Harald Wanetschka / pixelio.de
Fichte unterscheidet regelmäßig zwischen logischer, historischer und genetischer Darstellung. Das mag verwirren, weil das, was er genetisch nennt, im herkömmlichen Verständnis mal logisch, mal historisch genannt werden würde.
Eine logische Darstellung konstruiert aus der Kombination vorgegebener Begriffe neue Begriffe; das nennt sie definieren. Eine historische Darstellung dagegen erzählt, was empirisch zu beobachten ist; die wirkliche Geschichte der Philosophie zum Beispiel. Auch Fichte erzählt - das, was er im wirklichen Bewusstsein vorfindet. Aber er will es verständlich machen. Begriffe kann er dabei noch nicht gebrau- chen; denn damit wir etwas darunter verstehen können, müsste er dieselben zuerst einmal 'vor unseren Augen entstehen lassen' - und ebendas nennt er das genetische Verfahren.
Logisch ist es wohl, aber nicht formal- und schluss-logisch, sondern material-logisch: Die Vorstellun- gen müssen entwickelt werden, welche durch die (wechselnden) Begriffen bezeichnet werden sollen. Es wird vorgeführt, welche weiteren Vorstellungen sich aus einer gegebenen Vostellung (aus Freiheit) entwickeln können oder (unter Bedingungen) müssen; und welche vorstellungsmäßigen Voraussetzun- gen einer gegebenen Vorstellung zum Zwecke ihres Verständnisses zu Grunde zu legen sind.
Die genetische Darstellung zeigt, wie die Vorstellungen aus einander hervorgehen - und setzt eo ipso einen schlechthin tätigen Vorstellenden voraus.
Der gestrige Beitrag über Trieb und Selbsttätigkeit ist das beste Beispiel. Wenn ich mich als selbsttätig vorstellen will (was ich ja tue), dann muss ich mir einen Grund dafür zuschreiben - einen 'Trieb' eben.
*
Daraus erhellt im Übrigen, dass und warum die genetische Darstellung nicht im selben Maße zwin- gend sein kann wie die logische (die diskursive, im herkömmlichen Sinn wissenschaftliche). Die Vor- stellungen haben einen anschaulichen Kern, der als solcher nicht mitgeteilt werden kann. Es kann ihn nur jeder (auf Aufforderung) selber in sich hervorbringen; doch erst, wenn er will.
Fichte unterscheidet regelmäßig zwischen logischer, historischer und genetischer Darstellung. Das mag verwirren, weil das, was er genetisch nennt, im herkömmlichen Verständnis mal logisch, mal historisch genannt werden würde.
Eine logische Darstellung konstruiert aus der Kombination vorgegebener Begriffe neue Begriffe; das nennt sie definieren. Eine historische Darstellung dagegen erzählt, was empirisch zu beobachten ist; die wirkliche Geschichte der Philosophie zum Beispiel. Auch Fichte erzählt - das, was er im wirklichen Bewusstsein vorfindet. Aber er will es verständlich machen. Begriffe kann er dabei noch nicht gebrau- chen; denn damit wir etwas darunter verstehen können, müsste er dieselben zuerst einmal 'vor unseren Augen entstehen lassen' - und ebendas nennt er das genetische Verfahren.
Logisch ist es wohl, aber nicht formal- und schluss-logisch, sondern material-logisch: Die Vorstellun- gen müssen entwickelt werden, welche durch die (wechselnden) Begriffen bezeichnet werden sollen. Es wird vorgeführt, welche weiteren Vorstellungen sich aus einer gegebenen Vostellung (aus Freiheit) entwickeln können oder (unter Bedingungen) müssen; und welche vorstellungsmäßigen Voraussetzun- gen einer gegebenen Vorstellung zum Zwecke ihres Verständnisses zu Grunde zu legen sind.
Die genetische Darstellung zeigt, wie die Vorstellungen aus einander hervorgehen - und setzt eo ipso einen schlechthin tätigen Vorstellenden voraus.
Der gestrige Beitrag über Trieb und Selbsttätigkeit ist das beste Beispiel. Wenn ich mich als selbsttätig vorstellen will (was ich ja tue), dann muss ich mir einen Grund dafür zuschreiben - einen 'Trieb' eben.
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Daraus erhellt im Übrigen, dass und warum die genetische Darstellung nicht im selben Maße zwin- gend sein kann wie die logische (die diskursive, im herkömmlichen Sinn wissenschaftliche). Die Vor- stellungen haben einen anschaulichen Kern, der als solcher nicht mitgeteilt werden kann. Es kann ihn nur jeder (auf Aufforderung) selber in sich hervorbringen; doch erst, wenn er will.
Die genetische Darstellung ist nötig, wo die Worte fehlen.
