Mittwoch, 30. November 2016

Kausalität wird nicht begriffen, sondern angeschaut.


 
3) Man nehme an, dass dieser Wille Kausalität habe, dass unmittelbar in der Erfahrung eintreten solle, was ich will. (Wir nehmen hier noch nicht Rücksicht darauf, woher die Harmonie komme, dass durch das Wollen etwas ihm Entsprechendes in die Erfahrung eintrete; sondern wir betrachtennur die Vorstellung der Kausalität und die in ihr vorkommende Mannigfaltigkeit.) 

Der Zustand meines Gemüts verändert sich, wenn ich eine Kausalität wahrnehme. Es ist eine stete Fortbewe- gung von A zu B, in der kein Sprung, kein Hiatus ist. Wenn ich die ge-//128//samte Masse des Gefühls als ein Linie denke, so werde ich keine zunächst liegende[n] zwei Punkte finden, die ganz entgegengesetzt wären. Nehme ich aber Teile heraus, so sind diese im Gazen immer entgegengesetzt; z. B. der Zustand des Gefühles, zu folge dessen ich annehmen muss, A sei roher Marmor, verändere ich so, dass ich zufolge des Gefühls A als eine Bildsäule annehmen muss.

Dies ist ziemlich ungreiflich, allein es ist auch nicht Sache des Begreifens (des Denkens), sondern des Anschau- ens, und wurde nur durch die Einbildungskraft so, wie sich das bei der Deduktion der Zeit ergeben wird.

Der Fortgang soll stetig sein, weil sonst die Einheit des Bewusstseins aufgehoben würde, und sonach bliebe das Bewusstsein, weil das Bewusstsein Einheit ist [sic]. Nun aber sind die Gefühle als solche entgegengesetzt und können im Fühlen in derselben Rücksich nicht stattfinden. Wie soll nun dies Mannigfaltige in der Kausalität vereinigt werden? 

Schon oben wurde gesagt: Die Gefühle müssen auf ein in beiden Zuständen fortdauerndes Gefühlsvermögen bezogen werden. Diese Antwort bekommen wir hier wieder und bestimmter als oben. Es liegt darin, dass wir unsre mannigfaltigen Vorstellungen in der Zeit in Eins fassen und uns bei allem Wechsel der Empfindungen für dasselbe Empfindende halten.

Das Mannigfaltige soll aber nicht nur überhaupt im Bewusstsein vereinigt werden, sondern es soll auch als Wirkung einer einzigen ungeteilten Willensbestimmung gedacht werden, denn nur wo wird Kausalität des Willens gedacht.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 127f.


Nota. - Kausalität kommt in der Vorstellung zuerst als Wirkung eines Willens vor.
JE


 

Dienstag, 29. November 2016

Das Gefühl ist ein Widerstand gegen die Selbtaffektion des Vernunftwesens.


Cartier-Bresson, Hitzewelle, Boston 1947

Anmerkung 2. Kant sagt einmal, es würde sonderbar scheinen, dass ein Vernunftwesen sich selbst affizieren solle; aber wenn man dasselbe genau kennt, so fällt diese Sonderbarkeit weg, denn das Wesen der Vernunft besteht darin, dass es auf sich selbst handle. Eher könnte man fragen, wie diese Selbstaffektion im Bewusstsein vorkommen solle; gegen sie findet sich ein Widerstand, der überwunden werden soll; diese Äußerung heißt Gefühl.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 127


Nota. - Da sagt er ziemlich unverhohlen: Der Begründer der Vernunftkritik hat die Vernunft nicht genau ge- kannt. Er hat aber Recht. Ohne diese Fähigkeit der Selbstaffektion wäre die Vernunft ohnmächtig. Aber eine Vernunft ohne Macht ist keine. - Tatsächlich ist Kant über das Verhältnis des realen Selbst zum transzendenta- len Ich mit sich nicht im Reinen; nämlich nicht über das Wollen als Bestimmungsgrund des letzteren. 
JE





Montag, 28. November 2016

Denkpraktisch steht der praktische Gesichtspunkt über dem theoretischen.



Anmerkung über theoretischen und praktischen Gesichtspunkt.

Der erste besteht in der Freiheit des Denkens, die aber darum nicht gesetzlos ist, sondern sich nach Regeln richtet; beim Handeln hingegen fällt diese Freiheit weg, der Wille wird auf einen einzigen Gegenstand gerich- tet. 


Das beste Mittel, beide Gesichtspunkt nicht zu verwechseln, ist: Man stelle sich auf den praktischen Gesichts- punkt recht fest, man lerne recht wollen; ist man ein spekulativer Denker, so wird man auch auf dem theoreti- schen recht fest.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 127



Und sagen Sie bloß nicht, meine Überschrift sei eine Tautologie!
JE


 

Sonntag, 27. November 2016

Das Aufmerken ist ein intelligibles Gefühl, in dem geistige und sinnliche Welt verbunden sind.


W. Busch

Diese Vorstellung vom inneren Wirken kommt im Bewusst-//127//sein vor als etwas zwischen Gefühl und Ge- danken Schwebendes, man könnte es nennen ein intelligibles Gefühl. Wenn die Einbildungskraft sich selbst überlassen bleibt, so schweift sie sie herum, und es kostet innere Anstrengung, sie zu binden. 

Dieses Aktes, des Bindens, werde ich mir unmittelbar bewusst, indem ich ihn vollziehe, und hierdurch lässt sich die intelligible Welt an die Welt der Erscheinungen anknüpfen. Was in diesem Gefühle vorkommt, ist die erste innere Kraft, man könnte sie reine Kraft, Kraft auf sich selbst nennen. Sie ist Wirkung des Vernunftwesens auf sich selbst. 
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 126f.


Nota. - Das ist eine der wichtigsten Stellen in der ganzen Wissenschaftslehre.

Wenn man von dem metaphysischen Dogma von den zwei Substanzen, einer res extensa und einer res cogitans ausginge, wäre das ein atemberaubendes Kunststück: Wie stellt es die res extensa an,  in die res cogitans vor- zudringen? Doch in der Wissenschaftslehre, die den Gang des Bewusstseins zuerst rein phänomenal verfolgt, wurde eine solche Voraussetzung nicht gemacht. (Ihr Gegenstand ist die Vorstellung, und dortkam sie bislang nicht vor.)

Das Faktum der Konzentration unserer Aufmerksamkeit - denn davon ist hier die Rede - lässst sich nicht leug- nen, ob man es nun erklären kann oder nicht. Aufmerken ist reflektieren und abstrahieren in Einem. Der elementarste Bewusstseinsakt ist: auf mein Gefühl achtgeben. Es ist die Stelle, wo ein empirisches Selbst zu einem vernünftigen Ich wird.

Nota II. -  Dass er im Moment akuter Gefahr alle Aufmerksamkeit darauf konzentriert und selbst Schmerzen unter Umständen gar nicht 'merkt', unterscheidet den Menschen nicht vom Tier: Dem geht's nicht anders; sondern dass er sein Aufmerken will kürlich richten kann. Das ist die Grundform von Wollen, und Wollen ist die Substanz von Geist. (Geist sieht nicht auf Dinge ab, sondern auf Probleme.)
JE


Samstag, 26. November 2016

Es ist nicht möglich, sich den Willen zu denken, ohne sich zugleich eine Anwendung von Gewalt zu denken.



Das Objekt des Wollens ist eine bestimmte Reihe des Handelns und Empfindens. Ich will etwas heißt: Der Zustand des Gefühls, das gegenwärtig vorhanden ist, soll anders werden.

Nun aber gibt es zwischen den Momente A und B keinen Sprung; es muss ein allmähliger Übergang sein, weil sonst die Einheit des Bewusstseins aufhören und ich nicht derselbe sein würde.

Beim Wollen wird eine bestimmte Richtung gedacht, und auf diese Richtung wird alles Denken geworfen, und es wird der Einbildungskraft nicht erkaubt abzuschweifen; beim Wünschen wird zwar auch eine Richtung ge- dacht, aber der Einbildungskraft wird erlaubt anzuschweifen.

Daher nun, von diesem Nötigen und Zwingen der Einbildungskraft, sich nur hierauf zu richten, kommt der Begriff von Kraft, der mit dem Willen vereinigt ist. Es ist nicht möglich, sich den Willen zu denken, ohne sich zugleich einen Anstoß, eine Anwendung von Gewalt zu denken. Das Wollen ist wahres inneres Wirken, Wirken auf sich selbst. Das herumschweifende Denken wird ergriffen und auf einen Punkt beschränkt.

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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 126



Freitag, 25. November 2016

Wollen und wünschen.


 
2) Um den Begriff des Wollens noch klarer zu machen, wollen wir ihn mit dem Begriffe des Wunsches verglei- chen und den Unterschied aufzeugen. Zuförderst: Durch den Willen soll etwas realisiert werden können, durch den Wunsch aber nicht. Nun kann das Gewünschte und das Wünschen von zweierlei Art sein: Entweder man sieht ein, dass das Gewünschte nicht von uns abhänge, wenn man es auch wollte, oder dass es von uns abhän- ge, man wollle sich aber nicht die Mühe geben, es zu realisieren. Diese letzte Art von Wünschen ist die Stim- mung vieler Menschen, die nie im Ernste wollen, sondern es beim Wünschen bewenden lassen. Dieses ohn- mächtige Wünschen wird oft mit dem Wollen verwechselt, und daher verkennt man die hohe Macht des Wollens erst ganz.

Mit dieser Art des Wünschens haben wir es allein hier zu tun. Es ist etwas Bestimmtes, von allen Entgegeng- esetzten Verschiedenes. Mein Wollen schwebt nicht mehr, wie beim Deliberieren, über Entgegengesetzten; der Wunsch hält sein Objekt fest, es fehlt ihm bloß die Form des Wollens. Die Materie ist da, man will sich aber nur nicht dazu entschließen.

//126// Auch wird beim Wunsch das Objekt gefordert, nur wird es nicht unbedingt gefordert. Der Wunsch geht nicht bloß auf das Objekt des Wollens, das realisiert werden soll, sondern auch auf ein andres, das wegfallen soll.

Beim Wollen abstrahiere ich schlechthin von allem außer dem Gewollten, alles andere gebe ich auf; beim Wünschen ist noch immer etws, das mich zuurückhält, Furcht von Anstrengung, Folgen etc. Das Wollen ist Konzentration des ganzen Menschen mit seinem ganzen Vermögen auf einen Punkt. Das richtige Bild davon ist der Akt der angestrengten Aufmerksamkeit. 

(Es gibt viele, die mit offenen Augen träumen, mit ihren Gedanken regellos herumschweifen, von einem aufs andere kommen. Soll etwas Gutes und Rechtes werden, so muss man bestimmt eins nach dem andren denken und alles miteinander verknüpfen.)
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 125f.



Donnerstag, 24. November 2016

(Philologisches.)



Ein Begriff, der uns in die intelligible Welt führt (ein Noumen) ware also etwas, das durch bloßes Denken hervorgebracht würde; so wie die Begriffe der äußeren Gegenstände, von denen wir behaupten, dass sie nicht durch bloßes Denken hervorgebracht werden, sinnliche heißen. Daher, dass Kant unterließ, diese Frage zu beantworten: Woher kommt das Noumen?, kam es auch, dass er die intelligible Anschauung leugnete (vide Hülsen über die Preisaufgabe Was hat die die Metaphysik seit Leibniz und Wolff für Progressen gemacht?). 

Solche Begriffe könnte man auch reine Begriffe und das Vermögen dazu reine Vernunft nennen. Da die Wissenschaftslehre es mit dem ganzen Umfange des Bewusstseins zu tun hat, so muss sie nicht nur die Begriffe der Noumenen, sondern auch der Phaenomene darstellen.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 125


Nota. - Der Ertrag ist nur ein philologischer: Kant hat tatsächlich die Möglichkeit von Noumenen nicht weiter ergründet. Zweitens ist Fichtes Bezugnahme auf August Ludwig Hülsen zu vermerken.
JE


Mittwoch, 23. November 2016

Dieser Begriff vom Wollen ist es, worauf alles Geistige beruht.


 
Deliberieren und Wollen ist bloßes Denken, das erste ist problematisches, das zweite kategorisches. Aber alles im Ich, also auch das Wollen, muss durch dasselbe gesetzt sein. Das bestimmte Denken, das wir ein Wollen nennen, ist sonach ein unmittelbares Bewusstsein. Ich will, inwiefern ich mich als wollend denke, und ich denke mich als wollend, inwiefern ich will. Der Wille ist ein absolutes Erstes, seiner Form nach durch nichts Beding- tes. Es ist ebenso wie mit dem Gefühl, dem ebenfalls, weil es ein unmittelbares ist, nichts vorschwebt, was man wegdenken könnte.

Dieser unmittelbare Begriff vom Wollen ist die Grundlage des Systems der Begriffe, die Kant Noumene nennt und durch welche er ein System der intelligiblen Welt begründet. Sie haben zu vielen Missverständnissen Anlass gegeben und stehen im Kantschen System abgerissen und getrennt von dem Übrigen da.

Kant sagt zwar, dass man sie denken müsse, aber nicht wie und warum? Sie sind bei ihm Qualitates occultae, er behauptet: Es gibt keine Brücke von der sinnlichen zur übersinnlichen Welt. Dies kam daher, weil er in der Kritik der reinen Vernunft das Ich einseitig und nur das Mannigfaltige ordnend, nicht aber als produzierend dachte.

