Sonntag, 1. April 2018
Der Existenzialist unter den Romantikern.
Fichte hat in Jena mit Friedrich, August Wilhelm und Caroline Schlegel im selben Haus gewohnt, war auch beim legendären Romantikertreffen im September 1798 in Dresden dabei, und später in Berlin ließ er sich seine Post über die gemeinsame Adresse von Schlegel und Schleiermacher zustellen, um die Polizeispitzel irrezu- führen. Gehörte Fichte zum Romantikerkreis oder gehörte nicht der Romantikerkreis zu Fichte?
"Darum hat Fichte gesagt: »Die Kunst macht den transzendentalen Gesichtspunkt zum gemeinen.« Seine Philosophie ist, wenn man sie recht versteht, eine radikale Künstlerphilosophie. Und die Romantiker verstan- den sie und machten Fichte zu ihrem Propheten," schrieb Egon Friedell,* und der war allerdings genial, doch in philosophischen Dingen ein Dilettant war er nicht, und promoviert hat er über Novalis als Philosoph.
Nicht nur die Schlegels waren an Fichte orientiert. Hölderlin gehörte in Jena zu seinen ersten, Brentano zu seinen letzten Hörern. Aber der Romantikerkreis ist im Jahr 1799 auseinandergebrochen, nein, auseinander- geflossen aus demselben Grund, aus dem Fichte Jena verlassen musste: Der Atheismusstreit hatte deutlich gemacht, dass nicht nur in Frankreich, sondern auch in Deutschland die Zeit des revolutionären Aufbruchs vorbei war. Bei diesen folgten frömmeld deutsche Innerlichkeit und Ergebung in biedermeierliche Restau- ration, bei jenem folgte... -
Es war ein existenzialistischer Sprung über den Abgrund, wie soll man es anders nennen? "Aller Ernst und alles Interesse ist dann rein aus meinem Leben vertilgt, und dasselbe verwandelt sich, eben so wie mein Denken, in ein blosses Spiel, das von nichts ausgeht und auf nichts hinausläuft", hieß es als Quintessenz jenes Abschnitts in der Bestimmung des Menschen, der die Überschrift Wissen trägt.
Die Existenzphilosophie des 20. Jahrhunderts hat in Fichte unmöglich ihren Stifter erkennen können, weil er ihr in R. Kroners schiefen, aber landläufig gewordenen Perspektive Von Kant zu Hegel vielmehr als Begründer eines sogenannten Deutschen Idealismus erschien. Wilhelm Weischedel hat dagegen mit seiner existenzialis-tischen Deutung der Wissenschaftslehre als einer Ontologie des Lebens** leider nie durchdringen können.
Die Absurdität des Daseins annehmen und Ja sagen zu dem, was wirklich ist, um darin meine Freiheit zu be- haupten - wie soll man das anders nennen als existenzialistisch? Aber es liegt gar nichts an oder in diesem Wort. Ein anderes, ebenfalls treffendes wäre mir genauso recht; heroischer Nihilismus etwa.
Ob auch Artisten-Metaphysik, wie Friedell insinuiert, ist an dieser Stelle noch nicht zu entscheiden.
*) Kulturgeschichte der Neuzeit, III. Buch, 3. Kapitel
**) W. Weischedel, Der frühe Fichte, Stuttgart-Bad Cannstadt, ²1973; die Erstausgabe war 1939 unter dem absichtlich zweideutigen Titel Der Aufbruch der Freiheit zur Gemeinschaft erschienen und ist so zwar der Zensur entgangen, aber der Aufmerksamkeit der einschlägig interessierten Leserschaft wohl leider auch. Im Jahr der Neuauflage war dann Fichte noch nicht wieder aktuell, aber der Existenzialismus schon wieder passé.
25. 4. 14
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen