Samstag, 22. September 2018
Eine aktualistische Fundamentalontologie.
Wir handeln nicht, weil wir erkennen, sondern wir erkennen, weil wir zu handeln bestimmt sind; die praktische Vernunft ist die Wurzel aller Vernunft. Die Handelsgesetze für vernünftige Wesen sind unmittelbar gewiss:* ihre Welt ist gewiss nur dadurch, dass jene gewiss sind.
Wir können den ersteren nicht absagen, ohne dass uns die Welt, und mit ihr wir selbst in das absolute Nichts versinken; wir erheben uns aus diesem Nichts, und erhalten uns über diesem Nichts lediglich durch unsere Moralität.
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Die Bestimmung des Menschen, SW II, S. 263
*) "Die Moral sagt schlechterdings nichts Bestimmtes – sie ist das Gewissen – eine bloße Richterin ohne Ge- setz. Sie gebietet unmittelbar, aber immer einzeln. Gesetze sind der Moral durchaus entgegen." Novalis, Allge- meines Brouillon, N°670
Nota I. - Ab hier wird die Wissenschaftslehre zu einer Fundamentalontologie. Sein ist Dasein und Dasein ist Handeln-müssen. Das ist keine Metaphysik, die aus Begriffen konstruiert. Es ist eine Existenzphilosophie, auf theortischen Erwägungen beruht sie nur ex negativo. Sie kann vielmehr als Metaphilosophie das theoretische Wissen ihrerseits begründen.
28. 4. 14
Nota II. - "Ab hier wird...": Philosophisch ist das richtig, philologisch ist es falsch. In der Bestimmung des Menschen vollzieht Fichte vielmehr auf Jacobis Einrede hin seine dogmatische Abkehr von der Transzendentalphiloso- phie. Obiges Zitat stammt aus dem Zweiten Buch unterm Titel "Zweifel". Dort entwickelt er mit einiger Radi- kalität die nihilistischen Konsequenzen der Kritischen Philosophie. Im Dritten Buch, "Wissen", bekehrt er sich zu einer realistischen, neodogmatischen proiectio per hiatum irrationalem (die er aber zugleich Jacobi vorwirft).
Jacobis Einwände waren ausdrücklich nicht philosophisch begründet. Er bestätigt Fichte im Gegenteil, die Wissenschaftslehre sei wirklich, wie jener behauptete, die regelrechte und konsequente Vollendung der Kant- schen Kritik. Sein Einwand ist weltanschaulisch und moralistisch motiviert: Wäre sie nur auf sich selbst gestellt, schwebte die Vernunft in der Luft und hätte nichts, woran sie sich halten kann. Ein sittliches Leben sei so nicht möglich.
Das traf Fichte härter als der Vorwurf des Atheismus. Für ihn sollten Vernunft und Sittlichkeit einander ver- bürgen und momöglich 'letzten Endes dasselbe' sein, denn um die richtigen Zwecke geht es ja beiden. Das Problem ist dann aber die Richtigkeit der Zwecke. Der radikale Kritizist wird sagen: Die wird sich finden. Aber so radikal war Fichte doch nicht. Im tiefsten Herzen wollte er glauben: Sie wird sich wieder finden.
Doch ohne Streit weder dieses noch jenes.
JE
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