Mittwoch, 12. September 2018

Doch ein Vernunftdogmatiker?

footage.framepool
 
...der Geist ist einer, und was durch das Wesen der Vernunft gesetzt ist, ist in allen vernünftigen Individuen dasselbe.
_________________________________________________
Über Geist und Buchstab in der Philosophie
[1794], SW VIII , S. 292


Nota I. - Die dogmatische Wendung in der Bestimmung des Menschen ist Fichte nicht von Jacobi eingeflüstert wor- den. Sie war vorbereitet in seiner von Anbeginn schwankenden Haltung zur Idee der Vernunft: Ist sie etwas erst noch zu Entwerfendes, oder ist sie ein fertiges Programm, das es allenfalls noch 'durchzuführen' gilt? Jacobis Eingreifen hat ihn lediglich genötigt, seinem Schwanken ein Ende zu setzen.
23. 5. 14

Nota II. - Zuvor hatte es geheißen, Geist sei lediglich schaffende Einbildungskraft, eine "ursprüngliche prädika- tive Qualität". Dann hieß es auch, die intelligible Welt - das ist alles, was im Geist vorkommt, und dazu gehört das Ich - sei Noumenon. Und dann noch: das Intelligible entstehe überhaupt erst aus dem Versuch des Begreifens. Nehme ich den Geist als Noumenon, darf ich wohl noch sagen, er sei einer. Doch dann darf ich noch nicht von dem reden, was in ihm gesetzt sei, denn das stünde noch aus, und ipso facto hörte der Geist auf, einer zu sein, und würde zu einer Mannigfaltigkeit von Intelligenzen. 

Zu Grunde liegt ihnen eine unbestimmte ursprüngliche prädikative Qualität, aus der heraus ein Ich sich (durch Ent- gegensetzen) bildet - im Versuch des Begreifens. Woher da Einheit kommen könnte, bleibt im Dunkel.

*

Ich räume ein: Die Rede vom Wesen der Vernunft ist irreführend - nämlich als ob es ein solches geben könnte vor und unabhängig von der Tätigkeit der Vernunft; ihr Wesen sei eins, doch sobald sie tätig wird, unterschieden sich ihre Werke als mannigfaltige. 

Kurz zuvor (aaO, S. 288) hatte Fichte gesagt, wir müssten mit der Erfahrung unser Leben anfangen - bevor wir durch den ästhetischen Sinn zur Betrachtung um ihrer selbst willen verführt werden -, und als Bedingungen aller Erfahrung zählt Kant seine zwölf Kategorien und zwei Anschauungsformen auf. Es handelt sich da um die empi- rischen Grundlagen der Vernünftigkeit, und die sind für alle endlichen Intelligenzen dieselben. Doch dass sie "durch das Wesen der Vernunft gesetzt" seien, wäre eine sehr schiefe Formulierung. Doch hier steht er noch am Anfang seiner Lehrtätigkeit.
JE

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen