Montag, 31. März 2014

Begriff ist Tätigkeit - als Ruhe aufgefasst.



Man nennt die innere Thätigkeit, in ihrer Ruhe aufgefasst, durchgängig den Begriff. ...

Der Begriff ist überall nichts anderes, als die Thätigkeit des Anschauens selbst, nur nicht als Agilität, sondern als Ruhe und Bestimmtheit aufgefasst; und so verhält es sich auch mit dem Begriffe des Ich. Die in sich zurückgehende Thätigkeit als feststehend und beharrlich aufgefasst, wodurch sonach beides, Ich, als Thätiges, und Ich, als Object meiner Thätigkeit, zusammenfallen, ist der Begriff des Ich. 


Im gemeinen Bewusstseyn kommen nur Begriffe vor, keinesweges Anschauungen als solche; unerachtet der Begriff nur durch die Anschauung, jedoch ohne unser Bewusstseyn, zu Stande gebracht wird. Zum Bewusstseyn der Anschauung erhebt man sich nur durch Freiheit, wie es soeben in Absicht des Ich geschehen ist; und jede Anschauung mit Bewusstseyn bezieht sich auf einen Begriff, der der Freiheit die Richtung andeutet. Daher kommt es, dass überhaupt, so wie in unserem besonderen Falle, das Object der Anschauung / vor der Anschauung vorher daseyn soll. Dieses Objekt ist eben der Begriff. Nach unserer gegenwärtigen Erörterung sieht man, dass dieser nichts anderes sey, als die Anschauung selbst, nur nicht als solche, als Thätigkeit, sondern als Ruhe aufgefasst. 

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Versuch einere neuen Darstellung der Wissenschaftslehre,
SW Bd. I, S. 533f. 



Nota.

Die Anschauung nicht als Tätigkeit, sondern 'in ihrer Ruhe aufgefasst', sollte man eher Vorstellung nennen; denn zum eigentlichen Begriff werden sie erst, wenn sie mit allen denkbaren anderen Vorstellungen in einen gemein- samen Verweisungzusammenhang gefügt werden - was E. Cassirer ein Symbolnetz nennt.
JE

Sonntag, 30. März 2014

Wahr ist das Wirkliche.


Dirck van Baburen, Lockere Gesellschaft

Alles Bewusstseyn ist bedingt durch das unmittelbare Bewusstseyn unserer selbst.
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Versuch einere neuen Darstellung der Wissenschaftslehre,
Überschrift des Ersten Kapitels, SW Bd. I, S. 522


Nota.

Dies nur, um zu erinnern: So transzendental das abolute Ich auch sei - wenn überhaupt, kommt es nur durch ein Handeln wirklich lebender menschlicher Individuen zustande. Elementarer ist nichts.
JE 

 

Samstag, 29. März 2014

Das Ding an sich ist eine blosse Erdichtung.

*
 
Das Object des Dogmatismus im Gegentheil gehört zu den Objecten der ersten Klasse, die lediglich durch freies Denken hervorgebracht werden; das Ding an sich ist eine blosse Erdichtung, und hat gar keine Realität. Es kommt nicht etwa in der Erfahrung vor: denn das System der Erfahrung ist nichts Anderes, als das mit dem Gefühle der Nothwendigkeit begleitete Denken, und kann selbst von dem Dogmatiker, der es, wie jeder Philosoph, zu begründen hat, für nichts Anderes ausgegeben werden. Der Dogmatiker will ihm zwar Realität, das heisst, die Nothwendigkeit, als Grund aller Erfahrung gedacht zu werden, zusichern, und er wird es, wenn er nachweist, dass die Erfahrung dadurch wirklich zu erklären, und ohne dasselbe nicht zu erklären ist; aber gerade davon ist die Frage, und es darf nicht vorausgesetzt werden, was zu erweisen ist.
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Erste Einleitung in die Wissenschaftslehre,
SW I, S. 448 





Nota - Obiges Bild gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Ihre Nachricht auf diesem Blog. JE
 

Freitag, 28. März 2014

Subjekt-Objekt (II).


rudolf ortner, pixelio.de

Du bist dir deiner, als des Bewussten, bewusst, lediglich inwiefern du dir deiner als des Bewusstseyenden bewusst bist; aber dann ist das Bewusstseyende wieder das Bewusste, und du musst wieder des Bewusstseyenden dieses Bewussten dir bewusst werden, und so ins unendliche fort: und so magst du sehen, wie du zu einem ersten Bewusstseyn kommst.

Kurz; auf diese Weise lässt das Bewusstseyn sich schlechthin nicht erklären. – 

Noch einmal; welches war das Wesen des soeben geführten Raisonnements, und der eigentliche Grund, warum das Bewusstseyn auf diesem Wege unbegreiflich war? Dieser: jedes Object kommt zum Bewusstseyn lediglich / unter der Bedingung, dass ich auch meiner selbst, des bewusstseyenden Subjects mir bewusst sey. Dieser Satz ist unwidersprechlich. – 

Aber in diesem Selbstbewusstseyn meiner, wurde weiter behauptet, bin ich mir selbst Object, und es gilt von dem Subjecte zu diesem Objecte abermals, was von dem vorigen galt; es wird Object und bedarf eines neuen Subjectes, und sofort ins unendliche. In jedem Bewusstseyn also wurde Subject und Object von einander geschieden und jedes als ein besonderes betrachtet; dies war der Grund, warum uns das Bewusstseyn unbegreiflich ausfiel.  

Nun aber ist doch Bewusstseyn; mithin muss jene Behauptung falsch seyn. Sie ist falsch, heisst: ihr Gegentheil gilt; sonach folgender Satz gilt: es giebt ein Bewusstseyn, in welchem das Subjective und das Objective gar nicht zu trennen, sondern absolut Eins und ebendasselbe sind.

