Das Schema der Vernunft.

Die Wissenschaftslehre ist ein Schema.


Die Wissenschaftslehre ist ein Schema des wirklichen vernünftigen Denkens. Als solches ist sie kein Abbild, sondern ein Sinnbild. Keine Gleichung, sondern eine Ungleichung: Sie sagt nicht, was ist, sondern wie man es nehmen muss, und lässt weg, was nicht ins Bild passt. 

Anders gesagt, eine intelligible Welt ist - sie ist das historrisch gewordene Vernunftsystem unserer Tage. Die Wissenschaftslehre gibt es nicht wieder - wozu könnte das gut sein?

Die Wissenschaftsehre zeigt, was es bedeutet.





Das Schema der Vernunft; oder Die Anthropologie der bürgerlichen Existenz.

oliver moor, pixelio.de

Fichte will gar nicht erklären, auf welchem Weg ein individuelles Ich zu seinem so oder anders gearteten Bewusstsein kommt. Er will erklären, warum, wie und inwiefern Vernunft in einer Gesellschaft, sei es als Realität, sei es als Postulat, zur Herrschaft kommt. 

"Aufforderung" zur Vernüftigkeit ist deren Bedingung; nicht historisch und kausal, indem 1. das Ich sich setzt, 2. sich ein Nichtich entgegensetzt, um sich 3. diesem entgegenzusetzen, und dann immer so weiter bis an den Punkt, wo dann die Aufforderung geschieht; sondern logisch und systemisch: 1., 2., 3. und alle weiteren Schritte fänden gar nicht erst statt, wenn die Aufforderung nicht erginge. –

Denn die Aufforderung ergeht nicht individuell von dir an mich. Die Aufforderung ergeht durch die Begegnung mit einer "Reihe vernünftiger Wesen", in die ich hineingeboren wurde. Vernunft als herrschender Zustand ist den individuellen Ichs vorausgesetzt. Sie muss nicht mehr entstehen durch den verallgemeinernden Verkehr der sich verständigenden Individuen, sondern ist als apriorische 'Systemeigenschaft' der bürgerlichen Welt schon gegeben.
 (Erst) das bürgerliche Individuum ist a priori Anteilnehmer einer Gesellschaft. Daraus folgt alles Weitere auf einen Schlag und lässt sich eo ipso nur als System, als zeitloses "Schema" darstellen.

Die Wissenschaftslehre ist die Vollendung der Kant'schen Vernunftkritik. Der geschichtliche Bericht, wie es zu diesem herrschenden Zustand gekommen ist, fällt nicht in ihre Verantwortung, er ist eine Sache der historischen Realwissenschaften.





Die pragmatische Geschichte der Vernunft.


So gewinnt Fichtes Satz, die Wissenschaftslehre sei die pragmatische Geschichte des menschlichen Geistes, einen fassbaren Sinn: Die Wissenschaftslehre beschreibt den Weg, den die Intelligenz nehmen musste, um zur Vernunft zu kommen.

Als 'pragmatisch' wurde bis ins neunzehnte Jahrhundert eine Geschichtsschreibung verstanden, die nicht ein-fach erzählen wollte, "wie es gewesen ist", mit all den Zufällen, Peripetien und anekdotischen Seitenwegen; sondern aus den dummen Fakten eine Entwicklung auf einen erwünschten Zweck hin destillieren will; in der Regel, um die Geschichte eines Volks, einer Nation, eines Staates als den unaufhaltsamen Aufstieg der gerade re-gierenden Dynastie darzustellen: nicht nur, dass es so war, sondern dass es so kommen musste, und dass es gut so war; Geschichtsschreibung als vulgäre Apologetik.

Diesen Spieß dreht Fichte um. Die Geschichte der Intelligenz ist keine Privatangelegenheit, sondern die Ausbildung einer Reihe vernünftiger WesenEine solche wird nun nicht postuliert, sondern als vorgefunden berichtet: Zu Fichtes Lebzeiten gibt es 'Vernunft'. Die rationalistischen Metaphysiken mit ihrer dogmatischen Fetischisierung der Begriffe war soeben von der Kant'schen Kritik überwunden worden. War das autonome Subjekt der Aufklärung erst noch Projekt gewesen, nimmt es mit der (französischen) Revolution und ihrem Widerhall, der (deutschen) Ro-mantik historische Gestalt an.

Die Wissenschaftslehre rekonstruiert das Schema, das die Intelligenz (die menschliche, von einer andern wissen wir nichts) historisch entwickelt hat und genetisch entwickeln musste, um vernünftig zu werden.





Wozu aber ein System? oder: Worauf es ankommt.


Die meisten Idealisten vor Kant sagten, die Vorstellungen sind in uns, weil wir sie in uns hervorbringen; sie verstanden es so: Wir können diese hervorbringen oder nicht. Dies ist ein grundloser Idealismus.

Es lassen sich zwei Wege denken, die das Räsonnement leiten, / entweder man geht aus von der uns bekannten Beschaffenheit der Welt oder den notwendigen Vorstellungen, die im Bewusstsein vorkommen: Dies ist ein bloßes Herumtappen und Probieren; man lässt sich immer das Resultat vor Augen schweben. Dies taugt nicht.

Oder man geht aus von der Handelsweise des vorstellenden Wesens und zeigt nun, wie nach diesen Gesetzen solche Vorstellungen zu Stande kommen, man hat da nur die Art vor Augen, wie etwas zu Stande kommen soll. Wenn man so zu Werke geht, so wird von allem Wirklichen abstrahiert. Wäre der Grundsatz richtig und würde richtig aus ihm gefolgert, so muss das Resultat mit der gemeinen Erfahrung übereinstimmen. Träfe etwa beides nicht zusammen, so würde nicht gerade die Unrichtigkeit des ganzen Unternehmens, sondern nur des Verfahrens durch einen Fehlschluss folgen; diesen müsste man aufsuchen. 

