§ 3. Dritter, seiner Form nach bedingter Grundsatz.
[105] Mit jedem Schritte, den wir in unserer Wissenschaft vorwärts thun, nähern wir uns dem Gebiete, in welchem sich alles erweisen lässt. Im ersten Grundsatze sollte und konnte gar nichts erwiesen werden; er war der Form sowohl als dem Gehalte nach unbedingt, und ohne irgend einen höheren Grund gewiss. Im zweiten liess zwar die Handlung des Entgegensetzen, sich nicht ableiten; wurde aber nur sie ihrer blossen Form nach unbedingt gesetzt, so war streng erweislich, dass das Entgegengesetzte = Nicht-Ich sein müsste. Der dritte ist fast durchgängig eines Beweises fähig, weil er nicht, wie der zweite dem Gehalte, sondern vielmehr der Form nach, und nicht wie jener, von Einem, sondern von Zwei Sätzen bestimmt wird.
Er wird der Form nach bestimmt, und ist bloss dem Gehalte nach unbedingt – heisst: die Aufgabe für die Handlung, die durch ihn aufgestellt wird, ist bestimmt durch die vorhergehenden zwei Sätze gegeben, nicht aber die Lösung[105] derselben. Die letztere geschieht unbedingt und schlechthin durch einen Machtspruch der Vernunft.
Wir heben demnach mit einer Deduction an, und gehen mit ihr, so weit wir können. Die Unmöglichkeit sie fortzusetzen wird uns ohne Zweifel zeigen, wo wir sie abzubrechen, und uns auf jenen unbedingten Machtspruch der Vernunft, der sich aus der Aufgabe ergeben wird, zu berufen haben.
A.
1) Insofern das Nicht-Ich gesetzt ist, ist das Ich nicht gesetzt; denn durch das Nicht-Ich wird das Ich völlig aufgehoben.
Nun ist das Nicht-Ich im Ich gesetzt: denn es ist entgegengesetzte aber alles Entgegensetzen setzt die Identität des Ich, in welchem gesetzt, und dem gesetzten entgegengesetzt wird, voraus.
Mithin ist das Ich im Ich nicht gesetzt, insofern das Nicht-Ich darin gesetzt ist.
2) Aber das Nicht-Ich kann nur insofern gesetzt werden, inwiefern im Ich (in dem identischen Bewusstseyn) ein Ich gesetzt ist, dem es entgegengesetzt werden kann.
Nun soll das Nicht-Ich im identischen Bewusstseyn gesetzt werden.
Mithin muss in demselben, insofern das Nicht – Ich gesetzt seyn soll, auch das Ich gesetzt seyn.
3) Beide Schlussfolgen sind sich entgegengesetzt: beide sind aus dem zweiten Grundsatze durch eine Analyse entwickelt, und mithin liegen beide in ihm. Also ist der zweite Grundsatz sich selbst entgegengesetzt, und hebt sich selbst auf.
4) Aber er hebt sich selbst nur insofern auf, inwiefern das gesetzte durch das entgegengesetzte aufgehoben wird, mithin, inwiefern er selbst Gültigkeit hat. Nun soll er durch sich selbst aufgehoben seyn, und keine Gültigkeit haben.
Mithin hebt er sich nicht auf.
Der zweite Grundsatz hebt sich auf; und er hebt sich auch nicht auf.[106]
5) Wenn es sich mit dem zweiten Grundsatze so verhält, so verhält es sich auch mit dem ersten nicht anders Er hebt sich selbst auf, und hebt sich auch nicht auf. Denn
Ist Ich = Ich, so ist alles gesetzt, was im Ich gesetzt ist.
Nun soll der zweite Grundsatz im Ich gesetzt seyn, und auch nicht im Ich gesetzt seyn.
Mithin ist Ich nicht Ich, sondern Ich = Nicht-Ich, und Nicht-Ich = Ich.
B.
Alle diese Folgerungen sind von den aufgestellten Grundsätzen, nach den als gültig vorausgesetzten Reflexionsgesetzen abgeleitet; sie müssen demnach richtig seyn. Sind sie aber richtig, so wird die Identität des Bewusstseyns, das einige absolute Fundament unseres Wissens, aufgehoben. Hierdurch nun wird unsere Aufgabe bestimmt. Es soll nemlich irgend ein X gefunden werden, vermittelst dessen alle jene Folgerungen richtig seyn können, ohne dass die Identität des Bewusstseyns aufgehoben werde.
1) Die Gegensätze, welche vereinigt werden sollen, sind im Ich, als Bewusstseyn. Demnach muss auch X im Bewusstseyn seyn.
2) Das Ich sowohl, als das Nicht-Ich sind beides Producte ursprünglicher Handlungen des Ich, und das Bewusstseyn selbst ist ein solches Product der ersten ursprünglichen Handlung des Ich, des Setzens des Ich durch sich selbst.
3) Aber, laut obiger Folgerungen, ist die Handlung, deren Product das Nicht-Ich ist, das Entgegensetzen, gar nicht möglich ohne X. Mithin muss X selbst ein Product, und zwar ein Product einer ursprünglichen Handlung des Ich seyn. Es giebt demnach eine Handlung des menschlichen Geistes = Y, deren Product = X ist.