Die Wissenschaftslehre schlägt diese Brücke leicht. Nach ihr ist die intelligible Welt die Bedingung der Welt der Erscheinungen. Die letztere wird auf die erstere gebaut. Die erstere beruht auf ihrem eigentlichen Mittelpunkte, dem Ich, das nur / im Wollen ganz ist. Alle Vorstellungen gehen aus vom Denken des Wollens.

Dieser Begriff vom Wollen ist es, worauf alles Geistige (das im bloßen Denken bestehen soll) beruht, wodurch das Ich selbst geistig wird. Nach der vorigen Ansicht war das Ich körperlich, beide Ansichten müssen vereinigt werden. 
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 124f.

 
Nota. - Nirgends hat, soweit ich es übersehe, Fichte seine Kritik an Kant vollständiger ausgesprochen: Bei Kant ist das Ich, qua transzendentale Synthesis und alles Folgende, in der Erscheinung nur ordnend tätig. Er bleibt, muss man hinzufügen, ein halber Dogmatiker. Denn die Erscheinungen haben ihr Doppel in den dazugehö- rigen Noumena bzw. "an sich". Das sind Qualitates, die schlechterdings occultae bleiben und bleiben müssen. 

Die wirkliche Transzententalphilosophie - "echter durchgeführter Kritizismus" - setzt das Ich jedoch als produ- zierend voraus; die Vorstellungen produzierend, versteht sich, aber mit Anderem hatte es auch Kant nicht zu tun.
JE 



 

Dienstag, 22. November 2016

Wollen und deliberieren.


focus 1980

1) Die Vorstellung von Kraft lässt sich nur ableiten vom Bewusstsein des Wollens und der mit dem Wollen vereinigten Kausalität. Es ist also zuerst die Frage zu beantworten: Wie finden wir uns denn, wenn wir uns wollend finden und diesem Wollen eine Kausalität in der Sinnenwelt zuschreiben?  Dieser Punkt kann nicht aus Begriffen abgeleitet werden; er ist ein nicht weiter abzuleitendes Unmittelbares, Erstes. - Man mus sich das Wollen überhaupt und die Form des Wollens reproduzieren und sich bei diesem Verfahren beobachten.

Zuvörstert:

Man denke sich deliberierend. Soll ich dieses oder jenes tun, oder ein drittes? In der Deliberation erscheinen diese gedachten Vorstellungen als in der Vorstellung ganz bestimmt. Ich denke mir diese Handlungen als möglich, vom Entschlusse abhängig, aber nur als möglich. Der Begriff der Handlung ist im Deliberieren noch über mehreren Handlungen schwebend; er ist noch auf keine bestimmte fixiert. 

Man deliberiere nun nicht mehr, sondern fasse einen Beschluss, so erscheint das Gewollte als etwas, das sich allein zutragen soll. Das Wollen erscheint als eine kategorische Fo[r]derung, als ein absolutes Postulat an die Wirklichkeit. Im Deliberieren ist nur von der Möglichkeit die Rede [=von der Möglichkeit ist nur im Delibe- rieren die Rede, JE]; durch das Wollen soll etwas Neues, Erstes, vorher noch nicht Vorhandenes entstehen. Dieses ist aber doch schon idealiter dagewesen, denn im Deliberieren habe ich die möglichen Begebenheiten, die erfolgen konnten, an mein Wollen gehalten, aber nur problematisch. 

Also lässt sich jenes Neue beschreiben, aber jetzt erst / losgelassen, indem es in der Deliberation noch zurück- gehalten war. Das Wollen erscheint also als ein Hervorgehen, als eine freiwillige Beschränkung, indem man den Willen auf ein neues Objekt hinleitet. Im Deliberieren ist das Bestreben zerstreut und insofern  kein Wollen. Die Konzentration dieses zerstreuten Strebens in einem Punkt heißt erst Wollen. Dies ist eine Folge aus dem oben aufgestellten Satz: Das Ich findet sich im Übergehen von der Unbestimmtheit zur Bestimmtheit. Nur in diesem Übergehen kann man sich seines Wollens bewusst werden.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 122f.


Nota. - Das Wollen als Noumenon ist der gesamten Wissenschsaftslehre zugrundgelegt worden; nämlich nachdem sie in ihrem ersten analytischen Zug auf 'das Ich' als Denknotwendigkeit gestoßen war. Davon ist hier nun  nicht mehr die Rede, wir sind längst dabei, den wirklichen Entwicklungsgang des Bewusstseins (als Schema) zu rekonstruieren. Da kommt ein 'Wollen-überhaupt' gar nicht vor, gewollt wird immer dieses oder jenes - oder es wird nicht gewollt. Das wirkliche Wollen ist immer ein bestimmtes, aber Bestimmung geschieht nicht ohne Bewusstsein des Bestimmens. Das ist Deliberieren.
JE



Montag, 21. November 2016

Wie kommt die Vorstellung von Kraft in die Intelligenz?


Krieger von Riace
 
§ 12

Nach dem vorigen Paragraphen (§11) soll ich die Entfernung eines Gegenstands von mir messen können nach dem Kraftaufwande, dessen ich bedürfte, um mich in die Stelle zu setzen, in der sich das Objekt befindet. (Aber wie ist das möglich, dieses //123// Quantum dieses unterdrückten Strebens zu messen, um etwas anderes danach zu messen?)

Dies wird wohl jeder durch die Erfahrung bestätigt finden, allein philosophisch ists nicht, denn man kann weiter fragen: Wie ists möglich, diesen Kraftaufwand selber zu messen, um etwas anderes danach messen zu können? Mit der Beantwortung dieser Frage beschäftigen wir uns in diesem Paragraphen. Sie hängt davon ab, dass wir die Vorstellung von Kraft völlig kennen, und wir kennen diese nur, wenn wir sie ableiten, wenn wir zeigen, wie sie in die Intelligenz kommt.

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Wissenschaftslehre nova methodo,
 Hamburg 1982, S. 122f.






 

Sonntag, 20. November 2016

[Das ursprüngliche Streben ist Maß des Raumes.]


schule-meisterschwanden. 

§ 11 [Zusammenfassung]

Jedes Objekt erhält seinen Ort im Raume in Beziehung auf das Vorstellende, und außer dieser Beziehung ist keine Ortsbestimmung möglich. Aber das, wodurch ein andres im Raume bestimmt werden soll, muss selbst in ihm sein. Das Vernunftwesen setzt sonach sich selbst in den Raum als praktisch strebendes Wesen. 

Diese neuerlich gefühlte und bei dem notwendig mit dem Gefühle vereinigten Anschauen des Objekts in die Form der Anschauung aufgenommene Streben ist der ursprüngliche und unmittelbare Maßstab für alle Ortsbestimmung. Es ist nicht möglich, etwas in den Raum zu setzen, ohne sich selbst darinnen zu finden, außer indem man Objekt darin setzt.
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Wissenschaftslehre nova methodo,
 Hamburg 1982, S. 122  


 
Nota. - Das verdient festgehalten zu werden: Indem das Ich ursprünglich als Streben bestimmt wurde, war der Raume 'eigentlich' schon mitgesetzt; und, wie wir sicher noch erfahren werden, die Zeit auch. - So ist es zu verstehen, dass im transzendentalen Modell, dem Schema, 'alles auf einmal und zugleich gegeben' ist. 
JE






Samstag, 19. November 2016

Das Sehen ist Schema der Idealität.


Joshua Reynolds
 
Man bestimmt ursprünglich den Ort eines Dinges im Raume nach Gutdünken, oder wie man sich ausdrückt: nach dem Augenmaße. Der Maßstab liegt unmittelbar im Auge, ich fasse einen größern und kleinern Raum auf und messe den ersteren durch den letzten, ich brechne, was für ein Quantum Sehens ses bedürfte bis da oder dort hin. 

Aber hat das Sehen Quantität? Es ist doch wohl etwss Absolutes, wenn es als äußeres Schema der inneren Idea- lität betrachtet wird! Aber beim Raumbestimmen ist auch nicht das bloße Sehen, sondern das Anschauen einer Linie, die ich ziehen müsste, um an den Ort zu kommen. 

Diese Linie beschreibe ich nun so: Ich schätze mein Streben, wieviel Kraft-//121//aufwand ich anwenden müss- te, wie oft ich mich aus meiner Stelle bewegen müsste, um in dem Ort zu sein, in dem sich das Objekt befindet. (Der Maßstab in ohnstreitig der Schritt, vorausgesetzt, dass ich mich mit jedem Schritt ganz von der Stelle be- wege und in eine neue Stelle eintrete.) Hier bekommen wir den ersten merklichen Punkt, wo die notwendige Beziehung der Vorstellung auf unser praktisches Vermögen dargestellt ist.

5. Das Bestimmende und Bestimmte sind synthetisch vereinigt. Ich kann nichts in den Raum setzen, ohne mich drein zu setzen, und ich kann mich nicht drein setzen, ohne andre Dinge hinein zu setzen; indem ich mich nur setze, in wiefern ich Dinge setze.
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Wissenschaftslehre nova methodo,
 Hamburg 1982, S. 121f.
 



