Montag, 30. April 2018

Urteilen ist geltend-Machen.

 
Irgend eine Thatsache des empirischen Bewusstseyns wird aufgestellt; und es wird eine empirische Bestimmung nach der anderen von ihr abgesondert, so lange bis dasjenige, was sich schlechthin selbst nicht wegdenken und wovon sich weiter nichts absondern lässt, rein zurückbleibt.

1) Den Satz: A ist A (soviel als A = A, denn das ist die Bedeutung der logischen Copula) giebt Jeder zu; und zwar / ohne sich im geringsten darüber zu bedenken: man erkennt ihn für völlig gewiss und ausgemacht an.

Wenn aber Jemand einen Beweis desselben fordern sollte, so würde man sich auf einen solchen Beweis gar nicht einlassen, sondern behaupten, jener Satz sey schlechthin, d. i. ohne allen weiteren Grund, gewiss: und indem man dieses, ohne Zweifel mit allgemeiner Beistimmung, thut, schreibt man sich das Vermögen zu, etwas schlechthin zu setzen.

2) Man setzt durch die Behauptung, dass obiger Satz an sich gewiss sey, nicht, dass A sey. Der Satz: A ist A ist gar nicht gleichgeltend dem: A ist, oder: es ist ein A. (Seyn, ohne Prädicat gesetzt, drückt etwas ganz anderes aus, als seyn mit einem Prädicate; worüber weiter unten.) Man nehme an, A bedeute einen in zwei gerade Linien eingeschlossenen Raum, so bleibt jener Satz immer richtig; obgleich der Satz: A ist, offenbar falsch wäre. Sondern man setzt: wenn A sey, so sey A. Mithin ist davon, ob überhaupt A sey oder nicht, gar nicht die Frage. Es ist nicht die Frage vom Gehalte des Satzes, sondern bloss von seiner Form; nicht von dem, wovon man etwas weiss, sondern von dem, was man weiss, von irgend einem Gegenstande, welcher es auch seyn möge.

Mithin wird durch die Behauptung, dass der obige Satz schlechthin gewiss sey, das festgesetzt, dass zwischen jenem Wenn und diesem So ein nothwendiger Zusammenhang sey; und der nothwendige Zusammenhang zwischen beiden ist es, der schlechthin, und ohne allen Grund gesetzt wird. Ich nenne diesen nothwendigen Zusammenhang vorläufig = X.

3) In Rücksicht auf A selbst aber, ob es sey oder nicht, ist dadurch noch nichts gesetzt. Es entsteht also die Frage: unter welcher Bedingung ist denn A?

a. X wenigstens ist im Ich, und durch das Ich gesetzt – denn das Ich ist es, welches im obigen Satze urtheilt, und zwar nach X als einem Gesetze urtheilt; welches mithin dem Ich gegeben, und da es schlechthin und ohne allen weiteren / Grund aufgestellt wird, dem Ich durch das Ich selbst gegeben seyn muss.

b. Ob, und wie A überhaupt gesetzt sey, wissen wir nicht; aber da X einen Zusammenhang zwischen einem unbekannten Setzen des A, und einem unter der Bedingung jenes Setzens absoluten Setzen desselben A bezeichnen soll, so ist, wenigstens insofern jener Zusammenhang gesetzt wird, A in dem Ich, und durch das Ich gesetzt, so wie X; X ist nur in Beziehung auf ein A möglich; nun ist X im Ich wirklich gesetzt: mithin muss auch A im Ich gesetzt sein, insofern X darauf bezogen wird.

c. X bezieht sich auf dasjenige A, welches im obigen Satze die logische Stelle des Subjects einnimmt, ebenso wie auf dasjenige, welches für das des Prädicats steht; denn beide werden durch X vereinigt. Beide also sind, insofern sie gesetzt sind, im Ich gesetzt; und das im Prädicate wird, unter der Bedingung, dass das im Subjecte gesetzt sey, schlechthin gesetzt; und der obige Satz lässt demnach sich auch so ausdrücken: Wenn A im Ich gesetzt ist, so ist es gesetzt; oder – so ist es.

4) Es wird demnach durch das Ich vermittelst X gesetzt: A sey für das urtheilende Ich schlechthin und lediglich kraft seines Gesetztseyns im Ich überhaupt; das heisst: es wird gesetzt, dass im Ich – es sey nun insbesondere setzend, oder urtheilend, oder was es auch sey – etwas sey, das sich stets gleich, stets Ein und ebendasselbe seyn; und das schlechthin gesetzte X lässt sich auch so ausdrücken: Ich = Ich; Ich bin Ich.

5) Durch diese Operation sind wir schon unvermerkt zu dem Satze: Ich bin (zwar nicht als Ausdruck einer Thathandlung, aber doch einer Thatsache) angekommen. Denn X ist schlechthin gesetzt; das ist Thatsache des empirischen Bewusstseyns. Nun ist X gleich dem Satze: Ich bin Ich; mithin ist auch dieser schlechthin gesetzt.

