Aber bin ich gezwungen, die Dinge so zu denken?
Ich kann von ihnen abstrahieren oder ich kann sie auch anders denken, also findet kein Denkzwang statt. Aber dann stelle ich das Ding nicht der Wahrheit gemäß dar; aber soll meine Vorstellung dem Dinge gemäß sein, so findet Denkzwang statt. Aber was ist denn das für eine Wahrheit, an die meine Vorstellung gehalten werden soll?
Es ist die Frage nach der Realität, die wir der Vorstellung zu Grunde legen. Unser eigenes Sein in praktischer Hinsicht ist die Wahrheit, es ist das unmittelbar Bestimmte, wovon sich weiter kein Grund angeben lässt. Die- ses unser eigenes Sein deuten wir durch ein Ding außer uns; dieses Ding außer uns ist seiner Wahrheit gemäß dargestellt, wenn es auf ein inneres Sein deutet. Aus einem Quantum Beschränktheit in mir folgt diese oder jene Beschränktheit außer mir.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 97
Nota. - Was ist Wahrheit? Unser eigenes Sein - und zwar in praktischer Hinsicht - ist die Wahrheit. In prakti- scher Hinsicht heißt: in Bestimmung zu... Wozu ist mein Sein praktisch bestimmt? Zu unendlichem Übergehen vom Unbestimmten zum Bestimmten; bestimmt zu unendlichem Bestimmen. Nicht meine Bestimmtheit ist mit- hin die Wahrheit meines Seins, sondern das Übergehen. Das dürfte nun wohl als Kernsatz der Wissenschafts- lehre gelten - wenn nämlich einer so unklug wäre, sie lehren zu wollen.
In Hinblick auf das Gefühl - im folgenden Absatz kommt er darauf zurück - erhellt schonmal dies: Ein Denk- zwang und das entprechende Gefühl, genötigt zu sein, stellt sich nur ein, wenn ich den Vorsatz gefasst habe, 'wahr' zu denken. Aber den kann ich nur aus Freiheit fassen. Ein 'Leiden', ein Gefühl des Gezwungenseins kommt nur vor unter Bedingung eines vorausgegangenen Akts der Freiheit.
Das ist nun ganz etwas anderes als das sinnliche Fühlen, von dem zuvor stets die Rede war. Er wird an Stelle der Anschauung des einzelnen Gefühls bei diesem bestimmten Denkakt den gesamten Zustand des ganzen artikulierten Organismus ins Spiel bringen müssen. Die Scheidung von sinnlich und intelligibel ginge verloren; nicht aber die von real und ideal.
JE
Nota - Das obige Bild gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und ihre Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Ihre Nachricht auf diesem Blog. JE
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