Alles Geistige wird durch sinnliche Ausdrücke bezeichnet, daher kommen viele Missverständnisse. Denn die Zeichen sind oft willkürlich, und drum muss erst, wenn man ein Zeichen gebraucht, eine Erklärung gegeben werden. Wenn man eine Erklärung geben soll, wo das Wort fehlt, da muss man die Sache selbst, d. h. man muss genetisch erklären. Ich setze mich, und indem ich dies tue, bemerke ich, ich tue es auf eine gewisse Art und kann es nur so tun
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Wissenschaftslehre nova methodo, II. Einleitung, Hamburg 1982, S. 20.
Nota. - Das griechische poiein haben die lateinischen Autoren mit ponere übersetzt, und das wurde im Deutschen zu setzen. Satz, Satzung, Gesetz - überall steckt dieselbe Vorstellung drin. Doch für die Vorstellung selbst gibt es kein Wort. Die Analogie zu einem sinnlichen Vorgang muss ausreichen, und tut es in den meisten Fällen. Doch eine Metapher ist kein Begriff. Man kann daraus nicht konstruieren und konkludieren. Wenn es vorangehen soll, muss immer das lebendige Vorstellen neu bemüht werden. Das nennt Fichte die genetische Darstellungswei-se.
JE
Genetisch ist nicht historisch.
Eins ist in unserer Geschichte nicht vorgekommen: dass Menschen isoliert lebten und sich erst zusammentun mussten, um sich zu vergesellschaften. Die Menschen lebten schon in großfamilialen Verbänden, bevor sie überhaupt Menschen wurden. Ein geschichtliches Ereignis war es vielmehr, dass gesellschaftliche Bildungen entstanden, in dene sich die Individuen individualisieren und zu Einzelnen vereinzeln konnten. Und in der wirklichen Geistesgeschichte musste ein bestimmtes Ich aus einem unbestimmten 'wir' sich erst heraus bilden, um sich als einem Nicht-Ich entgegengesetzt setzen zu können.
Manche Binsenwahrheit muss erst ausgesprochen werden, bevor sie einleuchtet: Die Wissenschaftslehre ist nicht die wirkliche Entstehungsgeschichte des Bewusstseins. Sie hebt an auf dem Punkt der bürgerlichen Gesellschaft, wo sich die Individuen als Subjekte ihres Lebens vorkommen und zu anderen Subjekten in Konkurrenz treten. Versippte Haufen, die aufeinander einschlagen, brauchen keine Vernunft, nicht nach außen und nicht nach innen.
Die wirkliche Geschichte des Bewusstseins begann nicht mit dem Vereinigen, sondern mit dem Trennen. Von dieser Trennung geht die Wissenschaftslehre aus.
Nochmal: genetisch.
Mit dem 'genetisch' bei Fichte ist es jetzt viel einfacher: Die logische Darstellung nimmt die Begriffe als gegeben, egal woher sie kommen mögen, und zieht aus ihrer Verbindung seine Schlüsse. Aber im transzendentalen Verständnis* ist der Begriff nichts als eine als vollzogen gedachte Handlung. Die genetische Darstellung sagt, wie man es anstellen müsse, um diese Handlung zu vollziehen. Mit andern Worten, was man sich vorstellen müsse: denn das Vorstellen ist hier das Handeln.
*) ...denn das beschreibt nicht, wie die Welt ist, sondern wie sie vorgestellt wird. In der Welt, wie sie ist, kann man zur Not leben, ohne zu denken; nur sollte man dann einen Schutzengel haben. Umge-kehrt geht es auch mit Schutzengel nicht.
Genetisch: die eigentümliche Darstellungsweise der Wissenschaftslehre.
seilwurf, Übertritt
Während die historische Darstellung es mit dem Faktischen, die logische Darstellung mit den Begriffen zu tun hat, sieht die genetische Darstellung auf das lebendige Vorstellen selbst, das den beiden andern zu Grunde liegt. Es wird (in 'realer' Tätigkeit) ein Bild geschaffen, dieses wird ('ideal') angeschaut und im Begriff bestimmt. Im Be- greifen wird sie in ihre Bedingungen zerlegt, die indessen nicht selber zuvor vorgestellt, "eingebildet" wurden, sondern hernach 'als vorgestellt vorgestellt'.
In der logischen Untersuchung scheint es, als seien die Prämissen des Begriffs "per Definition" in ihm enthalten, "auf einen Schlag", sie 'dependieren' gegenseitig von einander, vorwärts und rückwärts, ohne Zeit. Die logische Darstellung ist ohne Zeit, Begriffe und Schlussregeln sind, noch bevor sie ein Zeitlicher denken kann.
