Freitag, 7. Dezember 2018

Aufmerken - ein intelligibles Gefühl.

W. Busch

Diese Vorstellung vom inneren Wirken kommt im Bewusst-//127//sein vor als etwas zwischen Gefühl und Ge- danken Schwebendes, man könnte es nennen ein intelligibles Gefühl. Wenn die Einbildungskraft sich selbst überlassen bleibt, so schweift sie sie herum, und es kostet innere Anstrengung, sie zu binden. 

Dieses Aktes, des Bindens, werde ich mir unmittelbar bewusst, indem ich ihn vollziehe, und hierdurch lässt sich die intelligible Welt an die Welt der Erscheinungen anknüpfen. Was in diesem Gefühle vorkommt, ist die erste innere Kraft, man könnte sie reine Kraft, Kraft auf sich selbst nennen. Sie ist Wirkung des Vernunftwesens auf sich selbst. 
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 126f.


Nota I. - Das ist eine der wichtigsten Stellen in der ganzen Wissenschaftslehre.

Wenn man von dem metaphysischen Dogma von den zwei Substanzen, einer res extensa und einer res cogitans ausginge, wäre das ein atemberaubendes Kunststück: Wie stellt es die res extensa an,  in die res cogitans vor- zudringen? Doch in der Wissenschaftslehre, die den Gang des Bewusstseins zuerst rein phänomenal verfolgt, wurde eine solche Voraussetzung nicht gemacht. (Ihr Gegenstand ist die Vorstellung, und dortkam sie bislang nicht vor.)

Das Faktum der Konzentration unserer Aufmerksamkeit - denn davon ist hier die Rede - lässst sich nicht leug- nen, ob man es nun erklären kann oder nicht. Aufmerken ist reflektieren und abstrahieren in Einem. Der ele- mentarste Bewusstseinsakt ist: auf mein Gefühl achtgeben. Es ist die Stelle, wo ein empirisches Selbst zu einem vernünftigen Ich wird.

Nota II. -  Dass er im Moment akuter Gefahr alle Aufmerksamkeit darauf konzentriert und selbst Schmerzen unter Umständen gar nicht 'merkt', unterscheidet den Menschen nicht vom Tier: Dem geht's nicht anders; son- dern dass er sein Aufmerken will kürlich richten kann. Das ist die Grundform von Wollen, und Wollen ist die Substanz von Geist. (Geist sieht nicht auf Dinge ab, sondern auf Probleme.)
27. 11. 16


Nota III. - Die Transzendentalphilosophie handle nicht von Faktischem? Ja wovon denn sonst! Handelte sie nicht von Faktischem, wäre sie ohne alle Bedeutung.

Doch freilich handelt sie vom Faktischen nicht auf der ersten semantischen Ebene, sondern auf der zweiten, der Meta-Ebene. Das, wovon sie handelt, ist auf beiden Ebene dasselbe: der Mensch. Auf der zweiten Ebene handelt sie vom Menschen lediglich unter Absicht darauf, dass er Vernunftwesen ist, während die erste, als normaler ge- meiner Menschenverstand, auf einen Menschen aus Fleisch und Blut schaut, der außer andern physischen Eigen- arten auch Gefühle hat. 

Das ist aber der Berührungspunkt von erster und zweiter semantischer Ebene. Dass der Mensch Gefühle hat, ist die Voraussetzung dafür, dass er vernünftig werden und Erfahrungen machen kann. Das Gefühl ist das Scharnier, das die intelligible Welt mit der Welt der Erscheinungen verbindet. Es muss ein solches Scharnier geben, weil anders eine 'Wirkung auf mich selbst' nicht möglich wäre. Es muss also die Intelligenz irgendwo im gesamten System der Sinnlichkeit 'lokalisierbar' und identifizierbar sein. Sie ist das Aufmerken, das zugleich ein Wollen ist.
JE

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