Nota. - Das Sehen ist das Schema der Idealität: gr. idein = sehen. Ebenso ist Tätigkeit das Schema des Vorstellens - und jeder anderen Leistung des praktischen Vermögens. Dass dieses Praktische ganz hand- bzw. fußgreiflich zu ver- stehen ist, beweist das Beispiel des Schritts. Als Schema ist es freilich ein Absolutes, nämlich Noumenon.
JE

Freitag, 18. November 2016

Das wirkliche Bewusstsein geht nicht vom Ich aus, sondern von den Objekten.


lehmar

4. Nun geht aber hier die Anschauung auf ein Objekt im Raume, und dadurch werden wir ein wichtiges Resul- tat finden, nämlich: Erst die Anschauung eines Objektes außer mir und eines bestimmten Objekts ist eine bestimmte Anschauung, und sie ist nach unserer Erörterung die erste bestimmte (Die Anschauung meiner als Objekt ist später und gründet sich auf eine Reflexion mit Freiheit). Das wirkliche Bewusstsein geht nicht von uns aus, sondern von den Objekten. Das Anschauen //121// und Bewusstsein meiner selbst geschieht erst später, durch die Abstraktion von den Dingen und die Reflexion auf mich.

Die Anschauung des unendlichen mit Materie erfüllten Raumes ist der unbestimmte und bestimmbare Zustand der Intelligenz, von dem sie ausgeht. (Diese Anschauung ist im Grunde Anschauung eines unendlichen Stre- bens; diese Anschauung wird nur von dem Philosophen gesetzt als der Zeit nach vorausgehend, in der Tat aber und im Bewusstsein kommt sie vor im Bewusstsein aller der Momente, die wir bisher aufgezeigt haben und noch auzfzeigen werden.) In diesem Zustande werde ich beschränkt, dadurch wir mir jene Späre in zwei Teile geteilt, ich werde mir selbst etwas, und es entsteht mir ein Andres außer mir (die übrige Materie). Da ich selbst beschränkt bin, so wird auch die Anschauung meiner selbst beschränkt. -

Letztere ist bestimmender Teil des Ganzen (die Anschauung des Objekts im Raume und der Platz desselben ist das Bestimmte), und so geht alle Raumbestimmung aus von der Bestimmung meiner im Raume. Ich bin im absoluten Ort, der Raum, den ich einnehme, ist unmittelbar, alles übrige ist mittelbar. Ich schaue mich nicht an als Objekt der Anschauung, sondern als fühlend, und so gewiss ich mich anschaue, falle ich in den Raum, aber unvermerkt. Alles mein Anschauen des Objekts richtet sich und wird bestimmt durch mein Sein im Raume, welches mir erscheint als ein gefühltes.
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Wissenschaftslehre nova methodo,
 Hamburg 1982, S. 120f.
 



Nota. - Der erste Gegenstand, dessen das Ich bewusst wird, ist nicht es selbst, sondern das Objekt. - Wie immer die besonderen Bestimmungen des je Gefühlten-Angeschauten-Vorgestellten ausfallen mögen: in Wirklichkeit handelt es sich immer um Anschauungen meines unendlichen Strebens. - Am Anfang steht das Noumenon eines unbestimmt-bestimmbaren Strebens-überhaupt, am Zielpunkt muss folglich das Noumenon eines unbe- stimmt-bestimmbaren Zweckes-überhaupt stehen. Nur so ist Vernunft als System möglich. Dieses wohlge- merkt in der Vorstellung. Doch wenn ich es mir überhaupt vorstellen will, muss ich es mir so vorstellen. 
JE


Donnerstag, 17. November 2016

Mein Leib ist das System meiner Gefühle.


 
Ich muss allerdings annehmen, dass ich die Materie im Raume außer mir nicht nur teilbar denken, sondern auch wirklich teilen könne. Aber ich kann dies nicht unmittelbar durch den Willen, sondern ich muss erst durch Mit- telzustände hindurchgehen.

Aber die Materie, worin durch den bloßen Willen etwas geschieht, ist mein Leib, in wiefern er artikuliert, nicht inwiefern er organisiert ist. (Es ist hier vom Leib die Rede, in wiefern ich durch ihn wahrnehme und wirke, in wiefern er Sinn ist und Organ; er ist das System meiner Gefühle, das Medium, durch welches Anschauung und Gefühl vereinigt wird. Zum Verdauen und Blutumlauf tut mein Wille nichts, aber mein Hand- oder Fußbewe- gen hängt von ihm ab.) 