Es ist zu erweisen, dass das Ich sich nicht setzen könne, ohne noch manches andere zu setzen. Dies wäre lediglich in der Selbstanschauung nachzuweisen, so wie* das erste Gesetz, dass ich mich nur auf diese Weise setzen kann. Dies wäre der Gang des Systems. ...

Ferner die Einsicht in dieses System gründet sich darauf, dass man alle Handlungen, die hier betrachtet werden, innerlich nachmacht. Denn es zählt nicht eine Reihe von Tatsachen auf, die nur so gegeben werden, sondern eine Reihe von Handlungen, in denen bemerkt wird, worauf es ankommt.

*) [so wie = als]
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 20f.


Nota. - Das System ist ein Modell. Aber das Modell kommt nicht zustande, indem man aus allen möglichen Varianten (in Wahrheit: der begrenzten Zahl derer, die einem einfallen) einen Durchschnitt ermittelt, sondern indem man ins Modell nur das aufnimmt, worauf es ankommt.

Was aber ist es, worauf es ankommt? Das kann man nicht heraus suchen, sondern muss es voraus setzen. Hat man das Richtige getroffen, "so muss das Resultat mit der gemeinen Erfahrung übereinstimmen". Das ist der Prüf-stein: Eine 'Reihe vernünftiger Wesen' ist das historisch Reale. Dies muss erklärt werden.
JE





Das Schema der Wissenschaftslehre, vorwärts und rückwärts.

E. Muybridge

Die Wissenschaftslehre sucht sonach den Grund von allem Denken, das für uns da ist, in dem innern Verfah- ren des endlichen Vernunftwesens überhaupt. Sie wird sich kurz so ausdrücken: Das Wesen der Vernunft be- steht darin, dass ich mich selbst setze, aber das kann ich nicht, ohne mir eine / Welt, und zwar eine bestimmte Welt entgegenzusetzen, die im Raume ist und deren Erscheinungen in der Zeit aufeinanderfolgen; dies alles geschieht in einem ungeteilten Moment; da Eins geschieht, geschieht zugleich alles Übrige.

Aber die Philosophie und besonders die Wissenschaftslehre will diesen einen Akt genau kennen lernen, nun aber lernt man nichts genau kennen, wenn man es nicht zerlegt und zergliedert. So macht es also auch die Wis- senschaftslehre mit dieser einen Handlung des Ich, und wir bekommen eine Reihe miteinander verbundener Handlungen des Ich – darum, weil wir die eine Handlung nicht auf einmal fassen können, weil der Philosoph ein Wesen ist, das in der Zeit denken muss. 
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 8f.


Nota I. – Hier steht es unmissverständlich: Das Wesen der Vernunft besteht in einem Akt. Vorher war nichts, es kommt hernach nichts hinzu; keine Bedingung, keine Einschränkung, keine Erweiterung. Sollte er wirklich von allem Anfang an der Vernunft ein – immanentes oder ihr vorausgesetztes – Programm zu-gedacht haben, so müsste er es heimlich getan haben; gesagt hat er jedenfalls ausdrücklich das Gegenteil..

26. 10. 15

Nota II. - Um mich als Ich zu setzen, muss ich mir eine reale Welt entgegensetzen, die in Raum und Zeit besteht und in denen das Gesetz von Ursache und Wirkung herrscht. Meine Aufgabe ist das Fortbestimmen der Dinge in der Welt und eo ipso meiner selbst, und das ist nichts anderes als das freie Bestimmen meiner Zwecke mit und zwischen ihnen. Der Aufgabe wurde ich gewahr, indem ich mich in einer Reihe vernünftiger Wesen vor- fand, unter denen ich meine Zwecke so bestimme, dass auch sie die ihren frei bestimmen können. Summa: Ver- nunft besteht in der Suche nach gemeinsamer Zweckbestimmung. 

Das ist, grob gesagt, das Schema der Wissenschaftslehre. Hinzugefügt sei, dass hier das wirkliche Verfahren der Transzendentalphilosophie umgekehrt wird. Ihr tatsächlicher Ausgangspunkt war nicht ein Ich, das sich setzen soll, sondern vielmehr die vorgegebene Vorstellung von Vernunft als der Aufgabe, gemeinsame Zwecke zu be- stimmen. Von diesem Ausgangspunkt ging sie zurück zu den Bedingungen seiner Möglichkeit und fand auf - ein Unbestimmtes, das sich als Ich setzen soll.
JE, 

26. 9. 18





Das Übersinnliche ist Schema des Handelns.

 



[Kant] sagt, dass unseren sinnlichen Vorstellungen etwas zu Grunde liege, dass es Noumene gäbe; er hat sich nicht ausdrücklich darüber erklart; er nennt es etwas, es ist aber nicht etwas, das Sein hat, sondern Handeln.

Er hat sich nicht auf das Schema für übersinnliche Gedanken eingelassen. Man kann das Übersinnliche nicht erkennen, aber da sie [sic] doch für uns da sind, so müssen sie sich doch erklären lassen. Das Schema fürs Übersinnliche ist das Handeln. [S. 113]

Kant nennt ein Tun z. B. nach dem Gesetze der Kausalität pp* ganz richtig ein Schema, um dadurch zu bezeichnen, dass es nicht Wirkliches, sondern etwas durch ideale Tätigkeit zum Behuf der Anschauung zu Entwerfendes sein soll.

Schema ist ein bloßes Tun, und zwar mein notwendiges Tun in der Anschauung. ...

