondern ein Konstituens. Sie fällt nicht unter die Gegenstände der Wissenschaftslehre, sondern geht ihr voraus. Fichtes phänomenologisch-kritisches Verfahren war nicht radikal, vor der selbstverständlichsten der Selbstver- ständlichkeiten hat er Halt gemacht. Vernunft besteht nur darin, dass Menschen meinen, es gäbe für ihr Urteilen ein Maß. Sie ist das allgemeinst-mögliche Vor-Urteil.
Für ihr Urteilen - auf diesen Beisatz kommt es an -, sofern es allgemeines Gelten beansprucht; denn unter andern Umständen ist Vernunft gar nicht am Platz. Ich meine, vernünftig zu denken, wenn ein Anderer, dem ich vor-denke, gar nicht anders kann, als mir nach-zu-denken und mir beizustimmen. Nun gibt es zwei Mög- lichkeiten: Entweder, ich lasse es drauf ankommen; das wäre die pragmatische, die "findende", die problematische Version. Oder ich nehme eine prä-etablierte Übereinstimmung an, die eine andere Möglichkeit gar nicht offen lässt und einen wirklichen Andern gar nicht braucht; das ist die dogmatische Version, es ist die theologische Version, denn irgendwer, irgendwas müsste die Übereinstimmung ja prä-etabliert haben.
Hier hat Jacobi Fichte am Haken. Wenn er sich nicht ermannen kann, Vernunft pragmatisch, problematisch als ein Projekt aufzufassen, dessen glücklicher Ausgang durch nichts und niemand garantiert ist, dann muss er theoretisch, muss als einen Begriff 'Gott' zu Grunde legen. Mit andern Worten, er muss als Ergebnis der Transzendentalphilosophie die Transzendentalphilosophie leugnen.
Eine proiectio per hiatum irrationalem sei es, die Jacobi ihm hier zumute, meint Fichte, und sollte den Rest seines Lebens an den Versuch setzen, aus den Prämissen der Transzendentalphilosophie ein seiendes Absolutes herauszukonstruieren. Mit der Bestimmung des Menschen hat es, wie wir sehen werden, angefangen.
JE
Das Reich der Vernunft und das Reich der Moral.
Auf die Frage: ob denn nun in der That eine solche [moralische] Welt[ordnung] vorhanden sey, wie ich sie mir vorstelle, kann ich nichts Gründliches, nichts über alle Zweifel Erhabenes antworten als dies: ich habe gewiss und wahrhaftig diese bestimmten Pflichten, welche sich mir als Pflichten gegen solche und in solchen Objecten darstellen; diese bestimmten Pflichten, die ich mir nicht anders vorzustellen, und sie nicht anders auszuführen vermag, als innerhalb einer solchen Welt, wie ich / mir eine vorstelle. –
Selbst demjenigen, der seine eigene sittliche Bestimmung sich nie gedacht hätte, wenn es einen solchen geben könnte – oder der, wenn er sie sich überhaupt gedacht hätte, nicht den leisesten Vorsatz hegte, sie irgend einmal in einer unbestimmten Zukunft zu erfüllen – selbst ihm entsteht seine Sinnenwelt und sein Glaube an die Realität derselben auf keinem anderen Wege, als aus seinem Begriffe von einer moralischen Welt.
Umfasst er dieselbe auch nicht durch den Gedanken seiner Pflichten, so thut er es doch sicher durch die Forderung seiner Rechte. Was er sich selbst vielleicht nie anmuthet, muthet er doch gewiss anderen gegen sich an: – dass sie ihn mit Besonnenheit und Ueberlegung und Zweckmässigkeit, nicht als ein vernunftloses Ding, sondern als ein freies und selbstständiges Wesen behandeln; und so wird er allerdings, damit sie nur diese Anforderung erfüllen können, genöthigt, auch sie, als besonnen, und frei, und selbstständig, und unabhängig von blosser Naturgewalt zu denken.
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Die Bestimmung des Menschen, SW II, S. 261f.
Nota.
Nachdem uns keiner so energisch wie er darauf verwiesen hat, dass das Recht nicht aus der Moral, noch gar die Moral aus dem Recht hervorgehe, stellt er sie nun ebenbürtig nebeneinander wie zwei Seiten einer Medaille. Aber wo von Rechten die Rede ist, ist von Rechten gegen Andere - ihrer gegen mich, meiner gegen sie - die Rede; nämlich von den Bedingungen eines vernünftig geordneten oder noch zu ordnenden Zusammenlebens. Und nur in diesem Zusammenhang ist es berechtigt, von den Rechten der andern als von meinen Pflichten, und von meinen Pflichten als von deren Rechten zu denken.
Aber die Moralität, die er hier in Anspruch nimmt, bezieht sich nicht auf meine Pflichten gegen Andere, sondern gegen mich. Moralität gebietet mir, was ich mir selber schuldig bin. Mir bin ich schuldig, gegen andere gerecht zu sein. Den andern schulde ich nur, was ihre Rechte sind. Das Recht gehört in unsere, die Moralität in meine Welt. Ich bin faktisch jederzeit in beiden. Die Erfordernis, beide in meiner Vorstellung und in meinem daraus resultierenden Handeln mit einander in Beziehung zu setzen, begründet Vernunft. In meiner Welt allein wäre sie ohne allen Sinn.
JE
Tour de passe-passe.
Ich soll schlechthin Etwas thun, damit es geschehe, etwas unterlassen, damit es unterbleibe. – Aber kann ich handeln, ohne einen Zweck ausser dem Handeln im Auge zu haben; ohne auf Etwas, das durch mein Handeln, und allein dadurch, erst möglich werden kann und soll, meine Absicht zu richten! Kann ich wollen, ohne Etwas zu wollen? Nimmermehr! dies widerspräche gänzlich der Natur meines Geistes. An jede Handlung knüpft in meinem Denken unmittelbar und nach den blossen Gesetzen des Denkens sich an, ein in der Zukunft liegendes Seyn, ein Zustand, zu dem das Handeln sich verhält wie das Wirkende zu dem Bewirkten.
...sondern ich soll schlechthin auf eine gewisse Weise handeln, weil ich es einmal soll; dies ist das erste. Aus dieser Handelsweise erfolgt Etwas, sagt mir die Stimme in meinem Innern. Dieses Etwas wird mir nun nothwendig Zweck, weil ich die Handlung vollziehen soll, die dazu, und nur dazu das Mittel ist. Ich will, dass Etwas wirklich werde, weil ich handeln soll, dass es wirklich werde; – gleichwie ich nicht hungere weil Speise für mich vorhanden ist, sondern etwas mir zur Speise wird, weil ich hungere; ebenso handle ich nicht so, wie ich handle, weil mir Etwas Zweck ist, sondern es wird mir Etwas Zweck, weil ich so handeln soll. Ich habe den Punct, nach welchem hin ich meine Linie ziehen will, nicht schon vorher im Auge, und lasse nun durch seine Lage die Richtung der Linie, und den Winkel, welchen sie machen wird, bestimmen; sondern ich ziehe meine Linie schlechthin in einen rechten Winkel, und dadurch werden die Puncte bestimmt, in welche meine Linie treffen muss. Der Zweck bestimmt nicht den Inhalt des Gebotes, sondern umgekehrt, der unmittelbar gegebene Inhalt des Gebotes bestimmt den Zweck.
Ich sage, das Gebot des Handelns selbst ist es, welches durch sich selbst mir einen Zweck setzt: dasselbe in mir, was mich nöthigt; zu denken, dass ich so bandeln solle, nöthigt mich, zu glauben, dass aus diesem Handeln Etwas erfolgen werde; es eröffnet dem Auge meines Geistes die Aussicht auf eine andere Welt; die da allerdings Welt ist, ein Zustand ist, und kein Handeln, aber eine andere und bessere Welt, als die für mein sinnliches Auge vorhandene; es macht, dass ich diese bessere Welt begehre, sie mit allen meinen Trieben umfasse und ersehne, nur in ihr lebe, und nur an ihr mich befriedige. Jenes Gebot bürgt mir durch sich selbst für die sichere Erreichung dieses Zweckes. Dieselbe Gesinnung, mit der ich mein ganzes Denken und Leben auf dieses Gebot richte und hefte, und nichts sehe ausser ihm, führt zugleich die unerschütterliche Ueberzeugung bei sich, dass die Verheissung desselben wahr und gewiss sey, und hebt die Möglichkeit auf, das Gegentheil auch nur zu denken. Wie ich im Gehorsam lebe, lebe ich zugleich in der Anschauung seines Zweckes; lebe ich in der besseren Welt, die er mir verheisset.
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Die Bestimmung des Menschen, SW II, S. 264f.
Nota.
Er ist nun Jacobi auf den Leim gegangen. Aber mit einem Fuß stand er schon vorher darauf: Denn mit ebendieser Logik hatte er zuvor im Grund unseres Glaubens... eine "moralische Weltordnung" erkünstelt. In den Rückerinnerungen... war er davon wieder abgekommen, das intellktuelle Gefühl musste den Glauben an die Wahrheit des Wahren verbürgen, sofern es nämlich unmittelbar ist; was man von der Kunstruktion eine moralischen Weltordnung durchaus nicht sagen kann. Sie ist, mit Verlaub, an den Haaren herbeigezogen, und dem gesunden Menschenverstand schwinden sie Sinne.
JE
Eine tollkühne Konstruktion.
Den Begriff vom intellektuellen Gefühl hat Fichte ersonnen, als er den 'Glauben an eine moralische Weltordnung' als unmittelbar gegeben glaubhaft machen wollte. -
Forberg hatte den Glauben an Gott als einen nützlichen Trick dargestellt, um im breiten Publikum, das für philosophische Spekulation keinen Sinn hat, Moralität zu propagieren. Hans Vaihinger hat ihn dafür gelobt und den inkriminierten Aufsatz in seinem Magnum opus in extenso abgedruckt. Und hat Fichte, der 'so weit nicht gehen wollte', darum kritisiert.
Aber ganz hatte er Fichte nicht verstanden. Dem war eine exoterische Wahrheit für die Misera plebs, der man die esoterische Wahrheit ("noch") nicht zumuten konnte, zuwider, denn aus der Misera plebs kam er selber.
In der Bestimmung des Menschen kehrt er wieder zu seiner anfänglichen Argumentation aus Der Grund unseres Glaubens zurück: Etwas wollen heiße notwendig, sich Etwas als in - irgendeiner unbestimmten - Zukunft als verwirklicht vorstellen.
"Von der Sinnenwelt gibt es sonach keinen möglichen Weg, um zur Annahme einer moralischen Weltordnung aufzusteigen; wenn man nur die Sinnenwelt rein denkt, und nicht etwa, wie dies durch jene Philosophen geschah, eine moralische Ordnung derselben unvermerkt schon voraussetzt.
Durch unseren Begriff einer übersinnlichen Welt sonach müßte jener Glaube begründet werden.
Es gibt einen solchen Begriff. Ich finde mich frei von allem Einflusse der Sinnenwelt, absolut tätig in mir selbst, und durch mich selbst; sonach, als eine über alles Sinnliche erhabene Macht. Diese Freiheit ist aber nicht unbestimmt; sie hat ihren Zweck: nur erhält sie denselben nicht von außen her, sondern setzt ihn sich durch sich selbst. Ich selbst und mein notwendiger Zweck sind das Übersinnliche." (S. 181)
"Ich kann nicht zweifeln, sage ich, kann auch nicht einmal die Möglichkeit, daß es nicht so sei, daß jene innere Stimme täusche, daß sie erst anderwärtsher autorisiert werden müsse, mir denken; ich kann sonach hierüber nicht weiter vernünfteln, deuteln und erklären. Jener Ausdruck ist das absolut Positive und Kategorische. Ich kann nicht weiter, wenn ich nicht mein Inneres zerstören will; ich kann nur darum nicht weiter, weil ich weiter gehen nicht wollen kann. Hier liegt dasjenige, was dem sonst ungezähmten Fluge des Räsonnements seine Grenze setzt, was den Geist bindet, weil es das Herz bindet; hier ist der Punkt, der Denken und Wollen in Eins vereinigt, und Harmonie in mein Wesen bringt.
