Donnerstag, 11. Oktober 2018

Erschlichen.

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Aus dieser bestimmten Willensbestimmung erfolgt, so gewiß ich nur wirklich will, eine Handlung; aus dieser mir selbst schlechthin unübersehbare Folgen in der Welt der vernünftigen Wesen (denn auf diese allein sehe ich, und die Sinnenwelt ist mir überall nur Mittel). Diese Folgen stehen schlechthin nicht in meiner Gewalt: ich kann sie nicht berechnen; aber ich glaube, daß sie gut sind und dem Vernunftzwecke gemäß. Das ist Religion. Ich glaube, wenn ich mir es auch nicht deutlich in dieser Formel denke, an ein Prinzip, zufolge dessen aus der pflichtmäßigen Willensbestimmung die Beförderung des Vernunftzwecks sicher erfolgt: und dieses Prinzip ist schlechthin unbe- greiflich der Art und Weise seines Wirkens nach; aber es wird überhaupt, seinem Vorhandensein nach*, absolut gesetzt. [*) (auch hier fehlt die Sprache.)] ...


/ Mein Fühlen, Begehren, Wollen, Denken, Schließen usw. erkenne ich unmittelbar dadurch, daß ich es tue. Es ist das nicht, wie die Wahrnehmung jenes übersinnlichen Erfolgs an mein anderes Bewußtsein, das meiner morali- schen Entschließung, angeknüpftes, sondern das unmittelbare kat’ exochén, an welches alles andere, und selbst die- ses, erst angeknüpft wird. So lange ich in diesem unmittelbaren Bewußtsein stehen bleibe, ganz praktisch, d. h. ganz Leben und Tat bin, weiß ich ein Fühlen nur vom Fühlen, ein Begehren nur vom Begehren, und dann nicht vom Fühlen, ein Erkennen nur vom Erkennen, und dann weder vom Fühlen noch Begehren. 

Es entsteht gar kein Bewußtsein meiner als [des] Prinzips dieser verschiednen Bestimmungen. Wenn ich über die Wirklichkeit des Fühlens, Begehrens, Erkennens mich erhebe, durch Abstraktion absondere bloß die Form, den Akt als solchen, ohne das, worauf er geht, auffasse, nun erst das Verschiedne übersehe als verschieden, entsteht mir zu die-/sem (abstrakten) fließenden und entgegengesetzten Denken notwendig ein stetes, dauerndes, das des einen Prinzips zu jenen mannigfaltigen Bestimmungen überhaupt.
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Rückerinnerungen, Antworten, Fragen. [S. 162; 172f.]

 

Nota I. - Mein Gewissen gebietet stets unmittelbar, dieses zu tun oder nicht zu tun, und das heißt namentlich: ohne Begriff. Der In begriff all jener je konkreten Gewissensgebote soll nun ein (als irgendwann realisiert gedachter) faktischer Zustand sein - von dem ich zwar nichts wissen kann und der doch mein lebendiges Gewissen rück- blickend logifiziert. 

Wie kommt aber in die Rede des Gewissens überhaupt ein Begriff hinein, aus dem allein ein Inbegriff gewisser- maßen hochgerechnet werden könnte? Durch "Abstraktion", ja, aber zum Abstrahieren besteht an dieser Stelle überhaupt kein Anlass, denn wenn das Gewissen unmittelbar gebietet, dann hat es unmittelbar geboten. Mehr braucht es nicht.*

Nein, Fichte, du hast dir ein Glaubensbekenntnis durch eine Subreption erschlichen. So wie du dich nie recht hast entscheiden können, ob Vernunft etwas uns Vorgegebenes oder erst noch Aufgegebenes sein soll, so wenig hast du dich entscheiden wollen, ob Sittlichkeit aus dem je unmittelbaren Gebot des Gewissens hic et nunc entstehen soll, oder aus einer automatisch ablaufenden Begriffsmaschine.
 

Es liegt daran, dass du Sittlichkeit nicht wirklich als das ästhetische Vermögen, sofern es sich auf Willensakte bezieht, erkannt hast;** und die Entscheidung für die Annahme eines Wahren nicht als ein ästhetisches Urteil.


*) Er schiebt eine Handlung ein und dann noch deren Folgen. Daraus kann er Begriffe machen. Aber in Hinblick auf  Sittlichkeit sollen die Folgen ja gerade keine Rolle spielen - sondern die Willensbestimmung allein.

**) Das hat erst später sein abtrünniger Musterschüler Herbart getan, aber es ist kaum vorstellbar, dass ihm der Gedanke nicht in seiner Zeit mit Fichte gekommen sein soll.

1. 6. 14


Nota II. - Der faule Trick an dieser Stelle ist jener: Zuerst beschreibt er dass pp. natürliche, unmittelbar dem Leben zugewandte, ins Leben verstrickte Bewusstsein, das ein Bewusstsein meiner noch gar nicht ist. Auf dem Punkt ist alles gut, wie es ist. Aber dann führt er jemanden ein, der schon 'seiner selbst bewusst' ist, und also immer schon auf alles und jedes reflekiert. Und dies als Dauerzustand! 

Es ist doch aber der Zustand des Philosophen, der Wissenschaftslehre betreibt; und auch dies nicht rund um die Uhr, sondern bevor er sein Katheder verlassen hat. Doch während er auf dem Katheder stand, hat er selber Probleme sittlicher Art gar nicht gehabt, sondern lediglich Gedanken über die Sittlichkeit anderer Leute, und da kam er ohne Begriffe freilich nicht aus. Doch sobald er das Katheder verlässt, hat er seine moralischen Fährnisse so wie du und ich und alle andern: unmittelbar und ohne Begriff. (Wenn ich zufolge meiner meines moralische Urteils dann ans Handeln gehe, hole ich freilich den Rat meiner Vernunft ein. Doch da geht es dann um die Folgen in der Welt.)

Nicht zu vergessen - einen Begriff brauche ich, wo ich einen Grund brauche. Die Sittlichkeit (Ästhetik, sofern sie auf Willensakte bezogen ist) aber kommandiert unmittel bar und ohne Grund. Sie geht aller Reflexion und Frage nach dem Grund, und geht folglich der Vernunft voraus, indem sie sie ihrerseits... begründet? Na ja; eher anstiftet.
JE



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