Mittwoch, 31. Januar 2018

Ein historisches, aber unphilosophisches Missverständnis.

Satyr

Das Missverständnis der Wissenschaftslehre als einer Bewusstseinsphilosophie hat gar keine philosophischen, aber um so schwerer wiegende philosophiegeschichtliche Ursachen. 

Wer, wie ein Philosoph, nur den Texten nachgeht, findet in Fichte einen - wie er selber meinte - Radikalisierer und (beinahe) Vollender der Kant'schen Vernunftkritik. 'Bewusstsein' kommt als Wort natürlich auch bei Kant vor, aber nicht thematisch, nicht als eine besondere Entwicklungsstufe des Geistes - denn auch dieser tritt bei Kant lediglich als Zeichen, nicht aber als bestimmter Begriff auf. 

Wer aber, als Historiker, zuerst nach den Wirksamkeiten der Autoren fragt, dem erscheint Fichte nicht als Nachfolger von Kant, sondern als Wegbereiter und Vorläufer von Hegel: "Von Kant zu Hegel" heißt die Parole. Bei Hegel ist freilich das Bewusstsein eine besondere und unterscheidbare Stufe im Selbstwerdungsgang des Geistes, ohne Es kommt das Absolute Wissen nicht zu Stande. 

Doch Fichte ging es nicht, wie Hegel, um ein System von Allem, Subjektives und Objektives in einem Sack, sondern um ein System der Vorstellungen von Allem, was die positive Wissenschafts seiner Zeit zusammenzu- tragen im Begriffe war, als Maßstab dafür, was davon pragmatisch gelten durfte in Verfolgung von verantwort- baren Zwecken. 

Das ist ein Denkprogramm, das der realen Wissenschaft ein Feld ohne Grenzen eröffnet. Das Hegel'sche System war, wie der Franzose sagt, ein cul de sac. Es ist doppelt untergegangen einmal als Tragödie, ein andermal als Farce. Als sein Vorläufer dargestellt zu werden ist mindestens eine Unfreundlichkeit.




Samstag, 13. Januar 2018

Zu meinem Verfahren.

Robert Campin St. Joseph dans son atelier

Fichte hat bis zum Schluss versichert, er habe allezeit dasselbe gelehrt. Der gewissenhafte Student ist daher ge- halten, die frühen Darstellungen der Wissenschaftslehre im Lichte der späteren, und die späteren Darstellungen im Lichte der früheren zu lesen. Das braucht seine Zeit. Erst wenn er es immer wieder erfolglos versucht hat, darf er daran gehen, die frühen und die späten Darstellungen je für sich und unabhängig voneinander zu verste- hen.

Dann allerdings muss er die Stelle dingfest machen, wo die späteren von den früheren abweichen; die Stelle, wo nicht bloß die Darstellung, sondern das Dargestellte ein anderes wird. Es liegt auf der Hand, diese Stelle irgend- wo im Umkreis des Atheismusstreits zu suchen. So bin ich verfahren.

Dass zwischen dem unvollendeten Manuskript Rückerinnerungen, Antworten, Fragen und der veröffentlichten Bes- timmung des Menschen nicht einfach ein Übergang, sondern ein Bruch stattfand, ein Sprung, ist nicht zu überse- hen, er spricht ihn ja selber aus, indem ihm das bisherige Wissen ungenügend wurde und er den Glauben in die Transzendentalphilosophie einfügte.

In die Transzendentalphilosophie? Das ja wohl eben nicht. Mochte Fichte selber meinen, die Wissenschaftsleh- re sei vorher und hinterher dieselbe gewesen – Transzendentalphilosophie war sie hinterher jedenfalls nicht mehr. Ein reales Absolutes, das – als dogmatische Zusatzbedingung – aber doch in keinem Moment Objekt werden soll, das erfordert in der Tat eine proiectio per hiatum irrationalem, und er wird die Zeit, die ihm verblieb, damit zu- bringen, sie unter dialektischen Winkelzügen zu verbergen. 

Jacobi hatte ihn dazu verleitet, aber das hätte er nicht gekonnt, wenn es nicht bei Fichte schon einen wunden Punkt gab, in den er den Finger bohren konnte. Es war die Doppeldeutigkeit dessen, was Fichte unter Vernunft verstand.

