Sonntag, 31. Mai 2015

Das einzige Apriori der Wissenschaftslehre.


Das Wollen ist das einzige Apriori der Wissenschaftslehre.

Kann etwas apriori sein, das nicht zuvor aposteriori war? fragt Fichte.

Im Verlauf der vorstellenden Tätigkeit beobachtet, in der eine Welt entsteht, ist Alles zunächst einmal aposte- riori. Von meinem Wissen von der fertigen Welt aus betrachtet, erscheint alles, was vorkommt, als apriori.

Das Wollen ist im reellen Gang des Vorstellens nur apriori. Allein der erste, analytische Gang der Transzenden- talphilosophie findet es aposteriori als anzunehmende Voraussetzung auf; nicht aber das reale Wissen in seinem Bestand.

Dem theoretischen Philosophieren mag es als Ansich vorkommen. Für die Anthropologie wie für alle prakti- sche Philosophie ist es ursprüngliches Postulat.





Samstag, 30. Mai 2015

Der Gegenstand der Wissenschaftslehre und ihre zwei Gänge.


Idrac, Merkur

Der unmittelbare Gegenstand der Wissenschaftslehre ist das gemeine Bewusstsein. Sie hat ihn nicht gewählt, er ist ihr als solcher gegeben.

Er ist gegeben als ein System von Begriffen. Als ein solches ist es Vernunft. Es ist eine Welt von Vorstellungen, die durch ihre Fassung in Begriffe mitteilbar ist, und allen Teilnehmern des Verunftverkehrs ist anzumuten, sie mit allen andern zu teilen. Die Teilnahme am Vernunftverkehr macht die Vernünftigkeit der Individuen aus; was anders als das Teilen von Vorstellungen könnte sinnvoller Weise Vernunft genannt werden? Dass sie es können, wissen wir, weil sie es tun.

Das ist die Gegebenheit.

Um zu verstehen, was sie ist, muss verstanden werden, woher sie kam – wie sie sich woraus entwickelt hat. Es gilt, die Entwicklung der Vorstellungen nach-zu-vollziehen, die von der Gemeinschaft der vernünftigen Wesen zu einem Begriffssystem gefasst wurden.

Nicht werden – etwa durch eidetische Reduktion – am Grunde der Begriffe die 'Wesen' geschaut, die in ihnen gefasst wurden. Vorstellungen sind nicht an-sich da. Sie können nur das Produkt einer Tätigkeit sein – des Vorstellens: einer stellt vor. Die Rekonstruktion ist eine genetische Konstruktion von einem ersten Akt aus – dem ersten Vorstellen.

Ich stelle vor.

Darin ist ein Etwas enthalten, das vorgestellt wird, und ein Jemand, der vorstellt. Woher das Etwas, woher der Jemand? Sie können dem ersten Akt nicht vorausgesetzt werden, denn dann  wäre er kein erster Akt. Etwas und Jemand müssen aus und in diesem Akt selbst entstehen.

'Das Ich setzt sich, indem es sich ein/em Nichtich entgegensetzt.'

Wo findet der Akt statt?

Diesen Ort wollen wir Einbildungskraft nennen; ein ursprünglich produktives Vermögen, das angenommen werden muss, wenn erklärt werden soll, was zu erklären ist – das Bewusstsein.

Woher stammt die?


Woher dieser?


Bis hierher führt der analytische Vor-Gang der Wissenschaftslehre. Weiter muss sie nicht führen. Es ist das wirkliche Bewusstsein wirklicher Menschen, das erklärt werden soll. Wo das alles sich abspielt, gehört zu den Gegebenheiten. Es ist ein animal. Wie aus den organischen Trieben eines Angehörigen der Familie Homo ein freies Wollen werden konnte, muss nicht mehr die Wissenschaftslehre erklären. Es wäre Sache der – so oder so zu bestimmenden – Anthropologie. Der Wissenschaftslehre reicht es zu zeigen, dass es geschehen sein muss, und wo.

An der Stelle beginnt nun der synthetische Gang der Wissenschaftslehre.

Wollen und Vorstellen bilden eine Art Doppelhelix. Eins kann nicht ohne das andre. Der Kern der neueren Dialektik ist dies. Das Wollen ist in diesem Wechselspiel das gewissermaßen Reale, das Vorstellen ist sein ideales Gegenstück. Was das eine wirklich tut, 'stellt' das andere 'sich vor': Schaut es an. Im Anschauen erblickt es nicht nur das Getane, Produkt, sondern im Anschauen des Tuns erblickt es zugleich den Tuenden, Tätigen; "Ich".