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Versuch einere neuen Darstellung der Wissenschaftslehre, SW Bd. I, S. 526f. 


Donnerstag, 27. März 2014

Subjekt/Objekt (I).


rudolf ortner, pixelio.de
 
Indem du irgend eines Gegenstandes – es sey derselbe die gegenüberstehende Wand – dir bewusst bist, bist du dir, wie du eben zugestanden, eigentlich deines Denkens dieser Wand bewusst, und nur inwiefern du dessen dir bewusst bist, ist ein Bewusstseyn der Wand möglich. Aber um deines Denkens dir bewusst zu seyn, musst du deiner selbst dir bewusst seyn. – 

Du bist – deiner dir bewusst, sagst du; du unterscheidest sonach nothwendig dein denkendes Ich von dem im Denken desselben gedachten Ich. Aber damit du dies könnest, muss abermals das Denkende in jenem Denken Object eines höheren Denkens seyn, um Object des Bewusstseyns seyn zu können; und du erhältst zugleich ein neues Subject, welches dessen, das vorhin das Selbstbewusstseyn war, sich wieder bewusst sey. 

Hier argumentire ich nun abermals, wie vorher; und nachdem wir einmal nach diesem Gesetze fortzuschliessen angefangen haben, kannst du mir nirgends eine Stelle nachweisen, wo wir aufhören sollten; wir werden sonach ins unendliche fort für jedes Bewusstseyn ein neues Bewusstseyn bedürfen, dessen Object das erstere sey, und sonach nie dazu kommen, ein wirkliches Bewusstseyn annehmen zu können.

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Versuch einere neuen Darstellung der Wissenschaftslehre, SW Bd. I, S. 526



Mittwoch, 26. März 2014

Sich setzen und sich voraus-setzen.


nach Magritte
 
Dein Ich kommt lediglich durch das Zurückgehen deines Denkens auf dich selbst zu Stande, wurde behauptet. In einem kleinen Winkel deiner Seele liegt dagegen die Einwendung, – entweder: ich soll denken, aber ehe ich denken kann, muss ich seyn; oder die: ich soll mich denken, in mich zurückgehen; aber was gedacht werden soll, auf welches zurückgegangen werden soll, muss seyn, ehe es gedacht oder darauf zurückgegangen wird. 

In beiden Fällen postulirst du ein von dem Denken und Gedachtseyn deiner selbst unabhängiges, und demselben vorauszusetzendes Daseyn deiner selbst; im ersten Falle als des Denkenden, im zweiten als des Zu-Denkenden. Hierbei sage mir vorläufig nur dies: wer ist es denn, der da behauptet, dass du vor deinem Denken vorher gewesen seyn müssest? Das bist ohne Zweifel du selbst, und dieses dein Behaupten ist ohne Zweifel ein Denken; / und, wie du noch weiter behauptest, und wir dir mit beiden Händen zugeben, ein nothwendiges, in diesem Zusammenhange dir sich aufdringendes Denken. Du weisst doch hoffentlich von diesem vorauszusetzenden Daseyn nur insofern, inwiefern du es denkst; und dieses Daseyn des Ich ist sonach auch nichts mehr, als ein Gesetztseyn deiner selbst durch dich selbst. 

In dem Factum, das du uns aufgezeigt hast, liegt sonach, wenn wir es scharf genug ansehen, nichts mehr, als dies: du musst deinem gegenwärtigen, zum deutlichen Bewusstseyn erhobenen Selbst-Setzen ein anderes solches Setzen, als ohne deutliches Bewusstseyn geschehen, voraus denken, worauf das gegenwärtige sich beziehe und dadurch bedingt sey.

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Versuch einere neuen Darstellung der Wissenschaftslehre, SW Bd. I, S. 524f.


 

Dienstag, 25. März 2014

Das Ich ist frei, indem es sich befreit.


Univers-cité

Die Freiheit, oder was das gleiche heisst, das unmittelbare Handeln des Ich, als solches, ist der Vereinigungspunct der Idealität und Realität. Das Ich ist frei, indem und dadurch, dass es sich freisetzt, sich befreit: und es setzt sich frei, oder befreit sich, indem es frei ist. Bestimmung und Seyn sind Eins; Handelndes und Behandeltes sind Eins; eben indem das Ich sich zum Handeln bestimmt, handelt es in diesem Bestimmen; und indem es handelt, bestimmt es sich.

Das Ich kann sich nicht durch Reflexion als frei setzen, dies ist ein Widerspruch, und auf diesem Wege könnten wir nie zu der Annahme kommen, dass wir frei seyen; aber es eignet sich etwas zu, als Product seiner eigenen freien Thätigkeit, und insofern setzt es sich wenigstens mittelbar als frei.

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Grundriss des Eigenthümlichen der Wissenschaftslehre, in Rücksicht auf das theoretische Vermögen, SW Bd. I,
S. 371 



Montag, 24. März 2014

Der Skeptiker teilt mit dem Dogmatiker den Glauben an ein Ding-an-sich.


Domenico Fetti, Gleichnis vom Splitter und Balken

Maimon hat bloss die Anwendbarkeit des Gesetzes der Wirksamkeit bezweifelt; er könnte nach seinen Grundsätzen die Anwendbarkeit aller Gesetze a priori bezweifelt haben. – 

So Hume. Er erinnerte: ihr selbst seyd es, die ihr den Begriff der Wirksamkeit in euch habt, und ihn auf die Dinge übertraget; mithin hat eure Erkenntniss keine objective Gültigkeit. Kant gesteht ihm den Vordersatz nicht nur für den Begriff der Wirksamkeit, sondern für alle Begriffe a priori zu; aber er lehnt durch den Erweis, dass ein Object lediglich für ein mögliches Subject seyn könne, seine Folgerung ab. 