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Um die Wurzel dieser Doppeldeutigkeit aufzufinden, habe ich mich der Wissenschaftslehre nova methodo zuge- wandt, der letzten Gestalt, die Fichtes Lehre vor dem Atheismusstreit angenommen hatte. In dieser gegenüber der Grundlage von 1794/95 in systematischer Hinsicht wesentlich verbesserten Darstellung musste sich der Punkt finden lassen, wo die beiden konkurrierenden und eigentlich unvereinbaren Vorstellungen von der Ver- nunft auseinandertreten: hier als ein vorgegebener Plan, den die endlichen Intelligenzen aufzufinden und zu verfolgen hätten, dort als die Aufgabe unendlicher Bestimmung aus Freiheit.

Ich wurde enttäuscht, ich fand diesen Punkt nicht. Wo immer Fichte die Vernunft transzendental aus der Frei- heit herleitet, kann er sie immer nur als offene Aufgabe ausweisen; aus den Prämissen der Wissenschaftlehre selbst kann die dogmatische Auffassung eines zu erfüllenden Plans nie entwickelt werden. Sie ist ein Fremdkörper, der von außen künstlich in die Transzendentalphilosphie hineingetragen wurde.

Von außen? Von außerhalb der Wissenschaftslehre, ja; aber von Fichte selbst, und es war schon die seine, bevor er die Arbeit an der Wissenschaftslehre überhaupt begonnen hatte. Er hat sie ausgesprochen in den populären öffentlichen Vorträgen Von den Pflichten der Gelehrten, die er unmittelbar vor Beginn seiner akademischen Lehrtä- tigkeit in Jena gehalten hat; das wird Gegenstand einer späteren gesonderten Darstellung sein, hier teile ich es nur 'historisch' vorab mit; es kann ja jeder selbst nachlesen.

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Die logische Forsetzung der WL nova methodo wäre der Übergang zu einem System der Ästhetik gewesen. Dazu ist es aus den bekannten Gründen nicht gekommen. Stattdessen ist sein System der Sittenlehre nach Prinzipien der Wis- senschaftslehre 1798 erschienen, während er eben begonnen hatte, die Wissenschaftslehre zum ersten Mal "nach neuer Methode" vorzutragen. Man muss sie daher als eine Fortsetzung der Grundlage, der ersten Darstellungen der WL betrachten. 

Tatsächlich knüpft sie thematisch unmittelbar an die Einführungsvorlesungen Von den Pflichten der Gelehrten aus dem Jahr 1794 an und war wohl als Schlussstein - clef de voûte - des ganzen Systems gedacht. Dass er in der Dar- stellung der Wissenschaftslehre nach neuer Methode an die Sittenlehre noch einen philosophischen ästhetischen System fügen fügen müsste, war ihm noch nicht bewusst. Zwar schließt er auch dort seine  Pflichtenlehre mit einem Abschnitt über die "Pflichten des ästhetischen Künstlers" ab, aber eben doch als die Angelegenheit eines besonderen gesellschaftlichen Standes. 

Die Aufgabe der Sittenlehre sei "die: Freie Willen sollen zu einem gewissen mechanischen Zusammenhang und Wechselwirkung gefügt werden. Nun gibt es so einen Naturmechanismus an sich nicht, er hängt zum Teil mit von unserer Freiheit ab", heißt es nun. Es müsse ein Übergang gefunden werden aus dem Standpunkt des natürlichen Bewusstseins der konkreten Menschen (zu denen der Philosoph selber gehört) auf den Stand- punkt der Transzendentalphilosophie. Es entstünde der Philosophie die Aufgabe, "in ihr ihre eigene Möglich- keit zu erklären". 

"Es ist faktisch erwiesen, dass es so ein Mittleres gibt zwischen der transzendentalen und gemeinen Ansicht; dieser Mittelpunkt ist die Ästhetik. Auf dem gemeinen Gesichtspunkte erscheint die Welt als gegeben, auf dem transzendentalen als gemacht ('Alles in mir'); auf dem ästhetischen erscheint sie als gegeben, so als ob wir sie gemacht hätten und wie wir selbst es machen würden (vide Sittenlehre von den Pflichten des ästhetischen Künstlers)." 

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Angenommen nun, dass der Wechsel vom gemeinen zum ästhetischen Standpunkt die Bedingung der Möglich- keit der Wissenschaftslehre ist; ist er dann womöglich auch die Bedingung der Möglichkeit von... mehr? Ist er Bedingung der Möglichkeit nicht nur der theoretischen, sondern unmittelbar auch Bedingung der Möglichkeit der praktischen Vernunft? 

Andere haben es so aufgefasst und haben die Moralität aus der Ästhetik hergeleitet. Ich habe außer philosophi- schen auch lebenspraktische Gründe, diese Lösung zu favorisieren. 