4) Die Form dieser Handlung ist durch die obige Aufgabe vollkommen bestimmt. Es sollen durch sie das entgegengesetzte Ich, und Nicht-Ich vereinigt, gleich gesetzt werden, ohne dass sie sich gegenseitig aufheben. Obige Gegensätze[107] sollen in die Identität des einigen Bewusstseyns aufgenommen werden.
5) Wie dies aber geschehen könne, und auf welche Art es möglich seyn werde, ist dadurch noch gar nicht bestimmt; es liegt nicht in der Aufgabe, und lässt sich aus ihr auf keine Art entwickeln. Wir müssen demnach, wie oben, ein Experiment machen, und uns fragen: wie lassen A und – A, Seyn und Nicht-Seyn, Realität und Negation sich zusammendenken, ohne dass sie sich vernichten und aufheben?
6) Es ist nicht zu erwarten, dass irgend jemand diese Frage anders beantworten werde, als folgendermaassen: sie werden sich gegenseitig einschränken. Mithin wäre, wenn diese Antwort richtig ist, die Handlung Y ein Einschränken beider Entgegengesetzter durch einander; und X bezeichnete die Schranken.
(Man verstehe mich nicht so, als ob ich behauptete, der Begriff der Schranken sey ein analytischer Begriff, der in der Vereinigung der Realität mit der Negation liege, und sich aus ihr entwickeln liesse. Zwar sind die entgegengesetzten Begriffe durch die zwei ersten Grundsätze gegeben; die Forderung aber, dass sie vereinigt werden sollen, im ersten enthalten. Aber die Art, wie sie vereinigt werden können, liegt in ihnen gar nicht, sondern sie wird durch ein besonderes Gesetz unseres Geistes bestimmt, das durch jenes Experiment zum Bewusstseyn hervorgerufen werden sollte.)
7) Aber im Begriffe der Schranken liegt mehr, als das gesuchte X; es liegt nemlich zugleich der Begriff der Realität und der Negation, welche vereinigt werden, darin. Wir müssen demnach, um X rein zu bekommen, noch eine Abstraction vornehmen.
8) Etwas einschränken heisst: die Realität desselben durch Negation nicht gänzlich, sondern nur zum Theil aufheben. Mithin liegt im Begriffe der Schranken, ausser dem der Realität und der Negation, noch der der Theilbarkeit (der Quantitätsfähigkeit überhaupt, nicht eben einer bestimmten[108] Quantität) Dieser Begriff ist das gesuchte X und durch die Handlung Y wird demnach schlechthin das Ich sowohl als das Nicht-Ich theilbar gesetzt.
9) Ich sowohl als Nicht-Ich wir theilbar gesetzt; denn die Handlung Y kann der Handlung des Gegensetzens nicht nachgehen, d. i. sie kann nicht betrachtet werden, als durch dieselbe erst möglich gemacht; da laut obigen Beweises ohne sie das Gegensetzen sich selbst aufhebt und mithin unmöglich ist. Ferner kann sie nicht vorhergehen; denn sie wird bloss vorgenommen, um die Entgegensetzung möglich zu machen, und die Theilbarkeit ist nichts, ohne ein theilbares. Also geht sie unmittelbar in und mit ihr vor; beide sind Eins und eben Dasselbe, und werden nur in der Reflexion unterschieden. So wie dem Ich ein Nicht-Ich entgegengesetzt wird, wird demnach das Ich, dem entgegengesetzt wird, und das Nicht-Ich, das entgegengesetzt wird, theilbar gesetzt.
C.
Jetzt haben wir bloss noch zu untersuchen, ob durch die aufgestellte Handlung die Aufgabe wirklich gelöst, und alle Gegensätze vereinigt sind.
1) Die erste Schlussfolge ist nunmehr folgendermaassen bestimmt. Das Ich ist im Ich nicht gesetzt, insofern, d. i. nach denjenigen Theilen der Realität, mit welchen das Nicht-Ich gesetzt ist. Ein Theil der Realität, d. i. derjenige, der dem Nicht-Ich beigelegt wird, ist im Ich aufgehoben. Diesem Satze widerspricht der zweite nicht. Insofern das Nicht-Ich gesetzt ist, muss auch das Ich gesetzt seyn; nemlich sie sind beide überhaupt, als theilbar ihrer Realität nach, gesetzt.
Erst jetzt, vermittelst des aufgestellten Begriffes kann man von beiden sagen: sie sind etwas. Das absolute Ich des ersten Grundsatzes ist nicht etwas (es hat kein Prädicat, und kann keins haben); es ist schlechthin, was es ist, und dies lässt sich nicht weiter erklären. Jetzt vermittelst dieses Begriffes ist im Bewusstseyn alle Realität; und von dieser kommt dem Nicht-Ich diejenige zu, die dem Ich nicht zukommt, und umgekehrt. Beide sind etwas;[109] das Nicht-Ich dasjenige, was das Ich nicht ist, und umgekehrt. Dem absoluten Ich entgegengesetzt (welchem es aber nur, insofern es vorgestellt wird, nicht insofern es an sich ist, entgegengesetzt werden kann; wie sich zu seiner Zeit zeigen wird), ist das Nicht-Ich schlechthin Nichts; dem einschränkbaren Ich entgegengesetzt ist es eine negative Grösse.
