Sonntag, 19. Oktober 2014

Soll es überhaupt ein vernünftiges Wesen geben, so müssen es mehrere sein.


Doisneau

Das / vernünftige Wesen kann sich nicht setzen als ein solches, es geschehe denn auf dasselbe eine Aufforde- rung zum freien Handeln. ... Geschieht aber eine solche Aufforderung zum Handeln auf dasselbe, so muss es notwendig ein vernünftiges Wesen außer sich setzen als die Ursache derselben, also überhaupt ein vernünftiges Wesen außer sich setzen ...

Der Mensch (so alle endlichen Wesen überhaupt) wird nur unter Menschen ein Mensch; und da er nichts anderes sein kann denn ein Mensch, und gar nicht sein würde, wenn er dies nicht wäre - sollen überhaupt Menschen sein, so müssen es mehrere sein.  

Dies ist nicht eine willkürlich angenommene, auf die bisherigen Erfahrungen oder auf andere Wahrscheinlich- keitsgründe aufgebaute Meinung, sondern es ist eine aus dem Begriff des Menschen streng zu erweisende Wahrheit. Sobald man diesen Begriff vollkommen bestimmt, wird man von dem Denken eines Einzelnen aus getrieben zur Annahme eines zweiten, um den ersten erklären zu können. Der Begriff des Menschen ist sonach gar nicht Begriff eines Einzelnen, sondern der einer Gattung.

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Grundlage der Naturrechts..., SW III,
S. 38f.




Nota.

Die Zirkularität der Argumentation ist nicht zu übersehen. Der Begriff des vernünftigen Wesens muss (vorläufig) den Begriff des Menschen erklären, und der Begriff des Menschen muss das vernünftige Wesen erklären. 

Aber es handelt sich ja nicht um eine logische Konstruktion ex nihilo, von Definition zu Definition. Der Ausgangspunkt ist immer: Es gibt ja wirklich Menschen, und jenes Besondere an ihnen, das sie wirklich von andern Lebewesen unterscheidet, wollen wir (einstweilen) als Vernunft bezeichnen. Es ist ein genetisches Verfahren, kein logisches (dann wäre es tauto-logisch). Der Ausgangspunkt sind Vorstellungen, die wir wirklich haben, und die auf ihre Voraussetzungen und Implikationen untersucht werden. Und da kann tatsächlich nur das eine das andere erklären und das andere das eine. Näher kommt man dem, was wirklich da ist, nicht.
JE

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