Dann müsste Fichtes Sittenlehre von 1798 auf fehlerhaften Gründen beruhen. Ich habe eine Vermutung: Es ist wieder die Doppeldeutigkeit seiner Vernunft. Ich will mich ihr daher nun im Besondern zuwenden.

Die Einleitung war dazu ein erster Schritt.




Dienstag, 9. Januar 2018

Einleitung zur Sittenlehre.


Tizian, Sisyphus

1. Wie ein Objektives jemals zu einem Subjektiven, ein Sein für sich zu einem vorgestellten werden möge - dass ich an diesem bekannteren Ende die Aufgabe aller Philosophie fasse - wie es, sage ich, mit dieser son- derbaren Verwandlung zugehe, wird nie jemand erklären, welcher nicht einen Punkt findet, in welchem das Objektive und Subjektive überhaupt nicht geschieden, sondern ganz Eins sind. Einen solchen Punkt nun stellt unser System auf, und geht von demselben aus. Die Ichheit, die Intelligenz, die Vernunft, oder wie man es nennen wolle, ist dieser Punkt.

Diese absolute Identität des Subjekts und Objekts im Ich lässt sich nur schließen, nicht etwa unmittelbar als Tatsache des wirklichen Bewußtseins nachweisen. Wie ein wirkliches Bewusstsein entsteht, sei nur das Be- wusstsein unserer selbst, erfolgt die Trennung. Nur inwiefern ich mich, das Bewusstseiende, von mir, dem Gegenstande dieses Bewusstseins, unterscheide, bin ich mir meiner bewusst. Auf den mancherlei Ansichten dieser Trennung des Subjektiven und Objektiven und hinwiederum der Vereinigung beider, beruht der ganze Mechanismus des Bewusstseins. /

2. Das Subjektive und das Objektive wird vereinigt oder als harmonierend angesehen zuvörderst so, dass das Subjektive aus dem Objektiven erfolgen, das erstere sich nach dem letzteren richten soll: Ich erkenne. Wie wir zu der Behauptung einer solchen Harmonie kommen, untersucht die theoretische Philosophie. Bei- des wird als harmonierend angesehen so, dass das Objektive aus dem Subjektiven, ein Sein aus meinem Be- griffe (dem Zweckbegriffe) folgen soll: Ich wirke. Woher die Annahme einer solchen Harmonie entspringe, hat die praktische Philosophie zu untersuchen. 

Der erste Punkt, wie wir dazu kommen mögen, die  Übereinstimmung unserer Vorstellungen mit unabhängig von uns vorhanden sein sollenden Dingen zu behaupten, ist denn allenfalls in Frage gekommen. Was den zweiten anbelangt, wie es möglich sei, einige unserer Begriffe zu denken als darstellbar und zum Teil wirk- lich dargestellt in der ohne unser Zutun bestehenden Natur, darüber hat bisher die Philosophie sich auch nicht einmal gewundert. Man hat es ganz natürlich gefunden, dass wir auf die Welt wirken können. Wir tun es ja alle Augenblicke, wie jedermann weiß; es ist dies Tatsache des Bewusstseins; und damit gut.

3. Die Sittenlehre ist praktische Philosophie. So wie die theoretische Philosophie das System des notwendi- gen Denkens, dass unsere Vorstellungen mit einem Sein übereinstimmen, darzustellen hat, hat die praktische das System des notwendigen Denkens, dass mit unseren Vorstellungen ein Sein übereinstimme und daraus folge, zu erschöpfen. Es kam uns daher zu, uns auf die zuletzt aufgeworfene Frage einzulassen und zu zei- gen, teils, wie wir überhaupt dazu kommen, einige unserer Vorstellungen für den Grund eines Seins zu hal- ten, teils, woher insbesondere uns das System derjenigen Begriffe entstehe, aus welchen ein Sein schlechthin notwendig folgen soll. /

Was hierüber in der folgenden Untersuchung ausführlich vorgetragen worden unter einem einzigen Ge- sichtspunkte kurz zusammenzufassen, ist der Zweck dieser Einleitung. /

4. Ich finde mich als wirkend in der Sinnenwelt. Davon hebt alles Bewusstsein an; und ohne dieses Be- wusstsein meiner Wirksamkeit ist kein Selbstbewusstsein; ohne dieses kein Bewusstsein eines anderen, das nicht ich selbst sein soll. Wer einen Beweis dieser Behauptung begehrt, der findet denselben ausführlich in folgenden zweiten Hauptstücke. Hier wird sie nur aufgestellt als unmittelbare Tatsache des Bewusstseins, um daran unser Räsonnement an zuknüpfen.

