Donnerstag, 13. September 2018

Fichte als Mystiker und Romantiker.

 
Die produktive Einbildungskraft erneuert nicht: Sie ist, wenigstens für das empirische Bewusstsein, völlige Schöpferin, und Schöpferin aus dem Nichts. ...

Die produktive Einbildungskraft, sage ich, schafft den Stoff der Vorstellung, sie ist die ein[z]ige Beildnerin des- sen, was in unserm empirischen Bewusstsein vorkommt, die ist Schöpferin dieses Bewusstseins. Aber die Ein- bildungskraft, auch in dieser ihrer / produktiven Macht, ist doch kein Ding an sich, sondern ein Vermögen des einzigen uns unmittelbar gegebnen Dinges an sich, des Ich. Also muss selbst ihre Schöpfermacht einen höhern Grund im Ich haben; d. h. auf eine andere und für unsere Untersuchuung bequemere Art Ausgedrückt, mag doch die produktive Einbildungskraft für das Bewusstsein Schöpferin sein, so kann sie für das Ich überhaupt nur Bildnerin sein, und das, woraus sie bildet, muss im Ich liegen. 


Und so ist es denn auch wirklich.

Im Gefühl liegt, was die Einbildungskraft bildet und dem Bewusstsein vorhält. Das Gefühl, welches ich hier nicht weiter erklärern kann noch soll, ist der Stoff alles Vorgestellten, und der Geist überhaupt oder die pro- duktive Einbildungskraft lässt sich also beschreiben als Vermögen, Gefühle zum Bewusstsein zu erheben. ...

Aber unter den Gefühlen selbst ist ein großer Unterschied; einige beziehen sich auf doß animalische Leben des Menschen. Diese liegen nicht so tief und werden am leichtesten, gewissesten und notwendigsten - zwar nicht als Gefühle, davon ist hier nicht die Rede - aber als Vorstellungen zum Bewusstswein erhoben. Diesen auf die bloße Vorstellunjg einer sinnlichen, unter Naturgesetzen stehenden Welt der Erscheinungen sich beziehenden Gefühlen liegen wieder andere Gefühle zum Grunde, die sich nicht auf das bloß animalische Lebend des Men- schen, sondern auf ein vernünftiges und geistiges, nicht auf die bloße Ordnung der Erscheinungen unter Natur- gesetzen, sondern die Untedodnung derselben und aller vernünftigen Geister unter die Gesetze des sittlichen Ornung, der geistigen Harmonie, der Vereinigung aller zu einem Reiche der Wahrheit und der Tugend bezie- hen.  

Diese liegen, das ich mich so ausdrücke, um eine Region tiefer in unserm Geiste, sie liegen in einem geheimen Heiligtume; man muss erst durch die Welt der Erscheinungen hindurch, muss der Sinnlickeit erst absterben, um zu diesem höhern geistigen Leben zu gelangen. Bezeichnen und umfassen die Gefühle von der ersteren Art das Gebiet der Begriffe, so begründen die der letztern Art das Feld der Ideen und der Ideale. ...

Folgendes sind die allgemeinsten Formen der Ideen, in deren Vorstellung sich der Geist zeigt. Über die notwen- digen Formen der Körper im Raume erhebt sich der Geist zur freien Begrenzung des Urschönen, dem nichts in dieser Sinnenwelt gleicht, über den Wechsel der Empfindungen in der Zeit zur freien Begrenzung des Ergöt- zenden, wo Empfindungen Empfindungen drängen, ohne dass sie verändert scheinen; über die Begrenzung al- ler Empfindungen in Zeit und Raum sich weg zum Anstaunen es Urerhabenen, über den Wechsel seiner Über- zeugungen zum Gefühl einer ewigen Wahrheit, über allen Einfluss des Sinnlichen hinweg zur erhabenen Idee, der völlig dargestellten sittlichen Vollkommenheit, oder der Gottheit. 
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Von den Pflichten des Gelehrten, Hamburg 1971, S. 58f.; 60; 61


Nota. - So bin ich nun also endlich auf Grund gestoßen! Und zwar gleich in dreierlei Hinsicht. Zuerst einmal, was das intellektuelle Gefühl angeht. Er hat es keineswegs erst später aus dem Hut gezogen, um den 'Denk- zwang' als Gefühl der sinnlichen Erfahrung gleichrangig zur Seite stellen zu können; sondern es lag seiner Philosophie von Anbeginn zu Grunde.

Zweitens, und das ist von Allem das Wesentliche, er erklärt die Vernunft keineswegs, wie es in seinen akademi- schen Vorträgen den Anschein hat, aus dem vorwärtsgerichteten - ad quem - Trieb zum Bestimmen, sondern - a quo - als Strom aus einem Quell. Er mag immer sagen: Der Geist nimmt die Regel von innen aus sich selbst; er bedarf kei- nes Gesetzes, sondern er ist sich selbst ein Gesetz ebd. S. 64 - der Satz ist vorab kassiert durch die Prämisse Alle Vernunft- gesetze sind im Wesen unseres Geistes begründet. ebd. S. 22 

Und drittens schließlich bestimmt er als wahrer Romantiker das Wesen der Vernunft zwar nicht aus ihrem Fluchtpunkt, wohl aber aus ihrer Herkunft als ästhetisch. Da treten das Urschöne auf, das Ergötzende, das An- staunen des Erhabenen, und noch die ewige Wahrheit ist erhaben in ihrer Vollkommenheit.

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Die Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten hat Fichte teils vor, teils am Anfang seiner akademi- schen Vorträge für die Öffentlichkeit gehalten. Die ersten fünf erschienen noch 1794 als Broschüre; den Schlussteil hat er später unter dem Titel Über Geist und Buchstab in der Philosophie für Schillers Horen umgearbeitet, wo sie allerdings nicht erschienen. Die oben zitierten Passagen sind zu Fichtes Lebzeiten nicht gedruckt worden.

In den Vorträgen werden die Grundideen der Wissenschaftslehre umrissen, aber nicht entwickelt. Es sind po- puläre und keine wissenschaftlichen Texte. Und vor allem trägt F. die Wissenschaftslehre vor, bevor er sie noch für sich selbst ausgearbeitet hat - streckenweise auf bloßen Verdacht und Vorahnung. 

Umso ungezwungener ist er in der Darstellung seines Ausgangspunkts. Und da gibt er sich als mystischer Schwärmer zu erkennen. Nicht, dass er schließlich vor Jacobi eingeknickt ist, bedarf einer Erklärung, sondern wie er es zuvor in der Transzendentalphilosophie so weit hat bringen können. Er war eben wie die andern Jenaer Romantiker auch ein ungestümer Freigeist. Das lässt ihn bis heute überdauern.
JE

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