Ich könnte an und für sich wohl weiter, wenn ich mich in Widerspruch mit mir selbst versetzen wollte; denn es gibt für das Räsonnement keine immanente Grenze in ihm selbst, es geht frei hinaus ins Unendliche, und muß es können; denn ich bin frei in allen meinen Äußerungen, und nur ich selbst kann mir eine Grenze setzen durch den Willen. Die Überzeugung von unserer moralischen Bestimmung geht sonach selbst schon aus moralischeer Stimmung hervor, und ist Glaube; und man sagt insofern ganz richtig: das Element aller Gewißheit ist Glaube. – So muß es sein; denn die Moralität, so gewiß sie das ist, kann schlechterdings nur durch sich selbst, keineswegs etwa durch einen logischen Denkzwang konstruiert werden." (S. 182)
"Denn es gibt keinen festen Standpunkt, als den angezeigten, nicht durch die Logik, – sondern durch die moralische Stimmung begründeten; und wenn unser Räsonnement bis zu diesem entweder nicht fortgeht, oder über ihn hinausgeht, so ist es ein grenzenloser / Ozean, in welchem jede Woge durch eine andere fortgetrieben wird." (S. 182f.)
"Indem ich jenen mir durch mein eigenes Wesen gesetzten Zweck ergreife, und ihn zu dem meines wirklichen Handelns mache, setze ich zugleich die Ausführung desselben durch wirkliches Handeln als möglich. Beide Sätze sind identisch; denn ich setze mir etwas als Zweck vor heißt: ich setze es in irgend einer zukünftigen Zeit als wirklich; in der Wirklichkeit aber wird die Möglichkeit notwendig mit gesetzt. Ich muß sonach auch das zweite, seine Ausführbarkeit annehmen: ja es ist hier nicht eigentlich ein erstes und ein zweites, sondern es ist absolut Eins; beides sind in der Tat nicht zwei Akte, sondern ein und ebenderselbe unteilbare Akt des Gemüts." (S. 183)
"Jene Annahme ist unter Voraussetzung des Entschlusses, dem Gesetze in seinem Innern zu gehorchen, schlechthin notwendig; sie ist unmittelbar in diese Entschlusse enthalten, sie ist selbst dieser Entschluß." (ebd.)
"Ich muß schlechthin den Zweck der Moralität mir vorsetzen, seine Ausführung ist möglich, sie ist durch mich möglich, heißt, zufolge der bloßen Analyse: jede der Handlungen, die ich vollbringen soll, und meine Zustände, die jene Handlungen bedingen, verhalten sich, wie Mittel zu dem mir vorgesetzten Zwecke." (S. 184)
"Der Zwang, mit welchem der Glaube an die Realität derselben sich uns aufdringt, ist ein moralischer Zwang; der einzige, welcher für das freie Wesen möglich ist." (S. 185)
"Unsere Welt ist das versinnlichte Materiale unserer Pflicht; dies ist das eigentlich Reelle in den Dingen, der wahre Grundstoff aller Erscheinung. Der Zwang, mit welchem der Glaube an die Realität derselben sich uns aufdringt, ist ein moralischer Zwang; der einzige, welcher für das freie Wesen möglich ist." (S. 185)
"Der wahre Atheismus, der eigentliche Unglaube und Gottlosigkeit besteht darin, daß man über die Folgen seiner Handlung klügelt, der Stimme seines Gewissens nicht eher gehorchen will, bis man den guten Erfolg vorherzusehen glaubt, so seinen eigenen Rat über den Rat Gottes erhebt, und sich selbst zum Gotte macht." (S. 185)
"Der eben abgeleitete Glaube ist aber auch der Glaube ganz und vollständig. Jene lebendige und wirkende moralische Ordnung ist selbst Gott; wir bedürfen keines anderen Gottes, und können keinen anderen fassen." (S. 186)
"Es ist gar nicht zwei/felhaft, sondern das Gewisseste, was es gibt, ja der Grund aller anderen Gewißheiten, das einzig absolut gültige Objektive, daß es eine moralische Weltordnung gibt, daß jedem vernünftigen Individuum seine bestimmte Stelle in dieser Ordnung angewiesen, und auf seine Arbeit gerechnet ist; daß jedes seiner Schicksale, inwiefern es nicht etwa durch sein eigenes Betragen verursacht ist, Resultat ist von diesem Plane; daß ohne ihn kein Haar fällt von einem Haupte, und in seiner Wirkungssphäre kein Sperling vom Dache; daß jede wahrhaft gute Handlung gelingt, jede böse sicher mißlingt, und daß denen, die nur das Gute recht lieben, alle Dinge zum Besten dienen müssen." (S. 187f.)
Es ist eine erklügelte, ersonnene, er-vernünftelte, erfundene Gewissheit, an der nichts unmittelbar und alles künstlich ist. Sie ist nicht überwältigend, man kommt mit Verstandesgründen ohne weiteres dagegen an. Dass Jacobi nicht bereit war, darin überhaupt ein Glauben zu erkennen, ist ihm nicht zu verdenken. Aus einem 'intellektuellen Gefühl' indes auf etwas wirklich Seiendes zu schließen, war Fichte auch nicht möglich, und so kehrte er zur Konstruktion einer moralischen Weltordnung als der Wurzel der Vernunft zurück - und unter Jacobis Fittich. Freilich zum Preis einer noch gewaltsameren Künstelei.
Jacobis Apologie der Wissenschaftslehre.
In Allem und aus Allem sucht der menschliche Geist nur sich selbst, Begriffe bildend, wieder hervor; strebend und widerstrebend; unaufhörlich vom augeblicklichen bedingten Daseyn, das ihn gleichsam verschlingen will, sich losreißend, um sein Selbst-und-in-sich-seyn zu retten, es alleinthätig und in Freyheit / fortzusetzen. Diese Thätigkeit der Intelligenz ist in ihr eine nothwendige Thätigkeit; sie ist nicht, wo diese Thätigkeit nicht ist. -
Es wäre also die größte Thorheit, bey dieser Einsicht, die Begierde nach Wißenschaft in sich oder anderen hemmen zu wollen, die größte Thorheit, zu glauben, man könne das Philosophieren wohl auch übertreiben. Das Philosophieren übertreiben hieße - die Besinnung übertreiben.
Beyde wollen wir also, mit ähnlichem Ernst und Eifer, daß die Wißenschaft des Wißens [...] vollkommen werde: nur mit dem Unterschiede: daß Sie es wollen, damit sich der Grund aller Wahrheit, als in der Wißenschaft liegend, zeige; ich, damit offenbar werde: dieser Grund, das Wahre selbst, sey nothwendig außer ihr vorhanden. Meine Absicht ist aber der Ihrigen auf keine Weise im Wege, so wie Ihre nicht der meinen, weil ich zwischen Wahrheit und dem Wahren unterscheide. Sie - nehmen von dem, was ich mit dem Wahren meyne, keine Notiz, und dürfen, als Wißenschaftslehrer, keine davon nehmen - auch nach meinem Urteil. (S. 10f.) ...
Ich kann mich dergestgalt auf Fichtens Standpunkt versetzen, und mich darauf intellektuell isoliren, daß ich mich fast schäme anderer Meynung zu seyn, und kaum meine Einwürfe wieder sein System vor mir selbst aussprechen mag. (S. 13) ...
Eine reine, das ist: durchaus immanente Philosophie aus Einem Stück; ein wahrhaftes Vernunft-System, ist auf die Fichtesche Weise allein möglich. Offenbar muß alles in und und durch Vernunft, im Ich als Ich, in der Ichheit allein gegeben und in ihr schon enthalten seyn, wenn reine Vernunft, aus sich allein, soll alles herleiten können.
Von Vernunft ist die Wurzel, Vernehmen. - Reine Vernunft ist ein Vernehmen, das nur sich selbst vernimmt. Oder: die Reine Vernunft vernimmt nur sich.
Das Philosophieren der reinen Vernunft muß also ein chemisch reiner Proceß seyn, wodurch alles außer ihr in Nichts verwandelt wird, und sie allein übrig läßt - einen so reinen Geist, daß er, in dieser seiner Reinheit, / selbst nicht seyn, sondern nur alles hervorbringen kann; dieses aber wieder in einer solchen Reinheit, daß es ebenfalls selbst nicht seyn, sondern als nur im Hervorbringen des Geistes vorhanden, angeschaut werden kann: das Gesamte eine bloße That-That.
Alle Menschen, in sofern sie überhaupt nach Erkenntniß streben, setzen sich, ohne es zu wißen, diese reine Philosophie zum lezten Ziele; denn der Mensch erkennt nur indem er begreift; und er begreift nur nur indem er - Sache in bloße Gestalt verwandelnd - Gestalt zur Sache, Sache zu Nichts macht.
Deutlicher!
Wir begreifen eine Sache nur in so fern wir sie construieren, in Gedanken vor uns entstehen, werden laßen können. In sofern wir sie nicht construieren, in Gedanken nicht selbst hervorbringen können, begreifen wir sie nicht. ...
Wenn daher ein Wesen ein von uns vollständig begriffener Gegenstand werden soll, so müßen wir es / objectiv - als für sich bestehend - aufheben, vernichten, um es durchaus subjectiv, unser eigenes Geschöpf - ein bloßes Schema - werden zu laßen. Es darf nichts in ihm bleiben und einen wesentlichen Teil seines Begriffs ausmachen, was nicht unsere Handlung, jezt eine bloße Darstellung unserer productiven Einbildungskraft wäre.
Der menschliche Geist also, da sein philosophischer Verstand schlechterdings nicht über sein eigenes Hervorbringen hinausreicht, muß, um in das ReiEine Wißech der Wesen einzudringen, um es mit dem Gedanken zu erobern, Welt-Schöpfer, und - sein eigener Schöpfer werden. Nur in dem Maaße wie ihm das lezte gelingt, wird er in dem ersten Fortgang spüren. Aber auch sein eigener Schöpfer kann er nur unter der angegebenen allgemeinen Bedingung seyn: er muß sich dem Wesen nach vernichten, um allein im Begriffe zu entstehen, sich zu haben: in dem Begriffe eines reinen absoluten Ausgehen und Eingehen, ursprünglich - aus Nichts, zu Nichts, für Nichts, in Nichts; oder dem Begriff einer Pendel-Bewegung, die als solche, weil sie Pendel-Bewegung ist, sich nothwendig selbst Schranken sezt im Allgemeinen; aber bestimmte / Schranken nur hat, als eine besondere, durch eine unbegreifliche Einschränkung.
