Montag, 20. Februar 2017

Entsteht die Zeit nur durch Denken?



Ist wirklich erst Entschluss als Wille? Bedeutet wirklich Wahrheit vor der reinen Vernunft? - so lautet die Antwort: Nein, Wollen, Deliberieren und das Verhältnis, in die ich sie setze, ist alles bloß Erscheinung. Mein Bewusstsein geht nicht aus von Wollen, Zweckbegriff und Wahrnehmung eines Objekts, sondern es geht von allen aus, ist alles, in der Erfahrung erst trenne ich es. 

Der einfache Lichtstrahl fällt durch ein Prisma und liefert verschiedene Farben, niemand sagt, der Lichtstrahl sei diese Farben, sondern er sei einfach und durchs Prisma zerstreut; so lässt man sich wohl auch gefallen, wenn man von der Idealität der Raumes redet. Aber wenn man in die Zeit hereinkommt und einsehen soll, auch da ist ein einfacher Strahl, der in keiner Zeit ist, ist auch nur so ein Prisma,  nämlich unser sinnliches Vorstellungs- vermögen, durch das die Ausdehnung in der Zeit entsteht.

Allein dies muss man begreifen, z. B. die Begebenheiten in der Welt hängen zusammen wie Ursache und Wir- kung, zugegeben! In dem Begriffe der Kausalität liegt schlechthin keine Zeit; denn das Bewirkte ist absolut mit der Wirkung zugleich, auch mechanisch gedacht. Denn entsteht denn eine Verküpfung erst hinterher nach der Ursache? Nein, wenn der Finger eindrückt, entsteht die Grube. Alles, was ist, ist Bewirktes der Ursache und gleichzeitig mit ihr, was ist diese Ursache? Wieder Bewirktes, und so fort in Ewigkeit. So entsteht keine Zeit, alles ist ein Schlag.

Woher kommt denn also die Zeit, die wir denn doch haben? Daher: Wir können das Bewirkte und Bewirken- de nicht auf einmal denken, man geht von einem zum andern fort, hier gibt das Denken die Zeit. Auch dies nicht einmal, sondern das ursprüngliche Anschauen des Denkens, eine Analyse der Begriffe liefert die Zeitver- hältnisse.

Der Anfang alles Bewusstseins ist Syntheis und Analyse zugleich, und durch letztere entsteht ein Maniigfaltiges. Ein erster Moment des Bewusstseins, der dafür erkannt wird, kann nicht sein, denn alles ist immer ein Stück.

Ein Kind komme in dem Momente X zum Bewusstsein, das wäre der erste Moment, es findet sich wollend, es kann dies nicht erklären, ohne ein Moment Y vorauszusetzen. Für Gott ists der erste, aber nicht für das Kind. Dieses müsste wieder Z voraussetzen und so fort. Kein //187// Mensch weiß, wann er stirbt. Dies ist klar, wir denken immer mehr Zweckbegriffe. Aber kein Mensch hat auch gewusst, wann er anfange. -

Das Bewusstsein ist überhaupt in keiner Zeit, nur sie hat Anfang und Ende. Die ganze Zeit ist bloß Ansicht, die [dadurch] entsteht, dass wir an das erste angenommene Wollen ein anderes als Erklärendes anknüpfen, und auch vorwärts etwas anknüpfen, was daraus folgen soll. ________________________________________________
Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 186f.



Nota. - Deutet die stilistische Unsicherheit dieses Passus darauf, dass der Protokollant den Vortrag nicht recht verstanden hat, oder darauf, dass der Vortrag unklar war? F. will uns sagen, die Zeit entstünde erst im Denken, 'in Wahrheit' sei alles zugleich und auf einen Schlag, denn auch die Vorstellung von Ursache und Wirkung und daher die Unterscheidung von Zuerst und Danach stammten allein aus dem Denken.

Durch Wirkendes und Bewirktes kommt er immer nur auf die Sukzession, nicht aber auf die Dauer, die doch - während die Kausalität lediglich 'im Denken' sei - die sinnliche Seite der Zeit ausmacht; etwas, das gefühlt wird, nämlich Kurzweil und Langeweile: ob 'viel' oder 'wenig passiert'. Man darf sich fragen, ob nicht die Vorstellung von einer Reihenfolge aus der Anschauung der Dauer herzuleiten ist; denn die Gerichtetheit des "Zeitpfeils" ist in der Dauer schon enthalten.

Es ist ja hier nicht die Frage, 'was Zeit wirklich ist'. Sie ist eine Tatsache "unseres sinnlichen Vorstellungsvermö- gens", und es gilt, sie aus der Einen Prämisse der Wissenschaftslehre zu rekonstruieren. - Man kann nicht sagen, dass ihm das hier schon gelungen ist.
JE

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