Aber der Satz: Ich bin Ich, hat eine ganz andere Bedeutung als der Satz: A ist A. – Nemlich der letztere hat nur unter einer gewissen Bedingung einen Gehalt. Wenn A ge/setzt ist, so ist es freilich als A, mit dem Prädicate A gesetzt. Es ist aber durch jenen Satz noch gar nicht ausgemacht, ob es überhaupt gesetzt, mithin, ob es mit irgend einem Prädicate gesetzt sey. Der Satz: Ich bin Ich, aber gilt unbedingt und schlechthin, denn er ist gleich dem Satze X; er gilt nicht nur der Form, er gilt auch seinem Gehalte nach. In ihm ist das Ich, nicht unter Bedingung, sondern schlechthin, mit dem Prädicate der Gleichheit mit sich selbst gesetzt; es ist also gesetzt; und der Satz lässt sich auch ausdrücken: Ich bin.
_________________________________________________________
Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, SW Bd. I, S. 92-95



Nota. - Das transzendentale Ich ist Dasjenige, was urteilt. Es ist die schiere Tatsache, dass die Menschen urteilen, die die Annahme unumgägnlich macht, dass sie es können. Dieses Urteilenkönnen, dieses Vermögen ist das transzen- dentale Ich. Es ist ein reines Gedankending, 'es selbst' tritt nie in Erscheinung, man weiß von ihm nur durch sein Wirken: indem wirklich geurteilt wird. Es "ist" der Grund von Allem. 

Es ist der Grund der Geltung von allem. Wenn ich treuherzig sage Das ist, sage ich sachlich doch nur aus, dass mir Etwas als seiend gilt. Für mein Leben in der 'Reihe vernünftiger Wesen' ist das freilich dasselbe. Aber philo- sophisch, nämlich materiallogisch gesehen, ist es das nicht.

*

Urteilen ist der Alles fundierende poietische Akt: ein-Bilden eines Quale.
JE


Sonntag, 29. April 2018

Kritik ist Reflexion=Analyse des Vorgefundenen.

birgitH, pixelio.de

Soll sich aber etwas aus ihr entwickeln lassen, so müssen in den durch sie vereinigten Begriffen noch andere enthalten liegen, die bis jetzt nicht aufgestellt sind; und unsere Aufgabe ist die, sie zu finden. Dabei verfahrt man nun auf folgende Art. – Nach § 3. entstehen alle synthetische Begriffe durch Vereinigung entgegengesetzter. Man müsste demnach zuvörderst solche entgegengesetzte Merkmale der aufgestellten Begriffe (hier des Ich und des Nicht-Ich, insofern sie als sich gegenseitig bestimmend gesetzt sind) aufsuchen; und dies geschieht durch Refle- xion, die eine willkürliche Handlung unseres Geistes ist. –

Aufsuchen, sagte ich; es wird demnach vorausgesetzt, dass sie schon vorhanden sind, und nicht etwa  / durch unsere Reflexion erst gemacht und erkünstelt werden (welches überhaupt die Reflexion gar nicht vermag), d.h. es wird eine ursprünglich nothwendige antithetische Handlung des Ich vorausgesetzt. 

Die Reflexion hat diese antithetische Handlung aufzustellen: und sie ist insofern zuvörderst analytisch. Nemlich entgegengesetzte Merkmale, die in einem bestimmten Begriffe = A enthalten sind, als entgegengesetzt durch Reflexion zum deutlichen Bewusstseyn erheben, heisst: den Begriff A analysiren.
__________________________________________________________
Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, SW Bd. I, S. 123 f.



Nota. - Der erste Gang der Vernunftkritik, den zur Hälfte bereits Kant zurückgelegt hatte, ist Kritik, und das heißt Reflexion - und verfährt daher analytisch. Ihr Weg ist aufsuchen und auffinden: Es gilt, die Erscheinungen des vernünftigen Denken hinab zu verfolgen bis auf ihren Ursprung. Vernunft ist gegeben als eine Große Synthesis, und da Synthesis geschieht durch die Vereinigung Entgegengesetzter, muss Analyse verfahren als Zerlegung der je Gegebenen in zwei Entgegengesetzte. 

Die letzte (bzw. erste) Sythesis, die die Analyse vorfindet, ist der Gegensatz Ich-Nichtich. Er ist eine ursprüng- liche Zerteilung. Dieser voraus muss gedacht werden eine Ursynthesis als das Was der Ur-Teilung. Die Ur-Synthesis ist eine Selbstsetzuung, die wiederum nur denkbar ist als Selbstentgegensetzung. Auf diesem ihren Grund angekommen, beginnt als zweiter Gang der Wissenschaftslehre die Rekonstruktion des Ganges der Vernunft bis zum Stand unseres gegenwärtigen Wissens.
JE

Samstag, 28. April 2018

Begriff ist das ruhende Bild einer Tätigkeit.

Albrecht E. Arnold, pixelio.de

Man nennt die innere Thätigkeit, in ihrer Ruhe aufgefasst, durchgängig den Begriff. ... Der Begriff ist überall nichts anderes, als die Thätigkeit des Anschauens selbst, nur nicht als Agilität, sondern als Ruhe und Bestimmt- heit aufgefasst. ...

Im gemeinen Bewusstseyn kommen nur Begriffe vor, keinesweges Anschauungen als solche; unerachtet der Begriff nur durch die Anschauung, jedoch ohne unser Bewusstseyn, zu Stande gebracht wird. Zum Bewusst- seyn der Anschauung erhebt man sich nur durch Freiheit, wie es soeben in Absicht des Ich geschehen ist; und jede Anschauung mit Bewusstseyn bezieht sich auf einen Begriff, der der Freiheit die Richtung andeutet. Daher kommt es, dass überhaupt, so wie in unserem besonderen Falle, das Object der Anschauung vor der Anschauung vorher daseyn soll. Dieses Objekt ist eben der Begriff. Nach unserer gegenwärtigen Erörterung sieht man, dass dieser nichts anderes sey, als die Anschauung selbst, nur nicht als solche, als Thätigkeit, sondern als Ruhe aufgefasst.
_______________________________________________________
Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre [1797] SW I, S. 533f.