Welches Mannigfaltige ist in dieser Vorstellung meiner Wirksamkeit enthalten; und wie mag ich zu diesem Mannigfaltigen kommen?

Möge man auch vorläufig annehmen, dass die Vorstellung des bei meiner Wirksamkeit fortdauernden und durch sie schlechthin nicht zu verändernden Stoffes, die Vorstellung der Beschaffenheiten dieses  Stoffes, die durch meine Wirksamkeit verändert werden, die Vorstellung dieser fortschreitenden Veränderung, bis die Gestalt dasteht, die ich beabsichtigte; dass alle diese in der Vorstellung von meiner Wirksamkeit enthal- tenen Vorstellungen mir von außen gegeben werden, welchen Ausdruck ich freilich nicht verstehe; dass es Erfahrung ist, oder wie man etwa diesen Nichtgedanken noch ausdrückt; so liegt doch noch etwas in der Vorstellung von meiner Wirksamkeit, was mir schlechthin nicht von außen kommen kann, sondern in mir selbst liegen, was ich nicht erfahren und lernen kann, sondern unmittelbar wissen muss: dass ich selbst der letzte Grund der geschehenen Veränderung sein soll.

Ich bin der Grund dieser Veränderung, heißt: Dasselbe und kein anderes, welches um die Veränderung weiß, ist zugleich auch das Wirkende; das Subjekt des Bewusstseins und das Prinzip der Wirksamkeit sind Eins. Was ich aber beim Ursprunge alles Wissens vom Subjekte des Wissens selbst aussage, was ich weiß, dadurch, dass ich überhaup weiß, kann ich aus keinem anderen Wissen gezogen haben; ich weiß es unmit- telbar, ich weiß es schlechthin. /

Demnach, sowie ich überhaupt nur weiß, weiß ich, dass ich tätig bin. In der bloßen Form des Wissens ist das Bewußtsein meiner selbst und meiner selbst als eines Tätigen enthalten und dadurch unmittelbar ge- setzt.

Nun könnte es wohl sein, dass, wenn auch nicht unmittelbar, dennoch vermittelst des soeben aufgezeigten Unmittelbaren in der bloßen Form des Wissens alles übrige Mannigfaltige, das in der oben berührten Vor- stellung meiner Wirksamkeit liegt, gleichfalls enthalten wäre. Sollte es sich so finden, so würden wir der misslichen Annahme, daß es von außen komme, schon dadurch überhoben, dass wir es auf eine andere und natürlichere Weise zu erklären vermöchten. Es würde durch diese Erklärung die oben aufgeworfene Frage beantwortet, wie wir dazu kämen, uns eine Wirksamkeit in einer Sinnenwelt außer uns zuzuschreiben, in- dem die Notwendigkeit einer solchen Annahme unmittelbar aus dem vorausgesetzten Bewusstsein abgelei- tet würde. 

Wir wollen versuchen, ob eine solche Ableitung möglich sei. Ihr Plan ist folgender: Was in der Vorstellung von unserer Wirksamkeit liege, haben wir soeben gesehen. Die Voraussetzung ist, dass dasselbe im Be- wusstsein überhaupt enthalten und mit demselben notwendig gesetzt sei. Wir gehen daher aus von der Form des Bewusstseins überhaupt, leiten ab von ihr; und unsere Untersuchung ist geschlossen, wenn wir auf dem Weg der Ableitung wieder zur Vorstellung unserer sinnlichen Wirksamkeit zurückkommen.

5. Ich setze mich als tätig, heißt nach obigem: Ich unterscheide in mir ein Wissendes und eine reelle Kraft, die als solche nicht weiß, sondern ist; sehe aber beides als schlechthin Eins an. Wie komme ich zu dieser Unterscheidung; wie gerade zu dieser Bestimmung der Unterschiedenen? Die zweite Frage dürfte wohl durch Beantwortung der ersten zugleich mit beantwortet werden.

Ich weiß nicht, ohne etwas zu wissen; ich weiß nicht von mir, ohne eben durch dieses Wissen mir zu etwas zu werden; oder, welches dasselbe heißt, ein Subjektives in mir und ein Objektives zu trennen. Ist ein Be- wusstsein gesetzt, so ist diese Trennung gesetzt, und es ist ohne sie gar kein Bewusstsein möglich. Durch diese Trennung aber ist unmittelbar zugleich das Verhältnis des Subjektiven und Objektiven zueinander gesetzt. Das letztere soll bestehen ohne Zutun des Subjektiven und unabhängig von ihm, durch sich selbst; das erstere soll
abhängig sein vom letzteren, und seine materielle Bestimmung nur daher erhalten. Das Sein ist durch sich selbst, das Wissen aber hängt ab vom Sein; so muss uns beides erscheinen, so gewiss uns überhaupt etwas erscheint; so gewiss wir Bewusstsein haben.


