Montag, 4. August 2014

...stellt ein Experiment an.


 
Ganz besonders ist diese vorläufige Untersuchung über die Methode bei der Wissenschaftslehre nötig, deren ganzer Bau und Bedeutung vom Bau und der Bedeutung der philosophischen Systeme, die bisher gang und gäbe waren, völllig verschieden ist. 

Die Verfertiger der Systeme, welche ich im Sinne habe, gehen von irgend einem Begriff aus; ganz unbesorgt, woher sie diesen selbst genommen, und woraus sie ihn zusammengesetzt haben, analysieren sie ihn, kombinieren ihn mit / anderen, über deren Ursprung sie ebenso unbekümmert sind; und dieses ihr Räsonnement ist selbst ihre Philosophie. Ihre Philosophie besteht dementsprechend in ihrem eigenen Denken. 

Ganz anders verhält es sich mit der Wissenschaftslehre. Dasjenige, was sie zum Gegenstand ihres Denkens macht, ist nicht ein toter Begriff, der sich gegen ihre Untersuchung nur leidend verhält, und aus welchem sie erst durch ihr Denken etwas macht, sondern es ist ein Lebendiges und Tätiges, das aus sich selbst und durch sich selbst Erkenntnisse erzeugt, und welchem der Philosoph bloß zusieht. Sein Geschäft in der Sache ist nichts weiter, als daß er jenes Lebendige in zweckmäßige Tätigkeit versetzt, dieser Tätigkeit desselben zusieht, sie auffaßt und als Eins begreift. Er stellt ein Experiment an.

Das zu Untersuchende in die Lage zu versetzen, in der bestimmt diejenige Beobachtung gemacht werden kann, welche beabsichtigt wird, ist seine Sache; es ist seine Sache, auf die Erscheinungen aufzumerken, sie richtig zu verfolgen und zu verknüpfen; aber wie das Objekt sich äußert, ist nicht seine Sache, sondern die des Objekts selber, und er würde seinem eigenen Zweck gerade entgegenarbeiten, wenn er dasselbe nicht sich selbst überließe, sondern in die Entwicklung der Erscheinung Eingriffe täte.

/ Die Handlung dessen, der ein Kunstprodukt verfertigt, ist, da sein Stoff nicht handelt, allerdings die Erscheinung selbst; aber die Relation [hier: Bericht] dessen, der ein Experiment angestellt hat, ist nicht die Erscheinung selbst, um die es zu tun ist, sondern der Begriff von ihr. 

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Zweite Einleitung in, die Wissenschaftslehre, SW Bd. I, S. 453f.; Rechtschreibung modernisiert.





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