Donnerstag, 18. Mai 2017

Wissenschaftslehre und reale Wissenschaften.



Deduktion der Einteilung der Wissenschaftslehre 

1) Alles, was wir finden als gegebenes Objekt, indem wir uns selbst finden, [alles,] was an die objektive Ansicht unsrer selbst geknüpft wird, haben wir aufgezeigt. Dieses gefundene Objektive ist unsere Welt. Eine vollständige Erörterung dieser Welt und Beschreibung, die Bestimmung durch alle Genkgesetze hindurch, ist die Wissen- schaftslehre der Theorie oder der Erkenntnis im kantischen Sinn. Es kommt immer nur auf das Gefundene an. Diese Wissenschaftslehre der Erkenntnis muss auch in unserer Grundlage enthalten sein, sie ists auch ihren Grund- zügen nach. 

Die besondere Wissenschaft geht bis zur vollständigen Bestimmung der einzelnen Begriffe, da die Grundlage uns die Hauptbegriffe erläutert. Dieser Hauptbegriff wird durch die besondere Wissenschaft weiter analysiert, und dann ist die besondere Wissenschaft vollständig. Das Objekt derselben ist durch alle Denkgesetze durch- gegangen. Es muss durch bloße Analyse fortgegangen werden können zum Besonderen jeder Wissenschaft aus der Grundlage. (Theoretische Philosophie: ihr Objekt ist die Natur; dieser kann betrachtet werden //241// ent- weder unter bloß mechanischen Gesetzen der Anziehung und Abstoßung (Beispiel Kant, Metaphysik der Na- tur) oder unter organischen Gesetzen. z. B. Lehre von dem Grunde des Daseins des Menschen, der Tiere, der Pflanzen etc.  

Beide Untersuchungen erschöpfen die theoretische Philosophie oder die Weltlehre. Kurz, die theoretische Philosophie lehrt, wie die Welt ist und sein muss, wie sie uns gegeben wird. Ihr Resultat ist reine Empirie, hiermit endigt sie sich. Im gemeinen Leben wird das Wort Erfahrung von dem gedankenlosesten Menschen gebraucht, er rechnet seine Träumereien zur Erfahrung. Zuerst muss ausgemacht werden, was Erfahrung sein kann. Dies zu bestimmen hat ein großes Verdienst, dies tut die theoretische Philosophie, sie stellt auf, was notwendig Erfahrung ist und sein kann.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 240f.  
 



Nota. - Kein anderer Autor hat wie Fichte so regelmäßig während der Darstellung seines Systems auf die Dar- stellung reflektiert. Auf das Verfahren nicht nur, sondern auch auf das, was dargestellt wird, denn um dessen Bestimmung geht es ja; so dass nie vom Verfahren des Bestimmens allein, sondern immer auch von dem je Bestimmten die Rede ist. 

Dies kam mit § 19 zu einem Schluss: Was heißt Wissen und was ist das, was wir wissen können?

Idealerweise müssten von da aus alle reellen Wissenschaften neu aufgebaut werden: "Weltlehre", nämlich Physik und Biologie (wobei Chemie noch keine eigenes Fach ist). Das nennt Fichte 'Theoretische Philosophie', er rech- net sie offenbar zur Besonderen Wissenschaftslehre hinzu. Warum? Weil sie 'aufstellt, was notwendig Erfah- rung ist und sein kann'.

Die wirklichen Wissenschaften können nicht von vorn anfangen. die Wissenschaftslehre wird sie bestenfalls auf Schritt und Tritt kritisch begleiten: dass sie ihre Begriffe nicht aus der Luft greifen und nicht für Erfahrung ausgeben, was als Prämisse unterstellt wurde.

Dann freilich hieße es die kritische Philosophie überdehnen, wollte man sie in die Realwissenschaften hinein- treiben und selber positiv werden lassen. Sie kann nicht selber Realwissenschaft werden und muss deren Pro- pädeutik und kritische Instanz bleiben.

Der ganze Schluss der Nova methodo wirkt etwas hastig und übers Knie gebrochen: Das Semester ging zu Ende und die Zeit wurde knapp.
JE




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