*

Diese beiden Gänge reproduziert die Wissenschaftslehre auf Schritt und Tritt in ihrem reell-ideellen Fortgang: Das hat das Ich getan. - Was hat es getan, indem es...? - Das konnte es nur, wenn und sofern... 






Freitag, 29. Mai 2015

Was taugt Fichte für die Gegenwart?


Moulin, Objet trouvé à Pompéi

Es zieht sich durch die ganze Wissenschaftslehre bis hin zum Atheismusstreit eine doppelte Auffassung von Vernunft.  

Immer wieder heißt es, wir machten die Vernunft selber. Und dann stellt sich das Selbermachen als das Auf- finden eines seinem Stoff nach schon Gegebenen dar.

Nach den Voraussetzungen der Wissenschaftslehre kann Vernunft nur aus den von den Ichen selber hervor- gebrachten Bildern stammen. Ein anderes Material kann sie nicht haben. Sie ist Bildung und nicht Abbildung.

Das Einschmuggeln einer irgendwie gearteten Vorherbestimmung widerspricht der Transzendentalphilosophie. Es ist ein dogmatischer Überrest, ein metaphysische Schlacke, die dem kritischen Blick entgangen war. Wer die Philosophie Fichtes für die Gegenwart brauchbar machen will, muss das kritische Geschäft an dieser Stelle neu beginnen.




Donnerstag, 28. Mai 2015

Meine Welt gehört selber in die Transzendentalphilosophie.



Unlängst schrieb ich, die Unterscheidung von meiner Welt und unserer Welt gehöre zur Transzendentalphilo- sophie als ihre Grenze. 

Das war ebenso zaghaft wie voreilig. Meine Welt gehört selber und ganz und gar in die Transzendentalphiloso- phie.

*

Das von der Einbildungskraft Hervorgebrachte, von der Vorstellung Angeschaute, im Begriff Gemeinte ist Bild.

Als Bild ist es nicht von unserer Welt. An ihm werde ich nicht wir-Vernunftwesen, sondern Ich. Das ist meine Welt. Vernunft und unsere Welt beginnen da, wo das Gemeinte vergemeinschaftet, nämlich mitgeteilt werden kann. Das kann erst im Begriff geschehen. Im Begriff im weitesten Sinn, von System und systematischer Veror- tung ist noch nicht die Rede, aber von Symbolisierung immerhin.

Das Symbol ist selber 'auch ein Bild', aber das Bild von einem Bild; ein vorgegebenes Schema, das der Meinende nach einvernehmlichem Verfahren zu füllen hat – mit dem nun mutmaßlich miteinander-geteilten Bild. Wenn ich sage rot, darf ich annehmen, dass mein Zuhörer dieselbe Vorstellung in sich hervorbringt, die ich hervor- gebracht habe, als ich rot dachte. Annehmen darf ich es, weil die Erfahrung lehrt, dass wir uns auch sonst ver- ständigen können; warum also nicht dieses Mal? Aber ob oder ob nicht, kann ich nicht wissen, und den andern zum richtig-Vorstellen zwingen kann ich schon gar nicht; denn ich kann es ja nicht überprüfen.

Einbilden, anschauen und vorstellen liegen in meiner Welt. Unsere Welt beginnt erst bei den Begriffen. Dass sie in der Sprache der Begriffe zu mir reden, macht die 'Aufforderung' der 'vernünftigen Wesen' aus, die mich allein erst zur Vernünftigkeit veranlasst. Denn wozu könnte ich sie ohne jene gebrauchen?



Montag, 18. Mai 2015

Deliberieren und entschließen.


focus 1980

Man denke sich deliberierend. Soll ich dieses oder jenes tun, oder ein drittes? In der Deliberation erscheinen diese gedachten Vorstellungen als in der Vorstellung ganz bestimmt. Ich denke mir diese Handlungen als möglich, vom Entschlusse abhängig, aber nur als möglich. Der Begriff der Handlung ist im Deliberieren noch über mehreren Handlungen schwebend; er ist noch auf keine bestimmte fixiert.