Es blieb in diesem Streite unberührt, durch welches Vermögen des Subjects das im Subject liegende auf das Object übertragen werde. Lediglich durch die Einbildungskraft wendet ihr das Gesetz der Wirksamkeit auf Objecte an, erweist Maimon; mithin hat eure Erkenntniss keine objective Gültigkeit, und die Anwendung eurer Denkgesetze auf Objecte ist eine blosse Täuschung. 

Die Wissenschaftslehre gesteht ihm den Vordersatz nicht nur für das Gesetz der Wirksamkeit, sondern für alle Gesetze a priori zu, zeigt aber durch eine nähere Bestimmung des Objects, welche schon in der Kantischen Bestimmung liegt, dass unsere Erkenntniss gerade darum objective Gültigkeit habe, und nur unter dieser Bedingung sie haben könne. – 

So geht der Skepticismus und der Kriticismus, jeder seinen einförmigen Weg fort, und beide bleiben sich selbst immer / getreu. Man kann nur sehr uneigentlich sagen, dass der Kritiker den Skeptiker widerlege. Er giebt vielmehr ihm zu, was er fordert, und meistens noch mehr, als er fordert; und beschränkt lediglich die Ansprüche, die derselbe meistentheils gerade wie der Dogmatiker auf eine Erkenntniss des Dinges an sich macht, indem er zeigt, dass diese Ansprüche ungegründet sind.

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Grundriss des Eigenthümlichen der Wissenschaftslehre, in Rücksicht auf das theoretische Vermögen, SW Bd. I, S.
388f.


Sonntag, 23. März 2014

Der Skeptizismus ist ein halbherziger Kritizismus.


Thorben Wengert, pixelio.de

Maimon sagt über die Kategorie der Wirksamkeit dasselbe, was die Wissenschaftslehre sagt: nur nennt er ein solches Verfahren des menschlichen Geistes eine Täuschung. Wir haben anderwärts gesehen, dass dasjenige nicht Täuschung zu nennen sey, was den Gesetzen des vernünftigen Wesens angemessen ist, und nach denselben schlechthin notwendig ist und nicht vermieden werden kann, wenn wir nicht aufhören wollen, vernünftige Wesen zu seyn. – 

Aber der eigentliche Streitpunct liegt im folgenden: »Mögt ihr doch immer,« würde Maimon sagen, »Gesetze des Denkens a priori haben, wie ich euch als erwiesen zugestehe,« (welches allerdings viel zugestanden ist, denn wie mag doch ein blosses Gesetz im menschlichen Geiste vorhanden seyn, ohne Anwendung, eine leere Form ohne Stoff?) »so könnt ihr dieselben auf Objecte doch nur vermittelst der Einbildungskraft anwenden; mithin muss im Geschäft der Anwendung in derselben Object und Gesetz zugleich seyn. Wie kommt sie doch zum Objecte?« Diese Frage kann nicht anders beantwortet werden, als so: sie muss es selbst produciren (wie in der Wissenschaftslehre aus anderen Gründen ganz unabhängig von jenem Bedürfniss schon dargethan worden ist). – – 

Der durch den Buchstaben Kants allerdings bestätigte, seinem Geiste aber völlig widerstreitende Irrthum liegt demnach bloss darin, dass das Object etwas anderes seyn soll, als ein Product der Einbildungskraft. Behauptet man dies, so wird man ein transcendenter Dogmatiker, und entfernt sich gänzlich vom Geiste der kritischen Philosophie.

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Grundriss des Eigenthümlichen der Wissenschaftslehre, in Rücksicht auf das theoretische Vermögen, SW Bd. I, S. 387f. 



Nota.

Im Bereich rein logischer Konstruktion ist das Verfahren als ob... keine Täuschung, sondern ein zweckmäßiger, logisch-pragmatischer Kunstgriff, der an und für sich selber keine Gültigkeit beansprucht, sondern allein durch die - wiederum: logische - Tragfähigkeit seiner Ergebnisse. Das ist wie die Wurzel aus -1, über die der Zögling Törleß so gestaunt hat.
JE


Samstag, 22. März 2014

Kants Kategorien stammen aus der Einbildungskraft.


Reiner Durst  / pixelio.de 

Kant, der die Kategorien ursprünglich als Denkformen erzeugt werden lässt, und der von seinem Gesichtspuncte aus daran völlig Recht hat, bedarf der durch die Einbildungskraft entworfenen Schemate, um ihre Anwendung auf Objecte möglich zu machen; er lässt sie demnach ebensowohl, als wir, durch die Einbildungskraft bearbeitet werden, und derselben zugänglich seyn. In der Wissenschaftslehre entstehen sie mit den Objecten zugleich, und, um dieselben erst möglich zu machen, auf dem Boden der Einbildungskraft selbst. 

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Grundriss des Eigenthümlichen der Wissenschaftslehre, in Rücksicht auf das theoretische Vermögen, SW Bd. I, S. 387 




 

Freitag, 21. März 2014

Kausalität ist eine Projektion.


Bernd Kasper, pixelio.de

Die sogenannte Kategorie der Wirksamkeit zeigt sich demnach hier, als lediglich in der Einbildungskraft entsprungen: und so ist es, es kann nichts in den Verstand kommen, ausser durch die Einbildungskraft. Welche Aenderung der / Verstand mit jenem Producte der Einbildungskraft vornehmen werde, lässt sich schon hier voraussehen. 