Eine Wißenschaft, die sich selbst, als Wißenschaft allein zum Gegenstande und außer diesem keinen Inhalt hat, ist eine Wißenschaft an sich. Das Ich ist ein Wißenschaft an sich, und die Einzige: Sich selbstg weiß es, und es widerspricht seinem Begriffe, daß es außer sich selbst etwas wiße oder vernehme u.s.w. u.s.w. .... Das Ich ist also nothwendig Princip aller andern Wißenschaften, und ein unfehlbares Menstruum, womit sie alle können aufgelöset und verflüchtiget werden in Ich, ohne irgend etwas von einem caput mortuum - Nicht-Ich - zu hinter- laßen. - Es kann nicht fehlen: Wenn Ich allen Wißenschaften die Grundsätze gibt, dass alle Wißenschaften aus Ich müßen deduciret werden können: Können sie aus Ich alleinalle deduciret werden; so müßen in und durch Ich allein auch alle construirt werden können, in sofern sie construirbar, d. i. in sofern sie Wißenschaften sind. /
Aller Reflxion liegt Abstraction dergestalt zu Gruonde, daß Reflexion nur durch Abstraction möglich wird. Umgekehrt verhält es sich eben so; Beyde sind unzertrennlich und im Grunde Eins, eine Handlung des Auflösens alles Wesens in Wißen; progressive Vernichtung (auf dem Wege der Wißenschaft) durch immer allegemeinere Begriffe. Was nun auf diese Weise involvirend vernichtet wurde, kann evolvirend wieder hergestellt werden: Vernichtend lernte ich erschaffen. Dadurch nehmlichdaß ich auflösend, zergliedernd, zum Nichts-Außer-Ich gelangte, zeigte sich mir, daß Alles Nichts war, außer meiner, nur auf einer gewiße Weise eingeschränkten, frreyen Einbildungskraft. Aus dieser Einbildungskraft knn ich dann auch wieder hervorgehen laßen, alleinthätig, alle Wesen, wie sie waren, ehe ich sie, als für sich bestehend, für Nichts erkannte. (S. 14-18)
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aus Friedrich Heinrich Jacobi, Jacobi an Fichte, Hamburg, 1799.
Es gibt nur eine Transzendentalphilosophie.
Fichte hat sich stets beklagt, dass niemand recht verstehen wollte, wie die Wissenschaftslehre gemeint war, seine (zeitweiligen) Parteigänger nicht mehr als seine erklärten Gegner.
Nur mit Jacobi war das anders. Schon gegenüber Kant hatte er sich anders gestellt als unter den Zeitgenossen üblich. Die hatten zumeist ja und amen gesagt und sich beeilt, die Transzendentalphilosophie zu einer dualistischen Metaphysik breit zu kauen, die keinem wehetat und einem jeden seine dogmatische Privatmarotte ließ. Jacobi hatte dagegen aus einer Ablehnung Kants kein Hehl gemacht - weil er ihn verstand. So war schon klar, dass er der Wissenschaftslehre nicht zustimmen konnte.
Aber verstanden hatte er auch sie, und hatte vor allem verstanden, woran Fichte am meisten gelegen war: dass sie nämlich die einzig mögliche Vollendung des von Kant begonnenen Werkes war.
"Ich sage es bey jeder Gelegenheit, und bin bereit, / es öffentlich zu bekennen, daß ich Sie für den wahren Meßias der speculativen Vernunft, den echten Sohn der Verheißung einer durchaus reinen, in und durch sich selbst bestehenden Philosophie halte. ...
Und so fahre ich denn fort, und rufe zuerst, eifriger und lauter, Sie noch einmal unter den Juden der speculativen Vernunft für ihren König aus; drohe den Halsstarrigen es an, Sie dafür zu erkennen, den Königsberger Täufer aber nur als Ihren Vorläufer anzunehmen. Das Zeichen, welches Sie gegeben haben, ist die Vereinigung des Materialismus und Idealismus zu Einem / untheilbaren Wesen... Wie von Achtzehnhundert Jahren die Juden in Palästinea den Meßias, den sie so lange sich ersehnt, bey seiner wirkliche Erscheinung verwarfen, weil er nicht mit sich brachte, woran sie ihn erkennen wollten...: so haben auch Sie ein Stein des Anstoßes und ein Fels des Aergernißes denen werden müßen, die ich Juden der speculativen Vernunft heiße."*
Das war zu einer Zeit, als auch Kant sich nicht zu vornehm war, Fichte einen Eselstritt zu versetzen, von der Seite eines geistigen Widersachers mehr, als er von seinen gestrigen Freunden erwarten konnte, und zwar nicht bloß an persönlicher Anerkennung, mit der Fichte auch nicht eben verwöhnt wurde, sondern an philosophischer Einsicht. Jacobis vorbehaltloses Einverständnis im ersten Viertel seines Briefes ist ja nicht eine rhetorische Figur, damit die anschließende Kritik umso pikanter wirkt, sondern es ist - echt; auf dem Weg, den Kant eingeschlagen hat, ist nur dieses Ziel erreichtbar.
Es sei aber der falsche Weg. Philosophisch pflichtet Jacobi Fichte uneingeschränkt bei. Seine Einwände sind rein und ausschließlich metaphilosophisch. Sie beziehen sich auf die lebenspraktischen Schlüsse, die diese Philosophie ermöglicht, und die ihr wie aller Philosophie als Motiv ursprünglich zu Grunde lagen. Und das seien - keine. Nicht Atheismus sei Fichtes Sünde, sondern Nihilismus.
Fichte ist, wie wir gesehen haben, vor Jacobi eingeknickt. So konsequent, wie der ihm unterstellt hatte, wollte er doch nicht sein.
*) Jacobi an Fichte, S. 1f.; 5f.
Die Welt ist eine Ansicht unseres eigenen Handelns.
Die Welt ist nichts weiter, als die nach den begreiflichen Vernunftgesetzen versinnlichte Ansicht unseres eigenen Handelns, als bloßer Intelligenz, innerhalb unbegreiflicher Schranken, in die wir nunmal eingeschlossen sind, – sagt die transzendentale Theorie; und es ist dem Menschen nicht zu verargen, wenn ihm bei dieser gänzlichen Verschwindung des Bodens unter ihm unheimlich wird.
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Über den Grund unseres Glaubens an eine göttliche Weltregierung, S. 184
Es muss alles erst noch gemacht werden.
Man hat, und ich selbst habe mich oft des Ausdruck bedient: Ordnung einer übersinnlichen Welt. Man versteht dies unrichtig – und man kann freilich nicht auf alle möglichen Mißverständnisse rechnen und ihnen vorbauen -, wenn man glaubt, die übersinnliche Welt sei, ehe sie geordnet worden, und die Ordnung sei erst ein Akzidens derselben. Nein: sie selbst wird Welt nur dadurch, daß sie geordnet wird.
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Rückerinnerungen..., S. 166
Nota.
Das war nicht unumgänglich, dass Fichte sich in Jacobis Falle begab. Die gegenläufige problematische, aktuali- stische Tendenz scheint immer wieder hervor. So wie es das Sittengesetz nicht 'gibt', sondern "selbstgemacht" werden muss, kann auch eine moralische Weltordnung - und etwas anderes könne die 'göttliche Weltregierung' ja nicht bedeuten - nicht als seiend vorausgesetzt, sondern nur als sein-sollend gesetzt werden. Und zwar nicht nur das Dass, sondern auch das Was.
JE
Den Endzweck als eines Tages erfüllt annehmen...
Cranach d. Ä., Das Goldene Zeitalter, um 1530
Ich soll schlechthin nach Maßgabe meines Gewissens in dieser Lage handeln. Ich kann es nicht, ohne anzunehmen, daß gerade diese Lage auf den Vernunftzweck berechnet [und] Resultat ist jenes Prinzips. Die dem freien Handeln <jedes Individuums> vorauszusetzende Vernunftwelt ist geordnet, hervorgebracht durch jenes Prinzip: populär, sie ist erschaffen, erhalten, regiert durch dasselbe.
Es wird in derselben etwas Zukünftiges postuliert. – Kausalität unsrer Willensbestimmung für Beförderung des Vernunftzwecks; Erhaltung und gleichmäßig fortgesetzte Entwicklung aller vernünftigen Individuen, stete Fortschreitung aller zum Endzwecke der Vernunft. – Erhaltung, ewige Fortdauer, Regierung der Schicksale endlicher Wesen zu ihrer Beseeligung, d. h. zu ihrer Befreiung durch reine Moralität.
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Rückerinnerungen..., S. 168
Nota.
Allein dem "intellektuellen Gefühl" hat er die Gewissheit eines Absoluten aber auch in den Rückerinnerungen nicht anvertrauen wollen. Auf die Konstruktion, wer einem moralische Impuls folge - "der Stimme des Gewissens" -, der müsse ipso facto ein ganzes Reich der Moralität als eines Tasge realisiert annehmen, mag er auch hier nicht verzichten. - Dass er zwei 'Gründe' aufbietet, zeigt an, dass ihm ein jeder für sich nicht hinreichend vorkommt. Er schwankt - aus gutem 'Grund'.
JE
Der Sinn des Lebens.
Ich ässe nur und tränke, damit ich wiederum hungern und dürsten, und essen und trinken könnte, solange, bis das unter meinen Füssen eröffnete Grab mich verschlänge, und ich selbst als Speise dem Boden entkeimte? Ich zeugte Wesen meines Gleichen, damit auch sie essen und trinken, und sterben, und Wesen ihres Gleichen hinterlassen könnten, die dasselbe thun werden, was ich schon that?
Wozu dieser unablässig in sich selbst zurückkehrende Cirkel, dieses immer von neuem auf dieselbe Weise wieder angehende Spiel, in welchem alles wird, um zu vergehen, und vergeht, um nur wieder werden zu können, wie es schon war; dieses Ungeheuer, unaufhörlich sich selbst verschlingend, damit es sich wiederum gebären könne, sich gebärend, damit es sich wiederum verschlingen könne?
Nimmermehr kann dies die Bestimmung seyn meines Seyns, und alles Seyns. Es muss etwas geben, das da ist, weil es geworden ist; und nun bleibt, und nimmer wieder werden kann, nachdem es einmal geworden ist; und dieses Bleibende muss im Wechsel des Vergänglichen sich erzeugen, und in ihm fortdauern, und unversehrt fortgetragen werden auf den Wogen der Zeit.
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Die Bestimmung des Menschen, SW II, S. 266
Nota.
Mit dem Deduzieren hat es definitiv ein Ende. Er ist ins Reich des Praktischen übergetreten, und da gibt es nur ein Postulieren: "Es muss etwas geben...".
Maß der Postulate ist nicht ihre Realisierbarkeit. Das Maß der Postulate ist ihre Tauglichkeit, mir im Leben als Leitfaden zu dienen. Ich kann mein Leben so führen, dass es Andern aus Interesse gefällt. Dann bin ich ein nützliches Glied der Gemeinschaft. Und ich kann es so führen, dass es mir selber ohne Interesse gefällt. Was ich wählen soll, lässt sich aus keinem Begriff ermitteln. Es muss sich zeigen und kann immer nur unmittelbar angeschaut werden, Schritt für Schritt. Was sich am Ende daraus ergibt, wird der Sinn meines Lebens gewesen sein.
JE
Es muss ja endlich besser werden.
Ich kann mir die gegenwärtige Lage der Menschheit schlechthin nicht denken als diejenige, bei der es nun bleiben könne; schlechthin nicht denken als ihre ganze und letzte Bestimmung. Dann wäre alles Traum und Täuschung; und es wäre [265/] nicht der Mühe werth, gelebt, und dieses stets wiederkehrende, auf nichts ausgehende, und nichts bedeutende Spiel mit getrieben zu haben. Nur inwiefern ich diesen Zustand betrachten darf, als Mittel eines besseren, als Durchgangspunct zu einem höheren und vollkommneren, erhält er Werth für mich; nicht um sein selbst sondern um des Besseren willen, das er vorbereitet, kann ich ihn tragen, ihn achten, und in ihm freudig das Meinige vollbringen. In dem Gegenwärtigen kann mein Gemüth nicht Platz fassen, noch einen Augenblick ruhen; unwiderstehlich wird es von ihm zurückgestossen; nach dem Künftigen und Besseren strömt unaufhaltsam hin mein ganzes Leben. ...
