Montag, 21. Dezember 2015

Man muss sich die Wissenschaftslehre als einen Algorithmus vorstellen.


winfuture

Die Wissenschaftslehre ist, wie der Algorithmus, ein Handlungsschema: eine Reihe von Schritten, die die Vor-stellung gegangen ist – idealiter gegangen sein muss –, um zum realen System unseres Wissens zu gelangen; vom gesunden Menschenverstand bis hin zum aktuellen Stand der most sophisticated Wissenschaft.

Es kann keine historische Nacherzählung sein. Denn nicht um das 'Lernen' eines Individuums geht es. Dieses hat selber seine faktischen Voraussetzungen, und auch die müssen erklärt werden. Die Leistungen des transzen-dentalen Subjekts haben ihre Basis in der Naturgeschichte der Menschengattung, sagt Habermas.* Ihre Basis, ja, aber die Leistungen selbst muss jedes Individuum jedesmal wieder selbst erbringen. 


Angenommen, Raum und Zeit und die zwölf Kategorien seien genetisch in angeborenen Verschaltungen zwi-schen Hirnregionen angelegt. Wenn die Anlagen nicht realisiert werden, gibt es keine Leistung, und sie verküm-mern. Aber wenn manche Anlagen genetisch beschädigt sind, können im System des Gehirns andere Verschal-tungen deren Rolle mit übernehmen; oder auch nicht: das ist immer eine Sache der Individualgeschichte. Man kann die wirklichen Abläufe nicht historisch darstellen, weil im System die Zeit untergegangen ist, die individuelle und die der Gattung. Im System kann man sie nur zeitlos, ideal, 'logisch' darstellen. Das System ist 'auf einmal und mit einem Schlag' da.

Seine Rekonstruktion kann nicht historisch geschehen, sondern nur genetisch. Auch nicht logisch im Sinne von diskursiv: Da müsste auch ein Schritt auf den anderen folgen, und die Schritte sind im diskursiven Verfahren als Begriffe vorgegeben – deren Entstehen soll aber erst erklärt werden. Auf Begriffe muss also noch verzichtet werden, man muss dem Vorstellen selbst zuschauen. Aber eben nicht im (historischen) Individuum, sondern im zeitlosen Modell.

Wann und wo sollte es in der Geschichte passiert sein, dass 'das Ich sich selbst setzt, indem es sich ein(em) Nichtich entgegensetzt'? In der Geschichte nie, aber heute jederzeit immer und immer wieder. Es ist ein Erklä-rungsgrund und kein reell (nach Raum und Zeit) identifizierbares Ereignis. Wenn es aber nicht als wirklich statt-gefunden vorausgesetzt wird, lässt sich das Wissen (Vorstellung, Bewusstsein, Denken, Begriff...) nicht erklären.

Alles, was historisch (empirisch) geschehen ist, muss im zeitlosen System irgendwo wieder vorkommen, wenig-stens als Funktion – freilich nicht am selben Ort** und nicht unterm selben Namen. Und umgekehrt: Phantasie-gebilde, denen in Raum und Zeit gar nichts entspricht, sind in der Transzendentalphilosophie nicht am Platz.

*) in Technik und Wissenschaft als 'Ideologie', Frankfurt/M. 1969, S. 161


**) Orte gibt es im System so wenig wie die Zeit. Sie erscheinen erst in der diskursiven Darstellung, die die Vorstellungen – als Begriffe – nach einander ordnet, weil sie sie durch einander nicht veranschaulichen kann.




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