Also das System meiner Begrenzbarkeit und meines Strebens in der synthetische Vereinigung gedacht wird mir zum artikulierten Leibe; dadurch wird Anschauung und Gefühl vereinigt, ich schaue mich an als fühlend, indem ich mich fühle als anschauend ein Objekt im Raume.
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Wissenschaftslehre nova methodo,
 Hamburg 1982, S. 120
 



Nota. - Ein Leib-Seele-Problem taucht hier nicht auf: Der Leib ist selber die Synthesis von (physiologischem) Fühlen und (intellektiven) Anschauen. Es ist es aber nur, wenn seine Ein-Heit als System begriffen wird. 

Dann kann man auch nicht mehr auf die Schnapsidee verfallen, zwischen 'dem Hirn' und einem ominösen Extra-Ich zu unterscheiden. Mehr als dieses System bin 'ich' nicht, aber auch nicht weniger.
JE


 




 

Mittwoch, 16. November 2016

Mein Leib.


Faustkämpfer, Quirinal
 
Das Ich kann nicht ideal sein, ohne praktisch zu sein und umgekehrt; dadurch entsteht ein Doppeltes. Nun ist die Rede vom Ich, also es gibt ein Gefühl des Gefühls und ein Anschauen des Anschauens, und dadurch bekä- men wir ein Vierfaches. Wir haben es zugleich mit dem Ich als Objekt des Anschauung zu tun. Die Form der Anschauung ist Raum und Materie. Das Ich wird sonach Materie im Raum, sofern es begrenzt und strebend ist. 

Das Streben überhaupt als solches ist unendlich, es geht auf eine Kausalität ins Unendliche aus. Sonach muss der Raum unendlich sein. Dieses Streben ist absolut frei, es gibt gar keine mögliche Rücksicht, wo es sich nicht weiter bestimmen oder aufhalten könnte; dadurch wird der Raum und die Materie //120// teilbar bis unendlich. Dies wurde im vorigen Paragraphen nur aufgestellt als Resultat der Freiheit des Denkens; hier wird es höher auf die Freiheit des Strebens zurückgeführt.

Ist nun von meinem Streben, in wiefern es nicht Kausalität hat, mithin von Begrenztheit die Rede, so ist es ein geschlossnes gegrenztes Quantum. Aber auf diesem Punkt bin ich frei, es hängt von meiner Selbstbestimmung ab, meine Grenzen auszudehnen und meinem Streben Kausalität zu verschaffen. Der Raum, in dem ich sein soll, steht unter meiner Herrschaft; die Materie, die ich sein  soll, und ihre Teile hängt [sic] von mir ab. Es ist mein Leib, inwiefern er artikuliert ist.
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Wissenschaftslehre nova methodo,
 Hamburg 1982, S. 119f.
 



Nota. - Noch immer ist die Rede ja vom Ich. Es ist nicht so, dass die (sinnliche) Leiblichkeit nachträglich zum (geistigen) Streben hinzukäme. Sondern das Ich, das schlechterdings strebend-fühlend-anschauend ist, muss sich in einem Raum anschauen - den es erfüllt: als Leib. Das alles geschieht nicht sukzessive, sonder ist so mit einem Mal.

Und noch einmal: Es geht der Wissenschaftslehre nicht darum, dieWelt, wie sie ist, zu begründen, sondern dar- um, das Bewusstsein, das wir ja wirklich haben, zu verstehen; zu verstehen, in wiefern wir vernünftig sind - und was das überhaupt heißt.
JE


Dienstag, 15. November 2016

Der unteilbare Zustand des Ich ist zweierlei.



3. Diejeinige Vorstellung hat Realität, welche aus dem Gefühl notwendig erfolgte, wenn dies Kausalität hätte (nach dem Obigen). Nun soll hier eine Ortsbestimmung im Raume objektive Gültigkeit haben (sie soll so be- stimmt sein, weil ich so bestimmt bin), ich müsste sonach mich im Raume fühlen, aber der Raum wird nicht gefühlt, er ist Form der Anschauung; und doch soll es so sein. Demnach müsste beides vereinigt sein, //119// es müsste ein Drittes geben, welches zwischen beiden in der Mitte läge. 

