Mittwoch, 15. Oktober 2014

Jeden, der menschliches Angesicht trägt...


Bamberger Dom
 
Was den schon ausgebildeten Menschen am ausdrückendsten charakterisiert, ist das geistige Auge und der die innersten Regungen des Herzens abbildende Mund. Ich rede nicht davon, dass das erstere durch die Muskeln, in denen es befestigt ist, frei herumschwebt und sein Blick dahin, dorthin geworfen werden kann; eine Beweglichkeit, die auch durch die aufrechte Stellung des Menschen erhöht, aber an sich mechanisch ist. 

Ich mache darauf aufmerksam, dass das Auge nicht bloß ein toter, leidender Spiegel ist wie die Fläche des ruhenden Wassers, / durch Kunst verfertigte Spiegel, oder das Tierauge. Es ist ein mächtiges Organ, das selbsttäig die Gestalt im Raume umläuft, abreißt, nachbildet; das selbsttätig die Figur, welche aus dem realen Marmor hervorgehen oder auf die Leinwand geworfen werden soll, vorzeichnet, ehe der Meißel oder der Pinsel berührt ist; das selbsttätig für den willkürlich entworfenen Begriff ein Bild erschafft. ... Daher, je mehr geistige Selsttätigkeit einer hat, desto gesitreicher sein Auge; je weniger, desto mehr bleibt es ihm ein trüber, mit einem Nebelflote überzogemer Spiegel. ...

Der Mund ... wird durch Selbstbildung der Ausdruck aller gesellschaftlichen Empfindungen, sowie er das Organ der Mitteilung ist. ...

Alles dies, das Ganze ausdrückende Gesicht ist, wie wir aus der Natur kommen, nichts; es ist eine weiche, ineinanderfließende Masse, in der man höchstens finden kann, was aus ihr werden soll, und nur dadurch, dass man seine eigenen Bildung in der Vorstellung darauf überträgt, findet; - und eben durch diesen Mangel an Vollendung ist der Mensch dieser Bildsamkeit fähig.

Dieses alles, nicht einzeln, wie es durch die Philosophen zersplittert wird, sondern in seiner überraschenden und in einem Momente aufgefassten Verbindung, in der es sich dem Sinne gibt, ist es, was jeden, der menschliches Angesicht trägt, nötigt, die menschliche Gestalt überall, sie sei nun bloß angedeutet und werde erst durch ihn ... darauf übertragen, oder sie stehen schon auf einer geswissen Stufe der Vollendeung, anzuerkennen und zu / respektieren. Menschengestalt ist dem Menschen notwendig heilig.


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Grundlage der Naturrechts..., SW III,
S.
83f.
 



Nota.

Wer es bis jetzt noch nicht geglaubt hat, wird zugeben müssen, dass Fichtes transzendentaler Spekulation ein anthropologisch-praktische Motiv zu Grunde liegt; wenn er es auch so aussehen lässt, als sei dieses aus jener hergeleitet.

Und wer sich hatte einreden lassen, bei der Wissenschaftslehre handele es sich 'um bloße Reflexionsphilo- sophie', der kann Fichte hier als ausgesprochenen Intuitionisten kennenlernen.
JE

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