Donnerstag, 10. April 2014

Unheroischer Nihilismus.


Birgit Böckle, fotocommunity

Es giebt überall kein Dauerndes, weder ausser mir, noch in mir, sondern nur einen unaufhörlichen Wechsel. Ich weiss überall von keinem Seyn, und auch nicht von meinem eigenen. Es ist kein Seyn. – 

Ich selbst weiss überhaupt nicht, und bin nicht. Bilder sind: sie sind das Einzige, was da ist, und sie wissen von sich, nach Weise der Bilder: – Bilder, die vorüberschweben, ohne dass etwas sey, dem sie vorüberschweben; die durch Bilder von den Bildern zusammenhängen, Bilder, ohne etwas in ihnen Abgebildetes, ohne Bedeutung und Zweck. Ich selbst bin eins dieser Bilder; ja, ich bin selbst dies nicht, sondern nur ein verworrenes Bild von den Bildern. – 

Alle Realität verwandelt sich in einen wunderbaren Traum, ohne ein Leben, von welchem geträumt wird, und ohne einen Geist, dem da träumt; in einen Traum, der in einem Traume von sich selbst zusammenhängt. Das Anschauen ist der Traum; das Denken, – die Quelle alles Seyns und aller Realität, die ich mir einbilde, meines Seyns, meiner Kraft, meiner Zwecke, – ist der Traum von jenem Traume.

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Die Bestimmung des Menschen, SW II,
S. 245



Nota I.

Das Fazit aus der Atheismusdebatte hatten die Rückerinnerungen, Antworten, Fragen ziehen sollen. Doch Fichte hat sie nicht fertiggestellt. Warum? War ihm aufgefallen, dass er sich tatsächlich auf dem Weg in den Atheismus befand? War er davor zurückgeschreckt, das "intellektuelle Gefühl", das ihm so unerwartet 'das Abolute' alias die Wahrheit verbürgen musste, als das anzusprechen, was es allenfalls sein konnte: eine ästhetische Idee -? 

Oder war es die Einsicht, dass seine eigentlichen philosophischen Spekulationen nicht (gedruckt) vor das große Publikum gehörten, wo sie doch nicht verstanden, aber womöglich absichtsvoll missverstanden wurden? Dass er die Philosophie selbst dem mündlichen Vortrag vor wissensdurstigen Hörern vorbehalten und dem großen Publikum nur die Ergebnisse seiner Spekulation vortragen dürfe - bevor ein anderer sie entstellen konnte? 

Was davon zutrifft, ist eine philologische Frage, und Philologen haben sie vielleicht längst geklärt. Fest steht jedenfalls, dass anstelle der Rückerinnerungen... es die Bestimmung des Menschen war, mit der Fichte nach dem Atheismusstreit erstmals wieder an die Öffentlichkeit trat. Ein wesentlicher Ertrag der Rückerinnerungen bleibt erhalten: Der theoretische, 'transzendentale' Teil der Philosophie, genannt Wissenschaftslehre, wird klipp und klar als rein kritisch und eo ipso rein negativ definiert.

Die Bestimmung des Menschen besteht aus drei Teilen. Im ersten, Zweifel überschriebenen, wird das positive Wissen der rationalistischen Metaphysik dargestellt, das durchgängig aus Ursachen und Wirkungen zusammengesetzt ist und das seine erste Ursache notwendig außerhalb des Wissbaren annehmen muss. Theoretisch findet er dagegen nichts einzuwenden, aber praktisch. Es folgt daraus unvermeidlich eine rein passive Lebenslehre - die ihn allerdings empört. Und das ist ja wohl eine ästhetische Stellungnahme, nicht wahr?

Die Wissenschaftslehre selbst, im zweiten Teil namens Wissen dargestellt, ist aber kritisch und negativ, sie vernichtet nur den logischen Schein des dogmatisch-metaphysischen Systems; aber weiter hilft sie nicht. - 

Auf diesem Standpunkt finden wir den Verfasser im obigen Textausschnitt

Nota II.

Die Überschrift des obigen Eintrags habe ich nachträglich um ein Un ergänzt. - Mit Heroismus verbindet man allgemein eine Haltung der Entsagung. Doch die mir bekannten Vertreter der im Eintrag beschriebenen Weltauffassung zeichnen sich mehr durch ihre Selbstgefälligkeit aus. 23. 4. 14
JE

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