Die wichtige Einsicht, welche wir dadurch erhalten, ist folgende. Wissen und Sein sind nicht etwa außer- halb des Bewusstseins und unabhängig von ihm getrennt, sondern nur im Bewusstsein werden sie getrennt, weil diese Trennung Bedingung der Möglichkeit alles Bewusstseins ist; und durch diese Trennung entste- hen erst beide. Es gibt kein Sein außer vermittelst des Bewusstseins, sowie es außer demselben auch kein Wissen, als bloß subjektives und auf sein Sein gehendes, gibt. Um mir nur sagen zu können: Ich, bin ich genötigt zu trennen; aber auch ledig dadurch, dass ich dies sage und indem ich es sage, geschieht die Tren- nung. Das Eine, welches getrennt wird, das sonach allem Bewusstsein zum Grunde liegt, und zufolge des- sen das Subjektive und Objektive im Bewusstsein als Eins gesetzt wird, ist absolut = X, kann als einfaches auf keine Weise zum Bewusstsein kommen.

Wir finden hier eine unmittelbare Übereinstimmung zwischen dem Subjektiven und Objektiven: ich weiß von mir dadurch, dass ich bin, und bin, dadurch, dass ich von mir weiß. Es wäre möglich, dass alle andere Übereinstimmung beider, ob nun das Objektive aus dem Subjektiven folgen solle, wie  beim Zweckbegrif- fe, oder das Subjektive aus dem Objektiven, wie beim Erkenntnisbegriffe, nichts anderes wäre, als nur eine besondere Ansicht jener unmittelbaren Übereinstimmung; und sollte sich dies wirklich / nachweisen lassen, so wäre - da diese unmittelbare Trennung und Übereinstimmung die Form des Bewusstseins selbst ist; jene anderen Trennungen und Übereinstimmungen aber den gesamten Inhalt alles möglichen Bewusstseins er- schöpfen - zugleich erwiesen, dass alles, was im Bewusstsein nur vorkommen kann, durch die bloße Form desselben gesetzt sei. Wie es sich damit verhalte, wird sich ohne Zweifel im Verlaufe unserer Untersuchung ergeben.

6. Ich setze mich als tätig, heißt in dem zu untersuchenden Gemütszustande keineswegs, ich schreibe mir Tätigkeit überhaupt, sondern, ich schreibe mir eine bestimmte, gerade eine solche und keine andere Tätig- keit zu.

Das Subjektive wird, wie wir soeben gesehen haben, durch seine bloße Trennung vom Objektiven ganz abhängig und durchaus gezwungen, und der Grund dieser seiner materiellen Bestimmtheit, seiner Be- stimmtheit in Rücksicht des Was, liegt keineswegs in ihm, sondern in dem Objektiven. Das Subjektive erscheint als ein bloßes Erkennen eines ihm Vorschwebenden, keineswegs und in keiner Rücksicht als ein tätiges Hervorbringen der Vorstellung. So muss es beim Ursprunge alles Bewusstseins, wo die Trennung des Subjektiven und Objektiven vollkommen ist, notwendig sein. Im Fortgange des Bewusstseins erscheint, aber vermittelst einer Synthesis, das Subjektive auch als frei und bestimmend, indem es als abstrahierend erscheint; und dann vermag es z. B. auch Tätigkeit überhaupt und als solche zwar nicht wahrzunehmen, aber doch frei zu beschreiben. Hier aber stehen wir beim Ursprunge alles Bewusstseins, und die zu unter- suchende Vorstellung ist daher notwendig eine Wahrnehmung, d. h. das Subjektive erscheint in ihr als ganz und durchgängig und ohne sein eignes Zutun bestimmt. /

Was heißt nun das: eine bestimmte Tätigkeit, und wie wird sie zur bestimmten? Lediglich dadurch, dass ihr ein Widerstand entgegengesetzt wird; entgegengesetzt durch ideale Tätigkeit, gedacht und eingebildet als ihr gegenüberstehend. Wo und inwiefern du Tätigkeit erblickst, erblickst du notwendig auch Widerstand; denn außerdem erblickst du keine Tätigkeit.

