Mittwoch, 24. September 2014

Vernunft ist schlechthin praktisch.


Daarom / pixelio.de
 
Die Vernunft ist nicht ein Ding, das da sei und bestehe, sondern sie ist Tun, lauteres, reines Tun. Die Vernunft schaut sich selbst an: dies kann sie und tut sie, eben weil sie Vernunft ist; aber sie kann sich nicht anders finden, denn sie ist: als ein Tun. 

Nun ist sie endliche Vernunft, und alles, was sie vorstellt, wird ihr, indem sie es vorstellt, endlich und bestimmt; sonach wird [ihr] auch, lediglich durch die Selbstanschauung und das Gesetz der Endlichkeit, an welches sie gebunden ist, ... ihr Tun ein bestimmtes. Aber Bestimmtheit eines reinen Tuns als solchen gibt kein Sein, sondern ein Sollen. So ist die Vernunft durch sich selbst bestimmend ihre Tätigkeit; aber - eine Tätigkeit bestimmen oder praktisch sein ist ganz dasselbe. - 

In einem gewissen Sinne ist es von jeher der Vernunft zugestanden worden, dass sie praktisch sei; in dem Sinne, dass sie die Mittel für irgend einen außer ihr, etwa durch unser Naturbedürfnis oder unsere freie Willkür gegebenen Zweck finden müsse. In dieser Bedeutung heißt sie technisch-praktisch. 

Von uns wird behauptet, dass die Vernunft schlechthin aus sich selbst und durch sich selbst diesen Zweck aufstelle, und insofern ist sie schlechthin praktisch.

Die praktische Dignität der Vernunft ist ihre Absolutheit selbst; / ihre Unbestimmbarkeit durch irgend etwas außer ihr und vollkommene Bestimmtheit durch sich selbst. Wer diese Absolutheit nicht anerkennt - man kann sie nur in sich selbst durch Anschauung finden -, sondern die Vernunft für ein bloßes Räsonnier-Vermögen hält, welchem erst Objekte von außen gegeben sein müssten, ehe es sich in Tätigkeit versetzen könne, dem wird es immer unbegreiflich bleiben, wie sie schlechthin praktisch sein könne, und er wird nie ablassen zu glauben, dass die Bedingungen der Ausführbarkeit des Gesetzes vorher bekannt sein müssen, ehe das Gesetz angenommen werden könne. 
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System der Sittenlehre, SW Bd. IV, S. 57f.



Nota. - "Endliche" Vernunft! - 'Unendliche' Vernunft wäre eine bloße Idee, 'von der gar nicht vorgegeben wird, dass ihr in der wirklichen Welt außer uns irgendetwas entspräche'. Sie ist, wie Gott selbst, nur die idealisierte Luftspiegelung der Eigenschaft, die den realen Sterblichen an ihnen selbst die liebsten, oder doch immerhin die würdigsten sind.

Ideen sind ihrer Natur nach nicht begründet noch begründbar, aber beliebig sind darum noch lange nicht. Sie können nämlich (fürs wirkliche Leben) etwas taugen oder nicht. Die Idee Gottes hat die Religionen möglich gemacht, und dass die in der Geschichte zu etwas getaugt haben, ist unstrittig; strittig ist allein, ob es das wert war. Und strittig ist, gottlob, ob es das heute noch ist.

Die Idee einer unendlichen Vernunft dagegen taugt zu nichts; denn dass Vernunft auf der Fiktion beruht - und gar selber diese Fiktion ist - , dass es für alle unsere Urteile ein gemeinsames Maß gäbe, gälte auch dann, wenn es keiner wahrhaben wollte.
JE

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