Noch erringet mit Mühe unser Geschlecht seinen Unterhalt und seine Fortdauer von der widerstrebenden Natur. Noch ist die grössere Hälfte der Menschen ihr Leben hindurch unter harte Arbeit gebeugt, um sich und der kleinen Hälfte, die für sie denkt, Nahrung zu verschaffen; sind unsterbliche Geister [266/] genöthigt, alles ihr Dichten und Trachten, und ihre ganze Anstrengung auf den Boden zu heften, der ihre Nahrung trägt. Noch ereignet es sich oft, dass, wenn nun der Arbeiter vollendet hat, und für seine Mühe sich seine und seiner Mühe Fortdauer verspricht, eine feindselige. Witterung in einem Augenblicke zerstört, was er Jahrelang langsam und wohlbedächtig verbreitete, und den fleissigen und sorgfältigen Mann, unverschuldet, dem Hunger und dem Elende Preis giebt; noch immer oft genug, dass Wasserfluthen, Sturmwinde, Vulkane, ganze Länder verheeren, und Werke, die das Gepräge eines vernünftigen Geistes tragen, mit ihren Werkmeistern zugleich dem wilden Chaos des Todes und der Zerstörung vermischen. Noch raffen Krankheiten die Menschen ins unzeitige Grab, Männer in der Blüthe ihrer Kräfte, und Kinder, deren Daseyn ohne Frucht und Folge vorübergeht; noch ziehen Seuchen durch blühende Staaten, lassen die wenigen, die ihnen entgehen, verwaist und des gewohnten Beistandes ihrer Genossen beraubt, einsam dastehen, und thun alles, was an ihnen ist, um das Land der Wildniss zurückzugeben, welches der Fleiss der Menschen sich schon zum Eigenthume errungen hatte. –
So ist es: so kann es nicht immerdar bleiben sollen. Kein Werk, das das Gepräge der Vernunft trägt, und unternommen wurde, um die Macht der Vernunft zu erweitern, kann rein verloren seyn im Fortgange der Zeiten. ...
Aber es ist nicht die Natur, es ist die Freiheit selbst, die die meisten und die fürchterlichsten Unordnungen unter unserem Geschlechte verursacht, des Menschen grausamster Feind ist der Mensch. Noch durchirren gesetzlose Horden von Wilden ungeheure Wüsteneien; sie begegnen sich in der Wüste, und werden einander zur festlichen Speise; oder, wo die Cultur die wilden Haufen endlich unter das Gesetz zu Völkern vereinigte, greifen die Völker einander an mit der Macht, die ihnen die Vereinigung gab und das Gesetz. Den Mühseligkeiten und dem Mangel trotzend, durchziehen die Heere friedlich Wald und Feld; sie erblicken einander, und der Anblick von ihres Gleichen ist des Mordes Losung. Mit dem Höchsten, was der menschliche Verstand ersonnen, ausgerüstet, durchschneiden die Kriegsflotten den Ocean; durch Sturm und Wellen hindurch drängen sich Menschen, um auf der einsamen unwirthbaren Fläche Menschen zu suchen; sie finden sie, und trotzen der Wuth der Elemente, um mit eigener Hand sie zu vertilgen.
Im Innern der Staaten selbst, wo die Menschen zur Gleichheit unter dem Gesetze vereinigt zu seyn scheinen, ist es grossen Theils noch immer Gewalt und List, was unter dem ehrwürdigen Namen des Gesetzes herrscht; hier wird der Krieg um so schändlicher geführt, weil er sich nicht als Krieg ankündigt, und dem Befehdeten sogar den Vorsatz raubt, sich gegen ungerechte Gewalt zu vertheidigen. Kleinere Verbindungen freuen sich laut der Unwissenheit, der Thorheit, des Lasters und des Elendes, in welche die grösseren Haufen ihrer Mitbrüder versunken sind, machen es sich laut zum angelegensten Zwecke, sie darin zu erhalten, und sie tiefer hineinzustürzen, damit sie dieselben ewig zu Sklaven behalten; – und jeden zu verderben, der es wagen sollte, sie zu erleuchten und zu verbessern. Noch kann überall kein Vorsatz irgend einer Verbesserung gefasst werden, der nicht ein Heer der mannigfaltigsten, selbstsüchtigen Zwecke aus ihrer Ruhe [269/] aufrege, und zum Kriege reize; der nicht die verschiedensten und einander widersprechendsten Denkarten zum einmüthigen Kampfe gegen sich verbinde. Das Gute ist immer das schwächere, denn es ist einfach, und kann nur um sein selbst willen geliebt werden; das Böse lockt jeden Einzelnen mit der Versprechung, die für ihn die verführendste ist, und die Verkehrten, unter sich selbst im ewigen Kampfe, schliessen Waffenstillstand, sobald das Gute sich blicken lässt, um diesem mit der vereinigten Kraft ihres Verderbens entgegenzugehen. ...
Ewig fortgehen wird? Nimmermehr; wenn nicht das ganze menschliche Daseyn ein zweckloses und nichts bedeutendes Spiel ist. – Jene wilden Stämme können nicht immer wild bleiben sollen: es kann kein Geschlecht erzeugt seyn mit allen Anlagen zur vollkommenen Menschheit, das da bestimmt wäre, diese Anlagen nie zu entwickeln, und nie mehr zu werden, als das, wozu die Natur eines künstlicheren Thieres völlig hinreichte. Jene Wilden sind bestimmt, die Stammväter kräftiger, gebildeter und würdiger Generationen zu seyn; ausserdem liesse sich kein Zweck ihres Daseyns denken, noch die Möglichkeit dieses Daseyns in einer vernünftig eingerichteten Welt begreifen. Wilde Stämme können cultivirt werden, denn sie sind es schon geworden, und die cultivirtesten Völker der neuen Welt stammen selbst von Wilden ab. Ob nun die Bildung unmittelbar aus der menschlichen Gesellschaft sich natürlich entwickle, oder ob sie immer durch Unterricht und Beispiel von aussen kommen müsse; und die erste Quelle aller menschlichen Cultur in einem übermenschlichen Unterrichte zu suchen sey: – auf demselben Wege, auf welchem die ehemaligen Wilden nunmehr zur Cultur gelangt sind, werden allmählig auch die gegenwärtigen sie erhalten. Sie werden allerdings durch dieselben Gefahren und Verderbnisse der ersten bloss sinnlichen Cultur hindurchgehen, von welchen gegenwärtig die gebildeten Völker gedrückt sind; aber sie werden dadurch denn doch in Vereinigung mit dem grossen Ganzen der Menschheit treten, und fähig werden, an den weiteren Fortschritten desselben Antheil zu nehmen. –
Es ist die Bestimmung unseres Geschlechtes, sich zu einem einigen, in allen seinen Theilen durchgängig mit sich selbst bekannten, und allenthalben auf die gleiche Weise ausgebildeten Körper zu vereinigen. Die Natur, und selbst die Leidenschaften und Laster der Menschen haben von Anfang an gegen [271/] dieses Ziel hingetrieben; es ist schon ein grosser Theil des Weges zu ihm zurückgelegt, und es lässt sich sicher darauf rechnen, dass dasselbe, die Bedingung der weiteren gemeinschaftlichen Fortschritte, zu seiner Zeit erreicht seyn werde. [272]
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Die Bestimmung des Menschen, SW II, S. 265-72
Nota. - 'Ich kann mir ... schlechthin nicht denken...' - nämlich weil ich schlechtin vernünftig denke, und was die Vernunft mir gebietet, weiß zwar nicht ich im Voraus, aber... - na, 'sie selber' weiß es zwar auch nicht, aber da sie eben nicht anders kann als vernünftig sein, steht es virtuell schon heute fest. -
Das ist der rationalistische Zirkel, die rationalistischen Fiktion, von der er sich bei aller transzendentalen Radikalität dann doch nicht freigemacht hatte.
Darüber soll aber nicht vergessen werden, wie salopp er die Pflichten, die die Anghörigen einer Gemeinschaft gegeneinander haben, mit den Pflichten vermengt, die ich gegen mich selber habe; und selbst mit der bloßen Folgerichtigkeit meines Denkens! Er tut, was ihm alle liberalen Gesundbeter seither vorgeworfen haben: Er leitet aus einem allgemeinen Begriff die persönliche Moralität ab, zu der der Einzelne verpflichtet ist - und die Verpflichtung zu dieser einen, bestimmten politischen Gesinnung. Er argumentiert, man kann es nicht anders sagen, totalitär.
Dabei wäre es der Sache nach gar nicht notwendig.
JE
Nur die Vernunft IST.
Jener ewige Wille ist also allerdings Weltschöpfer, so wie er es allein seyn kann, und wie es allein einer Schöpfung bedarf; in der endlichen Vernunft. Diejenigen, welche ihn aus einer ewigen trägen Materie eine Welt bauen lassen, die dann auch nur träge und leblos seyn könnte, wie durch menschliche Hände verfertigte Geräthe – und kein ewiger Fortgang, einer Entwickelung aus sich selbst, oder die es sich anmuthen, das Hervorgehen eines materiellen Etwas aus dem Nichts zu denken, kennen weder die Welt, noch Ihn.
Es ist überall Nichts, wenn nur die Materie Etwas seyn soll, und es bleibt überall und in alle Ewigkeit Nichts.
Nur die Vernunft ist; die unendliche an sich, die endliche in ihr und durch sie.
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Die Bestimmung des Menschen, SW II, S. 304
Nota.
Das ist nun wirklich ein Salto rückwärts. Aus einem praktischen Motiv postuliert er ein theoretisches Sein. Was Kant vorn herum "ein für allemal" aus dem Denken verbannt hatte, eine "konstruierende Metaphysik", führt er hintenrum wieder ein. Vernunft-Wille-Sein wird nachträglich der Wissenschaftslehre als ursprünglich Absolutes zu Grunde gelegt; aus der Transzendentalphilosophie wird ein dogmatischer Spiritualismus - ein umgekehrter Spinozismus, wie Jacobi* ihm auf den Kopf zugesagt hatte. In den späteren Darstellungen der Wissenschaftslehre wird er ihn ausführen.
JE
*) Jacobi an Fichte, Hamburg 1799, S. 4
Klotz am Bein.
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Die Vernunft bestimmt durch sich selbst ihr Handeln, weil sie sich selbst anschauend und endlich ist.
Dieser Satz hat eine doppelte Bedeutung, da das Handeln der Vernunft von zwei Seiten angesehen wird. In der Sittenlehre wird er nur auf das vorzugsweise so genannte Handeln bezogen, das vom Bewusstsein der Freiheit begleitet ist, und daher selbst auf dem gemeinen Gesichtspunkte für ein Handeln anerkannt wird; das Wollenund Wirken. Aber der Satz gilt ebensowohl von dem Handeln, welches man als ein solches nur auf dem transzendentalen Gesichtspunkte findet, dem Handeln in der Vorstellung.
Das Gesetz, welches die Vernunft [sich] selbst für das erstere gibt, das Sittengesetz, wird von ihr selbst nicht notwendig befolgt, weil es sich an die Freiheit richtet; dasjenige, welches sie sich für das letztere gibt, das Denkgesetz, wird notwendig befolgt, weil die Intelligenz in Anwendung desselben, obwohl tätig, doch nicht frei tätig ist.
Das ganze System der Vernunft sonach, sowohl in Ansehung dessen, das da sein soll, und dessen, das zufolge dieses Sollens als seiend schlechthin postuliert wird, nach der ersteren Gesetzgebung; als in Ansehung dessen, das als seiend unmittelbar gefunden wird, nach der zweiten Gesetzgebung, ist durch die Vernunft selbst als notwendig im Voraus bestimmt. Was aber die Vernunft selbst nach ihren eigenen Gesetzen zusammengesetzt /hat, sollte sie ohne Zweifel nach denselben Gesetzen auch wieder auflösen können: oder die Vernunft erkennt notwendig sich selbst vollständig, und es ist eine Analyse ihres gesamtem Verfahrens, oder ein System der Vernunft möglich.
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System der Sittenlehre, SW IV, S. 58f.
