Samstag, 25. Juli 2015

Wer sich unbefangen seiner Vernunft hingibt, der bedarf keiner Philosophie.



Inwiefern kann man es nun bei so einer Philosophie bewenden lassen und in wiefern nicht? Wer sich unbefan- gen seiner Vernunft hingibt, der bedarf keiner Philosophie. Wäre es daher nicht besser, wenn man der Philoso- phie ganz entbehrte, und nicht einem, der sich seiner Vernunft nicht unbefangen mehr hingibt, zu raten, dass er sich an den Glauben an die Wahrheit seines Bewusstseins halten möge?

Wenn der Mensch nun befangen seinem Bewusstsein glaubt, so ist es gut, aber die Bestimmung des Menschen ist es nicht, sie geht unaufhörlich fort auf begründete Erkenntnis, der Mensch wird unaufhörlich getrieben, nach gründlicher Überzeugung zu forschen; und derjenige, der sich einmal zu philosophischem Zweifel ver- stiegen hat, lässt sich nicht mehr zurückweisen, er sucht sich immer seine Zweifel zu lösen. Es entsteht in dem Menschen ein peinlicher Zustand, der seine innere Ruhe und sein äußeres Handeln stört und sonach praktisch schädlich ist. 

Der Idealist, der die Körperwelt leugnet, stützt sich doch unaufhörlich auf diese ebenso, wie der, der ihre Wirklichkeit glaubt. Dieser Zweifel der Idealisten hat nicht unmittelbare Folgen auf das Leben, allein es ist doch unanständig, dass seine Theorie mit seiner Praxis in Widerspruch stehe.
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Wissenschaftslehre nova methodo, I. Einleitung, Hamburg 1982, S. 6


Nota. - "Allein es ist doch unanständig, dass seine Theorie mit seiner Praxis in Widerspruch stehe" - das letzte, stechende Argument für die Philosophie ist ein ästhetisches: 'Es gehört sich nicht.' 

Wir sind noch nicht in der Wissenschaftslehre, dies ist erst die Einleitung. Wird Wissenschaftslehre - und das ist für F. die ganze Philosophie - überhaupt gebraucht? Für ein gelingendes praktisches Leben reicht der gesun- de Menschenverstand incl. seiner sophistizierten Variante, der positiven Wissenschaft. Doch der Zweifel ist schädlich fürs Leben. Wer ihn aber auf spekulativem Weg überwinden will, gelangt dahin, sein Leben für ein falsches halten zu müssen. Wie kommt er sich da vor? - Nein, aus ästhetischen Gründen muss reiner Tisch ge- macht werden.
JE




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