Sonntag, 1. Juni 2014

Erschlichen.



Aus dieser bestimmten Willensbestimmung erfolgt, so gewiß ich nur wirklich will, eine Handlung; aus dieser mir selbst schlechthin unübersehbare Folgen in der Welt der vernünftigen Wesen (denn auf diese allein sehe ich, und die Sinnenwelt ist mir überall nur Mittel). Diese Folgen stehen schlechthin nicht in meiner Gewalt: ich kann sie nicht berechnen; aber ich glaube, daß sie gut sind und dem Vernunftzwecke gemäß. Das ist Religion. Ich glaube, wenn ich mir es auch nicht deutlich in dieser Formel denke, an ein Prinzip, zufolge dessen aus der pflichtmäßigen Willensbestimmung die Beförderung des Vernunftzwecks sicher erfolgt: und dieses Prinzip ist schlechthin unbegreiflich der Art und Weise seines Wirkens nach; aber es wird überhaupt, seinem Vorhandensein nach*, absolut gesetzt. [*) (auch hier fehlt die Sprache.)] ...

/ Mein Fühlen, Begehren, Wollen, Denken, Schließen usw. erkenne ich unmittelbar dadurch, daß ich es tue. Es ist das nicht, wie die Wahrnehmung jenes übersinnlichen Erfolgs an mein anderes Bewußtsein, das meiner moralischen Entschließung, angeknüpftes, sondern das unmittelbare kat’ exochén, an welches alles andere, und selbst dieses, erst angeknüpft wird. So lange ich in diesem unmittelbaren Bewußtsein stehen bleibe, ganz praktisch, d. h. ganz Leben und Tat bin, weiß ich ein Fühlen nur vom Fühlen, ein Begehren nur vom Begehren, und dann nicht vom Fühlen, ein Erkennen nur vom Erkennen, und dann weder vom Fühlen noch Begehren. 

Es entsteht gar kein Bewußtsein meiner als [des] Prinzips dieser verschiednen Bestimmungen. Wenn ich über die Wirklichkeit des Fühlens, Begehrens, Erkennens mich erhebe, durch Abstraktion absondere bloß die Form, den Akt als solchen, ohne das, worauf er geht, auffasse, nun erst das Verschiedne übersehe als verschieden, entsteht mir zu die-/sem (abstrakten) fließenden und entgegengesetzten Denken notwendig ein stetes, dauerndes, das des einen Prinzips zu jenen mannigfaltigen Bestimmungen überhaupt.
 

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Rückerinnerungen, Antworten, Fragen. [S. 162; 172f.]

Nota.

Mein Gewissen gebietet stets unmittelbar, dieses zu tun oder nicht zu tun, und das heißt namentlich: ohne Begriff. Der Inbegriff all jener je konkreten Gewissensgebote soll nun ein (als irgendwann realisiert gedachter) faktischer Zustand sein - von dem ich zwar nichts wissen kann und der doch mein lebendiges Gewissen rückblickend logifiziert. 

Wie kommt aber in die Rede des Gewissens überhaupt ein Begriff hinein, aus dem allein ein Inbegriff gewissermaßen hochgerechnet werden könnte? Durch "Abstraktion", ja, aber zum Abstrahieren besteht an dieser Stelle überhaupt kein Anlass, denn wenn das Gewissen unmittelbar gebietet, dann hat es unmittelbar geboten. Mehr braucht es nicht.*

Nein, Fichte, du hast dir ein Glaubensbekenntnis durch eine Subreption erschlichen. So wie du dich nie recht hast entscheiden können, ob Vernunft etwas uns Vorgegebenes oder erst noch Aufgegebenes sein soll, so wenig hast du dich entscheiden wollen, ob Sittlichkeit aus dem je unmittelbaren Gebot des Gewissens hic et nunc entstehen soll, oder aus einer automatisch ablaufenden Begriffsmaschine.

Es liegt daran, dass du Sittlichkeit nicht wirklich als das ästhetische Vermögen, sofern es sich auf Willensakte bezieht, erkannt hast;** und die Entscheidung für die Annahme eines Wahren nicht als ein ästhetisches Urteil
JE


*) Er schiebt eine Handlung ein und dann noch deren Folgen. Daraus kann er Begriffe machen. Aber in in Hinblick auf  Sittlichkeit sollen die Folgen ja gerade keine Rolle spielen - sondern die Willensbestimmung allein.
**) Das hat erst später sein abtrünniger Musterschüler Herbart getan, aber es ist kaum vorstellbar, dass ihm der Gedanke nicht in seiner Zeit mit Fichte gekommen sein soll.




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