Sonntag, 8. Juni 2014

Auch der idealistische Philosoph glaubt an die Wirklichkeit der Welt.


Sprosse1952, pixelio.de

Auf dieselbe Verwechslung der beiden Reihen des Denkens* im transcendentalen Idealismus würde es sich gründen, wenn jemand neben und ausser diesem System noch ein realistisches, gleichfalls gründliches und consequentes System möglich finden sollte. 

Der Realismus, der sich uns allen und selbst dem entschiedensten Idealisten aufdrängt, wenn es zum Handeln kommt, d. h. die Annahme, dass Gegenstände ganz unabhängig von uns ausser uns existiren, liegt im Idealismus selbst, und wird in ihm erklärt und abgeleitet; und die Ableitung einer objectiven Wahrheit, sowohl in der Welt der Erscheinungen, als auch in der intelligiblen Welt, ist ja der einzige Zweck aller Philosophie. - 

Der Philosoph sagt nur in seinem Namen: Alles, was für das Ich ist, ist durch das Ich. Das Ich selbst aber sagt in seiner Philosophie: so wahr ich bin und lebe, existiert etwas ausser mir, das nicht durch mich da ist. Wie es zu einer solchen Behauptung kommt, erklärt der Philosoph aus dem Grundsatz seiner Philosophie. Der erstere Standpunkt ist der rein speculative, der letztere der des Lebens und der Wissenschaft (Wissenschaft im Gegensatz zur Wissenschaftslehre  genommen); der letztere ist nur vom ersteren aus begreiflich; ausserdem hat der Realismus zwar Grund, denn er nöthigt sich uns durch unsere Natur auf; aber er hat keinen bekannten und verständlichen Grund: der erstere ist aber auch nur dazu da, um den letzteren begreiflich zu machen. Der Idealismus kann nie Denkart sein, sondern er ist nur Speculation. 

*) [Einerseits das natürliche Denken des gesunden Menschenverstands, andererseits das Denken des Kritischen Philosophen] 

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Zweite Einleitung in die Wissenschaftslehre,
S. 455 [Anm.]



 


 

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