Wir haben das Ding gesetzt, als frei handelnd, und ohne alle Regel (wie es denn auch wirklich, so lange der Verstand seine Handelsweise nicht umfasst und begreift, im Bewusstseyn gesetzt wird als Schicksal mit allen seinen möglichen Modificationen); weil die Einbildungskraft ihr eigenes freies Handeln darauf überträgt. Es fehlt das Gesetzmässige. Wird der gebundene Verstand auf das Ding sich richten, so wird dasselbe nach einer Regel wirken, so wie er selbst. 

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Grundriss des Eigenthümlichen der Wissenschaftslehre, in Rücksicht auf das theoretische Vermögen, SW Bd. I, S. 386f. 



Donnerstag, 20. März 2014

Realität ist Tätigkeit.


Myron, Ringer

Der Begriff der Realität ist gleich dem Begriff der Tätigkeit.
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Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre,
SW Bd. I, S. 138 


Mittwoch, 19. März 2014

Anschauung.


 
Das Ich betrachtet ein Nicht-Ich, und es kommt ihm hier weiter nichts zu, als das Betrachten. Es setzt sich in der Betrachtung, als solcher, völlig unabhängig vom Nicht-Ich; es betrachtet aus eigenem Antriebe ohne die geringste Nöthigung von aussen; es setzt durch eigene Thätigkeit, und mit dem Bewusstseyn eigener Thätigkeit, ein Merkmal nach dem anderen in seinem Bewusstseyn. Aber es / setzt dieselben als Nachbildungen eines ausser ihm Vorhandenen. – 

In diesem ausser ihm Vorhandenen sollen nun die nachgebildeten Merkmale wirklich anzutreffen seyn, und zwar nicht etwa zufolge des Gesetztseyns im Bewusstseyn, sondern völlig unabhängig vom Ich, nach eigenen in dem Dinge selbst begründeten Gesetzen. Das Nicht-Ich bringt nicht die Anschauung im Ich, das Ich bringt nicht die Beschaffenheit des Nicht-Ich hervor, sondern beide sollen völlig unabhängig von einander seyn, und dennoch soll zwischen beiden die innigste Harmonie seyn. ...

– Wir werden bald sehen, dass der menschliche Geist diesen Versuch wirklich, aber freilich nur vermittelst der Anschauung, und nach den Gesetzen derselben, doch ohne dessen sich bewusst zu seyn, vornimmt; und dass ebendaher die geforderte Harmonie entspringt. ... / ...

Die da selbst aufgezeigte Handlung bestand darin, dass das Ich seine im Widerstreit befindliche Thätigkeit, nach hinweggedachter Bedingung als thätig, mit hinzugedachter aber als unterdrückt und ruhend, doch aber in das Ich setzte. Eine solche Handlung ist offenbar die abgeleitete Anschauung. Sie ist an sich, als Handlung ihrem Daseyn nach, lediglich im Ich begründet, in dem Postulate, dass das Ich in sich setze, was in demselben angetroffen werden soll, laut des vorigen §. Sie setzt etwas in dem Ich, was schlechthin nicht durch das Ich selbst, sondern durch das Nicht-Ich begründet seyn soll, den geschehenen Eindruck. Sie ist, als Handlung, völlig unabhängig von demselben, und derselbe von ihr, und geht mit ihm parallel. – 

Oder dass ich meinen Gedanken, wiewohl durch ein Bild, völlig klar mache: – die ursprüngliche reine Thätigkeit des Ich ist durch den Anstoss* modificirt und gleichsam gebildet worden, und ist insofern dem Ich gar nicht zuzuschreiben. Jene andere freie Thätigkeit reisst dieselbe, so wie sie ist, von dem eindringenden Nicht-Ich los, betrachtet und durchläuft sie und sieht, was in ihr enthalten ist; kann aber dasselbe gar nicht für die reine Gestalt des Ich, sondern nur für ein Bild vom Nicht-Ich halten. 

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Grundriss des Eigenthümlichen der Wissenschaftslehre, in Rücksicht auf das theoretische Vermögen, SW Bd. I, S. 342f.

*) durch das Nicht-Ich 

Nota.

Die Anschauung als der Zustand, in dem die reale Tätigkeit des Ich und die zugedachte Tätigkeit des Nicht-Ich einander 'an der Grenze' aufheben, ist offenbar, sofern jener als solcher festgehalten und als dauernd gesetzt wird, die spezifische Form des ästhetischen Erlebens.
JE 


 

Dienstag, 18. März 2014

Denknotwendig.

Ruth Rudolph, pixelio.de

Es kommt sonach dem Inhalte der Philosophie keine andere Realität zu, als die des nothwendigen Denkens, unter der Bedingung, dass man über den Grund der Erfahrung etwas denken wolle. Die Intelligenz lässt sich nur als thätig denken, und sie lässt sich nur als auf diese bestimmte Weise thätig denken, behauptet die Philoso- phie. 

Diese Realität ist ihr völlig hinreichend; denn es geht aus ihr hervor, dass es überhaupt keine andere gebe.
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Erste Einleitung in die Wissenschaftslehre,
SW I, S. 449 



Nota. - Wer immer einen zweiten Schritt tun will, muss ihn an einen ersten Schritt anknüpfen. In der Wirklichkeit, und das ist nichts anderes als die Welt der Erfahrung, tun wir immer schon den soundsovielten Schritt, und selbst dem gegenständlichen Philosophen geht es nicht anders. Rechtfertigen kann der Vernünftige sich immer nur durch Verweis auf den eben vorangegangenen Schritt. Die Wissenschaftslehre, die den Grund unseres wirklichen Wis- sens freilegen will, geht diesen Weg konsequent zu Ende; bis zu dem Punkt, hinter den kein Schritt zurück führt: Das Ich setzt sich, indem es sich ein/em Nichtich entgegensetzt.

Aus diesem aufgefundenen Grund rekonstruiert sie dann Schritt für Schritt die ganze Welt des wirklichen Wis- sens. Wenn ihr das gelingt, ist sie bewiesen. 