2) Das Ich soll sich selbst gleich, und dennoch sich selbst entgegengesetzt seyn. Aber es ist sich gleich in Absicht des Bewusstseyns, das Bewusstseyn ist einig: aber in diesem Bewusstseyn ist gesetzt das absolute Ich, als untheilbar; das Ich hingegen, welchem das Nicht-Ich entgegengesetzt wird, als theilbar. Mithin ist das Ich, insofern ihm ein Nicht – Ich entgegengesetzt wird, selbst entgegengesetzt dem absoluten Ich.
Und so sind denn alle Gegensätze vereinigt, unbeschadet der Einheit des Bewusstseyns; und dies ist gleichsam die Probe, dass der aufgestellte Begriff der richtige war.
D.
Da unserer erst durch Vollendung einer Wissenschaftslehre erweisbaren Voraussetzung nach nicht mehr als Ein schlechthin unbedingter, Ein dem Gehalte nach bedingter, und Ein der Form nach bedingter Grundsatz möglich ist; so kann es ausser den aufgestellten weiter keinen geben. Die Masse dessen, was unbedingt und schlechthin gewiss ist, ist nunmehr erschöpft; und ich würde sie etwa in folgender Formel ausdrücken: Ich setze im Ich dem theilbaren Ich ein theilbares Nicht-Ich entgegen.
Ueber diese Erkenntniss hinaus geht keine Philosophie; aber bis zu ihr zurückgehen soll jede gründliche Philosophie; und so wie sie es thut, wird sie Wissenschaftslehre. Alles was von nun an im Systeme des menschlichen Geistes vorkommen soll, muss sich aus dem Aufgestellten ableiten lassen.
1) Wir haben die entgegengesetzten Ich und Nicht-Ich vereinigt durch den Begriff der Theilbarkeit. Wird von dem bestimmten Gehalte, dem Ich und Nicht-Ich, abstrahirt, und[110] die blosse Form der Vereinigung entgegengesetzter durch den Begriff der Theilbarkeit übrig gelassen, so haben wir den logischen Satz, den man bisher den des Grundes nannte: A zum Theil = -A und umgekehrt. Jedes Entgegengesetzte ist seinem Entgegegesetzten in Einem Merkmale = X gleich; und: jedes Gleiche ist seinem Gleichem in Einem Merkmale = X entgegengesetzt. Ein solches Merkmale X heisst der Grund, im ersten Falle der Beziehungs– im zweiten der Unterscheidungs-Grund: denn Entgegengesetzte gleichsetzen oder vergleichen nennt man beziehen; Gleichgesetzte entgegensetzen heisst sie unterscheiden. Dieser logische Satz wird bewiesen und bestimmt durch unseren aufgestellten materialen Grundsatz.
Bewiesen: denn
a. Alles entgegengesetzte = – A ist entgegengesetzt einem A, und dieses A ist gesetzt.
Durch das Setzen eines – A wird A aufgehoben, und doch auch nicht aufgehoben.
Mithin wird es nur zum Theil aufgehoben; und statt des X in A, welches nicht aufgehoben wird, ist in – A nicht – X, sondern X selbst gesetzt: und also ist A = – A in X. Welches das erste war.
b. Alles gleichgesetzte (= A= B) ist sich selbst gleich, kraft seines Gesetztseyns im Ich. A = A. B = B.
Nun wird gesetzt B=A, mithin ist B durch A nicht gesetzt; denn wäre es dadurch gesetzt, so wäre es = A und nicht = B. (Es wären nicht Zwei gesetzte, sondern nur Ein gesetztes vorhanden).
Ist aber B durch das Setzen des A nicht gesetzt, so ist es insofern = – A; und durch das Gleichsetzen beider wird weder A noch B, sondern irgend ein X gesetzt, welches = X und = A und = B ist.
Welches das zweite war.
Hieraus ergiebt sich, wie der Satz A = B gültig seyn könne, der an sich dem Satze A = A widerspricht. X = X: A = X , B = X; mithin A= B, insofern beides ist = X: aber A= – B, insofern beides ist = – X.[111]
Nur in Einem Theile sind Gleiche entgegengesetzt, und Entgegengesetzte gleich. Denn wenn sie sich in mehreren Theilen entgegengesetzt wären, d. i. wenn in den Entgegengesetzten selbst entgegengesetzte Merkmale wären, so gehörte Eins von beiden zu dem, worin die verglichenen gleich sind, und sie wären mithin nicht entgegengesetzt; und umgekehrt. Jedes begründete Urtheil hat demnach nur Einen Beziehungs- und nur Einen Unterscheidungsgrund. Hat es mehrere, so ist es nicht Ein Urtheil, sondern mehrere Urtheile.
2) Der logische Satz des Grundes wird durch den obigen materialen Grundsatz bestimmt, d. i. seine Gültigkeit wird selbst eingeschränkt; er gilt nur für einen Theil unserer Erkenntniss.
Nur unter der Bedingung, dass überhaupt verschiedene Dinge gleich, oder entgegengesetzt werden, werden sie in irgend einem Merkmale entgegengesetzt, oder gleichgesetzt. Dadurch aber wird gar nicht ausgesagt, dass schlechthin und ohne alle Bedingung alles, was in unserem Bewusstseyn vor kommen könne, irgend einem anderen gleich, und einem dritten entgegengesetzt werden müsse. Ein Urtheil über dasjenige, dem nichts gleich, und nichts entgegengesetzt werden kann, steht gar nicht unter dem Satze des Grundes, denn es steht nicht unter der Bedingung seiner Gültigkeit; es wird nicht begründet, sondern es begründet selbst alle möglichen Urtheile; es hat keinen Grund, sondern es giebt selbst den Grund alles Begründeten an. Der Gegenstand solcher Urtheile ist das absolute Ich, und alle Urtheile, deren Subject dasselbe ist, gelten schlechthin und ohne allen Grund; worüber unten ein mehreres.
3) Die Handlung, da man im Verglichenen das Merkmal aufsucht, worin sie entgegengesetzt sind, heisst das antithetische Verfahren; gewöhnlich das analytische, welcher Ausdruck aber weniger bequem ist, theils weil er die Meinung übrig lässt, dass man etwa aus einem Begriffe etwas entwickeln könne, was man nicht erst durch eine Synthesis hineingelegt, theils weil durch die erste Benennung deutlicher bezeichnet[112] wird, dass dieses Verfahren das Gegentheil vom synthetischen sey. Das synthetische Verfahren nemlich besteht darin, dass man im Entgegengesetzten dasjenige Merkmal aufsuche, worin sie gleich sind. Der blossen logischen Form nach, welche von allem Inhalte der Erkenntniss, sowie von der Art, wie man dazu komme, völlig abstrahirt, heissen auf die erstere Art hervorgebrachte Urtheile, antithetische oder verneinende, auf die letztere Art hervorgebrachte synthetische oder bejahende Urtheile.
4) Sind die logischen Regeln, unter denen alle Antithesis und Synthesis steht, von dem dritten Grundsatze der Wissenschaftslehre abgeleitet, so ist überhaupt die Befugniss aller Antithesis und Synthesis von ihm abgeleitet. Aber wir haben in der Darstellung jenes Grundsatzes gesehen, dass die ursprüngliche Handlung, die er ausdrückt, die des Verbindens Entgegengesetzter in einem Dritten, nicht möglich war ohne die Handlung des Entgegensetzens; und dass diese gleichfalls nicht möglich war, ohne die Handlung des Verbindens: dass also beide in der That unzertrennlich verbunden und nur in der Reflexion zu unterscheiden sind. Hieraus folgt; dass die logischen Handlungen, die auf jene ursprünglichen sich gründen, und eigentlich nur besondere, nähere Bestimmungen derselben sind, gleichfalls nicht, eine ohne die andere, möglich seyn werden. Keine Antithesis ist möglich ohne eine Synthesis; denn die Antithesis besteht ja darin, dass in Gleichen das entgegengesetzte Merkmal aufgesucht wird; aber die Gleichen wären nicht gleich, wenn sie nicht erst durch eine synthetische Handlung gleichgesetzt wären. In der blossen Antithesis wird davon abstrahirt, dass sie erst durch eine solche Handlung gleichgesetzt werden: sie werden schlechthin als gleich, ununtersucht woher, angenommen; bloss auf das entgegengesetzte in ihnen wird die Reflexion gerichtet, und dieses dadurch zum deutlichen und klaren Bewusstseyn erhoben. – So ist auch umgekehrt keine Synthesis möglich ohne eine Antithesis. Entgegengesetzte sollen vereiniget werden: sie wären aber nicht entgegengesetzt, wenn sie es nicht durch eine Handlung des[113] Ich wären, von welcher in der Synthesis abstrahirt wird, um bloss den Beziehungsgrund durch Reflexion zum Bewusstseyn zu erheben. – Es giebt demnach überhaupt dem Gehalte nach gar keine bloss analytischen Urtheile; und man kömmt bloss durch sie nicht nur nicht weit, wie Kant sagt, sondern man kömmt gar nicht von der Stelle.
5) Die berühmte Frage, welche Kant an die Spitze der Kritik der reinen Vernunft stellte: wie sind synthetische Urtheile a priori möglich? – ist jetzt auf die allgemeinste und befriedigendste Art beantwortet. Wir haben im dritten Grundsatze eine Synthesis zwischen dem entgegengesetzten Ich und Nicht-Ich, vermittelst der gesetzten Theilbarkeit beider, vorgenommen, über deren Möglichkeit sich nicht weiter fragen, noch ein Grund derselben sich anführen lässt; sie ist schlechthin möglich, man ist zu ihr ohne allen weiteren Grund befugt. Alle übrigen Synthesen, welche gültig seyn sollen, müssen in dieser liegen; sie müssen zugleich in und mit ihr vorgenommen worden seyn: und so, wie dies bewiesen wird, wird der überzeugendste Beweis geliefert, dass sie gültig sind, wie jene.
6) Sie müssen alle in ihr enthalten seyn: und dies zeichnet uns denn zugleich auf das bestimmteste den Weg vor, den wir in unserer Wissenschaft weiter zu gehen haben. – Synthesen sollen es seyn, mithin wird unser ganzes Verfahren von nun an (wenigstens im theoretischen Theile der Wissenschaftslehre, denn im praktischen ist es umgekehrt, wie sich zu seiner Zeit zeigen wird) synthetisch seyn; jeder Satz wird eine Synthesis enthalten. – Aber keine Synthesis ist möglich ohne eine vorhergegangene Antithesis, von welcher wir aber, insofern sie Handlung ist, abstrahiren, und bloss das Product derselben, das Entgegengesetzte, aufsuchen. Wir müssen demnach bei jedem Satze von Aufzeigung Entgegengesetzter, welche vereinigt werden sollen, ausgehen. – Alle aufgestellten Synthesen sollen in der höchsten Synthesis, die wir eben vorgenommen haben, liegen, und sich aus ihr entwickeln lassen. Wir haben demnach in den durch sie verbundenen Ich und Nicht-Ich, insofern sie durch dieselbe[114] verbunden sind, übriggebliebene entgegengesetzte Merkmale aufzusuchen, und sie durch einen neuen Beziehungsgrund, der wieder in dem höchsten aller Beziehungsgründe enthalten seyn muss, zu verbinden: in den durch diese erste Synthesis verbundenen Entgegengesetzten abermals neue Entgegengesetzte zu suchen, diese durch einen neuen, in dem erst abgeleiteten enthaltenen Beziehungsgrund zu verbinden; und dies fortzusetzen, so lange wir können; bis wir auf Entgegengesetzte kommen, die sich nicht weiter vollkommen verbinden lassen, und dadurch in das Gebiet des praktischen Theils übergehen. Und so ist denn unser Gang fest und sicher und durch die Sache selbst vorgeschrieben, und wir können im voraus wissen, dass wir bei gehöriger Aufmerksamkeit auf unserem Wege gar nicht irren können.
7) So wenig Antithesis ohne Synthesis, oder Synthesis ohne Antithesis möglich ist; ebenso wenig sind beide möglich ohne Thesis: ohne ein Setzen schlechthin, durch welches ein A (das Ich) keinem anderen gleich und keinem anderen entgegengesetzt, sondern bloss schlechthin gesetzt wird. Auf unser System bezogen giebt diese dem Ganzen Haltbarkeit und Vollendung; es muss ein System und Ein System seyn; das Entgegengesetzte muss verbunden werden, so lange noch etwas Entgegengesetztes ist; bis die absolute Einheit hervorgebracht sey; welche freilich, wie sich zu seiner Zeit zeigen wird, nur durch eine geendete Annäherung, zum unendlichen hervorgebracht werden könnte, welche an sich unmöglich ist. – Die Nothwendigkeit, auf die bestimmte Art entgegenzusetzen und zu verbinden, beruht unmittelbar auf dem dritten Grundsatze: die Nothwendigkeit, überhaupt zu verbinden, auf dem ersten, höchsten, schlechthin unbedingten. Die Form des Systems gründet sich auf die höchste Synthesis; dass überhaupt ein System seyn solle, auf die absolute Thesis. – Soviel zur Anwendung der gemachten Bemerkung, auf unser System Überhaupt; aber noch giebt es eine andere noch wichtigere Anwendung derselben auf die Form der Urtheile, die aus mehreren Gründen hier nicht übergangen werden darf. Nemlich, sowie es antithetische und synthetische Urtheile gab,[115] dürfte der Analogie nach, es auch wohl thetische Urtheile geben, welche in irgend einer Bestimmung den ersteren gerade entgegengesetzt seyn würden. Nemlich die Richtigkeit der beiden ersten Arten setzt einen Grund, und zwar einen doppelten Grund, einen der Beziehung, und einen der Unterscheidung voraus, welche beide aufgezeigt werden können, und wenn das Urtheil bewiesen werden soll, aufgezeigt werden müssen. (Z.B. der Vogel ist ein Thier: hier ist der Beziehungsgrund, auf welchen reflectirt wird, der bestimmte Begriff des Thieres, dass es aus Materie, aus organisirter Materie, aus animalisch belebter Materie bestehe; der Unterscheidungsgrund aber, von welchem abstrahirt wird, die specifische Differenz der verschiedenen Thierarten; ob sie zwei oder vier Füsse, Federn, Schuppen oder eine behaarte Haut haben. Oder: eine Pflanze ist kein Thier: hier ist der Unterscheidungsgrund, auf welchen reflectirt wird, die specifische Differenz zwischen der Pflanze und dem Thiere; der Beziehungsgrund aber, von welchem abstrahirt wird, ist die Organisation überhaupt). Ein thetisches Urtheil aber würde ein solches seyn, in welchem etwas keinem anderen gleich – und keinem anderen entgegengesetzt, sondern bloss sich selbst gleich gesetzt würde: es könnte mithin gar keinen Beziehungs- oder Unterscheidungsgrund voraussetzen: sondern das Dritte, das es der logischen Form nach doch voraussetzen muss, wäre bloss eine Aufgabe für einen Grund. Das ursprüngliche höchste Urtheil dieser Art ist das: Ich bin, in welchem vom Ich gar nichts ausgesagt wird, sondern die Stelle des Prädicats für die mögliche Bestimmung des Ich ins Unendliche leer gelassen wird. Alle Urtheile, die unter diesem, das ist, unter dem absoluten Setzen des Ich enthalten sind, sind von der Art; (wenn sie auch nicht allemal wirklich das Ich zum logischen Subject hätten.) Z.B. der Mensch ist frei. Entweder betrachtet man dieses Urtheil als ein positives (in welchem Falle es heissen würde: der Mensch gehört unter die Klasse der freien Wesen), so sollte ein Beziehungsgrund angegeben werden zwischen ihm und den freien Wesen, der als Grund[116] der Freiheit in dem Begriffe der freien Wesen überhaupt und dem des Menschen insbesondere enthalten wäre; aber weit entfernt, dass sich ein solcher Grund sollte angeben lassen, lässt sich nicht einmal eine Klasse freier Wesen aufzeigen. Oder man betrachtet es als ein negatives, so wird dadurch der Mensch allen Wesen, die unter dem Gesetze der Naturnothwendigkeit stehen, entgegengesetzt; aber dann müsste sich der Unterscheidungsgrund zwischen nothwendig und nicht nothwendig angeben, und es müsste sich zeigen lassen, dass der letztere in dem Begriffe des Menschen nicht) aber wohl in dem der entgegengesetzten Wesen läge; und zugleich müsste sich ein Merkmal zeigen lassen, in welchem beide übereinkämen. Aber der Mensch, insofern das Prädicat der Freiheit von ihm gelten kann, d. i. insofern er absolut und nicht vorgestelltes noch vorstellbares Subject ist, hat mit den Naturwesen gar nichts gemein, und ist ihnen also auch nicht entgegengesetzt. Dennoch sollen laut der logischen Form des Urtheils, welche positiv ist, beide Begriffe vereinigt werden; sie sind aber in gar keinem Begriffe zu vereinigen, sondern bloss in der Idee eines Ich, dessen Bewusstseyn durch gar nichts ausser ihm bestimmt würde, sondern vielmehr selbst alles ausser ihm durch sein blosses Bewusstseyn bestimmte: welche Idee aber selbst nicht denkbar ist, indem sie für uns einen Widerspruch enthält. Dennoch aber ist sie uns zum höchsten praktischen Ziele aufgestellt. Der Mensch soll sich der an sich unerreichbaren Freiheit ins Unendliche immer mehr nähern. – So ist das Geschmacksurtheil: A ist schon, (soviel als in A ist ein Merkmal, das im Ideal des Schönen auch ist) ein thetisches Urtheil; denn ich kann jenes Merkmal nicht mit dem Ideale vergleichen, da ich das Ideal nicht kenne. Es ist vielmehr eine Aufgabe meines Geistes, die aus dem absoluten Setzen desselben herkommt, es zu finden, welche aber nur nach einer vollendeten Annäherung zum Unendlichen gelöset werden könnte. – Kant und seine Nachfolger haben daher diese Urtheile sehr richtig unendliche genannt, obgleich keiner, soviel[117] mir bewusst ist, sie auf eine deutliche und bestimmte Art erklärt hat.
8) Für irgend ein bestimmtes thetisches Urtheil lässt sich also kein Grund anführen; aber das Verfahren des menschlichen Geistes bei thetischen Urtheilen überhaupt ist auf das Setzen des Ich schlechthin durch sich selbst gegründet. Es ist nützlich, und giebt die klarste und bestimmteste Einsicht in den eigenthümlichen Charakter des kritischen Systems, wenn man diese Begründung der thetischen Urtheile überhaupt mit der der antithetischen und synthetischen vergleicht.
Alle in irgend einem Begriffe, der ihren Unterscheidungsgrund ausdrückt, Entgegengesetzte kommen in einem höheren (allgemeineren, umfassenderen) Begriffe überein, den man den Gattungsbegriff nennt: d. i. es wird eine Synthesis vorausgesetzt, in welcher beide enthalten, und zwar insofern sie sich gleichen, enthalten sind. Z.B. Gold und Silber sind als gleich enthalten in dem Begriffe des Ideals, welcher den Begriff, worin beide entgegengesetzt werden, als etwa hier die bestimmte Farbe, nicht enthält. Daher die logische Regel der Definition, dass sie den Gattungsbegriff, der den Beziehungsgrund, und die specifische Differenz, die den Unterscheidungsgrund enthält, angeben müsse. – Hinwiederum alle Gleichgesetzten sind in einem niederen Begriffe, der irgend eine besonders Bestimmung ausdrückt, von welcher in dem Beziehungsurtheile abstrahirt wird, entgegengesetzt, d. i. alle Synthesis setzt eine vorhergegangene Antithesis voraus. Z.B. In dem Begriffe Körper wird abstrahirt von der Verschiedenheit der Farben, der bestimmten Schwere, des Geschmacks, des Geruchs u.s.w. und nun kann alles, was den Raum füllt, undurchdringlich ist und irgend eine Schwere hat, ein Körper seyn, so entgegengesetzt es auch in Absicht jener Merkmale unter sich seyn möge. – (Welche Bestimmungen allgemeinere oder speciellere, und mithin welche Begriffe höhere oder niedere seyen, wird durch die Wissenschaftslehre bestimmt. Durch je weniger Mittelbegriffe überhaupt ein Begriff von dem höchsten, dem der Realität, abgeleitet ist, desto höher; durch[118] je mehrere, desto niederer ist er. Bestimmt ist Y ein niederer Begriff als X, wenn in der Reihe seiner Ableitung vom höchsten Begriffe X vorkommt: und so auch umgekehrt).
Mit dem schlechthin gesetzten, dem Ich, verhält es sich ganz anders. Es wird demselben ein Nicht-Ich gleichgesetzt, zugleich) indem es ihm entgegengesetzt wird, aber nicht in einem höheren Begriffe (der etwa beide in sich enthielte und eine höhere Synthesis oder wenigstens Thesis voraussetzen würde), wie es sich bei allen übrigen Vergleichungen verhält, sondern in einem niederen. Das Ich wird selbst in einen niederen Begriff, den der Theilbarkeit, herabgesetzt, damit es dem Nicht-Ich gleichgesetzt werden könne; und in demselben Begriffe wird es ihm auch entgegengesetzt. Hier ist also gar kein Heraufsteigen, wie sonst bei jeder Synthesis, sondern ein Herabsteigen. Ich und Nicht-Ich, sowie sie durch den Begriff der gegenseitigen Einschränkbarkeit gleich- und entgegengesetzt werden, sind selbst beide etwas (Accidenzen) im Ich, als theilbarer Substanz; gesetzt durch das Ich, als absolutes unbeschränkbares Subject, dem nichts gleich ist, und nichts entgegengesetzt ist. – Darum müssen alle Urtheile, deren logisches Subject das einschränkbare oder bestimmbare Ich, oder etwas das Ich bestimmendes ist, durch etwas höheres beschränkt oder bestimmt seyn; aber alle Urtheile, deren logisches Subject das absolut – unbestimmbare Ich ist, können durch nichts höheres bestimmt werden, weil das absolute Ich durch nichts höheres bestimmt wird; sondern sie sind schlechthin durch sich selbst begründet und bestimmt.
Darin besteht nun das Wesen der kritischen Philosophie, dass ein absolutes Ich als schlechthin unbedingt und durch nichts höheres bestimmbar aufgestellt werde, und wenn diese Philosophie aus diesem Grundsatze consequent folgert, so wird sie Wissenschaftslehre. Im Gegentheil ist diejenige Philosophie dogmatisch, die dem Ich an sich etwas gleich und entgegensetzt; und dieses geschieht in dem höher seynsollenden Begriffe des Dinges (Ens), der zugleich völlig willkürlich als der schlechthin höchste aufgestellt wird. Im[119] kritischen Systeme ist das Ding das im Ich gesetzte; im dogmatischen dasjenige, worin das Ich selbst gesetzt ist: der Kriticism ist darum immanent, weil er alles in das Ich setzt; der Dogmatism transcendent, weil er noch über das Ich hinausgeht. Insofern der Dogmatism consequent seyn kann, ist der Spinozism das consequenteste Product desselben. Verfahrt man nun mit dem Dogmatism nach seinen eigenen Grundsätzen, wie man allerdings soll, so fragt man ihn, warum er doch sein Ding an sich ohne einen höheren Grund annehme, da er bei dem Ich nach einem höheren Grunde fragte; warum denn dies als absolut gelte, da das Ich nicht absolut seyn sollte. Dafür kann er nun keine Befugniss aufweisen, und wir verlangen demnach mit Recht, dass er nach seinem eigenen Grundsatze, nichts ohne Grund anzunehmen, wieder einen höheren Gattungsbegriff für den Begriff des Dinges an sich anführe und wieder einen höheren für diesen und so ins Unendliche fort. Ein durchgeführter Dogmatism läugnet demnach entweder, dass unser Wissen Überhaupt einen Grund habe, dass überhaupt ein System im menschlichen Geiste sey; oder er widerspricht sich selbst. Durchgeführter Dogmatism ist ein Skepticism, welcher bezweifelt, dass er zweifelt; denn er muss die Einheit des Bewusstseyns und mit ihr die ganze Logik aufheben: er ist mithin kein Dogmatism, und widerspricht sich selbst, indem er einer zu seyn vorgiebt6. [120]
(So setzt Spinoza den Grund der Einheit des Bewusstseyns in eine Substanz, in welcher es sowohl der Materie (der bestimmten Reihe der Vorstellung) nach, als auch der Form der Einheit nach nothwendig bestimmt ist. Aber ich frage ihn, was denn dasjenige sey, was wiederum den Grund der Nothwendigkeit dieser Substanz enthalte, sowohl ihrer Materie (den verschiedenen in ihr enthaltenen Vorstellungsreihen) als ihrer Form nach (nach welcher in ihr alle mögliche Vorstellungsreihen erschöpft seyn und ein vollständiges Ganzes ausmachen sollen). Für diese Nothwendigkeit nun giebt er mir weiter keinen Grund an, sondern sagt: es sey schlechthin so; und er sagt das, weil er gezwungen ist, etwas absolut-erstes, eine höchste Einheit, anzunehmen; aber wenn er das will, so hätte er ja gleich bei der ihm im Bewusstseyn gegebenen Einheit stehen bleiben sollen, und hätte nicht nöthig gehabt, eine noch höhere zu erdichten, wozu nichts ihn trieb.)
