Samstag, 5. Mai 2018

Neuscholastik.


Bis hinein in die transzendentale Fragestellung haben es die Scholastiker nicht geschafft. Aber bis zu ihrer Eingangspforte.

Der epochale Beitrag der Scholastik zur westlichen Geistesgeschichte ist der Nominalismus. So komplex oder kompliziert die Lösungen des Universalienproblems bis Abaelard auch werden sollten: dass den Nominis eine eigene Seinsweise zukämen, kam nie in Frage. Wenn sie im Rücken auch eine dogmatische Gewissheit hatten: Nach vorn war ihr Blick entschieden kritisch. 


Denn anders als bei unseren zeitgenössichen Analytikern geschehen die Bedeutungsverschiebungen bei den Nominis nicht in einem abstrakten und insofern unwillkürlichen Sprachspiel, sondern in einer veränderten Absicht - intentio der redenden Subjekte. Dass einer die individuellen Entelechien übergreifenden Bedeutung dieselbe Realität zukommen sollte wie den Individualitäten selber, war nach ihren Prämissen nicht denkbar. Nomina sind flatus voci, Stimmhauche und rein willkürliche Zeichen. Das, was die Nomina bezeichnen, bleibt davon ganz unberührt.

Wie eine solche Auffasung zustande kommt, kann ich, wenn sie auch nicht meine ist, immerhin verstehen. Worauf die zeitgenössischen sprachanalytischen Begriffsreinigungen hinaussollen, verstehe ich aber nicht. Es kommt mir vor, als solle nach akribischer Analyse der 'Verwendung der Wörter im Spachspiel' durch definito- rische Präzision ein kristalliner Bedeutungskern freigelegt werden, an dem der Begriff gewissermaßen ankert, wie immer er jeweils verwendet werden mag. Die 'Verwendung' der Begriffe geschieht im Satz durch ihre Kombina- tionen mit andern Begriffen - Bedeutungskernen, zu denen wir hier Verben und Adjektive ebenfalls zählen -, durch die sie alle gewissermaßen ihre Schatten aufeinander werfen. 

Voraussetzungen hat diese Sichtweise, anders als die der aristotelischen Scholastiker, nicht. Aber sie läuft auf etwas hinaus: Die Bedeutungskerne sehen den platonischen Ideen zum Verwechseln ähnlich.*

Erinnern wir uns: Im scholastischen Universalienstreit standen aristotelische Franziskaner gegen platonische Dominikaner. In der westlichen Geistesgeschichte haben sich die Franziskaner behauptet. Drehen die Analytiker das Rad der Geschichte bloß zurück?

*

In den realen Wissenschaften hat sich im Westen der Nominalismus durchgesetzt in seiner ruppigstgen Form, der von Thomas Hobbes. Die Philosophie wurde seither in die Ecke gedrängt und kehrte in Gestalt der ratio- nalistischen Metaphysik zum dogmatische Denken zurück. In Leibnizens Vernunftsystem traten die Monaden an die Stelle der Entelechien, aber die Schärfe der scholastischen Dialektik war in der Kraftmeierei der Renaissance verlorengegangen. Die neue Epoche hatte keinen Sinn mehr für rasiermesserscharfe Reflexion und Analyse, das Schaffende, Positive trat in den Vordergrund: Entwurf, disegno. In der Römischen Kirche trat an die Stelle des sezierenden Disputs die dogmatische Kathedrale des Hl. Thomas (ein Dominikaner).

Es war die Realgeschichte, in der der kritische Elan des Scholastik verpuffte, und nicht die immanente Entwick- lung der philosphischen Diskurse. Die Welt waar noch lange nicht reif für die transzendentale Fragestellung, die Kritik konnte sich nicht ein eigenes Fundament schaffen.

Heute ist die Welt überreif für den transzendentalen Standpunkt, das Fundament ist gelegt und eigentlich schon Richtfest gefeiert. Worauf also warten die Philosophen noch? Man muss doch nur zugreifen

Warum man jenseits des Atlantik stattdessen die Glasperlenspiele der mittelalterlichen Scholasik neubelebt, ist ein Rätsel. Aber vielleicht ist bloß den amerikanischen Sudenten die abendländische Philosophie noch immer ein unentdeckter Kontinent.

*) ...so wie seinerzeit das Produkt von Husserls eidetischer Reduktion und Gegenstand seiner Wesensschau.

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