Und ist das Denken, das sie rekonstruiert hat, als notwendig erwiesen.
JE

Montag, 17. März 2014

Der Vereinigungspunkt ist der Scheidepunkt. (Über Empfinden.)


M2-9

...wie macht es das Ich, um zu empfinden, durch welche Handelsweise ist ein Empfinden möglich?

Diese Frage dringt sich uns auf, denn nach dem oben gesagten scheint das Empfinden nicht möglich. Das Ich soll etwas fremdartiges in sich setzen; dieses fremdartige ist Nicht Thätigkeit oder Leiden, und das Ich soll selbiges durch Thätigkeit in sich setzen; das Ich soll demnach thätig und leidend zugleich seyn, und nur unter Voraussetzung einer solchen Vereinigung ist die Empfindung möglich. 

Es muss demnach etwas aufgezeigt werden, in welchem Thätigkeit und Leiden so innig vereinigt sind, dass diese bestimmte Thätigkeit nicht ohne dieses bestimmte Leiden, und dass dieses bestimmte Leiden nicht ohne jene bestimmte Thätigkeit möglich sey; dass eins nur durch das andere sich erklären lasse, und dass jedes an sich betrachtet unvollständig sey; dass die Thätigkeit nothwendig auf ein Leiden, und das Leiden nothwendig auf eine Thätigkeit treibe, – denn das ist die Natur der oben geforderten Synthesis. ... / ...

Das Empfinden ist lediglich insofern möglich, inwiefern das Ich und Nicht-Ich sich gegenseitig begrenzen, und nicht weiter, als auf dieser, beiden gemeinschaftlichen Grenze. (Diese Grenze ist der eigentliche Vereinigungspunct des Ich und Nicht-Ich. Nichts haben sie gemein, als diese, und können auch nichts weiter gemein haben, da sie einander völlig entgegengesetzt seyn sollen. Von diesem gemeinschaftlichen Puncte aus aber scheiden sie sich; von ihm aus wird das Ich erst Intelligenz, indem es frei über die Grenze schreitet, und dadurch etwas aus sich selbst, über sie hinüber, und auf dasjenige, was über derselben liegen soll, überträgt; oder, wenn man die Sache von einer anderen Seite ansieht, indem es etwas, das nur dem über derselben liegenden zukommen soll, in sich selbst aufnimmt. 
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Grundriss des Eigenthümlichen der Wissenschaftslehre, in Rücksicht auf das theoretische Vermögen, SWBd. I, S. 345f.


Sonntag, 16. März 2014

Von vorn betrachtet oder von hinten.

 
Stefan Zerfaß  / pixelio.de

Inwiefern man jene letzten Resultate des Idealismus ansieht, als solche, als Folgen des Raisonnements, sind sie das a priori, im menschlichen Geiste; und inwiefern man ebendasselbe, falls Raisonnement und Erfahrung wirklich übereinstimmen, ansieht, als in der Erfahrung gegeben, heisst es a posteriori. Das a priori und das a posteriori ist für einen vollständigen Idealismus gar nicht zweierlei, sondern ganz einerlei; es wird nur von zwei Seiten betrachtet, und ist lediglich durch die Art unterschieden, wie man dazu kommt. Die Philosophie anticipirt die gesammte Erfahrung, denkt sie sich nur als nothwendig, und insofern ist sie, in Vergleich mit der wirklichen Erfahrung, a priori. A posteriori ist die Zahl, inwiefern sie als gegebene betrachtet wird; a priori dieselbe Zahl, inwiefern sie als Product aus den Factoren gezogen wird. Wer hierüber anders meint, der weiss selbst nicht, was er redet. .../.../

Der Chemiker setzt einen Körper, etwa ein bestimmtes Metall, aus seinen Elementen zusammen. Der gemeine Mann sieht das ihm wohl bekannte Metall; der Chemiker die Verknüpfung des Körpers und der bestimmten Elemente. Sehen denn nun beide etwas anderes? Ich dächte nicht; sie sehen dasselbe, nur auf eine andere Art. Das des Chemikers ist das a priori, er sieht das Einzelne: das des gemeinen Mannes ist das a posteriori, er sieht das Ganze. – Nur ist dabei dieser Unterschied: der Chemiker muss das Ganze erst analysiren, ehe er es componiren kann, weil er es mit einem Gegenstande zu thun hat, dessen Regel der Zusammensetzung er vor der Analyse nicht kennen kann; der Philosoph aber kann ohne vorhergegangene Analyse componiren, weil er die Regel seines Gegenstandes, die Vernunft, schon kennt.
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Erste Einleitung in die Wissenschaftslehre, SW I, S. 447; 449


 

Samstag, 15. März 2014

Freiheit des Dass und Notwendigkeit des Wie.


Rainer Sturm, pixelio.de

Dieser Idealismus geht aus von einem einzigen Grundgesetze der Vernunft, welches er im Bewusstseyn unmittelbar nachweist. Er verfährt dabei folgendermaassen. 

Er fordert den Zuhörer oder Leser auf, mit Freiheit einen bestimmten Begriff zu denken; werde er dies, so werde er finden, dass er genöthigt sey, auf eine gewisse Weise zu verfahren. Es ist hier zweierlei zu unterscheiden: der geforderte Denk-Act; dieser wird durch Freiheit vollzogen, und wer ihn nicht mit vollzieht, sieht nichts von dem, was die Wissenschaftslehre aufzeigt: – und die nothwendige Weise, wie er zu vollziehen ist; diese ist in der Natur der Intelligenz gegründet, und hängt nicht ab von der Willkür; sie ist etwas nothwendiges, das aber nur in und bei einer freien Handlung vorkommt; etwas gefundenes, dessen Finden aber durch Freiheit bedingt ist. ...

