Donnerstag, 25. April 2019

Der Erfahrungsbegriff des einen und die der Andern.



Ich schreibe mit zu ein niederes und höheres Organ, die in dem beschriebenen Verhältnisse zueinander stehen; ich nehme demzufolge an in der Sinnenwelt außer mir eine gröbere und subtilere Materie, in dem beschriebe- nen Verhältnisse zu meinen Organen. Ein solches Setzen ist notwendige Bedingung des Selbstbewusstseins und liegt daher im Begriffe der Person. Setze ich daher ein Wesen außer mir als Person, so muss ich von ihm notwen- dig annehmen, dass es das Gleiche setze, oder, was hier dasselbe ist, ich muss ihm den reellen Besitz und Ge- brauch zwei solcher unterschiedlichen Organe zuschreiben, ich muss die reelle Existenz einer so bestimmten Sinnenwelt für ihn annehmen.

Auch dieses Übertragen meines notwendigen Denkens auf eine Person außer mir liegt im Begriffe der Person. Ich muss demnach der Person außer mir zuschreiben, dass, falls sie mich als Person setze, sie dasselbe von mir annehme. Die Begriffe von der bestimmten Artikulation vernünftiger Wesen und von der Sinnenwelt außer mir sind notwendig gemeinschaftliche Begriffe; Begriffe, worüber die vernünftigen Wesen notwendig, ohne alle vorhergegangene Verabredung, übereinstimmen, weil bei jedem in seiner Persönlichkeit die gleiche Art der Anschauung begründet ist, und sie müssen als solche gedacht werden. Jeder kann von dem anderen mit Grun- de [sic] voraussetzen, ihm anzumuten und sich darauf zu berufen, dass er die gleichen Begriffe über die Gegen- stände habe, so gewiss er ein vernünftiges Wesen sei.
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Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre,
SW Bd. III, S. 73



Nota. - Also darauf soll es hinaus: dass jede Person gewisse Begriffe fassen müsse, die eine jede andere Person notwendig ebenfalls fassen muss.

Denn bislang war ja nur davon gehandelt worden, auf welchen Wegen ein Ich seine Anschauungen zu Begriffen für sich selber ausbilde. Dass es sich dabei schließlich materialiter um denselben Begriff handele, den sich auch ein anderes Ich gebildet habe, wäre bloßer Zufall.

Oben hatten wir den Fall, das - wenn auch mittelbar und umständlich - aus dem bloßen Faktum einer Reihe vernünftiger Wesen die Notwendigkeit abgeleitet wurde, dass ein jedes dieser Wesen notwendig zu demselben Rechts begriff gelangen müsse - weil der Rechtsbegriff im Begriff der Vernunft sachlich enthalten sei. 


Ginge es darum, lediglich den Rechtsbegriff selbst weiter fort zu bestimmen, reichte dessen Gültigkeitsradius wohl hin. Davon ist nun aber nicht mehr die Rede, sondern von sinnlichen, von Erfahrungs-Begriffen. Die mu- ten wir uns gegenseitig an, weil wir erstens) alle auf dieselbe physische Weise organisiert sind und es zweitens) alle voneinander wissen.

Das würde bedeuten, dass in Zivilisationen, deren Bildungsstandard nicht wenigstens westlichem Grundschul- wissen entspricht, gemeinschaftliches Erfahrungswissen nicht zustande kommen kann. Doch das ist offenbar nicht der Fall, sondern es ist andersrum: Weil Erfahrungswissen möglich ist, ist ein welweites Grundschul- und auch Hochschulniveau möglich geworden. Möglich ist Erfahrungswissen durch fortschreitend vergesellschafte- te Arbeit. Entstanden ist ein System von Begriffen; eine ganze intelligible Welt.

Bis zu dem Punkt konnte Fichte an dieser Stelle nicht kommen. Zwar hat er wohl Adam Smith gekannt, aber erst nach 1800. Noch waren ihm bürgerliche Gesellschaft und Politik noch nicht als eigne Wissensfelder be- wusst geworden; noch meinte er, auf dem engen Pfad der Rechtsphilosophie ihre Probleme mitbehandeln zu können - notfalls mit einem spekulativen Abstecher ins Reich der Neurophysiologie.
JE



Nota. Das obige Bild gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog.

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