Donnerstag, 9. Februar 2017

Ich greife mich selbst heraus aus einer Masse vernünftiger Wesen.


4. 

Wie wird beschriebene Reflexion möglich sein? Nur so, dass die Erkenntnis in Beziehung auf eine Beschrän- kung durch einen Begriff nicht möglich sei ohne ein Wollen, und umgekehrt.  Dies letztere ist deutlich, es gilt durchs ganze Berwusstsein, aber die erste Hälfte, dass Erkenntnis nicht ohne ein Wollen möglich sei, lässst sich nur so denken: In der Erkenntnis müsse das Wollen drinliegen, es würde nur Bestimmbarkeit des Wollens be- griffen, anders könnte es nicht verstanden werden. Dies ist der Begriff der Aufforderung zur freien Tätigkeit.

(Das Intelligible ist das einzig Ursprüngliche, die Sinnenwelt ist eine gewisse Ansicht des ersteren, mit letzterer haben wir es hier nicht zu tun; wie sich Ersteres in Letzteres verwandele vide infra. Aber in wieweit ist das Intel- ligible bestimmt? -

Es soll ein reiner Wille zugrunde liegen, nicht ein empirisches Wollen, oder Vernunft überhaupt oder Absolut- heit des Vernunftreichs, welches bis jetzt noch unverständlich ist. Dieses //177// ist das Bestimmbare zu einem Bestimmten, letzteres bin ich als  Individuum, ich erkenne mich als Individuum, diese Erkenntnis ist oben ein Fortgehen vom Bestimmbaren zum Bestimmten, ich bin - ein durch sich selbst herausgegriffener Teil aus den Vernunftwesen. 

Jetzt wird stillegestanden beim Hervorgehen der Individualität aus der Vernunft, welche so hervorgeht, dass ich mich finde als etwas nicht könnend oder dürfend, was doch eigentlich ursprünglich für mich sein muss. Der bestimmte Akt hie[r]bei ist Aufforderung zur freien Tätigkeit; diese kommt her und wird so beurteilt von einem andern vernünftigen Wesen meinesgleichen. Das Selbstbewusstsein hebt also an von meinem Herausgreifen aus einer Masse vernünftiger Wesen überhaupt. -

Dieser Begriff der Selbstheit als Person ist nicht möglich ohne Begriff einer Vernunft außer uns, dieser Begriff wird also auch konstruiert durch Herausgreifen aus einer höheren weiten Sphäre. Die erste Vorstellung, die ich haben kann, ist die Aufforferung meiner als Individuum zu einem freinen Wollen.)
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 176f.
  


Nota. - Genetisch geht voraus 'Vernunft oder Absolutheit des Vernunftreichs' (was einstweilen noch unver- ständlich ist) , in ihrer Wirklichkeit ist sie (an sich) eine 'Masse vernünftiger Wesen überhaupt', für mich wird sie durch deren Aufforderung zu freier Tätigkeit, die an micht ergeht. Meine freie Tätigkeit ist eo ipso mein mich-  selbst-Herausgreifen aus dieser Masse, mein Werden-für-mich, Werden zum Individuum = empirische Person, und als eine solche finde ich micht beschränkt; dieses ist Selbstbewusstsein - 

Dieses Schema hier nur, um zu zeigen: Das Prius ist nicht Bewusstsein, sondern Vernunft, sie geht ('an sich') der Bewusstwerdung voraus. Denn dies ist der Gang der Wissenschaftslehre: Sie geht aus von der Tatsache der Vernunft, anders wäre Vernunftkritik nicht möglich; sie besteht - vor allem andern - in der sicheren Annahem, dass den Vorstellungen in unserm Bewusstsein etwas außerhalb unseres Bewusstseins entspricht. Die Wissen- schaftslehre soll demonstrieren, wie das möglich ist; wie Vernunft wirklich wird.

Die Wissenschaftslehre beschreibt nicht, wie ein anfangs bewusstloses Kind Schritt für Schritt (seiner und) der Welt bewusst wird; sie rekonstruiert, wie Vernunft in die Wirklichkeit gekommen ist. Dabei schwankt Fichte lange Zeit zwischen der Auffassung, sie habe sich in der Wirklichkeit überhaupt erst ausgebildet, und der Annahme, es hätte sie außerhalb der Wirklichkeit 'immer schon gegeben'. Letzteres wäre ein Überbleibsel aus dogmatischer Vorzeit.
JE






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