Nota. - Hier ist erst die Rede von der Herkunft der Begriffe. Sie 'stammen' nicht erst aus der Anschauung, sie sind die Anschauung; allerdings nicht in ihrer tätigen Verlaufsform vorgestellt, sondern als Gedächtnisspur.

Dass die Vernunft hernach aus der Welt der Begriffe ein sich wechselseitig bestimmendes System bildet, das sie als ihre wesentlichste Leistung auffasst und den Schein einer sachlichen, nicht-tätigen 'Dialektik' zulässt, fällt in ein viel späteres (oder früheres, wenn man will) Kapitel der Vernunftkritik.

Tätiges Anschauen ist (noch durch mich) bestimmbar; im Begriff gilt es als (schon durch ein Objekt) bestimmt.
JE

Freitag, 27. April 2018

Das ursprüngliche Denken und die Spekulation.

Caravaggio

Ein anderes ist das abstrakte Denken in der Philosophie, dessen Möglichkeite selbst durch die vorangegangene Erfahrung bedingt ist: Wir fangen unser Leben nicht an beim Spekulieren, sondern wir fangen es eben beim Leben selbst an. 

Ein anderes ist das ursprüngliche und bestimmte Denken auf dem Gesichtspunkte der Erfahrung. Der Begriff der Freiheit, wie wir ihn oben hatten, kam für uns durch Abstraktion, durch Analyse zu Stande; wir hätten ihn aber so gar nicht zu Stande bringen können, wenn wir ihn nicht schon vorher gehabt hätten, als gegeben und zu seiner Zeit gefunden
______________________________
System der Sittenlehre, SW IV, S. 78


Nota. - Es ist der Spekulierende, der in Gedanken einen Standpunkt außerhalb des Lebens wählt und es so an- schaut, als ob der Lebende Voraussetzungen gemacht hätte. Tatsächlich ist aber der Lebende ins Leben gefallen und hat alles, was ihm vorausgesetzt ist, vorgefunden: Es ist die 'Reihe vernünftiger Menschen' alias die intelligible Welt. Sie nun schaut der spekulierende Denker an, als ob ein jeder Lebender sie selber nach-gedacht habe.
JE


Donnerstag, 26. April 2018

Zirkulär - und notwendig, wenn man will.

w.r.wagner  / pixelio.de
 
§ 1. Erster, schlechthin unbedingter Grundsatz. 

Wir haben den absolut-ersten, schlechthin unbedingten Grundsatz alles menschlichen Wissens aufzusuchen. 

Beweisen oder bestimmen lässt er sich nicht, wenn er absolut-erster Grundsatz seyn soll. Er soll diejenige Thathand- lung ausdrücken, welche unter den empirischen Bestimmungen unseres Bewusstseyns nicht vorkommt, noch vor- kommen kann, sondern vielmehr allem Bewusstseyn zum Grunde liegt, und allein es möglich macht. Bei Darstel- lung dieser Thathandlung ist weniger zu befürchten, dass man sich in etwa dabei dasjenige nicht denken werde, was man sich zu denken hat – dafür ist durch die Natur unseres Geistes schon gesorgt – als dass man sich dabei denken werde, was man nicht zu denken hat. Dies macht eine Reflexion über dasjenige, was man etwa zunächst dafür halten könnte, und eine Abstraction von allem, was nicht wirklich dazu gehört, nothwendig. 

Selbst vermittelst dieser abstrahirenden Reflexion nicht – kann Thatsache des Bewusstseyns werden, was an sich keine / ist; aber es wird durch sie erkannt, dass man jene Thathandlung, als Grundlage alles Bewusstseyns, noth- wendig denken müsse. ... 

Die Gesetze, nach denen man jene Thathandlung sich als Grundlage des menschlichen Wissens schlechterdings denken muss, oder – welches das gleiche ist – die Regeln, nach welchen jene Reflexion angestellt wird, sind noch nicht als gültig erwiesen, sondern sie werden stillschweigend, als bekannt und ausgemacht, vorausgesetzt. Erst tiefer unten werden sie von dem Grundsatze, dessen Aufstellung bloss unter Bedingung ihrer Richtigkeit richtig ist, abgeleitet. Dies ist ein Cirkel; aber es ist ein unvermeidlicher Cirkel.
______________________________________________
Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, SW Bd. I, S. 91f.



Nota. - Ich hatte diesen Post ursprünglich mit Denknotwendig und zirkulär überschrieben. Doch denknotwendig ist der Gedanke der Tathandlung ja gerade nicht, sonst müsste er uns allen ganz selbstverständlich vorkommen. Das tut er nicht, er kommt uns vielmehr recht erkünstelt vor. Er wird tatsächlich nicht gedacht, denn der so bezeichnete Akt muss als allem wirklichen Denken zugrundeliegend vorgestellt werden.  - Jeder wirkliche Denkakt hat sachlich die Form S p, dass q. Darin ist unausgesprochen voraus-gesetzt, dass S und q als solche schon bestimmt waren. Da- für liegt aber kein Grund vor. Der kann - sofern man danach sucht! - nur in der Vorstellung gefunden werden, dass 'ein Ich sich setzt, indem es ein/em Nichtich sich entgegensetzt'. Man findet es nur, sofern man will: sofern man reflektiert. Notwendig ist daran nichts.

Freilich - sofern man will, kann man nur dies finden; das ist notwendig, und das ist das Zirkuläre daran.
JE


Mittwoch, 25. April 2018

Der materiale Grund der Logik.