Zuvörderst lasse man sich hierbei dies nicht entgehen: Dass ein solcher Widerstand erscheint, ist lediglich Resultat der Gesetze des Bewusstseins, und der Widerstand lässt sich daher füglich als ein Produkt dieser Gesetze betrachten. Das Gesetz selbst, nach welchem er für uns da ist, lässt sich ableiten aus der notwendi- gen Trennung eines Subjektiven von einem Objektiven, und aus dem schlechthin gesetzten Verhältnisse des ersteren zum letzteren, wie es soeben geschehen ist. Aus diesem Grunde ist das Bewusstsein des Wider- standes ein vermitteltes, keineswegs ein unmittelbares Bewusstsein; vermittelt dadurch, dass ich mich als bloß erkennendes und in dieser Erkenntnis von der Objektivität ganz abhängiges Subjekt betrachten muss.

Dann entwickle man die Merkmale dieser Vorstellung von einem Widerstande aus ihrer Entstehungsweise. Dieser Widerstand wird als das Gegenteil der Tätigkeit vorgestellt; also als etwas nur Bestehendes, ruhig und tot Vorliegendes, das da bloß ist, keineswegs aber handelt, das nur zu bestehen strebt, und daher aller- dings mit einem Maße von Kraft zu bleiben, was es ist, der Einwirkung der Freiheit auf seinem eignen Bo- den widersteht, nimmermehr aber dieselbe auf ihrem Gebiete anzugreifen vermag; kurz, bloße Objektivität. So etwas heißt mit seinem eigentümlichen Namen Stoff. - Ferner, alles Bewusstsein ist bedingt durch das Bewußtsein meiner selbst, dieses ist bedingt durch die Wahrnehmung meiner Tätigkeit, diese durch das Setzen eines Widerstandes als eines solchen. Also, der Widerstand mit dem soeben angegebenen Charakter erstrecket sich notwendig durch die ganze Sphäre meines Bewusstseins; dauert neben demselben fort, und die Freiheit kann nie gesetzt werden als das geringste über ihn vermögend, weil dadurch sie selbst und alles Bewusstsein und alles Sein wegfiele. - Die Vorstellung eines durch meine Wirksamkeit schlechthin nicht zu verändernden Stoffes, die wir oben in der Wahrnehmung unserer Wirksamkeit enthalten fanden, ist aus den Gesetzen des Bewusstseins abgeleitet.

Die eine der aufgeworfenen Hauptfragen ist beantwortet: wie wir nämlich dazu kommen, ein Subjektives, einen Begriff anzunehmen, der aus einem Objektiven, einem Sein, folgen und dadurch bestimmt sein soll. Es ist dies, wie wir gesehen haben, die notwendige Folge davon, dass wir ein Subjektives und ein Objekti- ves in uns im Bewusstsein trennen und doch als eins ansehen. Das bestimmte Vehältnis aber, dass das Sub- jektive durch das Objektive bestimmt sein soll, nicht aber umgekehrt, entsteht aus dem schlechthin gesetz- ten Verhältnisse des Subjektiven als solchen zu einem Objektiven als solchen. Und so ist das Prinzip und die Aufgabe aller theoretischen Philosophie abgeleitet.

8. Ich setze mich als tätig. Vom Subjektiven und Objektiven in diesem Setzen, seiner Trennung, seiner Vereinigung und dem ursprünglichen Verhältnisse beider zu einander ist zur Genüge gesprochen; nur das Prädikat, welches dem einen und unzertrennlichen Ich zugeschrieben wird, haben wir noch nicht unter- sucht. Was heißt doch das, tätig sein, und was setze ich eigentlich, wenn ich mir Tätigkeit zuschreibe?

Das Bild der Tätigkeit überhaupt, einer Agilität, Bewegung oder wie man es mit Worten ausdrücken mag, wird bei dem Leser vorausgesetzt und lässt sich keinem andemonstrieren, der es nicht in der Anschauung seiner selbst findet. Diese innere Agilität lässt dem Objektiven als solchen schlechthin sich nicht zuschrei- ben, wie wir soeben gesehen haben; es besteht nur und ist und bleibt, was es ist. Nur dem Subjektiven, der Intelligenz als solcher, kommt sie der Form ihres Handelns nach zu. Der Form nach, sage ich; denn das Materielle der Bestimmung soll, wie wir oben gesehen haben, in einer anderen Beziehung durch das Objek- tive bestimmt sein. /

Das Vorstellen, seiner Form nach, wird angeschaut als freieste innere Bewegung. Nun soll ich, das Eine unteilbare Ich, tätig sein; und das, was auf das Objekt wirkt, ist ohne allen Zweifel dies Objektive in mir, die reelle Kraft. Dies alles bedacht, lässt meine Tätigkeit sich nur so setzen, dass sie ausgehe vom Subjekti- ven, als bestimmend das Objektive; kurz, als eine Kausalität des bloßen Begriffs auf das Objektive, welcher Begriff insofern nicht wieder durch ein anderes Objektives bestimmt werden kann, sondern absolut in und durch sich selbst bestimmt ist.

