Sonntag, 20. Mai 2018

Zu "Jacobi an Fichte" (II)

F. Hodler

Zur Erinnerung an bestimmte Stellen,* auf welche Rücksicht genommen werden muss. 

1) Mit dem Sparren zu viel oder zu wenig. So wären wir beide Sünder. Ist es denn nun Keinem möglich, das gehörige Fachwerk im Dache zu haben? Ist das Bewusstsein zum Schwanken, zum Widerstreite zwischen Wissen unbd Glauben unwiderruflich verurteilt?

2) In der Vorrede. Der Streitpunkt ist über den Dualismus des Absoluten. Da wollen sie nun ihre Selbstständig- keit, aus reinen Enthusiasmus für die Sünde und für das Übel, als Manichäer behaupten. Nun wird ihnen ja die Selbstständigkeit Gottes nicht abgeläugnet. Nur wollen sie dieselbe erst durch Aussonderung von sich, aus der zweiten Hand, haben; wenn er nicht außer ihnen ist, sie also zugleich als wahre Selbste außer ihm, so ist er nicht. - Er ist ihnen also das zweite Selbstständige, durch den Gegensatz entstanden, um ihretwillen da, mittelbar zu erfassen: Sie selbst sind aber das Unmittelbare, ihrer Existenz und Realität gar kein Streit ist. - Sich fühlen sie, Gott nicht; in sich leben sie, nicht in ihm.

Dieser Sinn ist nun wirklich so alt, als die Welt; ist aber darum doch nur ein unheiliger und ungöttlicher Sinn.

Moralische Weltordnung - oder wenn man sich an das Wort, als ordo ondonans, absolute, eoque ipso creans, nicht gewöh- nen kann, - moralisches Prinzip, moralisch schaffende Macht: - allerdings ist (existiert) Gott an sich selbst nur als solche, und es ist uns durchaus kein anderes Mittel gegeben, ihn im Begriffe, so dass dieser nicht leer sei, zu erfassen oder wirklich in ihm, mit ihm vereinigt, zu leben, außer in diesem Elemente. Darum ein Ordnendes, und ein zu Ordnendes, Sphären dieser Ordnung bis herab auf die Sinnenwelt. Allein in / jener aber ist er zu erfassen. Er existiert nicht als Natur, oder aber als ein System von Ichen; denn diese insgesamt existieren nicht eigentlich, nicht in jener Ordnung und zufolge derselben, sondern nur in der Erscheinung derselben und zufolge ihrer ewigen Erscheinbarkeit. Dabei wird es nun bleiben, was auch Jene, die ihre sich angelogenen selbstständi- ge Existenz ehrenhalber auch mit Gott teilen und ihn damit beschenken wollen, für Gesichter dazhu machen!

3) Unwürdige Demut und Kriechen. - Was sind doch in jenen Streitigkeitnen und Verhandluingen für Dinge gesagt worden; wie hat Jeder, der nur eine Feder schneiden konnte, und seinen Katechismus auswendig wusste, geglaubt, hierbei könne er auch mitsprechen, nichts sei ja leichter! Welcher Unverstand! - Jene Demut, Falsch- heit gegen sich selbst. Es ist dies gar keine Gesinnung eines kräftigen Menschen. Keiner kann auch jemals überzeugt sein, dass es im Geiste helfen wird, sondern er hofft immer nur in's Leere hin, und speist sich mit dieser leeren Hoffnung ab. Er hat sich also selbst weggeworfen und aufgegeben. - Endlich noch das Postulat: dass Alle eben solche Tröpfe sein sollen, wie sie.

4) Durch Hochmut selig werden, er durch Demut. - Ich hoffe, wir werden es beide werden ohne eins von beiden. Wie sollte überhaupt denn der Mensch vernünftiger Weise zu einem von beiden kommen? - Sich zum Gegenstande seines Nachdenkens macht, wohl gar dem andern gegenüber sich bespiegelnd, - was an sich schon ein Zeichen von Kränklichkeit und Schwäche ist, - wie ich denke, der ernsthafte Mann nie, als wenn er sich als Werkzeug ansieht für ein gewisses Unternehmen, Wagstück. Verrechnet er sich, indem er seine Kräfte überschätzt, so ist dies noch etwas Schlimmeres als Hochmut; es ist Vermessenheit. Schlägt er sie nicht ganz an, und unterlässt, zu dessen Ausführung er berufen, so ist das gar nicht lobenswürdige Demut, sondern sehr tadelnswürdige Feigheit und Faulheit; denn der Mensch soll schlechthin, was er kann. Freilich wird in solchen Selbstprüfungen das ver- gangene Leben, und wie wir uns darin haben kennen lernen, seine Hauptprämisse sein; / und da wir eben zu Allem uns tüchtig zu machen streben sollen, falls wir uns nicht so finden, so wird daraus die Anstrengung ent- stehen, uns selbst besser dafür auszubilden, aber nicht damit nun ein müßig lobpreisendes Selbstbehagen, oder, wenn es nicht gelingt, eine jämmerliche Zerknirschtheit über unsere Sündhaftigkeit unser künftiges Leben ver- zehre, sondern damit wir immer kühner zum vorliegenden Werke schreiten, oder, wenn uns das Große versagt ist, im Kleinen treu erfunden werden, immer aber unsere Individualität in der Sache verlieren. So, sage ich, beim Handeln. An eine unablässige Selbstprüfung unseres Wesens in's Allgemeine hinein, und an Vorberei- tungen zu einer Generalbeichte zu gehen, müßiger Weise, als ob die Welt nicht voll wäre anderer Aufgaben und Taten, ist sehr unweise. Lasse man seine schwache Seite nur durch das Leben kräftig berühren und aufdecken: in der verborgenen Winkeln desselbe aber, die etwa doch nicht berührt werden, mit seinen Gedanken herum- wühlen, ist teils eine Sünde, weil es Müßiggang ist; teils trägt man dann aus übergroßer Demut allerlei Unreinig- keiten, die man allerdings in sich finden mag, wenn man sie sucht, mit ausdrücklichem Bewusstsein in sich hin- ein, und besudelt sich so wirklich durch dieses sich schlechter machende Andichten. Lasset uns selig sein in der einfachen Treue gegen das Göttliche in uns, demselben folgen, wie es uns zieht, und weder durch eigene Werk- heiligkeit, noch durch Selstzerknirschung und allerlei Ankünsteln, das nicht aus Ihm ist.
 
*) in Jacobi an Fichte
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Zu "Jacobi an Fichte", SW XI, S. 392ff.


Nota. - Im Jahr 1806 plante Fichte die Herausgabe einer neuen philosophischen Zeitschrift. Dabei ist der obige Text wohl entstanden. Nachdem zunächst noch auf das Jacobi'sche Schreiben von 1799 eingegangen wird, kommen philosophische Fragen zur Sprache, aber in völlig unkritischer, ungeniert dogmatisch-spekulativer Weise. Doch auch davon kommt F. sogleich wieder ab. Er stürzt sich in eine fromme Erbauungspredigt, die, wenn überhaupt, ein theoretisches Interesse nur unter Theologen erheischen kann. Es ist eine begeisterte Ge- fühlsreligion à la Schleiermacher und zugleich ein moralischer Aktivismus à la Fichte. Nur von Philosophie handelt sie nicht. Sie werden nun verstehen, weshalb ich Fichtes Philosophie nach 1800 ganz unberücksichtigt lasse.
JE

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