Man deliberiere nun nicht mehr, sondern fasse einen Beschluss, so erscheint das Gewollte als etwas, das sich allein zutragen soll. Das Wollen erscheint als eine kategorische Fo[r]derung, als ein absolutes Postulat an die Wirklichkeit. Im Deliberieren ist nur von der Möglichkeit die Rede [=von der Möglichkeit ist nur im Delibe- rieren die Rede, JE]; durch das Wollen soll etwas Neues, Erstes, vorher noch nicht Vorhandenes entstehen. Dieses ist aber doch schon idealiter dagewesen, denn im Deliberieren habe ich die möglichen Begebenheiten, die erfolgen konnten, an mein Wollen gehalten, aber nur problematisch. 

Also lässt sich jenes Neue beschreiben, aber jetzt erst / losgelassen, indem es in der Deliberation noch zurückgehalten war. Das Wollen erscheint also als ein Hervorgehen, als eine freiwillige Beschränkung, indem man den Willen auf ein neues Objekt hinleitet. Im Deliberieren ist das Bestreben zerstreut und insofern  kein Wollen. Die Konzentration dieses zerstreuten Strebens in einem Punkt heißt erst Wollen. Dies ist eine Folge aus dem oben aufgestellten Satz: Das Ich findet sich im Übergehen von der Unbestimmtheit zur Bestimmtheit. Nur in diesem Übergehen kann man sich seines Wollens bewusst werden.

Deliberieren und Wollen ist bloßes Denken, das erste ist problematisches, das zweite kategorisches. Aber alles im Ich, also auch das Wollen, muss durch dasselbe gesetzt sein. Das bestimmte Denken, das wir ein Wollen nennen, ist sonach ein unmittelbares Bewusstsein. Ich will, inwiefern ich mich als wollend denke, und ich denke mich als wollend, inwiefern ich will. Der Wille ist ein absolutes Erstes, seiner Form nach durch nichts Bedingtes. Es ist ebenso wie mit dem Gefühl, dem ebenfalls, weil es ein unmittelbares ist, nichts vorschwebt, was man wegdenken könnte.

Dieser unmittelbare Begriff vom Wollen ist die Grundlage des Systems der Begriffe, die Kant Noumene nennt und durch welche er ein System der intelligiblen Welt begründet. Sie haben zu vielen Missverständnissen Anlass gegeben und stehen im Kantschen System abgerissen und getrennt von dem Übrigen da.

Kant sagt zwar, dass man sie denken müsse, aber nicht wie und warum? Sie sind bei ihm Qualitates occultae, er behauptet: Es gibt keine Brücke von der sinnlichen zur übersinnlichen Welt. Dies kam daher, weil er in der Kritik der reinen Vernunft das Ich einseitig und nur das Mannigfaltige ordnend, nicht aber als produzierend dachte.

Die Wissenschaftslehre schlägt diese Brücke leicht. Nach ihr ist die intelligible Welt die Bedingung der Welt der Erscheinungen. Die letztere wird auf die erstere gebaut. Die erstere beruht auf ihrem eigentlichen Mittelpunkte, dem Ich, das nur / im Wollen ganz ist. Alle Vorstellungen gehen aus vom Denken des Wollens.

Dieser Begriff vom Wollen ist es, worauf alles Geistige (das im bloßen Denken bestehen soll) beruht, wodurch das Ich selbst geistig wird. Nach der vorigen Ansicht war das Ich körperlich, beide Ansichten müssen vereinigt werden. 
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 152ff.


Nota. - Dies ist das Herzstück der Wissenschaftslehre.

Bei längerer Beschäftigung mit der Wissenschaftslehre findet man mehrere solcher Herzstücke und kann sich nicht entscheiden, welches einem das liebste ist. Für heute lege ich Ihnen also dieses ans Herz.

Dass das Wollen dasjenige wäre, das man, wenn es ein An-sich überhaupt gäbe, als einziges so nennen dürfte, hat uns Fichte schon gesagt. Hier wird es in seinen Bestimmungen ausgeführt. Es ist das, was in einer geneti- schen Herleitung als der absolute – erste, einzige, unbedingte - Ausgangspunkt vorangestellt werden muss, wenn man die Entwicklung der Vorstellung bis hin zum gegenwärtigen gemeinen Bewusstsein verstehen will.