Es ist jetzt auch die zweite der oben aufgeworfenen Hauptfragen beantwortet: Wie komme ich dazu, anzu- nehmen, dass ein  Objektives aus einem Subjektiven, ein Sein aus einem Begriffe erfolge? - und es ist da- durch das Prinzip der ganzen praktischen Philosophie abgeleitet. Diese Annahme kommt nämlich daher, weil ich mich absolut als tätig setzen muss - aber, nachdem ich ein Subjektives in mir und ein Objektives unterschieden habe, diese Tätigkeit nicht anders beschreiben kann, denn als eine Kausalität des Begriffs. - Absolute Tätigkeit ist das eine schlechthin und unmittelbar mir zukommende Prädikat; Kausalität durch den Begriff ist die durch die Gesetze des Bewusstseins notwendig gemachte und einzig mögliche Darstel- lung desselben. In dieser letzten Gestalt nennt man die absolute Tätigkeit auch Freiheit. Freiheit ist die sinnliche Vorstellung der Selbsttätigkeit, und dieselbe entsteht durch den Gegensatz mit der Gebundenheit des Objekts und unserer selbst als Intelligenz, inwiefern wir dasselbe auf uns beziehen.

Ich setze mich frei, inwiefern ich ein sinnliches Handeln oder ein Sein aus meinem Begriffe, der dann Zweckbegriff heißt, erkläre. Das oben aufgestellte Faktum: Ich finde mich wirkend, ist daher nur unter der Bedingung möglich, inwiefern ich einen von mir selbst entworfenen Begriff voraussetze, nach welchem die Wirksamkeit sich richten und durch ihn sowohl formaliter begründet als materialiter bestimmt sein soll. Wir erhalten sonach hier außer den schon oben aufgestellten mannigfaltigen Merkmalen in der Vorstellung unserer / Wirksamkeit noch ein neues, welches oben zu bemerken nicht nötig war, und das hier zugleich mit abgleitet wurde. Aber es ist wohl zu merken, dass das vorhergegangene Entwerfen eines solchen Be- griffs nur gesetzt werde und lediglich zur sinnlichen Ansicht unserer Selbsttätigkeit gehöre.

Der Begriff, aus welchem eine objektive Bestimmung erfolgen soll, der Zweckbegriff, wie man ihn nennt, ist, wie soeben erinnert worden, nicht selbst wieder durch ein Objektives bestimmt, sondern er ist absolut durch sich selbst bestimmt. Denn wäre er dies nicht, so wäre ich nicht absolut tätig und würde nicht unmit- telbar so gesetzt, sondern meine Tätigkeit wäre abhängig von einem Sein und durch dasselbe vermittelt, welches gegen die Voraussetzung läuft. Im Verlauf des angeknüpften Bewusstseins zwar erscheint der Zweckbegriff als durch die Erkenntnis eines Seins obwohl nicht bestimmt, doch bedingt; so aber ist hier, beim Ursprunge alles Bewusstseins, wo von der Tätigkeit ausgegangen wird und dieselbe absolut ist, die Sache nicht anzusehen. - Das wichtigste Resultat hieraus ist dieses: Es gibt eine absolute Unabhängigkeit und Selbstständigkeit des Begriffs (das Kategorische in dem sogenannten kategorischen Imperativ) zufolge der Kausalität des Subjektiven auf das Objektive, ebenso wie es ein absolutes durch sich selbst gesetztes Sein (des materiellen Stoffs) geben soll, zufolge der Kausalität des Objektiven auf das Subjektive; und wir haben sonach die beiden Enden der ganzen Vernunftwelt aneinander geknüpft.

(Wer nur wenigstens die Selbstständigkeit des Begriffs gehörig fasst, dem wird damit das vollkommene Licht über unser ganzes System und mit ihm die unerschütterlichste Überzeugung von der Wahrheit des- selben entstehen.)

