Montag, 5. November 2018

"Gewiss".

Lupo  / pixelio.de

Zuförderst über den Doppelsinn des Wortes Gefühl, der auch Herrn E. an meiner Meinung irrig gemacht. Das Gefühl ist entweder sinnlich und das des Bittern, Roten, Harten, Kalten usw., oder intellektuell. Herr E. und mit ihm alle Philosophen seiner Schule scheint die letztere Art gänzlich zu ignorieren, nicht zu beachten, daß auch eine solche Gattung angenommen werden müsse, um das Bewußtsein begreiflich zu machen.

Ich habe es hier mit dem ersten nicht zu tun, sondern mit dem letztern. Es ist das unmittelbare Gefühl der Ge- wißheit und Notwendigkeit eines Denkens. – Wahrheit ist Gewißheit: und woher glauben die Philosophen der entgegengesetzten Schule zu wissen, was gewiß ist? Etwa durch die theoretische Einsicht, daß ihr Denken mit den logischen Gesetzen übereinstimmt? Aber woher wissen sie denn, daß sie sich in diesem Urteile über die Übereinstimmung nicht wieder irren? Etwa wieder durch theoretische Einsicht? Aber wie denn hier? – Kurz, da werden sie ins Unendliche getrieben, und ein Wissen ist schlechthin unmöglich. – Überdies, ist denn Gewißheit ein Objektives, oder ist es ein subjektiver Zustand? Und wie kann ich einen solchen wahrnehmen, außer durch das Gefühl?
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Rückerinnerungen, Antworten, Fragen [S. 146]  



Nota. - 'Ich weiß' bedeutet nach Wittgenstein: Es ist mir als gewiss bekannt. Bekannt wodurch? Das muss sich doch objektivieren lassen, sonst bietet es keinen Grund. Durch ein Gefühl, sagt Fichte, und assimiliert es den sinnli- chen Reizen, die uns unsere Erfahrungen gewiss werden lassen.

Die Sinnesreize und ihr Weg ins Bewusstsein lassen sich bildgebend objektivieren,* das Denkgefühl nicht, könn- ten zeitgenössische Neurowissenschaftler einwenden. Das konnte Fichte noch nicht ahnen, doch hätte er mit der Gleichsetzung beider nicht vorsichtiger sein müssen? 

Streng genommen setzt er ja nur die Wirkungen gleich, nicht Herkunft und 'Wesen'. Viel besser macht das die Sache nicht, denn jetzt ist es eine Petitio principii: Dass das eine fürs Denken so notwendig ist wie das andere für die Erfahrung, ist ja, was er behauptet - aber noch beweisen müsste.

Es geht aber um Notwendigkeit zweierlei Grades. Der Widerstand der Dinge, der meine Gefühle begründet, ist ein Hinweis auf die Annahme ihrer Realität auch außerhalb meiner Vorstellung. Eine solche Beweislast wird der Denknotwendigkeit nicht aufgebürdet: Das Gefühl, nicht anders denken zu können, bleibt immanent und weist nicht über das Vorstellen hinaus. Es bezeugt nur, dass das Denken mit sich einig und im Reinen geblieben ist. Wahrer kann es nicht sein. 

Mehr als das bedeutet freilich die Annahme der Wriklichkeit der Dinge außer uns auch nicht: Sie ist nicht sach- lich erwiesen, sondern nur gedanklich gerechtfertigt. Mehr Wahrheit gibt es für uns nicht als - "Gewissheit".
*) Objektivieren lässt sich, dass etwas geschieht. Was geschieht natürlich nicht.
JE

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