Mittwoch, 8. Februar 2017

Wollen ist potenziertes Denken, denken ist latentes Wollen.


Lothar Sauter

Ein wirkliches Wollen erscheint als Übergehen von der Bestimmbarkeit zur Betimmtheit, charakterisiert durch die völlige Kontraktion meines ganzen Wesens auf einen einzigen Punkt, da [=während] das beim Denken nicht ist, da man zwischen Entgegengesetzen schwebt. (Alles empirische Wollen ist etwas Bestimmtes, aber es gibt zweierlei Bestimmtheit: unvollendete und vollendete, erstere erscheint als Denken, letzteres als Wollen; in dem Wollen erscheint noch ein Blick aufs //176// Entgegengesetzte, aber wenn ich will, will ich dies und nichts ande- res; das andere durchs Denken Angeschaute liegt nicht im Wollen.)

Nun erscheint alle Bestimmtheit als Übergehen pp; es gibt also auch zweierlei Bestimmbarkeit: eine fürs Den- ken und eine fürs Wollen, das Denken selbst ist Bestimmbarkeit des Wollens. Wollen ist quasi die zweite Potenz unseres empirischen Vermögens, Denken ist die erste. Uns ist insbesonder um die Unterscheidung des empiri- schen Wollens vom reinen zu tun; alles, worauf die [ideale] Tätigkeit je reflektieren kann, das höchste Bestimm- bare, ist das reine Wollen. Dieses Ganze wird vor allem bestimmt durch das Denken eines mich beschränken- den Begriffs (Individualität). 

Es sind drei Grade: 1) reine Wille, Absolutheit der gesamten Vernunft, des Vernunftreichs, diese ist das höchste Bestimmbare, wird weiter bestimmt [dadurch], dass etwas aufgefasst wird 2) Individualität. Dies ist Bestimmba- res 3) für ein einzelnes Moment des Bewusstseins, für einen bestimmten Willen. Das empirische Wollen ist bloß Reflexion auf das reine Wollen überhaupt.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 175f.
 



Nota. - Ich werde nicht müde, es zu wiederholen: In der transzendentalen Auffassung, als Noumenon, ist das reine Wollen als das höchste Bestimmbare aufgefasst, denn es ist von Allem das allererste. Weil es aber reines Wollen ist, wird seine Bestimmbarkeit und das Übergehen zur Bestimmtheit nie zu einem Schluss kommmen, das Bestimmen geht ins Unendliche fort. Den fiktiven Zielpunkt kann oder muss ich sogar mir denken als das Eine Absolute, Zweckbegriff an-sich als Gegen stand des Wollens an-sich; Noumena alle beide.

Nota II. - Der Begriff, der das Ich ursprünglich beschränkt, bestimmt es als Idividualität - und dahin muss die tranzendentale Ableitung schließlich kommen, denn real ist nicht Vernunft-überhaupt, sondern sind die realen vernünftigen Individuen ihr Ausgangspunkt. Der muss in der transzendentalen Rekonstuktion wieder aufgefun- den werden.

Nota III. - In der transzendentalen Analyse ist das Wollen das letzte Aufgefundene, in der synthetischen Rekon- struktion ist es das erste Vorauszusetzende. In der Realität kommt das Denken - "Deliberieren" - vor dem Wollen, empirisch ist das Wollen immer schon bestimmt als das Wollen von diesem oder jenem, erst in der transzendentalen Reflexion scheint auf, dass es dem Denken noumenal immer schon zu Grunde lag.
JE


 

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