8. Aus dem Begriff erfolgt ein Objektives. Wie ist dies möglich und was kann es heißen? Nichts anderes, als dass der Begriff selbst mir als etwas Objektives erscheine. Aber der Zweckbegriff, objektiv angesehen, wird ein Wollen genannt, und die Vorstellung eines Wollens ist gar nichts anderes, / als diese notwendige Ansicht des - selbst nur um unserer Tätigkeit bewusst zu werden, gesetzten - Zweckbegriffs. Das Geistige in mir, unmittelbar als Prinzip einer Wirksamkeit angeschaut, wird mir zu einem Willen.

Nun aber soll ich auf den schon oben seiner Entstehung nach beschriebenen Stoff wirken. Aber es ist mir unmöglich, eine Wirkung auf ihn zu denken, außer durch das, was selbst Stoff ist; und wiefern ich mich so erblicke, nenne ich mich einen materiellen Leib. Ich, als Prinzip einer Wirksamkeit in der Körperwelt an- geschaut, bin eine artikulierter Leib, und die Vorstellung meines Leibes ist nichts anderes denn die Vorstel- lung meiner selbst als Ursache in der Körperwelt; mithin nichts anderes als eine gewisse Ansicht meiner absoluten Tätigkeit.

Nun soll aber doch der Wille Kausalität und zwar eine unmittelbare Kausalität haben auf meinen Leib; und nur soweit, als diese unmittelbare Kausalität des Willens geht, geht mein Leib als Werkzeug oder als Arti- kulation. (Bis zur Ansicht meines Leibes als einer Organisation erstreckt sich diese vorläufige Übersicht nicht.) Der Wille wird daher vom Leibe auch unterschieden; erscheint daher nicht als dasselbe. Aber diese Unterscheidung ist nichts anderes denn eine abermalige Trennung des Subjektiven vom Objektiven, oder noch bestimmter: eine besondere Ansicht dieser ursprünglichen Trennung. Der Wille ist in diesem Verhält- nisse das Subjektive, der Leib das Objektive.

8. Aber meine wirkliche Kausalität, die Veränderung, die dadurch in der Sinnenwelt erfolgen soll, die durch diese Kausalität veränderliche Sinnenwelt, was sind sie?

Indem ein Subjektives in mir selbst sich in ein Objektives, den Zweckbegriff in einen Willensentschluss und dieser in eine gewisse Modifikation meines Leibes verändern soll, stelle ich ja offenbar mich selbst vor als verändert. Aber das letzte, was ich zu mir rechne, mein körperlicher Leib, soll in Ver-/bindung mit der gesamten Körperwelt stehen; wie daher der erste als verändert angeschaut wir, wird notwendig auch die letzte so erblickt.

Das durch meine Wirksamkeit veränderliche Ding oder die Beschaffenheit der Natur ist ganz dasselbe, was das Unveränderliche oder die bloße Materie ist; nur angesehen von einer anderen Seite; ebenso wie oben die Kausalität des Begriffs auf das Objektive, von zwei Seiten angesehen, als Wille und als Leib erschien. Das Veränderliche ist die Natur - subjektiv, und mit mir, dem Tätigen, in Verbindung angesehen; das Unver- änderliche, dieselbe Natur, ganz und lediglich objektiv angesehen und unveränderlich, aus den oben ange- zeigten Gründen.

Alles in der Wahrnehmung unserer sinnlichen Wirksamkeit liegende Mannigfaltige ist gegenwärtig aus den Gesetzen des Bewusstseins abgeleitet, wie gefordert wurde; wir finden als letztes Glied unserer Folgerun- gen dasselbe, wovon wir ausgingen, unsere Untersuchung ist in sich selbst zurückgelaufen und also ge- schlossen.

Das Resultat derselbem ist kürzlich folgendes: Das einzige Absolute, worauf alles Bewusstsein und alles Sein sich gründet, ist reine Tätigkeit. Diese erscheint zufolge des Gesetzes des Bewusstseins und insbeson- dere zufolge seines Grundsatzes, dass das Tätige nur als vereinigtes Subjekt und Objekt (als Ich) erblickt werden kann, als Wirksamkeit auf etwas außer mir. Alles, was in dieser Erscheinung enthalten ist, von dem mir absolut durch mich selbst gesetzten Zwecke an, an dem einen Ende, bis zum rohen Stoffe der Welt, an dem anderen, sind vermittelnde Glieder der Erscheinung, sonach selbst auch nur Erscheinungen. Das einzi- ge rein Wahre ist meine Selbstständigkeit.


 
aus J. G. Fichte, "System der Sittenlehre nach Prinzipien der Wissenschaftslehre"; in ders., Sämmtliche Werke Bd. IV. S. 1-12
sowie in
dass., Hamburg (Felix Meiner) 1995, S. 1 - 12