Hierbei verfährt er auf folgende Weise. Er zeigt, dass das zuerst als Grundsatz aufgestellte und unmittelbar im Bewusstseyn nachgewiesene nicht möglich ist, ohne dass zugleich noch etwas anderes geschehe, und dieses andere nicht, ohne dass zugleich etwas drittes geschehe; so lange, bis die Bedingungen des Zuerst aufgewiesenen vollständig erschöpft, und dasselbe, seiner Möglichkeit nach, völlig begreiflich ist. Sein Gang ist ein ununterbrochenes Fortschreiten vom Bedingten zur Bedingung. Die Bedingung wird wieder ein Bedingtes, und es ist ihre Bedingung aufzusuchen.

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Erste Einleitung in die Wissenschaftslehre, SW I, S. 447





Freitag, 14. März 2014

Immer wieder neu versuchen.


Jean Siméon Chardin

Stimmen die Resultate einer Philosophie mit der Erfahrung nicht überein, so ist diese Philosophie sicher falsch: denn sie hat ihrem Versprechen, die gesammte Erfahrung abzuleiten und aus dem nothwendigen Handeln der Intelligenz zu erklären, nicht Genüge geleistet. 

Entweder ist dann die Voraussetzung des transcendentalen Idealismus überhaupt unrichtig, oder er ist nur in der bestimmten Darstellung, welche nicht leistet, was sie sollte, unrichtig behandelt worden. Da die Aufgabe, die Erfahrung aus ihrem Grunde zu erklären, einmal in der menschlichen Vernunft liegt, da kein vernünftiger annehmen wird, dass in ihr eine Aufgabe liegen könne, deren Auflösung schlechterdings unmöglich sey; da es nur zwei Wege giebt, sie zu lösen, den des Dogmatismus, und den des transcendentalen Idealismus, und dem ersten ohne weiteres nachzuweisen ist, dass er nicht leisten könne, was er verspreche: so wird der entschlossene Denker immer für das letztere, / dass man sich bloss im Schliessen geirrt habe, und die Voraussetzung an sich wohl richtig sey, entscheiden, und durch keinen mislungenen Versuch sich abhalten lassen, es wieder zu versuchen, bis es doch endlich einmal gelinge.

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Erste Einleitung in die Wissenschaftslehre, SW I,
S. 447f. 



Donnerstag, 13. März 2014

Intelligenz hat kein Sein.


aus dem Internet

Der Idealismus erklärt [...] die Bestimmungen des Bewusstseyns aus dem Handeln der Intelligenz. Diese ist ihm nur thätig und absolut, nicht leidend; das letzte nicht, weil sie seinem Postulate zufolge erstes und höchstes ist, dem nichts vorhergeht, aus welchem ein Leiden desselben sich erklären liesse. 

Es kommt aus dem gleichen Grunde ihr auch kein eigentliches Seyn, kein Bestehen zu, weil dies das Resultat einer Wechselwirkung ist, und nichts da ist, noch angenommen wird, womit die Intelligenz in Wechselwirkung gesetzt werden könnte. Die Intelligenz ist dem Idealismus ein Thun, und absolut nichts weiter; nicht einmal ein Thätiges soll man sie nennen, weil durch diesen Ausdruck auf etwas bestehendes gedeutet wird, welchem die Thätigkeit beiwohne. 
 
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Erste Einleitung in die Wissenschaftslehre, SW I, S. 440
  



Anmerkung zum Bild
Das Foto gehört mir nicht. Sollten Sie der Eigentümer sein und seine Verwendung an dieser Stelle missbiligen, bitte ich um Ihre Nachricht auf diesem Blog. JE

Mittwoch, 12. März 2014

Was man für ein Mensch ist.


Apoll und Marsyas

Was für eine Philosophie man wähle, hängt sonach davon ab, was man für ein Mensch ist: denn ein philosophisches System ist nicht ein todter Hausrath, den man ablegen oder annehmen könnte, wie es uns beliebte, sondern es ist beseelt durch die Seele des Menschen, der es hat. Ein von Natur schlaffer oder durch Geistesknechtschaft, gelehrten Luxus und Eitelkeit erschlaffter und gekrümmter Charakter wird sich nie zum Idealismus erheben.
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Erste Einleitung in die Wissenschaftslehre, SW I,
S. 434


Nota.

Bei Lichte besehen, ist die Wissenschaftslehre also nicht nur hintenrum eine Anthropologie. Tatsächlich muss die Frage, 'wie der Mensch sei', nämlich sein soll, zuvor in dieser einen Weise bereits beantwortet worden sein, damit die Wissenschaftslehre überhaupt anfangen kann. Apriori und aposteriori bedeuten hier dasselbe.
JE

Dienstag, 11. März 2014

Es führt kein Weg vom Ding zur Vorstellung.


Karl-Heinz Laube,  pixelio.de

Aber der Dogmatismus ist gänzlich unfähig, zu erklären, was er zu erklären hat, und dies entscheidet über seine Untauglichkeit. Er soll die Vorstellung erklären, und macht sich anheischig, sie aus einer. Einwirkung des Dinges an sich begreiflich zu machen. / ...

Ein Ding dagegen soll gar mancherlei seyn: aber sobald die Frage entsteht: für Wen ist es denn das? wird niemand, der das Wort versteht, antworten: für sich selbst, sondern es muss noch eine Intelligenz hinzugedacht werden, für welche es sey; da hingegen die Intelligenz nothwendig für sich selbst ist, was sie ist, und nichts zu ihr hinzugedacht zu werden braucht. Durch ihr Gesetztseyn, als Intelligenz, ist das, für welches sie sey, schon mit gesetzt. Es ist sonach in der Intelligenz – dass ich mich bildlich ausdrücke – eine doppelte Reihe, des Seyns und des Zusehens, des reellen und des idealen; und in der Unzertrennlichkeit dieses Doppelten besteht ihr Wesen (sie ist synthetisch); da hingegen dem Dinge nur eine einfache Reihe, die des reellen (ein blosses Gesetztseyn), zu kommt. Intelligenz und Ding sind also geradezu entgegengesetzt: sie liegen in zwei Welten, zwischen denen es keine Brücke giebt. 