Wir sind von dem Satze A=A ausgegangen; nicht, als ob der Satz: Ich bin, sich aus ihm erweisen liesse, sondern weil wir von irgend einem, im empirischen Bewusstseyn gegebenen gewissen, ausgehen mussten. Aber selbst in unserer Erörterung hat sich ergeben, dass nicht der Satz: A=A den Satz Ich bin, sondern dass vielmehr der letztere den ersteren begründe.

Wird im Satze Ich bin von dem bestimmten Gehalte, dem Ich, abstrahirt, und die blosse Form, welche mit jenem Ge/halte  gegeben ist, die Form der Folgerung vom Gesetztseyn auf das Seyn, übrig gelassen; wie es zum Behuf der Logik [ siehe Über den Begriff der Wissenschaftslehre, § 8] geschehen muss; so erhält man als Grundsatz der Logik den Satz A=A, der nur durch die Wissenschaftslehre erwiesen und bestimmt werden kann. Erwiesen: A ist A, weil das Ich, welches A gesetzt hat, gleich ist demjenigen, in welchem es gesetzt ist: bestimmt; alles was ist, ist nur insofern, als es im Ich gesetzt ist, und ausser dem Ich ist nichts. Kein mögliches A im obigen Satze (kein Ding) kann etwas anderes seyn, als ein im Ich gesetztes.
_______________________________________________________
Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, SW Bd. I, S. 98f. 



Nota. - In A=A ist der Satz Ich bin aufs Äußerste formalisiert. Es wird darin davon abgesehen, dass das eine A, welches das andere A setzt, schlechterdings nicht Dasselbe ist wie das gesetzte A; "und umgekehrt". Eigentlich ist A=A gar kein Satz, weil in ihm nichts gesetzt wird. Würde er wörtlich genommen, wäre er ohne Gehalt, und wäre also nicht. Er hat nur darum Bestand, weil jeder, der ihn hört, sogleich mitdenkt, dass beide A 'an sich' nicht die- selben, sondern "in gewisser Hinsicht" verschieden sind - und in besagtem Akt lediglich so gesetzt werden, als ob sie Dasselbe wären.

Auf A=A beruht folglich eine rein formale, schlusstechnische Logik bar allen Gehalts. Darum muss jede 'logi- sche' Operation umkehrbar sein, weil lediglich auf die Form abgesehen wird nicht auf das Nach-Einander der Operationen, auf dem alle sachliche Veränderung beruht - 'in der Zeit'. 

Die materiale Logik gründet auf dem Satz, dass das Ich sich setzt, indem es sich ein/em Nichtich entgegensetzt. Das lässt sich nicht umkehren, weil ein Akt zugrundeliegt, auf den allein andere Akte aufbauen und Fakten schaf- fen können.
JE

Dienstag, 24. April 2018

Die Aufforderung ist das Apriori der Vernünftigkeit.

Lothar Sauer

Ich finde mich zuvörderst als handeln Könnendes, rein als Handelndes bin ich gemacht durch mich, durch den Willen, nicht aber mir selbst gegeben. Als handeln Sollendes kann ich mich finden.

Was ist denn nun das Denken des Handelns seinem Charakter nach für ein Denken?

Das Handeln ist ein Fortfließen, es ist also ein versinnlichtes Denken, nur erscheint mir das Entwerfen eines Zweckbegriff nicht als ein Handeln, sondern als ein bloßes Denken, als etwas / außer mir als ein Ding. Wie ist beides verbunden? Durch die Anschauung meines Handelns, die insbesondere auch drum ... stattfinden muss, weil bloß durch sie eine Zweckerfüllung entsteht.

Ich finde mein Handeln als etwas Gegebenes, als ein Mögliches.* Gesetzt, ein Mensch hätte noch nichts getan (welches absurd ist und nur auf einen Augenblick gesetzt worden), dennoch soll er etwas tun. Es wird also postuliert, dass er schon einen Begriff vom Handeln habe. Dieser Begriff, der bei ihm nicht aus der Erfahrung kommen kann, müsste bei ihm ein Begriff a priori sein. So hier: Ich finde mich als ein Handelnsollendes, drin liegt das Handeln schon drinnen [sic]. Das ist ganz klar eine Versinnlichung, die zusammengesetzt ist aus dem Zweckbegriffe, der kein Handeln ist, und dem Realisieren, das nicht gefunden wird, also gleichsam zwischen beiden in der Mitte schwebend.

Was schaue ich denn nun an? Etwas durch die Einbildungskraft Versinnlichtes. Im Handeln ist nicht bleibende Gestalt, weder des Subjekts, noch des Objekts. Das Denken des Handelns ist ganz sinnlich, und eine solche Ansicht ist von der Synthesis, durch die das Bewusstsein zustande kommt, unzertrennlich. Nun muss ich zu dem bestimmten Handeln etwas Bestimmbares setzen; da das Bestimmte sinnlich ist, muss auch das Bestimm- bare sinnlich sein. Das Bestimmbare war nach dem Obigen meine Individualität, meine sinnliche Kraft, darum muss dieses auch als ein Sinnliches erscheinen. 

Was ist nun meine Individualität? Mein versinnlichtes Sollen. Eine Aufforderung zur freien Tätigkeit als Faktum in der Sinnenwelt. Es ist Beschränktheit meiner Freiheit in einer besonderen Sphäre, oder bestimmte Bestimm- barkeit meiner selbst. Die Aufforderung eines Sollens muss also erscheinen als Wahrnehmung, welche eine ganz eigene Idee dieses Systems** ist, eine ganz eigne Erklärungsweise, die Wirksamkeit in der Sinnenwelt zu erklären. Sie ist nichts als objektive versinnlichte Wahrnehmung meiner Bestimmung, auf andere und mit anderen Vernunftwesen in Wechselwirkung zu handelt. 