Die Aufgabe ist: nicht einem bestimmten Tun, z. B. Denken, Anschauen pp, sondern einem Tun überhaupt zuzusehen. Die Aufforderung ist: eine Agilität zu beschreiben; diese kann man nur anschauen als eine Linie, die ich ziehe. Also innere Agilität ist ein Linie-Ziehen. Nun aber ist hier nicht die Rede von einer Agilität, die geschieht, sondern von einer Agilität überhaupt; von einem bestimmbaren, aber nicht bestimmten Vermögen der inneren Selbsttätigkeit und Agilität. So eine Linie ist aber bestimmt der Direktion nach. In dem Vermögen aber müssen alle Linien liegen, das Schema des Tuns muss ein nach allen möglichen Direktionen mögliches Linienziehen sein; dies ist der Raum, und zwar leerer Raum, aber leerer Raum kommt nie vor, es wird immer etwas hineingesetzt. Warum, wird sich zeigen. Hier ist nur vom Tun die Rede, aber auch das bloße reine Tun ist nichts Erscheinendes. [S. 110]

*) für perge perge: und so weiter.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 113; 110


Nota. - Gr. schêma heißt Haltung, Gestalt, Figur. F. übernimmt den Begriff von Kant, aber er bestimmt ihn anders, oder richtiger: Er bestimmt ihn, wenn auch so allgemein wie denkbar möglich, während jener ihn ganz unerklärt als bloßen Namen gebraucht für die 'Methode, einem gewissen Begriffe gemäß etwas in einem Bilde vorzustellen'. Immerhin stimmen sie darin überein, dass das Schema ein Bild ist, aber kein von der Einbildungskraft angeschautes, sondern ein im Denken vorgestelltes Bild; eine Art Anschauung zweiter Ordnung. Dieses ist das Geheimnis der Noumena, der Dinge-an-sich, des Übersinnlichen überhaupt. Es ist das Geheimnis des dialektischen Scheins, wie Kant selber ihn nennt: der Vorstellung, dass den Begriffen eigene Realität zukommt.
JE 





Das Übersinnliche ist Schema des Handelns.


Das Schema fürs Übersinnliche ist das Handeln. 
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 113 



Nota I. -  Im Übersinnlichen sind keine Dinge abgebildet, sondern das, was man mit ihnen tun kann. Die Begriffe der Dinge bezeichnen ihre möglichen Zwecke. 


25. 7. 17


Nota II. - Handeln ist das erste Ursprüngliche. Zu Bewussstsein kommt es in der Reflexion. Im Begriff  gerinnt das Handeln zu Sein und zerfällt in einen Tätigen und einen Gegenstand - und dazwischen, als das Vermittelnde, einen Zweck. Tätiger und Gegenstand sind sinnlich; bloß vorgestellt ist der Zweck. Er ist kein wirkliches Sein. Als seiend gedacht, ist er das Übersinnliche. 

So muss die Reflexion ihre drei Teile wieder zusammenfügen, um ein wirkliches Handeln denken zu können. Der dritte, der nichtsinnliche Bestandteil ist kein Etwas, sondern lediglich Schema.
JE




Anschauung zweiten Grades.

astro

Nur ein jenseits von Raum und Zeit gedachtes Tun ist als ein Schema darzustellen; und dies zum Zweck der Anschauung: In der Wirklichkeit lässt sich immer nur dieses oder jenes Tun anschauen; wenn ich aber Tun-überhaupt anschauen will, muss ich die Bestimmungen von Raum und Zeit fortlassen - alles, was eine Wirk- lichkeit als eine solche erst ausmacht. 

Schema ist ein Schlüsselbegriff der Wissenschaftslehre. Er bezeichnet das Paradox eines übersinnlichen Bildes und eigentlich den Übergang von der Anschauung zum Begriff.

26. 7. 17


Das Schema ist kein Begriff. Der Begriff ist das Bild von einem Tun - als Ruhe dargestellt. Und eben von einem bestimmten Tun, sonst wäre kein Bild von ihm möglich. Das Schema ist das Bild von einem Bild. Sofern der Be- griff eine Reflexion auf ein bestimmtes Tun ist, ist das Schema Reflexion auf die Reflexion. Es ist Wissenschafts- lehre und kommt im realen Denken nicht vor. Es ist das künstliche Denken des Philosophen. Es ist für das Den- ken-überhaupt das, was die intellektuelle Anschauung für die Tathandlung ist. 

13. 5. 19





Schema und Hermeneutik.

Kanon nach Polyklet

Die Wissenschaftslehre ist das Schema – modern: theoretische Modell – eines tatsächlichen Denkens, sofern es als vernünftig gelten soll. Aber das ist erst die halbe Miete; bleibt immer übrig das hermeneutische Problem, ein tat-sächliches Denken so zu deuten, dass es dem Modell entspricht; oder eben nicht.

Mit andern Worten,  die Wissenschaftslehre ist nach ihrem Abschluss so kritisch wie an ihrem Anfang.






Die WL erklärt nicht, wie das Bewusstsein entsteht, sondern entwirft einen Kanon der Vernünftigkeit.



Die Wissenschaftslehre beschreibt nicht, wie ein Mensch tatsächlich zu Bewusstsein kommt, sondern postuliert, welche Weise des bewusst-Seins als vernünftig gelten soll. Die Vorstellungswelt des Wahnsinnigen ist, welche Beiwörter man ihm sonst wohl anheften mag, auch ein Bewusstsein. Die Wissenschaftslehre entwirft nun ein Schema, und wenn einer so handelt, dass es im Sinne dieses Schemas gedeutet werden kann, soll es vernünftig heißen. 

