Montag, 28. Mai 2018

Nur was aus dem Leben kommt, hat Realität.

Jacob Jordaens, Drei Musiker

Unsere Philosophie macht umgekehrt das Leben, das System der Gefühle, des Begehrens zum Höchsten und läßt der Erkenntnis überall nur das Zusehen. Es ist nach ihr ein solches System der Gefühle bestimmt: es ist freilich mit ihnen ein Bewußtsein verknüpft; und dies gibt eine unmittelbare, nicht eine durch / Folgerungen er- schlossene, durch freies, auch zu unterlassendes Räsonnement erst erzeugte Erkenntnis. Nur diese unmittelbare Erkenntnis hat Realität, ist, als aus dem Leben kommend, etwas das Leben bewegendes: und wenn philosophisch die Realität einer Erkenntnis erwiesen werden soll, muß ein Gefühl – ich will mich hier noch dieses Worts bedie- nen und werde über den Gebrauch desselben sogleich noch bestimmtere Rechenschaft geben – aufgezeigt wer- den, an welches diese Erkenntnis sich unmittelbar anschlösse.

Das freie Räsonnement kann jene Erkenntnis nur durchleuchten, läutern, verknüpfen und trennen, das Mannig- faltige derselben, und dadurch den Gebrauch desselben sich erleichtern und sich fertiger darin machen: aber sie [sic] kann es nicht vermehren. Unsere Erkenntnis* ist uns mit einem Male, für alle Ewigkeit gegeben, und wir können dieselbe nur weiter entwickeln, den Stoff nur aus eben diesem Stoff vermehren.

Nur das Unmittelbare ist wahr: und das Vermittelte ist wahr, inwiefern es sich auf jenes gründet, außerdem Schimäre und Hirngespinst.

*) Das Leben ist die Basis: und wenig bedeuten die Worte.  
___________________________________
Rückerinnerungen, Antworten, Fragen [S. 138f.]



*Nota. - Mit 'unserer Erkenntnis' ist hier offenbar das gemeint, was anderswo die intelligible Welt heißt: Erkenntnis aus der Reflexion. Deren Stoff ist das sinnlich Anschaubare, er ist ihr vorgegeben, sie kann ihm nichts hinzufügen und kann ihn nicht vermindern..

Fichtes Idealismus führt in seiner Anwendung aufs wirkliche (sachliche) Wissen zu einem strikten Sensualismus und Materialismus. Ein irgendwie reelles Schöpfertum des Geistes wird nirgends behauptet, es widerspräche den Voraussetzungen. Die Intelligenz bringt keine Realitäten hervor, sondern lediglich deren Anschauung. Die erste dieser vorgefundenen Realitäten ist der handelnde (vorstellende) Mensch selbst. Von diesem Punkt an ist uns unsere Erkenntnis 'mit einem Mal, für alle Ewigkeit' gegeben (sofern wir sie aus Freiheit vollziehen).
JE


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen