Dienstag, 4. Juni 2019

Das sich-selbst-Bestimmen ist unbegreiflich.

Polyklet

Was ist dieses Bestimmte* selbst? Willkürlich als bloßer Akt gesehen. Hier mangelt die Sprache. Sagt man: Es ist ein Beschränken unserer selbst, i. e. unserer Reflexion von dem Mannigfaltigen auf ein einzelnes Bestimm- te[s], so habe ich ja das Produkt der Einbildungskraft mit in der Definition. Welches auch nicht wegzuschaffen ist. 

Wir können unser Bestimmen nur denken als ein Übergehen oder Schweben zwischen mehreren Entgegen- gesetzten. Nun sollen wir aber diese Tätigkeit ohne Rücksicht auf das beide Entgegengesetzte [sic], zwischen dem sie schwebt, beschreiben. Um dies zu tun, müssten wir ganz andere Denkgesetze haben, oder unser Satz müsste falsch sein. 

Es ist also dieses nicht zu leisten, und wir müssen verfahren, wie wir mit jeder Idee verfahren, wir beschreiben nämlich nur das Gesetz, nach dem dieser Begriff zustande kommen müsste. Wir sagen: Sollte die bloße Bestim- mung gedacht werden, so müsste das Bestimmbare weggedacht werden. Dies ist nicht möglich, denn dann müsste die bloße Ichheit oder das sich selbst Fassen und Ergreifen gedacht werden, und schon in den letzteren Ausdrücken ist schon [sic] sinnliche Unterscheidung des Ergreifenden vom Ergriffenen. So spricht man z. B. oft von einem unendlichen Raume, da dieser doch undenkbar ist und man sich bloß die Regel denkt, nach der er beschreiben werden müsste, nämlich das beständig währende Fortziehen.

Dieses sich Bestimmen ist der absolute Anfang alles Lebens und Bewusstseins, eben deshalb ists unbegreiflich, weil unser Bewusstsein immer etwas voraussetzt.
*) [= das durch Selbstbestimmung bestimmte]
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 208


Nota. - "Begreifen heißt, ein Denken an ein anderes anknüpfen, das erstere vermittelst des letzteren denken." (Sittenlehre) "Hier gibt es keine Gründe; wir sind an der Grenze aller Gründe. Es ist ein Erschaffen aus nichts, ein Machen dessen, was nicht war, ein absolutes Anfangen." (Nova methodo

Sich-selbst-bestimmen ist bloß eine Redensart - um anzudeuten, was gemeint ist, die aber gleich wieder beseite getan werden muss, denn nimmt man sie wörtlich, ergibt es Unfug. Das Es, das da bestimmen soll, müsste als schon da angesehen werden - und also in dieser Hinsicht immerhin schon bestimmt. Und das Es, welches be- stimmt werden soll, desgleichen. Es bleibt ihm also nichts mehr zu tun, weder vorwärts noch rückwärts. Daher kann es sich nicht bestimmen - nicht bestimmen und schon gar nicht sich. 

"Im Moment A war ich unbestimmt, mein ganzes Wesen wurde in dieser Unbestimmtheit aufgehoben. Im Mo- ment B bin ich bestimmt, es ist etwas Neues da; dieses kommt aus mir selbst: Das Übergehen geht in einen in sich selbst begründeten Akt der Freiheit über." (ebd.) "Einen Akt der Freiheit begreifen wollen, ist absolut wider- sprechend. Eben wenn sie es begreifen könnten, wäre es nicht Freiheit." (Sittenlehre
JE

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