Diese Postulat ist jedoch nicht aus freier Laune erwachsen. Es ist gewissermaßen 'aufgefunden'. Denn die Untersuchung nahm ihren Ausgang an einem, das wirklich ist: 'Es gibt' in der bürgerlichen Gesellschaft ein Normalbewusstsein, das sich selbst als vernünftig auffasst. Dieses wird analytisch (phänomenologisch) auf seine Voraussetzungen geprüft. Die aufgefundene Erste Voraussetzung, ohne die alles Weitere grundlos wäre, ist das Ich, das 'sich setzt, indem es sich ein(em) Nichtich entgegensetzt'.

Ob dieser Gründungsakt wissentlich geschah oder nicht, spielt keine Rolle, denn 'mit Bewusstsein' konnte er doch wohl nicht geschehen, da er dem Bewusstsein ja zu Grunde liegen soll – sofern es vernünftig wurde

In der Philosophie kommen Fakten nicht vor, sagt Fichte. Das Schema stellt, was geschehen soll, nicht als historischen Vorgang, sondern als System dar: Doch im System ist die Zeit untergegangen. Das System kann man nur zeitlos, ideal, 'logisch' darstellen. Das System ist 'auf einmal und mit einem Schlag' da.

"Aber das, was nicht im Gebiete der Erfahrung liegt, hat keine Wirklichkeit im eigentlichen Sinn, es darf nicht in Raum und Zeit betrachtet werden, es muss betrachtet werden als etwas notwendig Denkbares, als etwas Ideales."*


Seine Rekonstruktion kann nicht historisch geschehen, sondern nur genetisch. Auch nicht logisch im Sinne von diskursiv: Da müsste auch ein Schritt auf den anderen folgen, und die Schritte sind im diskursiven Verfahren als Begriffe vorgegeben – deren Entstehen soll aber erst erklärt werden. Auf Begriffe muss also noch verzichtet werden, man muss dem Vorstellen selbst zuschauen. Aber eben nicht im (historischen) Individuum, sondern im zeitlosen Modell.

Wann und wo sollte es in der Geschichte denn passiert sein, dass ein 'Ich sich selbst setzt, indem es sich ein(em) Nichtich entgegensetzt'? In der Geschichte nie, aber heute jederzeit immer und immer wieder. Es ist ein Erklärungsgrund und kein reell (nach Raum und Zeit) identifizierbares Ereignis. Wenn es aber nicht als wirklich stattgefunden vorausgesetzt würde, ließe sich das Wissen (Vorstellung, Bewusstsein, Denken, Begriff...) nicht erklären. Alles, was historisch (empirisch) geschehen ist, muss im zeitlosen System irgendwo wieder vorkommen, wenigstens als Funktion – freilich nicht am selben Ortund nicht unterm selben Namen. Und umgekehrt: Phantasiegebilde, denen in Raum und Zeit gar nichts entspricht, gehören nicht in die Transzendentalphilosophie.

*

Indem sie also einen Kanon der Vernünftigkeit aufstellt, definiert sie zugleich die Welt als das Feld ihrer Geltung: Sie ist keine begrenzte Gegend, sondern ein Horizont, der so weit reicht, wie die mögliche Wirksamkeit vernünftiger Wesen. Das ist nicht 'überall, wo Menschen sind'. Denn da, wo Vernünftigkeit nicht hin reicht, ist nicht mehr Welt, jedenfalls nicht unsere Welt, in der wir als Vernünftige zusammen wirken; sondern immer nur je 'meine' Welt, wo Menschen wohl auch sind, aber wo die Vernunft nichts mehr zu sagen hat.

*) WL nova methodo, S. 23

**) Orte gibt es im System so wenig wie die Zeit. Sie erscheinen erst in der diskursiven Darstellung, die die Vorstellungen nach einander ordnet, weil sie sie durch einander nicht veranschaulichen kann.





Genetisch ist nicht historisch.


Eins ist in unserer Geschichte nicht vorgekommen: dass Menschen isoliert lebten und sich erst zusammentun mussten, um sich zu vergesellschaften. Die Menschen lebten schon in großfamilialen Verbänden, bevor sie überhaupt Menschen wurden. Ein geschichtliches Ereignis war es vielmehr, dass gesellschaftliche Bildungen entstanden, in der sich die Individuen individualisieren und zu Einzelnen vereinzeln konnten. Und in der wirklichen Geistesgeschichte musste ein bestimmtes Ich aus einem unbestimmten 'wir' sich erst heraus bilden, um sich als einem Nicht-Ich entgegengesetzt setzen zu können.

Manche Binsenwahrheit muss erst ausgesprochen werden, bevor sie einleuchtet: Die Wissenschaftslehre ist nicht die wirkliche Entstehungsgeschichte des Bewusstseins. Sie hebt an auf dem Punkt der bürgerlichen Gesellschaft, wo sich die Individuen als Subjekte ihres Lebens vorkommen und zu anderen Subjekten in Konkurrenz treten. Versippte Haufen, die aufeinander einschlagen, brauchen keine Vernunft, nicht nach außen und nicht nach innen.

Die wirkliche Geschichte des Bewusstseins begann nicht mit dem Vereinigen, sondern mit dem Trennen. Von dieser Trennung geht die Wissenschaftslehre aus.

3. 12. 24



Das System und was es darstellt.

badische-zeitung

In der Erfahrung, welche durch dieses System deduziert werden soll, findet man die Objekte und ihre Beschaffenheiten; in dem System selbst die Handlungen des Vernunftwesens und die Weisen desselben, inwiefern Objekte durch sie hervorgebracht werden, denn der Idealismus zeigt, dass alle andre Art, zu den Objekten zu kommen, keinen Sinn hat. 
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982,  S. 22




Man muss sich die Wissenschaftslehre als einen Algorithmus vorstellen.

winfuture

Die Wissenschaftslehre ist, wie der Algorithmus, ein Handlungsschema: eine Reihe von Schritten, die die Vorstellung gegangen ist – idealiter gegangen sein muss –, um zum realen System unseres Wissens zu gelangen; vom gesunden Menschenverstand bis hin zum aktuellen Stand der most sophisticated Wissenschaft.

