Mittwoch, 27. Februar 2019

Recht und gemeiner Menschenverstand.


Es ist dargetan worden, dass ein gewisser Begriff, d. i. eine gewisse Modifikation des Denkens, eine gewisse Weise, die Dinge zu beurteilen, dem vernünftigen Wesenen als solchem notwendig sei. Nenne man diese Be- griffe vorläufig X. Wirken muss dieses X, wo nur Menschen beieinander leben und sich äußern und eine Be- nennung in ihrer Sprache haben, von selbst, ohne alles Zutun des Philosophen, der es erst mühsam deduziert. 

Ob nun dieses X gerade das sei, was der Sprachgebrauch das Recht nennt, ist eine Frage, über die der gemeine Menschenverstand, aber - wohl zu merken - nur der gemeine, sich selbst überlassene, keinesweges der durch die willkürlichen Erklärungen und Deutungen der Philosophen betäubte und irre gemachte Menschenverstand zu entscheiden hat. 

Vorläufig erklären wir mit unserem eigenen vollkommenen Rechte, dass der deduzierte Begriff X, dessen Reali- tät eben durch die Deduktion erwiesen ist, uns in dieser Untersuchung der Rechtsbegriff heißen solle, und kein möglicher anderer - / auf unsere eigene Verantwortung, ob wir alle die Fragen, welche der gemeine Menschen- verstand über das Recht erheben kann, aus ihm beantworten können oder nicht.
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Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre, SW Bd. III, S.
53f.



Nota. - Ein Rechtsbegriff, der nicht zugleich der des gemeinen Menschenverstandes ist, kann in einer Gesellschaft freier Wesen nicht gelten. Es ist nichts anderes als die Frage, wie vernünftig ein gemeiner, nämlich ein herrschender Menschenverstand ist. Vernunft zur Herrschaft bringen ist allerdings kein theoretisches Problem, sondern ein praktisches. Soll es jedoch praktisch gelöst werden, müssen Leute es sich praktisch stellen. Dazu brauchen sie the- oretische Einsicht.
JE


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