In der genetischen Darstellung des wirklichen Vorstellens wird dagegen nur "so getan, als ob" es ohne Zeit ge- schähe, es wird von der Zeit zuerst noch abstrahiert, doch sobald es 'objektiv' wird und qua Zweckbegriff auf wirkliche Gegenstände geht, tritt das Verhältnis der Dependenz ein, und die hat eine Richtung; wenn auch 'aus Freiheit' zu bestimmen bleibt, wohin, so bleibt doch stets präsent, woher - nämlich vom tätigen Subjekt. Der Setzende setzt Eins, doch sobald er darauf reflektiert, nämlich zu bestimmen beginnt, zerfällt ihm das Eine in ein Mannigfaltiges. Nicht Dieses dependiert von Jenen, sondern Jene dependieren von Diesem.
Die Vorstellung, dass es Vorstellungen an sich und ohne Vorstellenden gäbe, ist nicht vorstellbar.
Noch einmal: logisch, historisch, genetisch.
Dem heute, in geschichtlicher Zeit Denkenden erscheint das Reich des Logischen als gegeben: vollständig und auf einmal. Was darin allenfalls als Zeit vorkommt, ist das, was er selber braucht, um alle die möglichen Schlüsse 'nach-zu-vollziehen'; aber an sich waren sie vor ihm da, immer und ewig.
Tatsächlich ist es jedoch über die Jahrhunderttausende von vielen Generationen durch viele Versuche und Irr- tümer und durch Auslese des Tauglichsten zusammengetragen worden; und wird immer noch zusammengetragen.
Angefangen haben sie mit animistischen Vorstellungen, nach denen sie alles, was ihnen begegnete, so auffass- ten, als wäre es irgendwie ihresgleichen. Der Mythos brachte Ordnung und Hierarchie in das Gewimmel; bis die Philosophen den Grundstein zur Wissenschaft legten. - Die Geschichte der Philosophie verhält sich dazu wie ein entferntes Wetterleuchten.
Ganz etwas anderes ist es, heute dieses Reich von seinen ersten Anfängen neu errichten zu wollen. So, wie es bis heute geworden ist, hat es Animismus und Mythos nicht zu seinen Voraussetzungen, sondern deren Überreste sind Fremdkörper geworden, die es wo immer möglich auszuscheiden gilt. Die Sätze der Logik dagegen gelten alle zugleich und auf einmal. Man kann keinen auf dem anderen aufbauen. Sie gelten schlechterdings und erklären gar nichts.
Wer den Grund ihrer Geltung verstehen will, muss ihn nicht im System selber suchen, sondern bei dem, der es errichtet hat - und der Absicht, die er dabei im Sinn gehabt haben mag. Er muss nach einem absoluten Subjekt suchen, das außer sich selber Nichts zu seiner Voraussetzung hat. Namentlich keinen Begriff und keine Logik, die müsste es allererst aus sich hervorbringen. Was also müsste es tun, um zu Begriffen und den Regeln ihrer Verknüpfung zu gelangen?
Dieses Verfahren ist nicht logisch und nicht historisch, sondern genetisch. In der historischen Realität war das absolute Subjekt ein Collectivum, und welche Voraussetzungen ihm alle vorgeschwebt haben mögen, können wir allenfalls ahnen. Davon müssen und dürfen wir aber abstrahieren.
Wozu man eine solche genetische Rekonstruktion des Systems unseres wirklichen Wissens brauchen kann, müsste man freilich klären, bevor man sich an die Arbeit macht. (Eigentlich ist es die Frage, wozu man überhaupt etwas wissen will.)
Zum letzen Mal: logisch und genetisch.
Die genetische Darstellung unterscheidet sich von der historischen so: In ihr ist nicht von zeitlichem Nachein- ander die Rede, sondern von sinnhaften Bedingungsverhältnissen.
Von der logischen Darstellung unterscheidet sie, dass sie keine (durch wen? mit welchem Recht?) definierten Begriffe verwendet, denn die sind statisch und lassen sich nur durch die Schlussregeln verknüpfen, doch die sind rein formal. Die Absicht, in der sie verknüpft werden, kommt unkontrolliert von außen. Die Anwendung der Logik ist willkürlich, aber sie verbirgt es.
In der genetischen Darstellung gehen dagegen Vorstellungen aus einander hervor, das Vorstellen ist lebendige Tätigkeit, die selber absieht und die, nachdem sie A gesagt hat, B sagen müsste - sofern sie nicht ganz aufhören will. Ihr Forstschreiten ist notwendig. Die logische Darstellung ist statisch, die genetische ist dynamisch. Und wenn es darum geht, das Bewusst- sein aus sich zu verstehen, ist die dynamische am Platz; aber nur da.
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