Es kann keine historische Nacherzählung sein. Denn nicht um das 'Lernen' eines Individuums geht es. Dieses hat selber seine faktischen Voraussetzungen, und auch die müssen erklärt werden. Die Leistungen des transzendentalen Subjekts haben ihre Basis in der Naturgeschichte der Menschengattung, sagt Habermas.* Ihre Basis, ja, aber die Leistungen selbst muss jedes Individuum jedesmal wieder selbst erbringen. 


Angenommen, Raum und Zeit und die zwölf Kategorien seien genetisch in angeborenen Verschaltungen zwischen Hirnregionen angelegt. Wenn die Anlagen nicht realisiert werden, gibt es keine Leistung, und sie verkümmern. Aber wenn manche Anlagen genetisch beschädigt sind, können im System des Gehirns andere Verschaltungen deren Rolle mit übernehmen; oder auch nicht: das ist immer eine Sache der Individualgeschichte. Man kann die wirklichen Abläufe nicht historisch darstellen, weil im System die Zeit untergegangen ist, die individuelle und die der Gattung. Im System kann man sie nur zeitlos, ideal, 'logisch' darstellen. Das System ist 'auf einmal und mit einem Schlag' da.

Seine Rekonstruktion kann nicht historisch geschehen, sondern nur genetisch. Auch nicht logisch im Sinne von diskursiv: Da müsste auch ein Schritt auf den anderen folgen, und die Schritte sind im diskursiven Verfahren als Begriffe vorgegeben – deren Entstehen soll aber erst erklärt werden. Auf Begriffe muss also noch verzichtet werden, man muss dem Vorstellen selbst zuschauen. Aber eben nicht im (historischen) Individuum, sondern im zeitlosen Modell.

Wann und wo sollte es in der Geschichte passiert sein, dass 'das Ich sich selbst setzt, indem es sich ein(em)Nichtich entgegensetzt'? In der Geschichte nie, aber heute jederzeit immer und immer wieder. Es ist ein Erklärungsgrund und kein reell (nach Raum und Zeit) identifizierbares Ereignis. Wenn es aber nicht als wirklich stattgefunden vorausgesetzt wird, lässt sich das Wissen (Vorstellung, Bewusstsein, Denken, Begriff...) nicht erklären.

Alles, was historisch (empirisch) geschehen ist, muss im zeitlosen System irgendwo wieder vorkommen, wenig-stens als Funktion – freilich nicht am selben Ort** und nicht unterm selben Namen. Und umgekehrt: Phantasiegebilde, denen in Raum und Zeit gar nichts entspricht, sind in der Transzendentalphilosophie nicht am Platz.

*) in Technik und Wissenschaft als 'Ideologie', Frankfurt/M. 1969, S. 161 


**) Orte gibt es im System so wenig wie die Zeit. Sie erscheinen erst in der diskursiven Darstellung, die die Vorstellungen – als Begriffe – nach einander ordnet, weil sie sie durch einander nicht veranschaulichen kann.







Der Ausgangspunkt der Wissenschaftslehre.

wikipedia

1) Die Wissenschaftslehre sucht sonach den Grund von allem Denken, das für uns da ist, in dem innern Verfahren des endlichen Vernunftwesens überhaupt. Sie wird sich kurz so ausdrücken: Das Wesen der Vernunft besteht darin, dass ich mich selbst setze, aber das kann ich nicht, ohne mir eine / Welt, und zwar eine bestimmte Welt entgegenzusetzen, die im Raume ist und deren Erscheinungen in der Zeit auf einander folgen. Dies alles geschieht in einem ungeteilten Moment; da dies geschieht, geschieht zugleich alles Übrige. 

Aber die Philosophie und besonders die Wissenschaftslehre will diesen Einen Akt genau kennen lernen, nun aber lernt man nichts genau kennen, wenn man es nicht zerlegt und zergliedert. So also macht es auch die Wissenschaftslehre mit dieser einen Handlung des Ich, und wir bekommen eine Reihe miteinander verbundner Handlungen des Ich - darum, weil wir die Eine Handlung nicht auf einmal fassen können, weil der Philosoph ein Wesen ist, das in der Zeit denken muss.
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Wissenschaftslehre nova methodo, I. Einleitung, Hamburg 1982, S. 8f. 







Was mit einem Schlag geschieht, erscheint in der Darstellung nach einander.

fritzmueller

Zuvörderst, der Idealismus stellt auf eine Reihe von ursprünglichen Handlungen. Dass es eine Reihe gibt, wird nicht behauptet, dies wäre gegen das System, denn darin heißt es: Das Erste kann nicht sein ohne eine Zweites usw. Die Handlungen kommen also nicht einzeln vor, da ja die eine nicht ohne die andere sein soll. 

Mit einem Schlage bin ich und / ist die Welt für mich. Aber im System müssen wir, was eigentlich nur eins ist, als eine Reihe von Handlungen betrachten, weil wir nur Teile, und zwar bestimmte, auffassen können. Wenn das Vernunftwesen nach gewissen Gesetzen in der Erfahrung verfährt und so verfahren muss, so muss es auch im Gebiete der Philosophie verfahren. Ein Gedanke muss an den andren angeknüpft werden...
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Wissenschaftslehre nova methodo, II. Einleitung, Hamburg 1982, S. 22f. 




System.


Begründet wird das Wissen durch die Selbstsetzung des Ich in der pp. Tathandlung – als ein Fakt. 

Rechtfertigen muss es sich vor der Idee des Wahren (Absoluten, Unbedingten, An-sich, Endzweck usw.)




Vorstellen und darstellen.


Die Darstellung kann nicht anders als diskursiv verfahren. Aber in der Vorstellung selbst ist alles auf einen Schlag.

