Sonntag, 6. Mai 2018

Generatio aequivoca.


Der Begriff des Ich entsteht dadurch, dass ich auf mich zurückgehend handle. Was hat man nun getan, indem man handelte, und wie hat man es gemacht?

Ich bin mir irgend eines Objektes B bewusst. Dessen kann ich mir aber nicht bewusst sein, ohne mir meiner selbst bewusst zu sein, denn B ist nicht Ich und ich bin nicht B. Ich bin mir aber nur dadurch meiner selbst bewusst, dass ich mir des Bewusstseins bewusst bin. Ich muss mir also bewusst sein des Aktes des B[ewusst-werdens?], des Bewusstseins vom Bewusstsein. Wie werde ich mir dessen bewusst? Dies geht ins Unendliche fort und auf diese Weise lässt sich das Bewusstsein nicht erklären.

Der Hauptgrund dieser Unmöglichkeit ist, dass das Bewusstsein als Zustand des Gemüts, immer als Objekt genommen wurde, wozu es denn immer eines anderen Subjekts bedurfte. Wären dies die bisherigen Philoso- phen inne geworden, so würden sie vielleicht auf den rechten Punkt gekommen sein.

Dieser Einwurf ist nur so zu heben, dass man ein Objekt des Bewusstseins finde, welches zugleich Subjekt wäre; dadurch ein unmittelbares Bewusstsein aufgezeigt würde, ein Objekt, dem man nicht ein neues Subjekt entgegenzusetzen hat.

Antwort auf obige Frage: wie werden wir uns des Handelns bewusst? Wir beobachteten und wurden uns des- sen im Handeln bewusst. Ich, der ich handelte, wurde mir bewusst meines Handelns. – Das Bewusstsein des Handelns und das Handeln war eins, durch unmittelbares Bewusstsein. In und mit dem Denken wurde ich mir des Denkens bewusst, das heißt ich setze mich als [im] Denken handelnd. Also auch in diesem Bewusstsein setze ich mich selbst als Subjekt und Objekt [...], und dadurch erhielten wir das unmittelbare Bewusst/sein, das wir suchten. Ich setze mich schlechthin. Ein solches Bewusstsein ist Anschauung, und Anschauung ist ein sich-selbst-Setzen, kein bloßes Setzen.

Alles Vorstellen ist ein sich-Setzen. Vom Ich geht alles aus. Das Ich ist kein Bestandteil der Vorstellung, son-dern vom Ich geht alle Vorstellung aus. Alles mögliche Bewusstsein setzt das ursprüngliche Bewusstsein voraus und ist außer dem nicht zu begreifen.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 30f.
 


Nota. - Von den vielen Kernstücken der Wissenschaftslehre ist dies eines; vielleicht ein besonders kerniges? 

Die pp. Dialektik beginnt bei Fichte im bloßen Alles begründen Akt des Setzens. Der ist nun kein einfacher und schlicht positiver, sondern ein komplexer, problematischer, denn er ist analytisch-synthetisch in Einem. Etwas kann es nur geben als mein Anderes, aber das ist anders als Ich. Alles Setzen ist ein auseinander-Setzen und in-eins-Setzen zugleich. Es ist das Einbilden eines Quale - hinein in eine Ödnis von Bedeutungslosigkeit; eine ge- neratio aequivoca, darf man sagen.

Und nie vergessen: Hier ist die Rede nicht von einer realen Schöpfungsgeschichte, sondern es geht darum zu verstehen, wie ein Bewusstsein aus dem Handeln eines noch-Unbewussten hervorgehen kann - und zwar das vernünftige Bewusstsein, an ein anderes ist bei Fichte nicht zu denken.

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Übrigens: Über den reichlichen Gebrauch des 'Setzens' bei Fichte ist schon zu seiner Zeit gewitzelt worden. Er hatte, Kant folgend, eine philosophische Terminologie neu zu erfinden. Das scholastische Latein von Wolff und Baumgarten konnte nur irreführen, also bediente er sich in der klassisch-lateinischen und griechischen Überlieferung schlecht und recht. 'Setzen' ist gr. poiein, daher poioon und poiesis; lat. ponere, ponens, positio, positivus.
JE

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