*) [= als etwas als möglich Gegebenes]
**) der Wissenschaftslehre
____________________________________________
Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 229f.


Nota. - Wir erinnern uns: Vernunft ist aus Freiheit handeln. Auch das Tier 'handelt', aber nicht aus einem Zweckbegriff, sondern naturbestimmt. Das macht den Unterschied der beiden aus. Aber wie kommt der Mensch dazu, sich einen Zweckbegriff zu setzen? - Dass er es tut, ist ein Faktum, doch ebendieses gilt es zu erklären; zu erklären, wie der Mensch zum Menschen, zu einem Vernunftwesen geworden ist. Aus der Erfah- rung (aus seiner tierischen Vorgeschichte) kann er von Zwecken nichts wissen. Die einzige Erklärung: Er hat den Zweckbegriff "a priori". Er - nämlich sofern er Individuum ist. Dem Individuum ist der Zweckbegriff a priori! Es hat ihn nicht aus Erfahrung, sondern 'von außen', er ist ihm durch eine Aufforderung geworden. Die Aufforderung kam ihm aus einer 'Reihe vernünftiger Wesen'. Das Apriori für die Vernünftigkeit der mensch- lichen Individuen stammt aus dem Verkehr. Der Verkehr selbst ist das Apriori.

Die Wissenschaftslehre ist keine Anthropologie 'des Menschen überhaupt', sondern eine Anthropologie des bürgerlichen Menschen. Für den bürgerlichen Menschen ist die Gegebenheit einer 'Reihe vernünftiger Wesen' keine historisch-zufällige, sondern ein notwendige und logische Bedingung.
JE


Montag, 23. April 2018

Das Gegebene ist das Bestimmbare.

J. Pollock, N° 6

Man denke das Bestimmbare als Etwas. Dieses Prädikat kommt ihm zu, denn es ist anschaubar. Unter diesem Etwas, welches in der Sphäre des Bestimmbaren liegt, wählt die absolute Freiheit. Sie kann in ihrer Wahl nicht gebunden sein, denn sonst wäre sie nicht Freiheit. Sie kann ins Unendliche mehr oder weniger wählen, kein Teil ist ihr als der letzte vorgeschrieben. Aus dieser Teilbarkeit ins Unendliche wird vieles folgen (der Raum, die Zeit und die Dinge); unendlich teilbar ist alles, weil es eine Sphäre für unsere Freiheit ist.

Hier ist die praktische Tätigkeit nicht gebunden, weil sie sonst aufhören müsste, Freiheit zu sein, aber darin ist sie gebunden, dass sie nur aus dem Bestimmbaren wählen muss. Das Bestimmbare erscheint nicht als hervor- gebracht, weder durch ideale noch durch reale Tätigkeit. Es erscheint als gegeben zur Wahl. Es ist gegeben heißt nicht, es ist dem Ich überhaupt gegeben, sondern dem wählenden praktischen Ich. 
____________________________________________
Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 57


Nota. - Was immer gegeben ist, ist als bestimmbar gegeben.
JE





Sonntag, 22. April 2018

Muss so gedacht werden, als ob...

CFalk, pixelio.de

Es erhellet daraus, theils, dass es, wie schon mehrmals erinnert worden, der Wissenschaftslehre nicht zum Vor- wurfe gereiche, wenn etwas, das sie als Factum aufstellet, sich in der (inneren) Erfahrung nicht vorfindet. Sie giebt dies gar nicht vor; sie erweist bloss, dass nothwendig gedacht werden müsse, dass etwas einem gewissen Gedanken entsprechendes im menschlichen Geiste vorhanden sey. Soll dasselbe nicht im Bewusstseyn vorkom- men, so giebt sie zugleich den Grund an, warum es daselbst nicht vorkommen könne, nemlich weil es unter die Gründe der Möglichkeit alles Bewusstseyns gehört.
________________________________________________________________________________
Grundriss des Eigenthümlichen der Wissenschaftslehre, in Rücksicht auf das theoretische Vermögen, SW I, S. 333.



Nota. - 'Dass etwas einem gewissen Gedanken entsprechendes im menschlichen Geist vorhanden sei' - das ist wohl eine Sache der Interpretation. So exakt und zwingend er die Wissenschaftslehre darstellen will, kann er einen hermeneutischen Rest doch nicht verschweigen. Wenn es hart auf hart kommt - ist sie dann doch eine radi- kale Künstlerphilosophie?
JE

Samstag, 21. April 2018

Die Wissenschaftslehre ist ein Modell sinnhafter Dependenzen...

...und keine historische Nacherzählung.

Es ist aber gar nicht nothwendig, dass diese Handlungen wirklich der Zeitfolge nach in jener systematischen Form, in welcher sie als von einander dependirend werden abgeleitet werden, eine nach der anderen, in unserem Geiste vorkommen; dass etwa die, welche alle unter sich fasst, und das höchste, allgemeinste Gesetz giebt, zuerst, sodann die, welche weniger unter sich fasst u.s.f. vorkommen; ferner ist auch das gar nicht die Folge, dass sie alle rein und unvermischt vorkommen, so dass nicht mehrere, die durch einen etwanigen Beobachter gar wohl zu unterscheiden wären, als eine einzige erscheinen sollten. 

Z.B. die höchste Handlung der Intelligenz sey die, sich selbst zu setzen, so ist gar nicht nothwendig, dass diese Handlung der Zeit nach die erste sey, die zum deutlichen Bewusstseyn komme; und eben so wenig ist nothwendig, dass sie jemals rein zum Bewusstseyn komme, dass die Intelligenz je fähig sey, schlechthin zu denken: Ich bin, ohne zugleich etwas anderes zu denken, das nicht sie selbst sey. 