Das gilt wohlbemerkt auch empirisch. Zwar müssen wir meistens suchen, um etwas in unserem Bewusstseinsvorrat zu finden; aber dann kommt es uns so vor, als sei es schon die ganze Zeit da gewesen und habe nur dar-auf gewartet, aktiviert zu werden. 

Tatsächlich sind die Verschaltungen zwischen den Neuronen 'schon da' – sie müssen nur noch befeuert werden. Wie steht es da aber mit Fichtes dauernder Versicherung, dass die ideale Tätigkeit 'aus Freiheit' geschehe? Dass ich in meiner Erinnerung nur finde, was ich finden will, kann ich empirisch nicht bestätigen. Ist es einmal da, kann ich jederzeit darüber stolpern, da ist mehr Zufall als Freiheit. Aber ob ich einen Wissensgehalt überhaupt erst anlege und ablege, das hängt von mir, und das heißt: von meinem Wollen ab.

Mit dem Darstellen ist es etwas ganz anderes. Ob ich alles wiederfinden werde, wonach ich suche, mag zum Teil Zufall sein. Aber was ich dann an was anknüpfe und wie, das ist Sache meiner Freiheit: der Reflexion. Doch muss ich es in der Zeit vortragen, eines nach dem andern, und so wird es immer ein bisschen so aussehen, als sei das Zweite vom Ersten verursacht, während sie doch einander gegenseitig bedingen, und dies ohne Vor- und Nachher. Anders könnte die Wissenschaftslehre nicht vom Bestimmten auf das Bestimmende rückschließen.

*

Es ist ein Missverständnis, dass die transzendentale Betrachtungsweise mit dem Faktischen gar nichts zu tun habe. Sie ist nicht dessen Abbildung oder Nacherzählung, das wäre überflüssig. Aber sie ist dessen Sinndeutung, und es wäre sehr merkwürdig,* wenn sie einander gar nicht ähnlich sähen.

*) Warum dieses? Weil auch die diskursive Darstellung nicht 'das Seiende' ausspricht, sondern immer nur, was es bedeuten soll – freilich nicht selbstreflexiv ausspricht, sondern gegenstandsbezogen, während die Transzendentalphilosophie rekonstruiert, wie die Bedeutungen entstanden sein müssen; aber beide handeln von Bedeutungen, und von den Bedeutungen der Dinge.





Freiheit ist unendliche Annäherung.



Das Anschauende als solches ist gebunden, es folgt nur einem andern nach, das realiter Tätige ist absolut frei, es muss mit absoluter Freiheit sich einen Begriff entwerfen, dies heißt einen Zweckbegriff, ein Ideal, von dem man nicht behauptet, dass ihm etwas entspreche, sondern dass ihm zufolge etwas hervorgebracht werden soll. 

Wir können ein freies Handeln nur denken als ein solches, das zufolge eines entworfenen Begriffes vom Handeln geschieht; wir schreiben also dem praktischen Vermögen Intelligenz zu. Freiheit kann nicht ohne Intelligenz gedacht werden; Freiheit kann ohne Bewusstsein nicht stattfinden. Absprechen des Bewusstseins und Absprechen der Freiheit sind eins, ebenso Zusprechen des Bewusstseins und Zusprechen der Freiheit. Im Bewusstsein liegt der Grund, dass man mit Freiheit handeln kann.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982,  S. 53


Nota. - Ich mag mein ganzes Leben mit Bestimmen und unendlichem Annähern verbracht haben – so weit die Strecke immer sei, die ich selber zurückgelegt habe, so wenig näher ist mir das Unendliche gerückt, so wenig bestimmter ist mir das Unbestimmbare geworden.

Hier hat Fichte das andre Ende seines 'Systems' bereits ausgemacht und 'bestimmt': bestimmt nämlich als unbestimmtunendlich bestimmbar und eo ipso unbestimmbar. Das System ist keine geschlossenen Kugel, sondern ein dynamischer Prozess (von procedere), er hat seinen Anfang in der 'intellektuell angeschauten' Tathandlung und seinen schlechthin unerreichbaren Fluchtpunkt im Ideal eines Zweckes-überhaupt, eines Zwecks der Zwecke; ein dynamischer Prozess ohne Ende.

Fichtes nachgeschobener Einfall von einem erfüllten Endzweckeinem gedachten Zustand, in dem 'alle pflichtgemäßen Handlungen getan' wären, in dem das Wollen beendet ist und der uns an eine göttliche Weltregierung glauben lassen soll, ist in seinem System ein absoluter Widersinn. Er ist eine 'abgeschlossene Freiheit' – das ist nicht paradox, sondern absurd. Recht hat Fichte nur in diesem Punkt: Da endigt sich alles Wissen, da müsste man (mit Augustinus) glauben.
JE






Nur vernünftige Wesen können einander auffordern.


Die Einwirkung wurde begriffen als eine Aufforderung des Subjekts zu einmer freinenWirksamkeit und, wor- auf alles ankommz, konnte gar nicht anders begriffen werden, und wurde überhaupt nicht begriffen, wenn sie nicht so begriffen wurde. 

Die Aufforderung ist die Materie des Wirkens und eine freie Wirksamkeit des Vernunftwesens, an welche sie ergeht, sein Endzwck. Das letztere soll durch die Aufforderung keineswegs bestimmt, nezessiiert werden, wie es im Begriffe der Kausalität das Bewirkte durch die Ursache wird, zu handeln; sondern es soll nur zufolge derselben sich selbst dazu bestimmen. Aber soll es dies, so muss es die Aufforderung dazu erst verstehen und begreifen, und es ist auf eine vorhergehende Erkenntnis desselben gerechnet. Die gesetzte Ursache der Auffor- derung außer dem Subjekte muss demnach wenigstens die Möglichkeit voraussetzen, dass das letztere verstehen und begreifen könne, außerdem hat seine Aufforderung gar keinen Zweck. 

