Freitag, 10. Februar 2017

Die individuelle Vernunft lässt sich aus sich selbst nicht erklären.



Dies ist eine Erkenntnis, wie wir sie suchten, in welcher das Wollen gleich drinnen läge; mit ihrer Erkenntnis ist ein Wille begleitet. Sinnlich betrachtet ist es so: Entweder ich handle nach dem Willen oder nicht; habe ich die Aufforderung verstanden, so entschließe ich mich doch durch Selbstbestimmung, nicht zu handeln, der Auffor- derung zu widerstreben, und handele durch Nichthandeln.

Freilich muss die Aufforderung verstanden sein, dann muss man aber handeln, auch wenn man ihr nicht gehor- chet; in jedem Falle äußere ich meine Freiheit. So müssten wirs uns jetzt denken. Aber kann man höher fragen: Welches ist der transzendentale Grund für diese Behauptung? Der Zweck wird uns mit der Aufforderung gege- ben, also: Die individuelle Vernunft lässt sich aus sich selbst nicht erklären - ist das wichtigste Resultat, es be- steht nur im Ganzen durchs Ganze und als Teil des Ganzen; denn wie soll sonst Kenntnis eines Vernunftwe- sens außer ihm zu erklären sein, wenn in ihm kein Mangel ist? 

Dies ist so dargetan worden: Wir haben uns Mühe gegeben, den Zweckbegriff zu erklären, da kamen wir in einen Zirkel. Nun aber ist ie beantwortet, denn im Fortlaufe der Vernunft ists damit nicht schwer, es ist nur darum zu tun, den ersten Zweckbegriff dar-//178//zulegen: Den ersten bekommen wir, doch wird uns der Zweck nicht als Bestimmtes, sondern überhaupt der From nach gegeben, etwas, woraus wir wählen können (vide in der Rechtslehre Folgerungen daraus). Kein Idividuum kann sich aus sich selbst erklären. Wenn man also auf eine erstes Individuum kommt, worauf man kommen muss, so muss man auch ein noch höheres unbegreif- liches Wesen annehmen.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 175f.
 
  


 
Nota. - Das ist nunmal ein dicker Hund. Lange schwankt er, ob die Vernunft gedachte Summe wirklicher Vernünftigkeit sein soll, oder vielmehr wirkliche Vernünftigkeit nur die Individuation eines unbegreiflichen vorgegebenen Ganzen. An dieser Stelle nun sieht er der Frage direkt ins Auge - und entscheidet sich für die dogmatische Antwort.

Wobei ihm den Obersatz niemand abstreiten kann: Vernunft 'gibt es' nur als die Gesamtheit vernünftiger Wesen. Ein isoliert lebendes Individuum muss nicht nur nicht, sondern kann auch gar nicht vernünftig sein, denn Vernünftigkeit ist kein Verhältnis, das er zu sich selbst, sondern eines, das er zu Anderen hat. Seine Ver- nünftigkeit besteht aber in nichts als der Suche nach den Zwecken, über die er mit Anderen übereinstimmt; Fortschreiten im gemeinsamen Bestimmen des Bestimmbaren. 

Dann mag man immer das Terrain des gemeinsam Bestimmten als (seiende) 'Vernunft' bezeichnen; es bleibt aber das vorläufige Resultat eines aktualen Bestimmens, das anders als unendlich gar nicht vorgestellt werden kann.
JE





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