Hierin liegt nun der ganze Stoff einer möglichen Wissenschaftslehre, aber nicht diese Wissenschaft selbst. Um diese zu Stande zu bringen, dazu gehört noch eine, unter jenen Handlungen allen nicht enthaltene Handlung des menschlichen Geistes, nemlich die, seine Handlungsart überhaupt zum Bewusstseyn zu erheben.* Da sie unter jenen Handlungen, welche alle nothwendig, und die nothwendigen alle sind, nicht enthalten seyn soll, so muss es eine Handlung der Freiheit seyn. – 

Die Wissenschaftslehre entsteht also, insofern sie eine systematische Wissenschaft seyn soll, gerade so, wie alle möglichen Wissenschaften, insofern sie systematisch seyn sollen, durch eine / Bestimmung der Freiheit; welche letztere hier insbesondere bestimmt ist, die Handlungsart der Intelligenz überhaupt zum Bewusstseyn zu erheben; und die Wissenschaftslehre ist von anderen Wissenschaften nur dadurch unterschieden dass das Object der letzteren selbst eine freie Handlung, das Object der ersteren aber nothwendige Handlungen sind. 

Durch diese freie Handlung wird nun etwas, das schon an sich Form ist, die nothwendige Handlung der Intelligenz, als Gehalt in eine neue Form, die Form des Wissens, oder des Bewusstseyns aufgenommen, Und demnach ist jene Handlung eine Handlung der Reflexion. Jene nothwendigen Handlungen wer den aus der Reihe, in der sie etwa an sich vorkommen mögen, getrennt und von aller Vermischung rein aufgestellt; mithin ist jene Handlung auch eine Handlung der Abstraction. Es ist unmöglich zu reflectiren, ohne abstrahirt zu haben.
_______________________________________________
Über den Begriff der Wissenschaftslehre, SW I, S. 71f.



*Nota I. - Das ist die an anderer Stelle erörterte Frage nach der sachlichen Möglichkeit der Philosophie.
Nota II. - Lieber hätte ich von logischen Dependenzen geschrieben. Doch leider werden viele Leser dabei an formal logische Dependenzen denken - und die Formulierung nicht verstehen. Natürlich denke ich an sach logi- sche Dependenzen; sachlich ist es so, dass der erste Stock nicht vor dem Erdgeschoss gebaut werden kann.
JE







 


Nota. - Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es lediglich bearbeitet. Sollten Sie der Eigentümer sein und seine Verwendung an dieser Stelle missbilligen, melden Sie sich bitte über dieses Blog. JE  

Freitag, 20. April 2018

In der Erfahrung findet Denkzwang statt.


In der Erfahrung findet Denkzwang statt, die Dinge so aufzufassen.  
______________________________________________ 
Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 94 


Nota. - Erfahrung ist eine Sache der Sinnlichkeit. Ein Teil der Einbildungskraft bleibt - an einem Punkt A - ge- wissermaßen am Gegenstand hängen, der sie "beschränkt" durch ein Gefühl, und wird dadurch zu realer Tätig- keit. Ein weiterer Anteil der verbliebenen freien Einbildungskraft wendet sich aus eignem Entschluss auf das Gefühl der eben in A geschehenen Beschränkung - und beschränkt sich selbst: Dies ist die ideale Tätigkeit der Reflexion. So ist der Weg der Erfahrung. In A findet Denkzwang statt und hat die Freiheit der Einbildungs- kraft ein Ende. Der verbliebene freie Anteil der Einbildungskraft geht fort ins Unendliche.
JE





Nota.
Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es lediglich bearbeitet. Sollten Sie der Eigentümer sein und seine Verwendung an dieser Stelle missbilligen, melden Sie sich bitte über dieses Blog. JE 


Donnerstag, 19. April 2018

Wer sich einmal auf die Kritik eingelassen hat, muss Alles selber aus nichts hervorbringen.


So ist es, ich weiss es unmittelbar. Aber ich habe mit der Speculation mich einmal eingelassen; die Zweifel, welche sie in mir erregt hat, werden insgeheim fortdauern, und mich beunruhigen. Nachdem ich nun in diese Lage mich gesetzt habe, kann ich keine vollkommene Befriedigung erhalten, ehe nicht alles, was ich annehme, selbst vor dem Richterstuhle der Speculation gerechtfertigt ist. Ich habe mich sonach zu fragen: wie wird es so? Woher entsteht jene Stimme in meinem Innern, welche mich aus der Vorstellung herausweist?
 

Es ist in mir ein Trieb zu absoluter, unabhängiger Selbstthätigkeit. Nichts ist mir unausstehlicher, als nur an einem anderen, für ein anderes, und durch ein anderes zu seyn: ich will für und durch mich selbst etwas seyn und werden. Diesen Trieb fühle ich, sowie ich nur mich selbst wahrnehme; er ist unzertrennlich vereinigt mit dem Bewusstseyn meiner selbst.
 