Die Zweckmäßichkeit derselben ist durch den Verstand und das Freisein des Wesens, an welches sie ergeht, be- dingt. Diese Ursache muss daher notwendig den Begriff von Vernunft und Freiheit haben, also selbst ein der Begriffe fähiges Wesen, eine Intelligenz, und, daeben erwiesenermaßen dies nicht möglich ist ohne Freiheit, auch ein freies , also überhaupt vernünftiges Wesen sein und als solches gesetzt werden.
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Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre, 
SW Bd. III, S. 36  




Nota. - 'Die Vernunft', alias eine intelligible Welt, muss dem einzelnen Vernunftwesen vorausgesetzt sein - als eine schon gegebene Reihe vernünftiger Wesen.

Woher diese kommt, ist die Frage, mit der die Wissenschaftslehre steht und fällt. Logisch - 'genetisch' - lässt sie sich nicht klären, denn wo immer die Untersuchung ansetzen wollte, müsste eine intelligible Welt schon voraus- gesetzt werden. 

Sie könnte dogmatisch behauptet werden. Das sollte für einen Philosophen, der sich für einen kritischen hält, nicht in Betracht kommen. 

Darum weicht Fichte der Frage hier noch aus. 

Sie ließe sich nur historisch beantworten; real historisch. Es müsste die Geschichte davon sein, wie im Prozess des Stoffwechsels mit den Dingen und miteinander sich die Gattung der Menschen zur Vernunft selbst bestimmt hat. Die Erzählung davon, wie das Ich sich selbst gesetzt hat, indem es sich ein/em Nichtich in einem Akt entgegensetzte, wäre die Sinndeutung des wirklichen historischen Prozesses. Einen Prozess darstellen als einen Akt nennen wir ein Modell, ein Schema.

Um zu dieser Konsequenz zu kommen, hätte Fichte seine schwankende Auffassung der Vernunft klären müssen.

Dazu kam er nicht, der Atheismusstreit hat ihn gehindert. Und Jacobi hat ihn kopfscheu gemacht. So hat er sich schließlich zu einer dogmatischen Antwort auf obige Frage entschlossen; nicht allerdings, ohne sie historisch zu tarnen. Die Komik seiner Lösung kann ihm nicht verborgen geblieben sein. Hat er sie beabsichtigt - als Wink für die Nachgeborenen, sich dem Thema in Ruhe noch einmal zuzuwenden?
JE, 30. 1. 2019




Wissenschaftslehre ist keine Entwicklungspsychologie.



Die Wissenschaftslehre soll nicht sein, wie Hegels Phänomenologie des Geistes, eine reale Entwicklungsgeschichte des Bewusstseins oder der Vernunft; sondern ein abstraktes Modell der Bedingungen ihrer Möglichkeit. Die müssen sämtlich im selben Momet da sei, wenn vernünftiges Bewusstsein werden soll.

Wie aber individuelles Bewusstsein in der Zeit wirklich entsteht, ist eine Frage an die empirische Forschung. Die Wissenschaft, die sich damit befasst, ist die Psychologie.


28. 9. 16

Die Bedingungen ihrer Möglichkeit: Das ist eine treffende Formulierung. Die Bedingung für die Realisierung ihrer Möglichkeit ist immer das mit freiem Willen begabte X, der Verständigung halber Ich genannt; aber so zu denken, als müsse es zu den als gegeben anzunehmenden Bedingungen als Meta-Bedingung aktiv hinzustoßen, um das Mögliche wirklich werden zu lassen.

Die Bedingungen der Möglichkeit sind das Schema, das durch wirkliche Tätigkeit belebt werden musste, damit Vernunft stattfand. 

So allerdings nur für die Reflexion, die von vollendeten Tatsachen ausgehen muss. Das System der Vernunft ist uns historisch gegeben. Wir müssen annehmen, dass es aus Tätigkeit geworden ist. Ziehen wir die Tätigkeit von der Vernunft ab, bleibt übrig ihr Schema


Anschauung zweiten Grades.

faszinationmensch

2) Also der hier zu untersuchende Satz ist der: Ich schaue mein eignes Tun an als etwas, das ich vollziehen kann oder nicht. Mein Tun ist logisches Subjekt für das Prädikat der Freiheit. Es ist also mein Tun qualis talis selbst Objekt der Anschauung im weitesten Sinn des Worts, es erhält den Charakter des Objekts als etwas der idealen Tätigkeit Vorschwebendes.

Wie wird nun mein tun als Objekt der Anschauung vorkommen? Kant nennt ein Tun z. B nach dem Gesetze der Kausalität pp. ganz richtig ein Schema, um zu bezeichnen, dass es nicht Wirkliches, sondern etwas durch ideale Tätigkeit zum Behuf der Anschauung zu Entwerfendes sein soll.

Schema ist ein bloßes Tun, und zwar mein notwendiges Tun in der Anschauung.

Also unsere Frage ist, welches ist das Schema des Tuns überhaupt, oder wie fällt ein Tun dadurch, dass es Objekt der Anschauung wird, aus? Hier ist das Objekt aus der Anschauung hergeleitet worden, und das Beweisen aus Begriffen hat hier ein Ende.

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Wissenschaftslehre nova methodo,
 Hamburg 1982, S. 110


 
Nota I. - Nur ein jenseits von Raum und Zeit gedachtes Tun ist als ein Schema darzustellen; und dies zum Zweck der Anschauung: In der Wirklichkeit lässt sich immer nur dieses oder jenes Tun anschauen; wenn ich aber Tun-überhaupt anschauen will, muss ich die Bestimmungen von Raum und Zeit fortlassen - alles, was eine Wirklichkeit als eine solche erst ausmacht.