Nota.
Das Was des Sittengesetzes sei 'als notwendig im Voraus bestimmt', und dieses als vollbracht vorgestellt, wird 'als seiend schlechthin postuliert'. - Das Sittengestz richtet sich zwar an den Einzelnen - du sollst - und macht sich als Richtspruch des Gewissens vernehmlich; aber das Endresultat aller dieser einzelnen Pflichten zusammengenommen ergäbe nicht nur ein in sich stimmiges Ganzes, sondern 'die Vernunft' soll es sogar rückblickend als das von ihr vorweg Postulierte erkennen können?!
Das ist nur als prästabilierte Harmonie denkbar; nämlich wenn die Vernunft als eine außer- und überindividu- elle, Alles lenkende Substanz vorgestellt wird. Das käme für den Leser, der Fichte als den 'Begründer des Deutschen Idealismus' kannte, nicht überraschend. Wer aber Fichte vielmehr als Transzendentalphilosophen kennen gelernt hatte, wird vergeblich in seinem Werk nach der Stelle suchen, wo er diese Vorstellung von Vernunft 'vor unsern Augen hat entstehen lassen'. Aber nur, weil er diese Vorstellung von einem Vernunftsystemvon vorherein schon hatte, konnte ihm einfallen, ein 'System der Sittenlehre' darunter zu fassen.
So wie Kant das Ding an sich als Caput mortuum der Wolff-Baumgarten'schen Metaphysik mit sich geschleppt hat, hängt dem Kritizisten Fichte allezeit der scholastische intellectus agens am Bein - und sogar am Hals und würgt.
JE
Die Vernunft bestimmt durch sich selbst ihr Handeln, weil sie sich selbst anschauend und endlich ist.
Dieser Satz hat eine doppelte Bedeutung, da das Handeln der Vernunft von zwei Seiten angesehen wird. In der Sittenlehre wird er nur auf das vorzugsweise so genannte Handeln bezogen, das vom Bewusstsein der Freiheit begleitet ist, und daher selbst auf dem gemeinen Gesichtspunkte für ein Handeln anerkannt wird; das Wollenund Wirken. Aber der Satz gilt ebensowohl von dem Handeln, welches man als ein solches nur auf dem transzendentalen Gesichtspunkte findet, dem Handeln in der Vorstellung.
Das Gesetz, welches die Vernunft [sich] selbst für das erstere gibt, das Sittengesetz, wird von ihr selbst nicht notwendig befolgt, weil es sich an die Freiheit richtet; dasjenige, welches sie sich für das letztere gibt, das Denkgesetz, wird notwendig befolgt, weil die Intelligenz in Anwendung desselben, obwohl tätig, doch nicht frei tätig ist.
Das ganze System der Vernunft sonach, sowohl in Ansehung dessen, das da sein soll, und dessen, das zufolge dieses Sollens als seiend schlechthin postuliert wird, nach der ersteren Gesetzgebung; als in Ansehung dessen, das als seiend unmittelbar gefunden wird, nach der zweiten Gesetzgebung, ist durch die Vernunft selbst als notwendig im Voraus bestimmt. Was aber die Vernunft selbst nach ihren eigenen Gesetzen zusammengesetzt /hat, sollte sie ohne Zweifel nach denselben Gesetzen auch wieder auflösen können: oder die Vernunft erkennt notwendig sich selbst vollständig, und es ist eine Analyse ihres gesamtem Verfahrens, oder ein System der Vernunft möglich.
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System der Sittenlehre, SW IV, S. 58f.
Nota.
Das Was des Sittengesetzes sei 'als notwendig im Voraus bestimmt', und dieses als vollbracht vorgestellt, wird 'als seiend schlechthin postuliert'. - Das Sittengestz richtet sich zwar an den Einzelnen - du sollst - und macht sich als Richtspruch des Gewissens vernehmlich; aber das Endresultat aller dieser einzelnen Pflichten zusammengenommen ergäbe nicht nur ein in sich stimmiges Ganzes, sondern 'die Vernunft' soll es sogar rückblickend als das von ihr vorweg Postulierte erkennen können?!
Das ist nur als prästabilierte Harmonie denkbar; nämlich wenn die Vernunft als eine außer- und überindividu- elle, Alles lenkende Substanz vorgestellt wird. Das käme für den Leser, der Fichte als den 'Begründer des Deutschen Idealismus' kannte, nicht überraschend. Wer aber Fichte vielmehr als Transzendentalphilosophen kennen gelernt hatte, wird vergeblich in seinem Werk nach der Stelle suchen, wo er diese Vorstellung von Vernunft 'vor unsern Augen hat entstehen lassen'. Aber nur, weil er diese Vorstellung von einem Vernunftsystemvon vorherein schon hatte, konnte ihm einfallen, ein 'System der Sittenlehre' darunter zu fassen.
So wie Kant das Ding an sich als Caput mortuum der Wolff-Baumgarten'schen Metaphysik mit sich geschleppt hat, hängt dem Kritizisten Fichte allezeit der scholastische intellectus agens am Bein - und sogar am Hals und würgt.
JE
Vom Wege abgekommen.
Ich meine nicht nur wirklich, dass Fichte konsequenterweise die notwendige Idee des Wahren und Absoluten als eine ästhetische Fiktion hätte erkennen sollen. Ich meine sogar, dass er sich bereits auf diesen Weg begeben hatte und dass es der Atheismusstreit war, der ihn stattdessen auf den Abweg der spekulativen Metaphysik verführt hat.
Jacobi hatte Recht, ihn an seine Herkunft aus dem Spinozismus zu erinnern: Der Gedanke an die Vernunft als deus sive natura mag in seinem Hinterkopf ebenso gegeistert haben wie in Kants 'Ding-an-sich' die Leibniz'schen Monaden. Jener hatte lange geschwankt, ob er das Ding an sich mehr als ein Reale oder doch mehr als bloßes Noumenon auffassen sollte, und erst im Opus postumum scheint er sich ganz vom Realismus zu lösen. Bei Fichte dagegen standen praktischer Aktivismus und logischer Aktualismus stets im Vordergrund, aller Gedanke an ein Sein-an-Sich war ihm ein Gräuel. Aber das war vor dem 18. Brumaire.* Das war vor dem Ende der Revolution und vor dem Ende der Jenaer Romantik.
Und vor dem Atheismusstreit.
Im Streit um den Aufsatz Über Geist und Buschstab in der Philosophie, in dem er das Ästhetische als eine Art Vorraum der Vernunft darstellte und den Schiller nicht in seine Zeitschrift Horen aufgenommen hatte, schrieb Fichte, wie weit er den Begriff des Ästhetischen fasse, könne jener sich nicht einmal vorstellen. "Nur der Sinn für das Ästhetische ist es, der in unserem Innern uns den ersten festen Standpunkt gibt", hatte es dort geheißen.*** Noch in der Sittenlehre° schreibt er: "Ästhetischer Sinn ist nicht Tugend: denn das Sittengesetz fordert Selbständigkeit nach Begriffen, der erstere aber kommt ohne alle Begriffe von selbst. Aber er ist Vorbereitung zur Tugend, er bereitet ihr den Boden, und wenn die Moralität eintritt, so findet sie die halbe Arbeit, die Befreiung aus den Banden der Sinnlichkeit, schon vollendet. Ästhetische Bildung hat sonach eine höchst wirksame Beziehung auf die Beförderung des Vernunftzwecks."
Das ist bloß eine empirische, "historische" Beschreibung, keine Transzendentalphilosophie. Aber wir wissen heute,°° dass Fichte immer wieder - bis zum Atheismussteit! - den Plan fasste, seine Gedanken zu einer systematische Ästhetik auszubauen, und wohl nur durch dringendere Geschäfte davon abgehalten wurde.
Bis zum Atheismusstreit, wohlbemerkt. In den Rückerinnerungen taucht dann der bizarre Einfall eines "intellektuellen Gefühls", den er unter Jacobis Einfluss gleich wieder fallen lässt. Doch hätte er den Gedanken ausgearbeitet - ich zweifle nicht daran, dass er jenes 'intellektuelle Gefühl' als ein ästhetisches Urteil hätte identifizieren müssen.
*) am 9. 11. 1799
**) Fichte an Schiller, 27. 7. 1795; in: Fichte, Briefe, Bln. (O) 1986, S. 154
***) Über Geist und Buchstab in der Philosophie, SW VII, S. 291
°) System der Sittenlehre [1798] SW IV, S. 354f.
°°) Giorgia Cecchinato, Fichte und das Problem einer Ästhetik, Würzburg 2009
So producirt die Vernunft sich selbst.
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Durch diese äußerste Hülflosigkeit ist der Mensch an sich selbst und zuvörderst die Gattung an die Gattung gewiesen. Wie der Baum durch das Abwerfen der Frucht seine Gattung erhält, so erhält der Mensch, durch Pflege und Erziehung der Hülflosgeborenen, sich selbst, als Gattung. So producirt die Vernunft sich selbst, und so nur ist der Fortschritt derselben zur Vervollkommnung möglich. So werden die Glieder aneinander gehängt, und jedes künftige erhält den Geisteserwerb aller vorhergegangenen.
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Durch diese äußerste Hülflosigkeit ist der Mensch an sich selbst und zuvörderst die Gattung an die Gattung gewiesen. Wie der Baum durch das Abwerfen der Frucht seine Gattung erhält, so erhält der Mensch, durch Pflege und Erziehung der Hülflosgeborenen, sich selbst, als Gattung. So producirt die Vernunft sich selbst, und so nur ist der Fortschritt derselben zur Vervollkommnung möglich. So werden die Glieder aneinander gehängt, und jedes künftige erhält den Geisteserwerb aller vorhergegangenen.
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Grundlage
des Naturrechts nach Principien der
Wissenschaftslehre [1796] SW.
Bd. III, S. 82
Nota. - 'So produziert die Vernunft sich selbst...' - wie wörtlich hat er das gemeint? Hier geht es darum, wie 'die Gleider aneinander gehängt' werden. Und was ist mit dem ersten Glied, wo kam das her? - Immerhin sind es die Menschen selbst, die hier ein Glied zum andern fügen, und offenbar aus Freiheit und ohne vorgegebenen Plan. Da läge es nahe, auch das 'erste' Stück als frei geschaffen anzunehmen. Alles andere bedürfte einer zusätzlichen Herleitung, die aber an dieser Stelle fehlt. Jacobi war durchaus im Recht, ihn da festzunageln.
JE
Die intelligible Welt ist nur logisch, nicht reell.
Ein Sein bedeutet immer unmittelbar ein Objekt des Denkens, ein Gedachtes. Nun kommt ihm entweder auch eine Existenz, ein Bestehen und Dauern außer dem Denken zu, in der sinnlichen Wahrnehmung: dann ist ein reelles Sein bezeichnet und man kann von dem Gegenstande aussagen: Er ist.
Oder es kommt ihm außer dem Denken kein anderes Sein zu: Dann ist die Bedeutung des Seins eine bloß logische. Man kann nicht sagen: das Objekt ist, sondern nur: es ist dies oder jenes. Das Wort ‚ist’ ist dann nur logische Kopula. [...] Das Sein wird dann lediglich dadurch erzeugt, daß das Mannigfaltige der Prädikate in einer Einheit des logischen Subjekts durch das Denken fixiert wird. .../...
So verhält es sich mit dem Gebrauche des Wortes Welt. In der reellen Bedeutung ist es ein geschloßnes Ganzes von daseienden Objekten, die in Wechselbestimmung ihres Seins stehen; wo jedes ist, wie es ist, weil alle andern sind, was sie sind, und umgekehrt: und wo man bei vollkommner Kenntnis des Weltgesetzes aus der Natur eines jeden die aller übrigen unweigerlich würde erraten können, und auf sie schließen.