Ich mache mir das Gefühl desselben durch das Denken deutlich, und setze gleichsam dem an sich blinden Triebe Augen ein, durch den Begriff. Ich soll, zufolge dieses Triebes, / als ein schlechthin selbstständiges Wesen handeln; so fasse und übersetze ich jenen Trieb. Ich soll selbstständig seyn. – 

Wer bin Ich? Subject und Object in Einem, das allgegenwärtig Bewusstseyende und Bewusste, Anschauende und Angeschaute, Denkende und Gedachte zugleich. Als beides soll ich durch mich selbst seyn, was ich bin, schlechthin durch mich selbst Begriffe entwerfen, schlechthin durch mich selbst einen ausser dem Begriffe liegenden Zustand hervorbringen. Aber wie ist das letztere möglich? Schlechthin an Nichts kann ich kein Seyn anknüpfen; aus Nichts wird nimmer Etwas; mein objectives Denken ist nothwendig vermittelnd. Ein Seyn aber, das an ein anderes Seyn angeknüpft wird, wird eben dadurch durch dieses andere Seyn begründet, und ist kein erstes ursprüngliches und die Reihe anhebendes, sondern ein abgeleitetes Seyn. Anknüpfen muss ich; an ein Seyn kann ich nicht anknüpfen.
 

Nun aber ist mein Denken und Entwerfen eines Zweckbegriffes seiner Natur nach absolut frei – und etwas aus dem Nichts hervorbringend. An ein solches Denken müsste ich mein Handeln anknüpfen, wenn es als frei und als schlechthin aus mir selbst hervorgehend soll betrachtet werden können.
_________________________________________________________

Die Bestimmung des Menschen,  SW II, S. 249f.








 


Nota.
Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es lediglich bearbeitet. Sollten Sie der Eigentümer sein und seine Verwendung an dieser Stelle missbilligen, melden Sie sich bitte über dieses Blog. JE

Mittwoch, 18. April 2018

Das Fichtisieren artistisch treiben.

Michael Rittmeier, pixelio.de
 
Es wäre wohl möglich, dass Fichte Erfinder einer neuen Art zu denken wäre – für die die Sprache noch keinen Namen hat. Der Erfinder ist vielleicht nicht der fertigste und sinnreichste Künstler auf seinem Instrument – ob ich gleich nicht sage, daß es so sei. -  Es ist aber wahrscheinlich, dass es Menschen gibt und geben wird, die weit besser Fichtisieren werden, als Fichte. Es können wunderbare Kunstwerke hier entstehen – wenn man das Fichtisieren erst artistisch zu treiben beginnt.
______________________________________________
Novalis, Logologische Fragmente [a], N° 11



Nota. - Ich wäre vermessen, wollte ich vorgeben, das Fichtisieren artistisch zu treiben. Doch scholastisch und philologisch treibe ich es jedenfalls nicht. Und mein Fluchtpunkt ist ein unverhohlen ästhetischer

Von "Artisten-Metaphysik" hat einer geredet wie von einer Zukunftsmusik. Die Wissenschaftslehre hat er nicht gekannt. Freilich lag sie auch erst noch unvollendet vor.
JE


Dienstag, 17. April 2018

Gewiss wahr.


So ist es, ich weiss es unmittelbar. Aber ich habe mit der Speculation mich einmal eingelassen; die Zweifel, welche sie in mir erregt hat, werden insgeheim fortdauern, und mich beunruhigen. Nachdem ich nun in diese Lage mich gesetzt habe, kann ich keine vollkommene Befriedigung erhalten, ehe nicht alles, was ich annehme, selbst vor dem Richterstuhle der Speculation gerechtfertigt ist. Ich habe mich sonach zu fragen: wie wird es so? Woher entsteht jene Stimme in meinem Innern, welche mich aus der Vorstellung herausweist?
 

Es ist in mir ein Trieb zu absoluter, unabhängiger Selbstthätigkeit. Nichts ist mir unausstehlicher, als nur an einem anderen, für ein anderes, und durch ein anderes zu seyn: ich will für und durch mich selbst etwas seyn und werden. Diesen Trieb fühle ich, sowie ich nur mich selbst wahrnehme; er ist unzertrennlich vereinigt mit dem Bewusstseyn meiner selbst.
 

Ich mache mir das Gefühl desselben durch das Denken deutlich, und setze gleichsam dem an sich blinden Triebe Augen ein, durch den Begriff. Ich soll, zufolge dieses Triebes, / als ein schlechthin selbstständiges Wesen handeln; so fasse und übersetze ich jenen Trieb. Ich soll selbstständig seyn. – 

Wer bin Ich? Subject und Object in Einem, das allgegenwärtig Bewusstseyende und Bewusste, Anschauende und Angeschaute, Denkende und Gedachte zugleich. Als beides soll ich durch mich selbst seyn, was ich bin, schlechthin durch mich selbst Begriffe entwerfen, schlechthin durch mich selbst einen ausser dem Begriffe liegenden Zustand hervorbringen. Aber wie ist das letztere möglich? Schlechthin an Nichts kann ich kein Seyn anknüpfen; aus Nichts wird nimmer Etwas; mein objectives Denken ist nothwendig vermittelnd. Ein Seyn aber, das an ein anderes Seyn angeknüpft wird, wird eben dadurch durch dieses andere Seyn begründet, und ist kein erstes ursprüngliches und die Reihe anhebendes, sondern ein abgeleitetes Seyn. Anknüpfen muss ich; an ein Seyn kann ich nicht anknüpfen.
 

Nun aber ist mein Denken und Entwerfen eines Zweckbegriffes seiner Natur nach absolut frei – und etwas aus dem Nichts hervorbringend. An ein solches Denken müsste ich mein Handeln anknüpfen, wenn es als frei und als schlechthin aus mir selbst hervorgehend soll betrachtet werden können.
_________________________________________________________

Die Bestimmung des Menschen,  SW II, S. 249f.








 


Nota.
Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es lediglich bearbeitet. Sollten Sie der Eigentümer sein und seine Verwendung an dieser Stelle missbilligen, melden Sie sich bitte über dieses Blog. JE

Montag, 16. April 2018

Unangemessenheit der Sprache.

mare-me 

Die Sprachzeichen nemlich sind durch die Hände der Gedankenlosigkeit gegangen, und haben etwas von der Unbestimmtheit derselben angenommen; man kann durch sie sich nicht sattsam verständigen. 

