Freitag, 20. Januar 2017

Reflektiert werden kann nicht aufs Ganze, sondern immer nur auf einen Teil.



B. Wenn wir zu unserer Hauptaufgabe zurückkehren, so werden wir sehen, dass noch nichts gewonnen ist. Unser Leib ist die ursprüngliche Darstellung unseres ganzen ursprünglichen Wollens, aber es kann nur teilweise darauf reflektiert werden. Wie ist das möglich? Durch meinen reinen Willen //161//ist mein Sein auf eins gege- ben, aber ich kann nur teilweise darauf reflektieren. Wenn ich auf meinen ganzen Willen auf einmal reflektieren könnte, so würde die Reflexion auf meinen ganzen Leib damit verknüpft; aber ich kann das erste nicht, sonach kann ich auch das zweite nicht.

Die Schwierigkeit, mit der wir hier zu kämpfen haben, ist die: Ich bin im Reflektieren frei; aber mein Reflektie- ren ist ein Herausgreifen aus der Masse, sonach ein Begrenzen. Aber ein Begrenzen mit Bewusstsein ist nicht möglich, ohne dass ich etwas über die Grenze hinausliegendes Angenommenes kenne; dies ist aber nicht mög- lich, mithin auch die Reflexion nicht. Die Schwierigkeit ließe sich nur so heben: Die Begrenztheit müsste sein, ohne dass ich sie durch Reflexion hervorbrächte, sie müsste ein ursprünglich Gefundenes sein, ein ursprüngli- ches Gefühl.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 160f.



Nota. -  "...so werden wir sehen, dass noch nichts gewonnen ist": Das hören wir immer wiedermal in seinem Vortrag. Es bedeutet nur, dass das Entwerfen des Gesamtmodells des vernünftigen Bewusstseins nicht Stück für Stück, durch schrittweises Aufhäufen positiv bestimmter Bausteine geschieht, sondern dass spekulativ die Bedingungen aufgesucht werden, unter denen ein Gesamtmodell möglich würde; und eine jede gilt nicht für sich, sondern nur unter der Prämisse, dass das Gesamtmodell wirklich zustande kommt; also hypothetisch, bedingt, "problematisch". Sollte am Ende das Gesamtmodell doch nicht gelingen, war alles vergeblich und entfällt. Das heißt: Gültig wird es erst zum Schluss, aber dann 'ganz und auf einmal'. Nicht die Einzelnen begründen das Ganze, sondern das Ganze rechtfertigt die Einzelnen; damit sie es begründen können.

Nota II. - Ob etwas aber ein Ganzes ist (d. h. sein soll) oder nur ein Teil, ist Sache der Reflexion - nämlich ihrer ersten und einfachsten Form, der Anschauung.
JE






Nota - Das obige Bild gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und ihre Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Ihre Nachricht auf diesem Blog. JE.

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