Sonntag, 10. März 2019

Fichtes drei Arten, vom Begriff zu reden.


Nach rationaler Auffassung ist die Welt ein unbegrenzter, aber endlicher Raum, der vollständig von Bedeu- tungsquanten ausgefüllt ist, die einander einschränken und bestimmen. Viele dieser Quäntchen mögen noch unerkannt sein, doch nicht zuletzt darum ist ihr Raum unbegrenzt.

Daneben und aus eigener Evidenz gilt der Satz, die Bedeutung der Begriffe bestünde aus ihrer Verwendung im Sprachspiel.

Beide gemeinsam, der eine stillschweigend, der andere als Gemeinplatz der gehobenen Konversation, liefern alternierend das Standardmodell zeitgenössischen Vernunftgebrauchs. Dabei tun sie beide, als kennten sie ein- ander gar nicht.

Denn sie sind beide verschiedenen Ursprungs und weisen in verschiedene Richtung. Ihre Partnerschaft ist rein pragmatisch, nebeneinander eiern sie mehr als dass sie rundliefen, für die Unzulänglichkeiten der einen muss immer die andere aufkommen.

Eine der beiden vorherrschenden Parteien in der gegenwärtigen Philosophie macht sich nun daran, die beiden unter denselben Hut zu bringen, und nennt sich wohl darum, will es mir scheinen, die systematische.

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Wie immer in solchen Fällen, weist die Transzendentalphilosophie den Ausweg aus den Aporien, nämlich in ihrer zugespitzten Form, der Fichte'schen Wissenschaftslehre.

Der Begriff ist Bestimmtheit als dieses. Bestimmbar ist nicht das an und für sich Fremde, auf das ich stoße. Be- stimmbar ist, was ich an ihm, mit ihm vorhabe. Was 'es' ist, werde ich erfahren, indem ich diese (oder jene) Absicht an ihm versuche: an dem Widerstand, den es ihr leistet. 

Bestimmung ist Absicht. Sie gilt vorab meiner Tätigkeit, bevor diese meinen Gegenstand trifft. Bestimmung ist zuerst Zweck begriff.

Bevor ich noch meine Absicht im Gegenstand tätig verwirklicht habe, habe ich sie mir in der Reflexion vorge- stellt. Was an meiner Tätigkeit Absicht war, erscheint nun an ihrem Gegenstand als dessen Begriff. Aus meiner un- ruhigen Tätigkeit ist ein ruhendes Sosein geworden. Aus tätigem bestimmen sachliche Bestimmtheit. Im Begriff ging das agile, dynamische Moment verloren. Übrig bleibt die Bestimmung so, als wäre sie selbst ein Seiendes.


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Bis hierher war 'das Ich' mit sich und dem Gegenstand allein. Das dürfte in unserer wirklichen Geschichte niemals vorgekommen sein. In Wahrheit werden die Menschen an den Dingen immer gemeinsame Zwecke gemeinsam verwirklicht haben, notgedrungen. In Wahrheit standen sie immer miteinander in engerem oder weiterem Verkehr. Sachlich so wie in ihrer Vorstellung. In der transzendentalen Nacherzählung macht das Ich seine Tätigkeiten an seinen Gegenständen allein. In der historischen Wirklichkeit wird schon immer eine Gemein- schaft von Individuen - 'das Ich' - sowohl den Gegenständen begegnet als ihre Absichten gegen sie gefasst haben; die Individuen wurden Iche überhaupt erst, indem sie am gemeinsamen Bestimmungsprozess beteiligt waren. 

Man kann es anders ausdrücken: Die Individuen, die ihre eigenen Absichten für sich allein realisiert haben und an denen es nicht gefehlt haben mag, konnten weder sachliche noch begriffliche Spuren hinterlassen.

Was auf dasselbe herauskommt. Denn in der Betrachtung nach Maßgabe der Begriffe bleibt nur das Allgemeine erhalten. Das Individuelle geht unter.


 

Untergegangen ist vor allem das Individuelle schlechthin: die Tätigkeit, richtiger das tun. Wo ist im rationalen System die Tätigkeit geblieben? Die Tätigkeit blieb in der Verknüpfung der Begriffe erhalten. Logik ist das allge- meine Schema des Handels. Was in der wirklichen Vorstellung dynamisch als Tätigkeit des Bestimmens* vor- kam, ist in der logischen Darstellung zur statische Anschauung der Formeln - Verhältnis, Methode - geronnen. Sie steht nun selbstständig als tote Form neben dem ebenso toten begrifflichen Stoff.

Das Verfahren kam aber nicht vor der Tätigkeit und lag ihr zugrunde, sondern entstand aus der nachträglichen Reflexion auf sie; sie liegt ihm zu Grunde. Das wird im rationalen System ins Gegenteil mystifiziert; das ist der harte Kern aller Metaphysik.

*) Das Schließen ist das synthetische Fortschreiten in der Bestimmung.


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Metaphysik ist die ständige Versuchung der Vernunft in ihrer alltäglichen Gebrauchsform. Dort schadet sie nicht, sondern regt womöglich noch die Phantasie an. Anders ist es in den nichtalltäglichen Gebräuchen; überall dort etwa, wo es nicht mehr nur um das Verhältnis von Mitteln und Zwecken geht, sondern um die Zwecke selbst.

So in den Fragen den Rechts. Im Naturrecht ist Fichte an den Punkt gelangt, wo er von der kritischen Rekon- struktion eines Begriffs zu dessen Verwendung im reellen Gebrauch übergehen muss. Mit andern Worten: Hier verlässt er den Boden der Transzendentalphilosphie und tritt in eine faktische Wissenschaft über. Leider hat er es nicht bemerkt.






Nota.
Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE

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