Nur dadurch, dass man den Act angiebt, durch welchen ein Begriff zu Stande kommt, wird derselbe vollkommen bestimmt. Thue, was ich dir sage, so wirst du denken, was ich denke. Diese Methode wird auch im Fortgange unserer Untersuchung ohne Ausnahme beobachtet werden.
_______________________________________________________
Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre, [1797] SW I, S. 523



Nota I. - Die Wissenschaftslehre ist nicht Konstruktion aus ruhenden Begriffen, sondern Anleitung zum tätigen Vorstellen. 

Die Unangemessenheit der Begriffe kommt aber nicht erst aus ihren Verschleifungen im 'Sprachspiel'; sondern daher, dass ein System von Begriffen erst aus der transzendentalen Rekonstruktion der Vernunft als deren Ergebnis hervorgehen kann: Das Ganze bestimmt seine Teile, vor Vollendung des Ganzen sind die Teile nicht anders zu gebrauchen denn als Mittel der Kritik.

Das, was im Verlauf der Wisssenschaftslehre 'zustande kommt', sind Vorstellungen; aus denen werden neue Vor- stellungen entwickelt. Die dabei Schritt für Schritt entstehenden Begriffe werden 'für spätere Verwendung' abge- legt; unmittelbar dienen sie erst als Instrumente des (Fort-)Bestimmens der Vorstellungen.


Nota II. - Material  ist Vernunft ein Bild der realen wie idealen Welt.
JE









Sonntag, 15. April 2018

Der Gegenstand der Wissenschaftslehre und ihre zwei Gänge.

Idrac, Merkur

Der unmittelbare Gegenstand der Wissenschaftslehre ist das gemeine Bewusstsein. Sie hat ihn nicht gewählt, er ist ihr als solcher gegeben.

Er ist gegeben als ein System von Begriffen. Als ein solches ist es Vernunft. Es ist eine Welt von Vorstellungen, die durch ihre Fassung in Begriffe mitteilbar ist, und allen Teilnehmern des Verunftverkehrs ist anzumuten, sie mit allen andern zu teilen. Die Teilnahme am Vernunftverkehr macht die Vernünftigkeit der Individuen aus; was anders als das Teilen von Vorstellungen könnte sinnvoller Weise Vernunft genannt werden? Dass sie es können, wissen wir, weil sie es tun.

Das ist die Gegebenheit.

Um zu verstehen, was sie ist, muss verstanden werden, woher sie kam – wie sie sich woraus entwickelt hat. Es gilt, die Entwicklung der Vorstellungen nach-zu-vollziehen, die von der Gemeinschaft der vernünftigen Wesen zu einem Begriffssystem gefasst wurden.

Nicht werden – etwa durch eidetische Reduktion – am Grunde der Begriffe die 'Wesen' geschaut, die in ihnen gefasst wurden. Vorstellungen sind nicht an-sich da. Sie können nur das Produkt einer Tätigkeit sein – des Vorstellens: Einer stellt vor. Die Rekonstruktion ist eine genetische Konstruktion von einem ersten Akt aus – dem ersten Vorstellen. 

Ich stelle vor.

Darin ist ein Etwas enthalten, das vorgestellt wird, und ein Jemand, der vorstellt. Woher das Etwas, woher der Jemand? Sie können dem ersten Akt nicht vorausgesetzt werden, denn dann wäre er kein erster Akt. Etwas und Jemand müssen aus und in diesem Akt selbst entstehen.

'Das Ich setzt sich, indem es sich ein/em Nichtich entgegensetzt.'

Wo findet der Akt statt?

Diesen Ort wollen wir Einbildungskraft nennen; ein ursprünglich produktives Vermögen, das angenommen werden muss, wenn erklärt werden soll, was zu erklären ist – das Bewusstsein.

Woher stammt die? 

Trieb. 

Woher dieser? 

Wollen.

Bis hierher führt der analytische Vor-Gang der Wissenschaftslehre. Weiter muss sie nicht führen. Es ist das wirkliche Bewusstsein wirklicher Menschen, das erklärt werden soll. Wo das alles sich abspielt, gehört zu den Gegebenheiten. Es ist ein animal. Wie aus den organischen Trieben eines Angehörigen der Familie Homo ein freies Wollen werden konnte, muss nicht mehr die Wissenschaftslehre erklären. Es wäre Sache der – so oder so zu bestimmenden – Anthropologie. Der Wissenschaftslehre reicht es zu zeigen, dass es geschehen sein muss, und wo. 

An der Stelle beginnt nun der synthetische Gang der Wissenschaftslehre. 

Wollen und Vorstellen bilden eine Art Doppelhelix. Eins kann nicht ohne das andre. Der Kern der neueren Dialektik ist dies. Das Wollen ist in diesem Wechselspiel das gewissermaßen Reale, das Vorstellen ist sein ideales Gegenstück. Was das eine wirklich tut, 'stellt' das andere 'sich vor': Schaut es an. Im Anschauen erblickt es nicht nur das Getane, Produkt, sondern im Anschauen des Tuns erblickt es zugleich den Tuenden, Tätigen; "Ich".

*

Diese beiden Gänge reproduziert die Wissenschaftslehre auf Schritt und Tritt in ihrem reell-ideellen Fortgang: Das hat das Ich getan. - Was hat es getan, indem es...? - Das konnte es nur, wenn und sofern... 

30. 5. 15