Von vernünftigen Wesen gebraucht, bedeutet es gleichfalls einen Einfluß aller auf jeden und [eines jeden] auf alle; dessen Art und Weise aber nicht begreiflich ist und eben deswegen auch nicht erraten werden kann; [...] das aber schlechthin gesetzt wird und nur durch diesen Begriff bezeichnet werden kann: also – eben durch den Versuch des Begreifens entsteht, also nur logisch, nicht reell ist.
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Rückerinnerungen, Antworten, Fragen. [S. 163; 165]
Nota. - In den Rückerinnerungen ist er zu einer dogmatischen Wendung noch nicht bereit. Zwar nimmt er auch hier wieder die Idee auf, der 'Endzweck der Vernunft' müsse als zu einem zukünftigen Zeitpunkt realisiert gedacht werden. Aber noch zieht er daraus keinen theoretischen Schluss, er sucht vielmehr beim "intellktuellen Gefühl" Halt. Erst nach Jacobis Brief macht er in der Bestimmung des Menschen die 'intelligible Welt' zur reellen Grundlage - einem 'Dauernden' - des Glaubens.
JE
Ich muss etwas Dauerndes annehmen.
Ich kann – dies liegt in meinem Denken – von dem einen Prädikate zu dem andern nicht fortgehn, sie nicht zueinander zählen und sammeln, ohne etwas Daurendes, welchem diese Prädikate insgesamt zukommen, voraus zu setzen; es eben gerade durch dieses Denken zu erzeugen: ob ich [es] gleich, eben weil ich es dem Zusammenhange und den Gesetzen des Denkens nach mit Notwendigkeit erzeuge, nicht für mein Produkt ansehe.
Das in der Mannigfaltigkeit und Entgegengesetztheit der Prädikate fortdauernde Denken ist selbst das Fortdauernde und Bestehende. Es sind eigentlich in diesem Akte zwei entgegengesetzte Bestimmungen meines Denkens, die durch den ganzen Akt fortdauern, neben einander liegen, auf einander sich beziehen, nur durch und vermittelst eins des andern möglich sind und nur beide vereint dieses Denken und einen Denkakt überhaupt ausmachen; ...
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Rückerinnerungen, Antworten, Fragen. [S. 170]
Nota. - 'Ich muss', wenn ich von einem Urteil zum nächsten übergehe, einen dauernden Urteilenden annehmen; ein Ich. Und wenn Ich ein Urteil ans andere knüpft und dabei derselbe bleiben soll, muss er annehmen, dass die Gründe für sein Urteilen die einzelnen Urteilsakte überdauern. Das ist eine Annahme, die ich voraussetze, sobald ich ans Urteilen gehe; ob ich mir dessen nun bewusst bin oder nicht.
JE
Der Vernunftdogmatiker.
...der Geist ist einer, und was durch das Wesen der Vernunft gesetzt ist, ist in allen vernünftigen Individuen dasselbe.
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Über Geist und Buchstab in der Philosophie [1794], SW VIII , S. 292
Nota. - Die dogmatische Wendung in der Bestimmung des Menschen ist Fichte nicht von Jacobi eingeflüstert worden. Sie war vorbereitet in seiner von Anbeginn schwankenden Haltung zur Idee der Vernunft: Ist sie etwas erst noch zu Entwerfendes, oder ist sie ein fertiges Programm, das es allenfalls noch 'durchzuführen' gilt? Jacobis Eingreifen hat ihn lediglich genötigt, seinem Schwanken ein Ende zu setzen.
JE
Geschichte a priori.
Die Geschichte dieser allmähligen Cultivirung des Menschengschlechtes als eigentliches Geschichte hat wiederum zwei, innigst verflossene Bestandtheile: einen a apriorischen, und einen a posteriori. Der a priori ist der in der ersten Rede in seinen allgemeinsten Grundzügen aufgestellte Weltplan, hindurchführend die Menschheit durch die damals charakterisirten fünf Epochen. Ohne alle historische Belehrung kann der Denker wissen, dass diese Epochen, die sie charakterisirt sind, einander folgen müssen; wie er denn wirklich auch diejenigen, die bis jetzt noch nicht factisch in die Historie eingetreten sind, im allgemeinen zu charakterisiren verstellt.
Nun tritt diese Entwickelung des Menschengeschlechtes nicht überhaupt ein, wie der Philosoph in einem einzigen Ueberblicke es schildert; sondern sie tritt allmählig, gestört durch ihr fremde Kräfte, zu gewissen Zeiten, an gewissen Orten. unter gewissen besonderen Umständen ein. Alle diese besonderen Umgebungen gehen aus dem Begriffe jenes Weltplanes keinesweges hervor: sie sind das in ihm Unbegriffene, und, da er der einzige Begriff dafür ist das überhaupt Unbegriffene; und hier tritt ein die reine Empirie der Geschichte, ihr a posteriori: die eigentliche Geschichte in ihrer Form.
Der Philosoph, der als Philosoph sich mit der Geschichte befasst, geht jenem a priori fortlaufenden Faden des Weltplanes / nach, der ihm klar ist ohne alle Geschichte; und sein Gebrauch der Geschichte ist keinesweges, um durch sie etwas zu erweisen, da seine Sätze schon früher und unabhängig von aller Geschichte erwiesen sind: sondern dieser sein Gebrauch der Geschichte ist nur erläuternd, und in der Geschichte darlegend im lebendigen Leben, was auch ohne die Geschichte sich versteht.
Er sucht daher den ganzen Strom der Zeit hindurch nur dasjenige auf, und beruft sich darauf, wo die Menschheit wirklich ihrem Zwecke entgegen sich fördert, liegen lassend und verschmähend alles andere; und indem er ja nicht erst historisch zu beweisen gedenkt, dass die Menschheit diesen Weg machen müsse, sondern es schon philosophisch erwiesen hat, und nur zur Erläuterung beifügt, bei welcher Gelegenheit sich dies auch in der Geschichte zeige.
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Die Grundzüge des gegewärtigen Zeitalters, SW VII, S. 139f.
Nota. - "Tant pis pour les faits" soll Hegel auf den Einwurf erwidert haben, dass seine Geschichtsphilosohie nicht mit den historischen Tatsachen übereinstimmte. Wie man sieht, hat er auch das bei Fichte geklaut. Das konnte er nur, weil Fichte in der Bestimmung des Menschen die dogmatische Wendung des "deutschen Idealismus" eingeleitet hatte, über der Hegel eine ganze Kathedrale errichten sollte. Geschichtsphilosophie steht heute in Verruf, und der erstreckt sich leider auch auf jeden rationellen Versuch, der tatsächlich stattgehabten Geschichte der Menschen im Rückblick einen Sinn abzugewinnen.
JE
Weltplan und ewiges Leben
Es ist daher klar, dass der Philosoph, um auch nur ein einziges Zeitalter, und, falls er will, das seinige, richtig zu charakterisiren, die gesammte Zeit und alle ihre möglichen Epochen schlechthin a priori verstanden und innigst durchdrungen haben müsse.
Dieses Verstehen der gesammten Zeit setzt, so wie alles philosophische Verstehen, wiederum einen Einheitsbegriff dieser Zeit voraus, einen Begriff einer vorher bestimmten, obschon allmählig sich entwickelnden Erfüllung dieser Zeit, in welcher jedes folgende Glied bedingt sey durch sein vorhergehendes; oder, um dies kürzer und auf die gewöhnliche Weise auszudrücken: es setzt voraus einen Weltplan, der in seiner Einheit sich klärlich begreifen, und aus welchem die Hauptepochen des menschlichen Erdenlebens sich vollständig ableiten, und in ihrem Ursprunge sowie in ihrem Zusammenhange untereinander sich deutlich einsehen lassen. Der erstere, jener Weltplan, ist der Einheitsbegriff des gesammten menschlichen Erdenlebens; die letzteren, die Hauptepochen dieses Lebens, sind die eben erwähnten Einheitsbegriffe jedes besonderen Zeitalters, aus denen wiederum desselben Phänomene abzuleiten sind. ... /
Erdenleben der Menschheit gilt uns hier für das gesammte Eine Leben, und die irdische Zeit für die gesammte Zeit; dies ist die Grenze, in welche die beabsichtigte Popularität unseres Vortrages uns einschränkt; indem von dem Ueberirdischen und Ewigen sich nicht gründlich reden lässt, und zugleich populär. Hier, sage ich, in diesen Vorträgen, gilt sie uns dafür; denn an sich und für den höheren Aufschwung der Speculation ist das menschliche Erdenleben und die irdische Zeit selbst nur eine nothwendige Epoche der Einen Zeit und des Einen ewigen Lebens; und dieses Erdenleben, sammt seinen Nebengliedern, lässt sich aus dem schon hienieden vollkommen möglichen Einheitsbegriffe des ewigen Lebens ableiten. ...
Der Begriff eines Weltplans also wird unserer Untersuchung vorausgesetzt, den ich, aus dem angegebenen Grunde, hier keinesweges abzuleiten, sondern nur anzuzeigen habe. Ich sage daher, – und lege damit den Grundstein des aufzuführenden Gebäudes – ich sage: der Zweck des Erdenlebens der Menschheit ist der, dass sie in demselben alle ihre Verhältnisse mit Freiheit nach der Vernunft einrichte.
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Die Grundzüge des gegewärtigen Zeitalters, SW VII, S. 6, 7
Nota. - Wenn die Vernunft als ein festgeschriebenes Programm mit eigener Energie aufgefasst wird, kann es nicht ausbleiben, dass sie in der irdischen Geschichte der Menschen ihre endliche Gestalt annimmt. Dann sind es wohl die Menschen selber, die ihre Geschichte machen, aber, ohne ihr Wissen und womöglich gegen ihre Absicht, am Leitfaden eines unvordenklichen Plans. Mit der dogmatischen Auffassung der Vernunft sind dem Dogmatismus auf allen Gebieten Tür und Tor neu geöffnet, die ihm die Kritische Philosophie so sorgsam verschlossen hatte.
JE
Auf Biegen und Brechen: die Mythe vom Normalvolk.
Ferner, zu den inneren Bestimmungen der Menschheit gehört es, dass sie in diesem ihrem ersten Erdenleben mit Freiheit zum Ausdrucke der Vernunft sich erbaue. Aber zuvörderst: aus nichts wird nichts, und die Vernunftlosigkeit kann nie zur Vernunft kommen; wenigstens in Einem Puncte seines Daseyns daher muss das Menschengeschlecht in seiner allerältesten Gestalt rein vernünftig gewesen seyn, ohne alle Anstrengung oder Freiheit. Wenigstens in Einem Puncte seines Daseyns, sage ich; denn der eigentliche Zweck seines Daseyns ist doch nicht das Vernünftigseyn, sondern das Vernünftigwerden durch Freiheit, und das erstere ist nur das Mittel und die unerlassliche Bedingung des letzteren; wir sind daher zu keinem weitergehenden Schlusse berechtigt, als zu dem, dass der Zustand der absoluten Vernünftigkeit nur irgendwo vorhanden gewesen seyn müsse.
Wir werden von diesem Schlusse ausgetrieben zur Annahme eines ursprünglichen Normalvolkes, das durch sein blosses Daseyn, ohne alle Wissenschaft oder Kunst, sich im Zustande der vollkommenen Vernunftcultur befunden habe. Nichts aber verhindert zugleich anzunehmen, dass zu derselben Zeit über die ganze Erde zerstreut scheue und rohe erdgeborene Wilde, ohne alle Bildung, ausser der dürftigen, für die Möglichkeit der Erhaltung ihrer sinnlichen Existenz, gelebt haben; denn der Zweck des menschlichen Daseyns ist nur: das sich Bilden zur Vernunft, und dieses kann an diesen erdgeborenen Wilden gar füglich von jenem Normalvolke aus vollbracht werden.
