Montag, 28. Juli 2014

Auf Grund gestoßen.


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Sie haben es bemerkt, mit den letzten drei Einträgen des vergangenen Jahres (und einstweilen meines Fichte-Breviers) sind wir auf Grund gestoßen. Was verbürgt uns, dass "es" Wahrheit wirklich "gibt", dass nicht Alles auf Sand gebaut und beliebig ist? Dass es also 'einen Sinn hat', nach dem Rechten zu suchen? Tiefer kann man nicht bohren, und an dieser Stelle muss sich erweisen, ob nicht Fichte selbst auf Sand gebaut und sich alles nur aus den Fingern gesaugt hat.

Die intellektuelle Anschauung, die am Anfang der Wissenschaftslehre steht, war als Begriff gewagt genug und hatte ihm den unvermeidlichen Tadel der rechtgläubigen Kantianer eingetragen. Und nun kommt als nachträgliches Fundament gar noch ein "intellektuelles Gefühl" dazu!

Das ist eine geeignete Gelegenheit, noch einmal auf das streng phänomenologische Verfahren der Wissen- schaftslehre hinzuweisen. Die Wissenschaftslehre gibt durchaus nicht vor, etwas zu konstruieren, was es zuvor nicht gab. Sie stellt lediglich das dar, was in unserm Denken, in unseren Wissensakten tatsächlich passiert, und versucht, es in eine verständliche Ordnung, in ein Schema zu bringen. Es ist nicht ihr Ehrgeiz, zu erweisen, dass 'es Warheit gibt', noch nachzuweisen, wodurch. Sie begnügt sich aufzuweisen, dass wir in allen Formen unseres Wissens diese Prämisse tatsächlich zugrunde legen, auch wenn es der eine oder andere durchaus nicht wahrhaben will. Auch Paul Feyerabend hat, wenn er etwa mit seinem Nachbarn frei über Gott und die Welt plauderte und nicht gerade am Schreibtisch saß und hochinteressante Gedanken zu Papier brachte, zwischen wahr und unwahr unterschieden; so wie auch der idealistische Philosoph an die Wirklichkeit der Welt glaubt, sobald er das Katheder verlässt.

Dass es in Wahrheit 'nur Teilwahrheiten' gäbe, ist eine denkfaule Ausflucht. Teile von Etwas, das es selber gar nicht gibt? Die Qualität, immerhin 'ein Teil' der Wahrheit zu sein, wäre ihnen doch gemeinsam, und die verdiente es wohl, mit einem Namen benannt zu werden; und mit welchem wenn nicht - Wahrheit? Es ist auch nicht 'wahr', dass Menschen nur solches wüssten oder nur zu wissen wünschten, was sich "praktisch bewährt", nämlich am Maßstab von Vor- und Nachteil. Sie wollen nicht nur mehr wissen, sondern setzen tagtäglich wirklich voraus, dass sie es tun.

Da heißt es tatsächlich: so oder gar nicht, entweder oder, tertium non datur.

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Natürlich kann man den Standpunkt beziehen, dass es Wahrheit überhaupt nicht gäbe. Aber vertreten kann man ihn schon nicht mehr - jedenfalls nicht, ohne den Anspruch zu erheben, wahr zu reden. Wer meint, es gibt keinen Sinn, der verlässt den Boden, auf dem er sich einem andern mitteilen kann.

Das beweist freilich nicht, dass 'es Wahrheit gibt'.

 
Das Verfahren der Wissenschaftslehre ist nicht, dass sie zuvörderst das Sein von Wahrheit erweist, indem sie ihren Grund freilegt. Das könnte nur ein dogmatisches Verfahren leisten, oder richtiger: leisten wollen. Das Verfahren der Wissenschaftslehre geht umgekehrt: Da wir uns verständigen können, da es Vernunft also wirklich gibt, muss es auch einen Grund dafür geben. Sie schließt nicht aus dem Grund auf die notwendige Folge, sondern schließt aus der Tatsache auf den notwendigen Grund. Notwendig bedeutet hier nicht: wenn/dann, sondern um/zu.

Die Annahme, dass alles auf einen letzten Zweck zuläuft, an dem es sich bewähren muss, ist selber Vernünftig- keit. 'Es gibt' Vernunft nur als das effektive Gelten dieser Prämisse in den wirklichen Urteilen der Menschen. Anders ist sie nicht.

Ob indessen ein "intellektuelles Gefühl" hinreicht, uns der Gültigkeit dieser Annahme zu versichern, ist ein Thema für sich. Darauf werde ich zurückkommen müssen.

2. Januar 2014



 

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