Murashov, Frierender
Im vorigen Paragraphen
ist die Anschauung als notwendig und die Gründe dieser Notwendigkeit
aufgezeigt. Aber im Anschauen verliert sich das Ich im Objekte, wie ist
also noch ein //88//
Begriff von einem freien Han- delns möglich, oder wie ist das Ich für
sich selbst möglich? Wir müssen also jetzt noch das Ich aufsuchen oder
zeigen, wie die Anschauung auf das Ich muss bezogen werden, wie das Ich
für sich da sein müsse.
1) Es gibt nach dem Obigen ein Mannigfaltiges des Gefühls,
aber ein Gefühl ist eine bestimmte Beschränktheit, und es ist
unmöglich, dass das Ich sich in derselben Rücksich als beschränkt fühle
und sich auch nicht auf diese Weise beschränkt fühle; was allerdings
sein würde, wenn in derselben Rücksicht ein Mannigfaltiges des Gefühls
sein sollte. Das Ich wäre auf diese Art beschränkt und nicht beschränkt,
das Ich wäre sich selbst entgegenge- setzt; es bliebe keine Realität
(Stoffheit). Sonach lässt sich ein solches Mannigfaltiges nur denken
durch Verän- derung des Zustands des Fühlenden. (Das Mannigfaltige darf
kein simultanes, sondern muss ein sukzessives sein; dies wird erst
deutlich, wenn die Zeit deduziert ist.)
Wie soll denn nun eine
Veränderung der Zustands des Fühlenden möglich sein? Unsere bisherige
Ansicht ist: Das Ich ist ursprünglich in gewisse Schranken
eingeschlossen; daraus geht für das Ich hervor eine Welt. Das Ich kann
mit absoluter Freiheit diese Schranken erweitern, dadurch verändert es
seinen Zustand und damit auch seine Welt. Aber die Möglichkeit dieser
Selbstbestimmung durch Freiheit ist noch nicht deduziert. Folglich kann
hier die Rede davon noch nicht sein.
Verändert sich etwa der
Zustand unserer Beschränktheit und die ihm korrespondierende Welt von
selbst? Dies ist nicht zu erwarten, denn es gehört zum Charakter der
Welt, dass sie nur ist, nicht wird, sie fängt keine Hand- lung an. Die
Sache müsste so sein, dass schon in unserer Natur, in unserer
Bestimmtheit ein Prinzip der Verän- derung läge, so wie dies bei den
Plflanzen und Tieren der Fall ist. - Tiefer unten wird sich so etwas
finden. - Es verhalte sich wie es wolle, so darf ich hier diesem
Postulate der Veränderung nur hypothetische Gültigkeit zu- schreiben.
Sollte sich aber zeigen, dass nur allein durch eine solche Annahme, und
ohne sie nicht, das Bewusst- sein erklärt werden könnte, dann hätte ich
das Recht, sie kategorisch zu postulieren.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 87f.
Nota I. -
'Zum Charakter der Welt gehört, dass sie nur ist, nicht wird': Das wäre
absurd, wenn von der Welt die Rede wäre, 'wie sie wirklich ist'. Hier
ist aber die Rede davon, wie sie erstmals in der Vorstellung vorkommt,
und zwar nicht die Welt in concreto, sondern eine 'Welt überhaupt'. Die
setzt sich das Bewusstsein allerdings als schlechthin daseiend voraus.
Nota II. - [Gewiss wird sich das Ich seiner schließlich bewusst werden, indem es sich in seiner Vorstellung sich selbst 'entgegensetzt'. Aber wie kommt es dazu? Durch die Veränderlichkeit seines Zustands im Gefühl, die ist Bedingung.]
Nota III. - Grund allen Bewusstseins ist das Gefühl, das sich ergibt aus dem Widerstand der - so erst aufgefun- denen - Gegenstände gegen die originäre Tätigkeit des Ich. Der formale Logiker wird sagen: Also waren die Gegenstände vorher da. Der genetische Logiker entgegnet: Von einem An-sich weiß ich nichts, ich rede vom Werden der Vorstellung. Das Gefühl selbst kann noch nicht vorgestellt werden, denn solange es sich gleich bleibt, wird es nicht bemerkt. Es ist der Übergang des einen Gefühls in ein anderes, der bemerkt und angeschaut und schließlich zum Bild wird. (Von da an ist eine Unterscheidung der Mannigfaltigen durch Reflexion und Abstraktion allerdings möglich.)
Und zwar ist nicht die Rede von den einzelnen Sinnesreizen, die nach- und miteinander auf den Organismus einprasseln. Die wären als dieses oder jenes auch nicht zu unterscheiden, sondern nur ein einziger ungestalter Strom. Es sind die Gesamtzustände, zu denen der Organismus die Mannigfaltigkeit der Sinnesreize bildet, die als Ganze unterschieden und gefühlt werden.
Ein heikler Punkt: Gefühl ist ein Zustand des Leidens, des Unfreiseins. Es ist ein Zustand, wo das Ich tätig sein will, aber nicht kann. Wie das bei Gegenständen in Raum und Zeit zu verstehen ist, liegt auf der Hand. Doch in den jeweiligen Gesamtzustand des Organismus gehen auch die Widerstände ein, auf die seine intellektive Tätig- keit stößt - der ominöse Denkzwang. Phänomenal ist es offenkundig, dass in meine momentane Gemütsver- fassung physische Gefühle und sinnhafte Vorstellungen gleichermaßen eingehen. Doch wie eine Synthesis mög- lich ist, erklärt Fichte nicht. Es ist auch nicht wirklich Sache der Transzendentalphilosophie, einen solchen Nachweis zu erbringen. Doch die Bedingungen der Möglichkeit sollte sie schon angeben können.
Das Problem im engeren Verständnis ist: Vom Gefühl des Denkzwangs kann ich abstrahieren - vielleicht nicht aus Freiheit, aber im Wahn; vom physischen Gefühl kann ich nicht absehen, höchstens mich - durch viel Willen - ablenken. Jedoch: Der Wahnsinnige sieht vom Denkzwang nicht ab, sondern der Wahn ist eben, dass er ihn gar nicht empfindet. Aber so beißt sich die Katze in den Schwanz.
JE
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