Diesem zufolge wolle keine Geschichte weder die Entstehung der Cultur überhaupt, noch die Bevölkerung der verschiedenen Erdstriche erklären! – An den mühsamen Hypothesen, welche besonders über den letzteren Punct in allen Reisebeschreibungen aufgehäuft sind, ist unseres Erachtens Mühe und / Arbeit verloren. Vor nichts aber hüte – sowohl die Geschichte, als eine gewisse Halbphilosophie – sich mehr, als vor der völlig unvernünftigen und allemal vergeblichen Mühe, die Unvernunft durch allmählige Verringerung ihres Grades zur Vernunft hinaufzusteigern; und, wenn man ihnen nur die hinlängliche Reihe von Jahrtausenden giebt, von einem Orang-Outang zuletzt einen Leibnitz oder Kant abstammen zu lassen!
Die Geschichtserzählung hängt sich nur an das Neue, worüber sich einmal einer gewundert; an das gegen vorhergehendes und nachfolgendes, Abstechende. Darum gab es im Normalvolke, und es giebt von ihm keine Geschichtserzählung. Unter der Leitung ihres Instinctes floss ihnen ein Tag ab wie der andere, und Ein individuelles Leben wie jedes andere. Alles wuchs von selber in Ordnung und Sitte hinein; und es konnte da nicht einmal eine Wissenschaft geben oder eine Kunst, – ausser der Religion, die allein ihre Tage verschönte und dem Einförmigen eine Beziehung gab auf das Ewige. Ebensowenig konnte es eine Geschichtserzählung gellen unter den erdgeborenen Wilden; denn auch ihnen verfloss ein Tag wie der andere; nur dadurch unterschieden, dass sie an diesem Nahrung in Fülle fanden, an dem anderen leer ausgingen, niederfallend am ersten vor Uebersättigung, wie am zweiten vor Entkräftung, um wiederum zum Kreislaufe, der zu nichts führte, zu erwachen.
Blieben die Sachen in dieser Verfassung, und die absolute, sich selbst nicht für Cultur, sondern für Natur haltende Cultur, sowie die absolute Uncultur voneinander geschieden: so konnte es theils zu keiner Geschichte kommen. theils, was mehr ist, wurde der Zweck des Daseyns des Menschengeschlechtes nicht erreicht. Das Normalvolk musste daher durch irgend ein Ereigniss aus seinem Wohnplatze vertrieben und derselbe ihm verschlossen werden; und es musste zerstreut werden über die Sitze der Uncultur. Nun erst konnte beginnen der Process der freien Entwickelung des Menschengeschlechtes und die, das Unerwartete und neue aufzeichnende Geschichte, die jenen Process begleitet: denn erst jetzt wurden die zerstreuten Abkömmlinge des Normalvolkes bewundernd inne, dass nicht alles so seyn müsse, wie bei ihnen, sondern dass es ganz anders seyn könne, / weil es eben anders sich fand; und die Erdgeborenen, nachdem sie zur Besonnenheit gekommen waren, bekamen noch viel mehr Wunderbares zum Aufzeichnen. Erst in diesem Conflicte der Cultur und der Rohheit entwickelten sich – ausser der Religion, die so alt ist als die Welt, und von dem Daseyn der Welt unabtrennlich, – die Keime aller Ideen und aller Wissenschaften, als der Kräfte und Mittel um die Rohheit zu Cultur zu führen.
Alles soeben aufgezählte wird durch blosse Existenz einer Geschichte vorausgesetzt; weit entfernt, dass diese über ihre eigene Geburtsstunde sich noch eine Stimme anmaassen dürfte. Schlüsse aus dem factischen Zustande, bei welchem sie anhebt, auf den vorhergegangenen; besonders Schlüsse aus den factisch sich vorfindenden, und insofern selbst zu einem Factum werdenden Mythen, werden, besonders wenn sie der Logik gemäss sind, mit allem Danke aufgenommen werden: nur wisse man, dass es Schlüsse sind keinesweges aber Geschichte, und scheuche uns, falls wir etwa die Schlussform näher untersuchen, nicht abermals mit dem Schreckworte: Factum, zurück. Dies sey die erste beiläufige Bemerkung hierbei, und die zweite folgende: Jedem, der eine Uebersicht hat über das Ganze der Geschichte, – welche überhaupt seltener ist, als die Kenntniss einzelner Curiosen, – und der besonders das Allgemeine und immer sich Gleichbleibende in ihr erfasst hat, dürfte hier ein Licht aufgehen über die wichtigsten Probleme in der Geschichte, z.B.: wie die an Farbe und Körperbau so verschiedenen Racen des Menschengeschlechtes möglich seyen; warum zu aller Zeit, bis auf den heutigen Tag, die Cultur immer nur durch fremde Ankömmlinge verbreitet worden, welche mehr oder minder wilde Urbewohner der Länder vorfinden; woher die Ungleichheit unter den Menschen entstanden, welche wir allenthalben, wo irgend eine Geschichte beginnt, antreffen u. dergl. mehr.
Alles aufgestellte, sage ich, musste seyn, wenn ein Menschengeschlecht seyn sollte; das letztere aber musste schlechthin seyn, mithin musste auch jenes seyn: – so weit reicht die Philosophie. /
Das Daseyn dieser Mythe vor aller anderen Geschichte vorher ist das erste Factum der Geschichte und ihr eigentlicher Anfang, der ebendarum sich nicht selber aus einem früheren Factum erklären kann: der Inhalt derselben ist nicht Geschichte, sondern Philosophem; welches keinen weiter bindet, als inwiefern es durch sein eigenes Philosophiren bestätigt wird.
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Die Grundzüge des gegewärtigen Zeitalters, SW VII, S. 133ff.; 138
Nota. - Ist der Damm einmal gebrochen, ist erst das Konstruieren aus dogmatischen Prämissen wieder erlaubt, dann gibt es für die Spekulation kein Maß, und sie kann ungeniert Blasen schlagen. Ja, wenn die Vernunft eine aus- gemachte Sache sein soll und kein problematisches Projekt, dann lässt sich die Frage, wo sie herkam, nicht umgehen, denn "aus nichts wird nichts". Und wenn die Mythe - so nennt er sie selbst - vom "Normalvolk" auch noch so aus den Fingern gesogen scheint: Es "muss" so gewesen sein! Wenn die Vernunft nicht geworden ist, muss sie fix und fertig dagewesen sein, und zwar irgendwo und irgendwann.
Dass damit das Mysterium noch lange nicht enthüllt wäre, muss "den Philosophen" nicht beirren. Er hat seine Arbeit getan und bewiesen, was zu beweisen war. Die Vernunft ist (d. h. war), doch die Menschen sollen vernünftig erst werden. Und nicht etwa: Vernunft wird sein, indem die Menschen sich der Vernünftigkeit befleißigen - letzteres wäre der Standpunkt eines nicht-dogmatischen, eines Kritischen und Transzendentalphilosophen.
JE
Echter durchgeführter Kritizismus.
Was mein System eigentlich sey, und unter welche Klasse man es bringen könne, ob ächter durchge- führter Kriticismus, wie ich glaube, oder wie man es sonst nennen wolle...
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Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, SW Bd. I, S. 89
Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, SW Bd. I, S. 89
…das Prinzip der reflektierenden Urteilskraft kann also kein andres sein, als dieses: das Mannigfaltige der empirischen Wahrnehmung so zu beurteilen, als ob es unter gewissen Sätzen der Einheit stehe, die ihm ein anderer Verstand in der Absicht gegeben habe, um eine zusammenhängende Erfahrung aus denselben für unsmöglich zu machen. ...
Nun aber wird durch dieses Prinzip der Urteilskraft ein solcher Verstand so wenig vorausgesetzt, dass es vielmehr vor’s erste sehr denkbar ist, ein solches Verhältnis unter den Mannigfaltigen der empirischen Wahrnehmung sei gar nicht anzutreffen, und dass wenn etwas dergleichen angetroffen wird, es uns sehr zufällig scheint: die Urteilskraft setzt dadurch gar nichts über ein Objekt außer sich fest, sondern sie gibt durch dieses Prinzip nur sich selbst ein subjektives Gesetz von hypothetischer Gültigkeit; wie sie verfahren müsse, wenn sie dieses Mannigfaltige in eine systematische Erfahrung ordnen wolle, und wie dieses Mannigfaltige sich müsse betrachten lassen, wenn uns eine Erkenntnis desselben möglich sein solle. Sie setzt also keinen Zweck der Natur voraus, sondern sie macht es sich nur zur Bedingung der Möglichkeit einer zu erwerbenden Erfahrung, dass die Objekte der in der Natur sich als übereinstimmend mit derjenigen Beschaffenheit der Dinge müssen betrachten lassen, welche nur nach Zwecken möglich ist.
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Versuch eines erklärenden Auszugs [aus der 'Kritik der Urteilskraft'] GA II/1, S. 333; Rechtschreibung angepasst
JE
Anhang
Zu "Jacobi an Fichte", SW XI, S. 390-395
Bei der projektierten philosophischen Zeitschrift wäre am Besten mit der Beantwortung des Jacobischen Schreibens von 1799 anzufangen.
Mit Jacobi kann durchaus nur der jetzt in Untersuchung befindliche Punkt über den eigentlichen Beginn des Ich mich in's Reine bringen, und ich müsste diesen mit höchster Deutlichkeit erst gefasst haben.
Erläutert wird dies durch die Freiheit. Die absolute Freiheit ist das absolute Erscheinen. Die Freiheit der Freiheit ist in allen Dingen nur ein Hingeben an das sie ergreifende Reale der absoluten Erscheinung. - Was ist nun das sich Hingebende? Es ist gar nichts Wahres, sondern es liegt lediglich in der Anschauung, und ist nichts an sich. Kannst du dies deutlich machen, so ist hier und dort Alles gewonnen. Auch ist der Gedanke in dieser Weise neu.
Jacobi's Missverständnis besteht darin: 1) dass er ein wirkliches, substantielles Ich voraussetzt, in das er die Ab- solutheit nicht gelegt wissen will, und meint, ich lege sie darein. 2) Dass er meint, durch die Philosophie solle ein neues Leben erlebt werden, oder dass sie meinen , das Reale a priori herleiten zu können u. dgl., und da er dies nicht in ihr findet, sie des Nihi/lismus bezüchtigt. Darüber habe ich mich in dem sonnenklaren Bericht deutlich genug ausgesprochen.
Wie fasse ich nun das Erste, um die Erscheinung nicht in die Zeit zu bringen, und den Begriff der Freiheit recht scharf zu fassen. - So wäre es gefasst: die Anschauungsform selber setzt das Ich mit seiner ganzen Freiheit hin. In ihr schwimmt es mit allen seinen Prädikaten, mit seinem Sichhingeben, seine Besinnung u.s.w.
Dies noch deutlicher: Das Ich ist niemals Grund der Anschauung, wie es scheint, sondern es erscheint nur so in der sich brechenden Einen Anschauung. In dieser Einen ist keine Zeit und kein Wandel; nur in der mit dem Ich wechselwirkenden ist derselbe nach ableitbaren Anschauungsgesetzen. - Gut.
Ich würde eben gut tun, Jacobi's Sätze einzeln durchzugehen, z. B. was er von der Freiheit sagt: Wer sie leugne, komme auf eine unbestimmte Aktuosität und Agilität an sich. Das hängt zusammen mit der Frage, die ich eben tun wollte, dass, wenn die Anschauung sich bricht, individualisiert, sie doch in die Zeitform selbst zu fallen scheint. - Da muss ich meinen Standpunkt wahrhaft über die Zeit nehmen; - wie gewinne ich den? Zeit, Ich, und die ganze mit ihm [sic] eintretende Synthesis liegt im Verstande, in dem Durch, das nun absolut unendlich ist; und in den Verstand, d. h. seine absolute Form, tritt das Reale, das göttliche Leben ein. In dieser höchsten Ursysnthesis ist die Einheit zugleich die Totalität und Unendlichkeit. Fasse ich jene Einheit, fasse ich zugleich das Prinzip der Faktizität, so ist jene Frage gelöst. - Das Durch scheint eben unwiederbringlich auf die Unendlichkeit zu führen: die Einheit aber muss über dem Durch liegen.