Muss – wenn – will: das ist seinerseits eine pragmatische Prämisse. Sie entspricht einer Absicht: Es soll der Mensch so verstanden werden. An keiner Stelle wird – wurde mir – so deutlich, dass die Grundlage der Wissenschaftslehre ein anthropologischesPostulat ist.

Denn die Anthropologie ist die Metadisziplin, die die Fragen entwickelt, aus denen die Philosophie hervorgeht.
JE



Wie aus dem reinen Wollen ein wirkliches Wollen wird.



§ 13

Reelle Wirksamkeit ist nur möglich nach einem Zweckbegriffe und ein Zweckbegriff nur unter der Bedingung einer Erkenntnis, und diese unter der Bedingung einer reellen Wirksamkeit möglich; und das Bewusstsein würde durch einen Zirkel, und sonach gar nicht erklärt.

Es muss daher etwas geben, das Objekt der Erkenntnis und Wirksamkeit zugleich sei. Alle diese Merkmale sind nur in einem allem empirischen Wollen und aller empirischen Erkenntnis vorauszusetzenden reinen Willen vereinigt.

Dieser reine Wille ist etwas bloß Intelligibles, wird aber, inwiefern es [sic] sich durch ein Gefühl des Sollens äußert und zufolge dessen gedacht wird, aufgenommen in die Form des Denkens überhaupt als ein Bestimmtes im Gegensatze eines Bestimmbaren, dadurch werde ich das Subjekt dieses Willens, ein Individuum, und als Bestimmbares wird mir ein Reich vernünftiger Wesen. Aus diesem reinen Begriffe lässt sich ableiten und muss abgeleitet werden das gesamte Bewusstsein.

§ 14

Ein Gefühl ist mir nur möglich, inwiefern im System der Sensibilität eine Veränderung vorgeht; und aus dieser entsteht eine objektive Erkenntnis. Diese ist aber nicht möglich außer zufolge eines Handelns, inwiefern ich mich als Ursache denke. Ich denke mich aber als Ursache, wenn ich das Mannigfaltige des Erfolgs beziehe auf das reine Wollen. Dies Wollen ist ein ursprünglich Bestimmtes oder Bestimmendes. Ein reines Wollen, inwie- fern es sich als Sollen äußert.

Nun muss das Wollen, durch welches die Veränderung der Gefühle als etwas Empirisches hervorgebracht werden soll, selbst ein empirisches sein, denn die Bestimmtheit der Gefühle wird erklärt aus der Bestimmtheit des Willens; aber wenn der Wille nicht auf solche Gefühle bezogen wird, so ist kein Wille, mithin erklärt der reine Wille nichts.

Unsere Aufgabe ist jetzt: Wie wird das reine Wollen zum empirischen? /

Es ist uns hier um die Ableitung der Weltbegriffe zu tun. Diese sollen vom reinen Willen abgeleitet werden; dieser ist dazu aber nicht brauchbar, weil er eben rein ist.

Das Denken als solches, als sich Etwas denken, ist das Mittelglied zwischen dem Intelligiblen und der Sinnen- welt; durch das Denken sonach müsste der reine Wille versinnlicht werden, und zwar nicht nur so, dass etwas Objektives in demselben zugleich mitgedacht würde, sondern auch, dass er lediglich durch das Denken zu einem empirischen Willen würde.

Was gedacht wird, kommt unter die Gesetze des Denkens. Nun sind wir uns nicht der Gesetze des Denkens bewusst. Dieses Bewusstsein gibt uns erst die Philosophie.

Der reine Wille ist als Idee gedacht worden. Wird er nun gedacht oder nicht? Wird er überhaupt nicht gedacht, so können wir nicht davon sprechen. Wird er aber gedacht, so fällt er unter die Gesetze des Denkens und wird sinnlich. 
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 152f. 



Nota. - Das reine Wollen findet noch in der Welt des bloßen Vorstellens statt und schaut Bilder an; es bleibt in meiner Welt, wenn ich so sagen darf. Zu einem wirklichen Wollen wird es erst, indem ein Zweckbegriff hinzu- tritt, und der kann nur in der realen Welt, nur in unserer Welt liegen: in der Welt, wo ich unvermeidlich mit 'an- deren vernünftigen Wesen' zu tun habe, zu denen ich mich nur durch Begriffe verständ igen kann. Wo die rein betrachtende Zustimmung zu einem Bild - ja, das will ich - der praktische Entschluss tritt, das dem Zweckbe- griff Gemäße selbst zu tun. So wird aus dem virtuellen Handeln des Vorstellens ein reales Handeln und wird das angeschaute Ich ein wirkliches.
JE



Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog.

