Mittwoch, 6. März 2019
Der große Bogen der Vernunftkritik.
Fichte hat im Ersten Hauptstück seiner Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre aus dem Jahre 1796, das ich auf diesem Blog wiedergegeben habe, besagte 'Prinzipien' zusammengefasst. Nicht minutiös ent- wickelt wie in der Nova methodo, sondern eher lehrhaft vorgetragen, aber so musste es sein. Es sollte der Leser (wie zuvor seine Hörer) bis an den Punkt geführt werden, wo die transzendentale - kritische und spekulative - Rekonstruktion aus notwendigen Vostellungen einhält und eine positive wissenschaftliche Deduktion aus Begrif- fen möglich wird.
Das gibt Anlass zu einer allgemeinen Betrachtung.
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Vernunft ist eine Tätigkeit und keine Sache. Sie erfordert einen Stoff, ein Verfahren und eine Energie. Ihr Stoff sind die Begriffe, ihr Verfahren sind die logischen Schlussregeln. Was ihre Energie ist, bleibt einstweilen offen.
Die Untersuchung der Vernunft in specie beginnt mit Kant. Sein erster Gegenstand sind die Erfahrungsbegrif- fe. Es gibt darüber hinaus Begriffe ohne sinnliches Substrat. Diese sind aus jenen abstrahiert; mit welchem Recht?
Zuerst ist da eine Flut sinnlicher Reize. Aus der greift wie mit Kellen die Vernunft etliche heraus und fasst sie zu Begriffen zusammen. Die Kellen identifiziert Kant als zwölf Kategorien und zwei Anschauungsformen. Weiter geht er nicht.
Es stellt sich erstens die Frage: Woher die Kellen? Und zweitens: Von allein schöpfen sie nicht; es muss sie einer zur Hand nehmen. Und woher die Schlussregeln stammen, lässt Kant völlig unerörtert.
Fichte begann, wo Kant stehenblieb: Die Begriffe wurden von Menschen geschaffen, indem sie Kellen betätig- ten. Wie sie zu betätigen sind, wussten sie, weil sie sie selber hergestellt hatten. Die Spur verfolgt er und stößt ganz am Schluss aus das Ich, das sich selbst setzt, indem es sich ein/em Nichtich entgegensetzt.
Die Hypothese wäre zu verifizieren, indem der Schlusspunkt der Analyse zum Ausgangspunkt einer syntheti- schen Rekonstruktion genommen wird: Man sieht dem aufgefundenen Ich Schritt für Schritt bei seiner Tätig- keit zu, und wenn wir einen Weg finden, auf dem so die von uns eingangs vorgefundene Vernunft lückenlos nachgebaut werden kann, so wird es der sein, den die Vernunft wirklich gegangen ist.
Man erkennt: Es ist die Geschichte ihrer Selbstschöpfung. Sie hat keine andere Voraussetzung als das Selbst- setzen eines Ichs. Daraus folgt alles andere. Es folgte nicht aus Notwendigkeit - unendliche viele Abwege waren möglich (und werden faktisch auch gegangen worden und spurlos wieder verwachsen sein) -, sondern aus Frei- heit, aber dass es folgte, war der faktische und logische Ausgangspunkt der Analyse, zu dem die Synthesis zu- rückgeführt hat.
Wir finden in der Synthese, wie der Stoff entstanden und wie das Verfahren selbst gesucht und gefunden wur- de, wir müssen rückschließen, dass die treibende Energie dieselbe war, aus der heraus das Ich sich überhaupt erst gesetzt hat. Weil sie keine ander Bestimmung aufweist als diese, nennt Fichte sie den reinen Willen.
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Kritisch verfährt die Wissenschaftslehre in ihrem von Kant eröffneten ersten, dem analytischen Teil. In ihrem konstruktiv-synthetischen zweiten Teil verfährt sie spekulativ. Doch spekuliert sie nicht ins Blaue hinein, son- dern auf ein festumrissenes Ziel hin: unser wirklich gegebenes System der Vernunft aus Begriffen und Schluss- regeln, über dessen treibende Energie wir uns inzwischen auch klargeworden sind.
An diesem Punkt - dass ein System von Begriffen entstanden ist und dass sich das Denken Regeln geschaffen hat - ist die Vernunftkritik vollendet und hat die Wissenschaftslehre ihre Arbeit getan.
Was jetzt noch folgen kann, sind die positiven Bestimmungen der Wissenschaften in concreto. Von den kritischen Grundsätzen, die die Wissenschaftslehre in ihrem analytischen sowohl wie in ihrem synthetischen Teil entwik- kelt hat, wird sie sich in ihrer Erkenntnis leiten lassen; aber ihr Gegenstand werden sie nun nicht mehr.
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Der Begriff des Rechts ist nun gefasst, und es kann aus Begriffen fortargumentiert werden.
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