Diese Natur der Intelligenz überhaupt und ihre besonderen Bestimmungen will der Dogmatismus durch den Satz der Causalität erklären: sie soll bewirktes, sie soll zweites Glied in der Reihe seyn. /...

Die Intelligenz erhaltet ihr nicht, wenn ihr sie nicht als ein erstes, absolutes hinzudenkt, deren Verbindung mit jenem von ihr unabhängigen Seyn zu erklären, euch schwer ankommen möchte.  

...es ist gar nicht erklärt, was erklärt werden sollte. Den Uebergang vom Seyn zum Vorstellen sollten sie nachweisen; dies thun sie nicht, noch können sie es thun; denn in ihrem Princip liegt lediglich der Grund eines Seyns, nicht aber des dem Seyn ganz entgegengesetzten Vorstellens. Sie machen einen ungeheueren Sprung in eine ihrem Princip ganz fremde Welt. ...

Doch, wer könnte es dem Dogmatismus verwehren, eine Seele als eines von den Dingen an sich anzunehmen? Diese / gehört dann unter das von ihm zur Lösung der Aufgabe postulirte, und dadurch nur ist der Satz von einer Einwirkung der Dinge auf die Seele anwendbar, da im Materialismus nur eine Wechselwirkung der Dinge unter sich, durch welche der Gedanke hervorgebracht werden soll, stattfindet. 

Um das undenkbare denkbar zu machen, hat man das wirkende Ding, oder die Seele, oder beide, gleich so voraussetzen wollen, dass durch die Einwirkung Vorstellungen entstehen könnten. Das einwirkende Ding sollte so seyn, dass seine Einwirkungen Vorstellungen würden, etwa wie im Berkeley'schen Systeme Gott. (Welches System ein dogmatisches, und keinesweges ein idealistisches ist.) Hierdurch sind wir um nichts gebessert; wir verstehen nur mechanische Einwirkung, und es ist uns schlechthin unmöglich, eine andere zu denken; jene Voraussetzung also enthält blosse Worte, aber es ist in ihr kein Sinn. Oder die Seele soll von der Art seyn, dass jede Einwirkung auf sie zur Vorstellung würde. Aber hiermit geht es uns eben so, wie mit dem ersten Satze; wir können ihn schlechterdings nicht verstehen.

So verfährt der Dogmatismus allenthalben und in jeder Gestalt, in der er erscheint. In die ungeheure Lücke, die ihm zwischen Dingen und Vorstellungen übrig bleibt, setzt er statt einer Erklärung einige leere Worte, die man zwar auswendig lernen und wieder sagen kann, bei denen aber schlechthin noch nie ein Mensch etwas gedacht hat, noch je einer etwas denken wird. Wenn man nemlich sich bestimmt die Weise denken will, wie das vorgegebene geschehe, so verschwindet der ganze Begriff in einen leeren Schaum.

Der Dogmatismus kann sonach sein Princip nur wiederholen, und unter verschiedenen Gestalten wiederholen, es sagen, und immer wieder sagen; aber er kann von ihm aus nicht zu dem zu erklärenden übergehen, und es ableiten. In dieser Ableitung aber besteht eben die Philosophie. Der Dogmatismus ist sonach, auch von Seiten der Speculation angesehen, gar keine Philosophie, sondern nur eine ohnmächtige Behauptung und Versicherung. Als einzig-mögliche Philosophie bleibt der Idealismus übrig.

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Erste Einleitung in die Wissenschaftslehre, SW I, S. 435-438


 

Montag, 10. März 2014

Stoff und Form.


Paul-Georg Meister  / pixelio.de

Alles, was blosser Stoff ist, und nichts anderes seyn kann, wird durch die Empfindung gegeben; die Spontaneität bringt nur Formen hervor... 

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Versuch einer Critik aller Offenbarung, SW I, S. 23


Sonntag, 9. März 2014

Intellektuelle Anschauung.



Jenes Selbstbewusstseyn dringt sich nicht auf, und kommt nicht von selbst; man muss wirklich frei handeln, und dann vom Objecte abstrahiren, und lediglich auf sich selbst merken. Niemand kann genöthigt werden, dieses zu thun, und wenn er es auch vorgiebt, kann man immer nicht wissen, ob er richtig und, wie gefordert werde, dabei verfahre. Mit einem Worte, dieses Bewusstseyn kann keinem nachgewiesen werden; jeder muss es durch Freiheit in sich selbst hervorbringen.
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Erste Einleitung in die Wissenschaftslehre, SW I,
S. 429



Samstag, 8. März 2014

Welches System man wählt, hängt davon ab, was man für ein Mensch ist.


Girolamo di Benvenuto, Herkules am Scheideweg

Nun kann allerdings die Vorstellung von der Selbstständigkeit des Ich, und der des Dinges, nicht aber die Selbstständigkeit beider selbst, bei einander bestehen. Nur eines kann das erste, anfangende, unabhängige seyn: das, welches das zweite ist, wird nothwendig dadurch, dass es das zweite ist, abhängig von dem ersten, mit welchem es verbunden werden soll. 