Sonntag, 17. Mai 2015

Die Vorstellung von Kraft beruht auf den Vorstellungen von Wollen und Wirken.



Diese Vorstellung von Kraft lässt sich nur ableiten vom Bewusstsein des Wollens und der mit dem Wollen vereinigten Kausalität. Es ist also zuerst die Frage zu beantworten: Wie finden wir uns denn, indem wir uns wollend finden und diesem Wollen eine Kausalität in der Sinnenwelt zuschreiben? Dieser Punkt kann nicht aus Begriffen abgeleitet werden. Er ist ein weiter nicht abzuleitendes Erstes. – Man muss sich das Wollen überhaupt und die Form des Wollens reproduzieren und sich bei diesem Verfahren beobachten.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 123 


Nota. - Ein anschauliches Beispiel dafür, inwiefern die genetische Methode der Wissenschaftslehre weder eine logische noch eine historische ist. In der Geschichte unseres Denkens war nicht zuerst eine Idee von wollen da, später kam eine Idee von wirken hinzu, und schließlich ein geistige Bild von Kraft. Und logisch würde man Kraft zuerst in der Physik bestimmen, wollen in der empirischen Psychologie und wirken vielleicht in der Metaphysik. Genetisch setzt dagegen die Vorstellung von Kraft die Vorstellungen von Wille und Wirkung voraus; sie kann nur aus ihnen hergeleitet werden. 
JE



Sonntag, 3. Mai 2015

Qualia, oder: Bilder sind der Stoff der Vorstellung.

René Burri, Giacometti aveugle

Die Wissensschaftslehre hat es noch nicht zu tun mit dem System der durcheinander in gegenseitiger Wech- selbestimmung voneinander abgegrenzten und miteinander verketteten Begriffe - Symbolnetz, Sprachspiel usw. Ein  solches System wäre eine Allgemeine Logik. Das ist die Wissenschaftslehre nicht. Ihr Verfahren ist daher nicht diskursiv.

In der Wissenschaftslehre tritt der Begriff noch auf in seiner Entstehung - als gesetzte Vorstellung. Sie gibt nicht an, wie man einen Begriff wiederauffindet durch Nachsuche im allgemeinen Verweisungsgeflecht, sondern wie man eine Vorstellung hervorbringt, indem man die zu ihrer Herstellung notwendigen Handlungs- schritte nach-vollzieht. Ihr Verfahren ist genetisch. Gesetzt ist die Vorstellung als Bild, das man anschauen kann, indem man es selber malt. Das Bild ist Quale, ist der Stoff der Vorstellung: Es ist das zu-Bestimmende. Es wird als Ganzes produziert, aber nicht aus vorliegenden Teilen re-produziert. Voausgesetzt ist immer nur eine von jedem selbst zu unternehmende erste Handlung, aus der alles weitere folgt - nicht an sich, sondern nur, wenn man es will.




Denkgesetze und genetische Darstellung.



Alles Geistige wird durch sinnliche Ausdrücke bezeichnet, daher kommen viele Missverständnisse. Denn die Zeichen sind oft willkürlich, und darum muss erst, wenn man ein Zeichen gebraucht, eine Erklärung gegeben werden. 

Wenn man nun eine Erklärung geben soll, wo das Wort fehlt, da muss man die Sache selbst, d. h. man muss genetisch erklären. Ich setze mich, und indem ich dies tue, bemerke ich, ich tue es auf eine gewisse Art und kann es nur so tun. 

Nun kann es kommen, dass ich auch vieles andere nur so tun kann, und d. h. ein Gesetz. Man spricht daher von Gesetzen des Anschauens, des Denken usw.. Dieses notwendige Denken sind [sic] Denkgesetze. Gesetze sind sie eigentlich nur für ein handelnden Wesen, dies sehen wir gewöhnlich für frei an, dann sagen wir: du musst so oder so verfahren, so sagt man nach der Analogie: Das Vernunftwesen muss so oder anders Verfahren, und dies sind seine Gesetze.