29. 10. 16



Das Übersinnliche ist Schema des Handelns.



[Kant] sagt, dass unseren sinnlichen Vorstellungen etwas zu Grunde liege, dass es Noumene gäbe; er hat sich nicht ausdrücklich darüber erklart; er nennt es etwas, es ist aber nicht etwas, das Sein hat, sondern Handeln.


Er hat sich nicht auf das Schema für übersinnliche Gedanken eingelassen. Man kann das Übersinnliche nicht erkennen, aber da sie [sic] doch für uns da sind, so müssen sie sich doch erklären lassen. Das Schema fürs Übersinnliche ist das Handeln. [S. 113]


Kant nennt ein Tun z. B. nach dem Gesetze der Kausalität pp* ganz richtig ein Schema, um dadurch zu bezeichnen, dass es nicht Wirkliches, sondern etwas durch ideale Tätigkeit zum Behuf der Anschauung zu Entwerfendes sein soll.


Schema ist ein bloßes Tun, und zwar mein notwendiges Tun in der Anschauung. ...


Die Aufgabe ist: nicht einem bestimmten Tun, z. B. Denken, Anschauen pp, sondern einem Tun überhaupt zuzusehen. Die Aufforderung ist: eine Agilität zu beschreiben; diese kann man nur anschauen als eine Linie, die ich ziehe. Also innere Agilität ist ein Linie-Ziehen. Nun aber ist hier nicht die Rede von einer Agilität, die geschieht, sondern von einer Agilität überhaupt; von einem bestimmbaren, aber nicht bestimmten Vermögen der inneren Selbsttätigkeit und Agilität. So eine Linie ist aber bestimmt der Direktion nach. In dem Vermögen aber müssen alle Linien liegen, das Schema des Tuns muss ein nach allen möglichen Direktionen mögliches Linienziehen sein; dies ist der Raum, und zwar leerer Raum, aber leerer Raum kommt nie vor, es wird immer etwas hineingesetzt. Warum, wird sich zeigen. Hier ist nur vom Tun die Rede, aber auch das bloße reine Tun ist nichts Erscheinendes. [S. 110]
*) für perge perge: und so weiter

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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 113; 110 


Nota II. - Gr. schêma heißt Haltung, Gestalt, Figur. F. übernimmt den Begriff von Kant, aber er bestimmt ihn anders, oder richtiger: Er bestimmt ihn, wenn auch so allgemein wie denkbar möglich, während jener ihn ganz unerklärt als bloßen Namen gebraucht für die 'Methode, einem gewissen Begriffe gemäß etwas in einem Bilde vorzustellen'. Immerhin stimmen sie darin überein, dass das Schema ein Bild ist, aber kein von der Einbildungs- kraft angeschautes, sondern ein im Denken vorgestelltes Bild; eine Art Anschauung zweiter Ordnung. Dieses ist das Geheimnis der Noumena, der Dinge-an-sich, des Übersinnlichen überhaupt. Es ist das Geheimnis des dialekti- schen Scheins, wie Kant selber ihn nennt: der Vorstellung, dass den Begriffen eigene Realität zukommt. 

4. 7. 15


Das Schema für das Übersinnliche ist das Handeln (Noumena bei Kant).
s p dass q

Dieser Punkt ist in der Kantischen Darstellung nicht ganz richtig behandelt und hat Veranlassung zu einem System gegeben, wo zwar der Raum apriori sein soll, in welchen aber die Objekte aposteriori hineinkommen sollen. 

Kant behauptet auch, dass die Objekte apriori im Raum sein sollen; er schließt aber indirekt. Der ´Raum ist ihm apriori, er ist ideal, sonach müssen auch die Objekte ideal sein: Kant wollte alles aus Begriffen dartun, drum wird auch seine transzendentale Ästhetik so kurz. Das geht aber nicht, das Vernunftwesen ist nicht nur begreifend, sondern auch anschauend. Er bewies seine Darstellung vom Raum durch Induktion. Kant sagt nicht, dass der Raum gegeben werde; er sagt, dass unseren sinnlichen Vorstellungen etwas zu Grunde liege; dass es Noumene gäbe; er hat sich n icht deutlich darüber erklärt. Er nennt es etwas, es ist aber nicht etwas, das Sein hat, sondern Handeln.

Er hat sich nicht auf das Schema für übersinnliche Gedanken eingelassen. Man kann das Übersinnliche nicht erkennen, aber da sie doch für uns da sind, so müssen sie sich doch erklären lassen: Das Schema für das Übersinnliche ist das Handeln.
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Wissenschaftslehre nova methodo,
 Hamburg 1982, S. 113 


 

Nota III. - 'Übersinnliche Gedanken' sind solche, die sich auf nicht-sinnliche Gegenstände beziehen: auf Vor- stellungen. Vorstellen ist - abgesehen von dem, was vorgestellt wird - Schema des Handelns. Noumena sind Schemata des Schemas des Handelns.

5. 11. 16

Nota IV. - Anschauung von etwas, das nur gedacht wird? Aber es ist der Gedanke von etwas, das tatsächlich angeschaut wurde. Es ist eine Abstraktion; aber nicht die Abstraktion von einer Abstraktion - nicht von einer 'Tätigkeit, die als Ruhe vorgestellt wird', sondern von einer Tätigkeit, die als tätig vorgestellt wird: ein Schema. Eine 'intellektuelle' Anschauung sozusagen.
JE




Nota.- Die obigen Fotos gehören mir nicht. Wenn nicht anders angezeigt, habe ich sie im Internet gefunden. Sollten Sie einer der Eigentümer sein und deren Verwendung sn dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Mitteilung auf diesem Blog.
JE 

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