1) Anschauung daher (als Form) und innerer Gehalt des Lebens wären durchaus verschmolzen, und so wäre auch hier Einheit. - 2) Der Verstand ist wiederum dieselbe Einheit mit eine Unendlichkeit, nur in einer ganz anderen Form. Es ist ein Leben, das die Anschauung, als absolutes Prinzip, aus sich selbst herausgebiert. - Ich muss aber die Form desselben unabhängig von / der Unendlichkeit darstellen. Gut: da ist es Prinzip des Lebens, wenn ich dies zu seiner Zeit angemerkt habe, zum Unterschiede vom wirklichen Leben, das nicht Prinzip des Lebens, sondern unmittelbar selber Leben ist. Aus dieser faktisch unauflöslichen Synthesis von Gehalt und Form besteht nun die Erscheinung, die Wirklichkeit.
Nota.
Das
sind Schreibtischnotizen, entsprechend zurückhaltend muss man sie
interpretieren. Eins springt ins Auge: Die Sprache ist eine andere
geworden. Aber das Denken auch. Es werden nicht Bedingungen der Möglich-
keit aufgesucht, nicht aus Vorstellungen neue Vorstellungen
hervorgebracht, sondern es wird frei spekuliert. 'Die absolute Freiheit ist das absolute Erscheinen.'
Transzendentalphilosophisch ist daran immerhin noch, dass hinter die Erscheinung nichts hinzugedacht werden soll. Was aber ist eine absolute Erscheinung im Unterschied zu einer bedingten Erscheinung? Dabei kann ich mir nur eins denken: eine Erscheinung vor Raum und Zeit; und so sagt er's ja: 'das Erste'. - Vorstellen kann ich mir darunter aber nichts mehr. Denken kann ich mir ein reales Absolutes, eine 'Erscheinung vor der Erscheinung'.
Dogmatische Spekulation, nichts Kritisches, nichts Transzendentales: Er lässt sich in Jacobis Denkweise verwik- keln, ohne es zu merken; jedenfalls ohne es anzuzeigen. Also führt er die "Eine" Anschauung ein, von der es aber heißt, dass sie sich 'bricht': wohl so, dass eine 'erscheinende' Anschauung in der Zeit dabei abfällt, nämlich indem sie 'mit dem Ich wechselwirkt'. Absolute Anschauung kann dann nur eine sein, die ohne Anschauenden aus- kommt; die selber Subjekt ist.
Kurz gesagt, an die Stelle des kritischen Blicks des Transzendentalphilosophen tritt das mystische Raunen der Druiden. La Belle Dame sans Merci hath thee in thrall.
Transzendentalphilosophisch ist daran immerhin noch, dass hinter die Erscheinung nichts hinzugedacht werden soll. Was aber ist eine absolute Erscheinung im Unterschied zu einer bedingten Erscheinung? Dabei kann ich mir nur eins denken: eine Erscheinung vor Raum und Zeit; und so sagt er's ja: 'das Erste'. - Vorstellen kann ich mir darunter aber nichts mehr. Denken kann ich mir ein reales Absolutes, eine 'Erscheinung vor der Erscheinung'.
Dogmatische Spekulation, nichts Kritisches, nichts Transzendentales: Er lässt sich in Jacobis Denkweise verwik- keln, ohne es zu merken; jedenfalls ohne es anzuzeigen. Also führt er die "Eine" Anschauung ein, von der es aber heißt, dass sie sich 'bricht': wohl so, dass eine 'erscheinende' Anschauung in der Zeit dabei abfällt, nämlich indem sie 'mit dem Ich wechselwirkt'. Absolute Anschauung kann dann nur eine sein, die ohne Anschauenden aus- kommt; die selber Subjekt ist.
Kurz gesagt, an die Stelle des kritischen Blicks des Transzendentalphilosophen tritt das mystische Raunen der Druiden. La Belle Dame sans Merci hath thee in thrall.
F. Hodler
Zur Erinnerung an bestimmte Stellen,* auf welche Rücksicht genommen werden muss.
1) Mit dem Sparren zu viel oder zu wenig. So wären wir beide Sünder. Ist es denn nun Keinem möglich, das gehörige Fachwerk im Dache zu haben? Ist das Bewusstsein zum Schwanken, zum Widerstreite zwischen Wissen unbd Glauben unwiderruflich verurteilt?
2) In der Vorrede. Der Streitpunkt ist über den Dualismus des Absoluten. Da wollen sie nun ihre Selbstständig- keit, aus reinen Enthusiasmus für die Sünde und für das Übel, als Manichäer behaupten. Nun wird ihnen ja die Selbstständigkeit Gottes nicht abgeläugnet. Nur wollen sie dieselbe erst durch Aussonderung von sich, aus der zweiten Hand, haben; wenn er nicht außer ihnen ist, sie also zugleich als wahre Selbste außer ihm, so ist er nicht. - Er ist ihnen also das zweite Selbstständige, durch den Gegensatz entstanden, um ihretwillen da, mittelbar zu erfassen: Sie selbst sind aber das Unmittelbare, ihrer Existenz und Realität gar kein Streit ist. - Sich fühlen sie, Gott nicht; in sich leben sie, nicht in ihm.
Dieser Sinn ist nun wirklich so alt, als die Welt; ist aber darum doch nur ein unheiliger und ungöttlicher Sinn.
Moralische Weltordnung - oder wenn man sich an das Wort, als ordo ondonans, absolute, eoque ipso creans, nicht gewöh- nen kann, - moralisches Prinzip, moralisch schaffende Macht: - allerdings ist (existiert) Gott an sich selbst nur als solche, und es ist uns durchaus kein anderes Mittel gegeben, ihn im Begriffe, so dass dieser nicht leer sei, zu erfassen oder wirklich in ihm, mit ihm vereinigt, zu leben, außer in diesem Elemente. Darum ein Ordnendes, und ein zu Ordnendes, Sphären dieser Ordnung bis herab auf die Sinnenwelt. Allein in / jener aber ist er zu erfassen. Er existiert nicht als Natur, oder aber als ein System von Ichen; denn diese insgesamt existieren nicht eigentlich, nicht in jener Ordnung und zufolge derselben, sondern nur in der Erscheinung derselben und zufolge ihrer ewigen Erscheinbarkeit. Dabei wird es nun bleiben, was auch Jene, die ihre sich angelogenen selbstständi- ge Existenz ehrenhalber auch mit Gott teilen und ihn damit beschenken wollen, für Gesichter dazhu machen!
3) Unwürdige Demut und Kriechen. - Was sind doch in jenen Streitigkeitnen und Verhandluingen für Dinge gesagt worden; wie hat Jeder, der nur eine Feder schneiden konnte, und seinen Katechismus auswendig wusste, geglaubt, hierbei könne er auch mitsprechen, nichts sei ja leichter! Welcher Unverstand! - Jene Demut, Falsch- heit gegen sich selbst. Es ist dies gar keine Gesinnung eines kräftigen Menschen. Keiner kann auch jemals überzeugt sein, dass es im Geiste helfen wird, sondern er hofft immer nur in's Leere hin, und speist sich mit dieser leeren Hoffnung ab. Er hat sich also selbst weggeworfen und aufgegeben. - Endlich noch das Postulat: dass Alle eben solche Tröpfe sein sollen, wie sie.
4) Durch Hochmut selig werden, er durch Demut. - Ich hoffe, wir werden es beide werden ohne eins von beiden. Wie sollte überhaupt denn der Mensch vernünftiger Weise zu einem von beiden kommen? - Sich zum Gegenstande seines Nachdenkens macht, wohl gar dem andern gegenüber sich bespiegelnd, - was an sich schon ein Zeichen von Kränklichkeit und Schwäche ist, - wie ich denke, der ernsthafte Mann nie, als wenn er sich als Werkzeug ansieht für ein gewisses Unternehmen, Wagstück. Verrechnet er sich, indem er seine Kräfte überschätzt, so ist dies noch etwas Schlimmeres als Hochmut; es ist Vermessenheit. Schlägt er sie nicht ganz an, und unterlässt, zu dessen Ausführung er berufen, so ist das gar nicht lobenswürdige Demut, sondern sehr tadelnswürdige Feigheit und Faulheit; denn der Mensch soll schlechthin, was er kann. Freilich wird in solchen Selbstprüfungen das ver- gangene Leben, und wie wir uns darin haben kennen lernen, seine Hauptprämisse sein; / und da wir eben zu Allem uns tüchtig zu machen streben sollen, falls wir uns nicht so finden, so wird daraus die Anstrengung ent- stehen, uns selbst besser dafür auszubilden, aber nicht damit nun ein müßig lobpreisendes Selbstbehagen, oder, wenn es nicht gelingt, eine jämmerliche Zerknirschtheit über unsere Sündhaftigkeit unser künftiges Leben ver- zehre, sondern damit wir immer kühner zum vorliegenden Werke schreiten, oder, wenn uns das Große versagt ist, im Kleinen treu erfunden werden, immer aber unsere Individualität in der Sache verlieren. So, sage ich, beim Handeln. An eine unablässige Selbstprüfung unseres Wesens in's Allgemeine hinein, und an Vorberei- tungen zu einer Generalbeichte zu gehen, müßiger Weise, als ob die Welt nicht voll wäre anderer Aufgaben und Taten, ist sehr unweise. Lasse man seine schwache Seite nur durch das Leben kräftig berühren und aufdecken: in der verborgenen Winkeln desselbe aber, die etwa doch nicht berührt werden, mit seinen Gedanken herum- wühlen, ist teils eine Sünde, weil es Müßiggang ist; teils trägt man dann aus übergroßer Demut allerlei Unreinig- keiten, die man allerdings in sich finden mag, wenn man sie sucht, mit ausdrücklichem Bewusstsein in sich hin- ein, und besudelt sich so wirklich durch dieses sich schlechter machende Andichten. Lasset uns selig sein in der einfachen Treue gegen das Göttliche in uns, demselben folgen, wie es uns zieht, und weder durch eigene Werk- heiligkeit, noch durch Selstzerknirschung und allerlei Ankünsteln, das nicht aus Ihm ist.
*) in Jacobi an Fichte
Nota.
Im Jahr 1806 plante Fichte die Herausgabe einer neuen philosophischen
Zeitschrift. Dabei ist der obige Text wohl entstanden. Nachdem zunächst
noch auf das Jacobi'sche Schreiben von 1799 eingegangen wird, kommen
philosophische Fragen zur Sprache, aber in völlig unkritischer,
ungeniert dogmatisch-spekulativer Weise. Doch auch davon kommt F.
sogleich wieder ab. Er stürzt sich in eine fromme Erbauungspredigt, die,
wenn überhaupt, ein theoretisches Interesse nur unter Theologen
erheischen kann. Es ist eine begeisterte Ge- fühlsreligion à la
Schleiermacher und zugleich ein moralischer Aktivismus à la Fichte. Nur
von Philosophie handelt sie nicht. Sie werden nun verstehen, weshalb ich
Fichtes Philosophie nach 1800 ganz unberücksichtigt lasse.
JE
Nota. - Die obigen Fotos gehören mir nicht. Wenn nicht anders angezeigt, habe ich sie im Internet gefunden. Sollten Sie einer der Eigentümer sein und deren Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Mitteilung auf diesem Blog. JE
JE
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