Es würde sich schlechterdings nicht erklären lassen, wie jemals ein Denker entweder über das Ich habe hinausgehen können, oder wie er, nachdem er einmal darüber hinausgegangen, irgendwo habe stille stehen können, wenn wir nicht ein praktisches Datum als vollkommenen Erklärungsgrund dieser Erscheinung anträfen. Ein praktisches Datum war es, nicht aber ein theoretisches, wie man zu glauben schien, das den Dogmatiker über das Ich hinaustrieb; nemlich das Gefühl der Abhängigkeit unseres Ich, insofern es praktisch ist, von einem schlechterdings nicht unter unserer Gesetzgebung stehenden und insofern freien Nicht-Ich: ein praktisches Datum nöthigte ihn aber wiederum irgendwo stille zu stehen; nemlich das Gefühl einer nothwendigen Unterordnung und Einheit alles Nicht-Ich unter die praktischen Gesetze des Ich; welche aber gar nicht etwa als Gegenstand eines Begriffes etwas ist, das da ist, sondern als Gegenstand einer Idee, etwas das da seyn soll und durch uns hervorgebracht werden soll, wie sich zu seiner Zeit zeigen wird.
Und hieraus erhellet denn zuletzt, dass überhaupt der[121] Dogmatism gar nicht ist, was er zu seyn vorgiebt, dass wir ihm durch obige Folgerungen unrecht gethan haben und dass er sich selbst unrecht thut, wenn er dieselben sich zuzieht. Seine höchste Einheit ist wirklich keine andere, als die des Bewusstseyns, und kann keine andere seyn, und sein Ding ist das Substrat der Theilbarkeit überhaupt oder die höchste Substanz, worin beide, das Ich und das Nicht Ich (Spinoza's Intelligenz und Ausdehnung) gesetzt sind. Bis zum reinen absoluten Ich, weit entfernt darüber hinauszugehen, erhebt er sich gar nicht: er geht, wo er am weitesten geht, wie in Spinosa's System, bis zu unserem zweiten und dritten Grundsatze, aber nicht bis zum ersten schlechthin unbedingten; gewöhnlich erhebt er bei weitem so hoch sich nicht. Der kritischen Philosophie war es aufbehalten, diesen letzten Schritt zu thun, und die Wissenschaft dadurch zu vollenden. Der theoretische Theil unserer Wissenschaftslehre, der auch nur aus den beiden letzten Grundsätzen entwickelt wird, indem hier der erste bloss eine regulative Gültigkeit hat, ist wirklich, wie sich zu seiner Zeit zeigen wird, der systematische Spinozismus; nur dass eines Jeden Ich selbst die einzige höchste Substanz ist; aber unser System fügt einen praktischen Theil hinzu, der den ersten begründet und bestimmt, die ganze Wissenschaft dadurch vollendet, alles, was im menschlichen Geiste angetroffen wird, erschöpft, und dadurch den gemeinen Menschenverstand, der durch alle Vor-Kantische Philosophie beleidigt, durch unser theoretisches System aber ohne jemalige Hoffnung der Versöhnung, wie es scheint, mit der Philosophie entzweit wird, vollkommen mit derselben wieder aussöhnt.
9) Wenn von der bestimmten Form des Urtheils, dass es ein entgegensetzendes, oder vergleichendes, auf einen Unterscheidungs– oder Beziehungsgrund gebautes ist, völlig abstrahirt, und bloss das allgemeine der Handlungsart – das, eins durch das andere zu begrenzen, – übriggelassen wird, haben wir die Kategorie der Bestimmung (Begrenzung, bei Kant Limitation). Nemlich ein Setzen der Quantität überhaupt,[122] sey es nun Quantität der Realität oder der Negation, heisst Bestimmung.
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6 Es giebt nur zwei Systeme, das kritische und das dogmatische. Der Skepticism, so wie er oben bestimmt wird, würde gar kein System seyn: denn er läugnet ja die Möglichkeit eines Systems überhaupt. Aber diese kann er doch nur systematisch läugnen, mithin widerspricht er sich selbst und ist ganz vernunftwidrig Es ist durch die Natur des menschlichen Geistes schon dafür gesorgt, dass er auch unmöglich ist. Noch nie war Jemand im Ernste ein solcher Skeptiker. Etwas anderes ist der kritische Skepticism, der des Humo, des Maimon, des Aenesidemus, der die Unzulänglichkeit der bisherigen Gründe aufdeckt, und eben dadurch andeutet, wo haltbarere zu finden sind. Durch ihn gewinnt die Wissenschaft allemal, wenn auch nicht immer an Gehalte, doch sicher in der Form – und man kennt die Vortheile der Wissenschaft schlecht, wenn man dem scharfsinnigen Skeptiker die gebührende Achtung versagt.
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Quelle: J. G. Fichte, Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre in: Johann Gottlieb Fichtes sämmtliche Werke. Band 1, Berlin 1845/1846, S. 101-105.
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