So etwas kennen wir schon. In dem besondren Gefühle wird nach dem Obigen ein System der Sensibilität überhaupt vorausgesetzt, durch die Beziehung auf welches das besondre Gefühl erst ein besonderes wird. Das System ist das Bestimmbare zum Besondren, welches in dieser Rücksicht das Bestimmte ist. Aber ein solches Gefühl ist das Gefühl der Begrenztheit, und jenes System [ist] das System der Begrenzbarkeit. Begrenztheit ist aber nichts ohne das Streben, und das Gefühl der Begrenzbarkeit ist auch nichts ohne Gefühl des Strebens überhaupt. So etwas muss gesetzt werden, wenn ein objektives Vorstellen zustande kommen soll, alles dies aber ist nur fürs Gefühl. So gewiss Anschauung sein soll, muss Gefühl sein.

Das fühlende und das anschauende Ich ist eins und dasselbe, beide Zustände sind notwendig vereinigt. Aber in wiefern das Ich sich als anschauend setzt, setzt es sich ganz als anschauend, und wiefern es sich als fühlend setzt, setzt es sich ganz als fühlend. Der unteilbare Zustand des Ich ist zweierlei, und darum kommt er in dop- pelter Rücksicht vor. Fühlen des Fühlens und Anschauen des Anschauens sind vereinigt. Darauf kommt alles an. Der Vereinigungspunkt liegt im Wesen der Tätigkeit des Ich.
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Wissenschaftslehre nova methodo,
 Hamburg 1982, S. 118f.
 



Nota. - Da steht es ja: Der Zustand des Ich ist die Vereinigung von Gefühl und Anschauung; Anschauung ist Reflexion, und in der Reflexion ist es, dass ein Denkzwang 'gemerkt' wird. Der Versuch, den Denkzwang vorab noch einmal extra ins Gefühl einzugemeinden, war ganz überflüssig.
JE


Sonntag, 13. November 2016

Nachtrag: Ein Scheinproblem.



Ja, ich glaube, Fichte hat mit der Gleichsetzung des 'Denkzwangs' mit dem sinnlichen Gefühl ein krummes Ding gedreht. Es war aber systematisch ganz überflüssig. Das Materielle dem Geistigen assimilieren oder - in diesem Fall - umgekehrt, ist nur nötig in einem System, wo sie vorab dogmatisch unterschieden waren, aber gerade das ist in der Wissenschaftslehre ja nicht der Fall. Da geht es von Anfang bis Ende nur um die Vorstel- lungen von diesem oder jenem. Da mag man unterscheiden, welche Vorstellung notwendig, welche durch Frei- heit möglich, oder welche auch ganz überflüssig ist; welche beanspruchen darf, sich auf ein Objekt außer ihr zu beziehen, und welche selber nur wieder auf Vorstellungen geht. Und so weiter. Objektivität, Notwendigkeit: denen entspricht 'Denkzwang'. 

'Gefühl' wurde erfordert, damit etwas als Etwas angeschaut werden könne, angeschaut werden muss es, wenn darauf reflektiert werden soll; besser gesagt, das Anschauen ist das Reflektieren: das Fassen als Begriff. 

Um dies alle geht es hier aber gar nicht.

Hier geht es um die Auffassung des wirklichen Ich als Zustand. Ein Gesamtzustand ist gemeint, in den alle Ge- fühle eingehen und auf den jedes einzelne Gefühl bezogen wird. Es ist aber nicht nötig, den Gesamtzustand nur als aus Gefühlen zusammengesetzt aufzufassen. Man bräuchte ihn nur etwas weiter zu definieren, um den 'Denk- zwang' darin unterzubringen. Doch wozu könnte das gut sein? Das wäre eine metaphysische Frage einer am Rande stehenden höheren Intelligenz, die wissen will: "Woraus setzt sich der Gesamtzustand zusammen?" Hier war nur zu setzen, dass er ist; zu bestimmen, was er ist, hat die Transzendentalphilosophie nicht mehr.

Es ist vielmehr, wenn es nicht Sache der empirischen Psychologie ist, eine Sache der Hirnforschung. Physio- logisch, d. h. entweder am Ort oder an der individuellen Tätigkeitsweise der Neuronen, lässt sich dieses von jenem Merken gar nicht unterscheiden; die bildgebenden Verfahren erlauben nur, einen neuronalen Vorgang an dieser Stelle im Gehirn mit jenem Vorgang im übrigen Organismus zu korrelieren. Alles weitere ist Sache der Erfahrung und der Interpretation. In der Tat: Das Gehirn ist ein System, seine Wirklichkeit ist Zustand. Nur im Labor lässt sich Dieses von Jenem isolieren.

Fichte hat gut daran getan, sich auf dieses Terrain nicht zu begeben. Davon konnte er nichts wissen, und als Transzendentalsphilosoph musste er davon nicht wissen.