Welches von beiden soll nun zum ersten gemacht werden? Es ist kein Entscheidungsgrund aus der Vernunft möglich; denn es ist nicht von Anknüpfung eines Gliedes in der / Reihe, wohin allein Vernunftgründe reichen, sondern von dem Anfange der ganzen Reihe die Rede, welches, als ein absolut erster Act, lediglich von der Freiheit des Denkens abhängt. Er wird daher durch Willkür, und da der Entschluss der Willkür doch einen Grund haben soll, durch Neigung und Interesse bestimmt. Der letzte Grund der Verschiedenheit des Idealisten und Dogmatikers ist sonach die Verschiedenheit ihres Interesse. 

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Erste Einleitung in die Wissenschaftslehre, SW I, S. 432f.  

Freitag, 7. März 2014

Nur zwei mögliche Systeme.


minoisch; Akrotiri

Keines dieser beiden Systeme kann das entgegengesetzte direct widerlegen: denn ihr Streit ist ein Streit über das erste, nicht weiter abzuleitende Princip; jedes von beiden widerlegt, wenn ihm nur das seinige zugestanden wird, das des anderen; jedes läugnet dem entgegengesetzten alles ab, und sie haben gar keinen Punct gemein, von welchem aus sie sich einander gegenseitig verständigen und sich vereinigen könnten. Wenn sie auch über die Worte eines Satzes einig zu seyn scheinen, so nimmt jedes sie in einem anderen Sinne. /

Zuvörderst der Idealismus kann den Dogmatismus nicht widerlegen. Der erstere zwar hat, wie wir gesehen haben, das vor dem letzteren voraus, dass er seinen Erklärungsgrund der Erfahrung, die freihandelnde Intelligenz, im Bewusstseyn nachzuweisen vermag. Das Factum, als solches, muss ihm auch der Dogmatiker zugeben: denn ausserdem macht er sich aller ferneren Unterhandlung mit ihm unfähig; aber er verwandelt es durch eine richtige Folgerung aus seinem Princip in Schein und Täuschung, und macht es dadurch untauglich zum Erklärungsgrunde eines anderen, da es in seiner Philosophie sich selbst nicht behaupten kann. 

Nach ihm ist alles, was in unserem Bewusstseyn vorkommt, Product eines Dinges an sich, sonach auch unsere vermeinten Bestimmungen durch Freiheit, mit der Meinung selbst, dass wir frei seyen. Diese Meinung wird durch die Einwirkung des Dinges in uns hervorgebracht, und die Bestimmungen, die wir von unserer Freiheit ableiten, werden gleichfalls dadurch hervorgebracht: nur wissen wir das nicht, darum schreiben wir sie keiner Ursache, also der Freiheit zu. Jeder consequente Dogmatiker ist nothwendig Fatalist; er läugnet nicht das Factum des Bewusstseyns, dass wir uns für frei halten: denn dies wäre vernunftwidrig; aber er erweist aus seinem Princip die Falschheit dieser Aussage. / 

– Er läugnet die Selbstständigkeit des Ich, auf welche der Idealist bauet, gänzlich ab, und macht dasselbe lediglich zu einem Producte der Dinge, zu einem Accidens der Welt; der consequente Dogmatiker ist nothwendig auch Materialist. Nur aus dem Postulate der Freiheit und Selbstständigkeit des Ich könnte er widerlegt werden; aber gerade das ist es, was er läugnet.

Ebensowenig kann der Dogmatiker den Idealisten widerlegen.

Das Princip desselben, das Ding an sich, ist nichts, und hat, wie der Vertheidiger desselben selbst zugehen muss, keine Realität, ausser diejenige, die es dadurch erhalten soll, dass nur aus ihm die Erfahrung sich erklären lasse. Diesen Beweis vernichtet der Idealist dadurch, dass er die Erfahrung auf andere Weise erklärt, also gerade dasjenige, worauf der Dogmatismus baut, abläugnet. Das Ding an sich wird zur völligen Chimäre; es zeigt sich, gar kein Grund mehr, warum man eins annehmen sollte; und mit ihm fallt das ganze dogmatische Gebäude zusammen.

Aus dem gesagten ergiebt sich zugleich die absolute Unverträglichkeit beider Systeme, indem das, was aus dem einen folgt, die Folgerungen aus dem zweiten aufhebt; sonach die nothwendige Inconsequenz ihrer Vermischung zu Einem. Allenthalben, wo so etwas versucht wird, passen die Glieder nicht aneinander, und es entsteht irgendwo eine ungeheure Lücke. – Die Möglichkeit einer solchen Zusammensetzung, die einen stätigen Uebergang von der Materie zum Geiste, oder umgekehrt, oder, was ganz dasselbe heisst, einen stätigen Uebergang von der Nothwendigkeit zur Freiheit, müsste derjenige nachweisen, der das soeben behauptete in Anspruch nehmen wollte.

Da, soviel wir bis jetzt einsehen, in speculativer Rücksicht beide Systeme von gleichem Werthe zu seyn scheinen, beide nicht beisammen stehen, aber auch keines von beiden etwas gegen das andere ausrichten kann, so ist es eine interessante Frage, was wohl denjenigen, der dieses einsieht – und es ist ja so leicht einzusehen, – bewegen möge, das eine dem anderen vorzuziehen, und wie es komme, dass nicht der Skepticismus, / als gänzliche Verzichtleistung auf die Beantwortung des aufgegebenen. Problems, allgemein werde.

Der Streit zwischen dem Idealisten und Dogmatiker ist eigentlich der, ob der Selbstständigkeit des Ich die Selbstständigkeit des Dinges, oder umgekehrt, der Selbstständigkeit des Dinges die lies Ich aufgeopfert werden solle. Was ist es denn nun, das einen vernünftigen Menschen treibt, sich vorzüglich für das Eine von beiden zu erklären?

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Erste Einleitung in die Wissenschaftslehre, SW I, S. 429ff.