Die weitere Aufgabe des Idealismus müsste also sein: Wir sind zu der Einsicht gekommen, dass [im Ich] das Setzende und das Gesetzte dasselbe sind. Ich kann das Ich nur auf eine gewisse Art setzen, aber dies kann ich nicht, ohne auch ein zweites zu setzen, dies nicht ohne ein drittes, und so könnte es kommen, dass wir alles diese Gesetze, denen zufolge die Welt für uns zu Stande kommt, von dem ersten ableiten können. Dies müsste der Idealismus nachweisen.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 20


Nota. - Denken ist handeln, diskursiv denken heißt: eine Handlung an die andere knüpfen. In alles wirkliche (empirische) Handeln greift Kontingenz ein - nach Maßgabe der je besonderen Bedingungen, die veränderlich sind. In das Handeln der reinen Vorstellung greift keine Kontingenz ein, weil ihm keine empirischen Bedingun- gen gegeben sind: Will ich dieses tun, dann kann ich es nur so tun. Das heißt: ein Denkgesetz.
JE






Samstag, 2. Mai 2015

Die Unterscheidung von unserer Welt und meiner Welt gehört doch in die Transzendentalphilosophie.



Habe ich den Wald vor Bäumen nicht gesehen? Ist es trivialer, als ich dachte? Wollte er mit der Einführung der Begierde nur dem Umstand Rechnung tragen, dass das 'endliche' Vernunftwesen eben nicht nur vernünftig ist, sondern auch leidenschaftlich? Dass es Neigungen, Vorlieben und Begehrlichkeiten kennt, von denen die Vernunft nichts weiß? Kurz, dass die Vernünftigkeit der Menschen nicht nur endlich, sondern sogar begrenzt ist, dass sie zu Unserer Welt gehört und in der Meinen schlicht und einfach nichts zu sagen weiß?

In ästhetischen Angelegenheiten wie in allen Geschmacksdingen ist für Vernunfturteile kein Platz. So auch nicht in moralischen, denn Moralität ist nichts als "sittlicher Geschmack", wie Herbart* treffend formulierte. (Und übrigens auch nicht in erotischen). Ein Feld der Vernunft ist allerdings das Recht, und auch die Gerech- tigkeit ist nicht bloß Privatsache...

Die scheinbar harmlose Rede von den 'endlichen' Vernunftwesen ist aber tückisch. Es ist richtig, dass es keinen logisch hinreichenden Grund gibt, ein unendliches Vernunftwesen für unmöglich zu halten. Es reicht aber, wenn das einmal gesagt wird. Die ständige Wiederholung lässt indes die Nichtunmöglichkeit wie eine Wahr- scheinlichkeit oder gar eine Denknotwendigkeit erscheinen. Und da mag man heimlich im Hinterkopf mit der Idee einer unendlichen Vernunft spielen. Nicht "frag dich, was würde Jesus tun", sondern frag dich, wie würde eine unendliche Vernunft an deiner Stelle urteilen? Und plötzlich hat die Vernunft (im Hinterkopf) keine Grenze mehr: Was ich - ohne den Richtspruch der Vernunft einzuholen - darf, erscheint nun als das, was sie lediglich (noch?) nicht verboten hat.

- Das sind nun Mutmaßungen, die am Buchstaben des Textes nicht nachzuweisen sind. Aber aus der Luft gegriffen sind sie nicht. Tatsächlich geht Fichte von der Allzuständigkeit der Vernunft aus, oder richtiger: geht auf sie aus. Dass aus dem Totalitarismus des Vernunftzwecks durch eine Art logischer Rückkoppelung ein Totalitarismus des Vernunftgrundes wird, liegt nahe. Es wäre eine dogmatische Wendung des Transzendental- philosophen, doch die sollte Fichte schon kurze Zeit nach Abschluss der Wissenschaftslehre nova methodo aus- drücklich vollziehen.

*

Von einer unendlichen Vernunft kann ein endlich Vernünftiger nichts wissen - und folglich nicht vernünftig darüber nachdenken. Die 'endliche' Vernunft ist jedenfalls eine begrenzte, nämlich in ihrer Zuständigkeit. Ihr Reich ist Unsere Welt, und Unsere Welt ist das Reich der Vernunft. Das Reich der Geschmäcker ist ihr nicht zugänglich.

Das heißt nun nicht, dass Unsere Welt ein Reich des größten Nutzens für die größte Zahl wäre. Wenn wir zwar einander nicht auf das Schöne und das Gute verpflichtet sind, so doch auf das Wahre. Dieses ist zwar selber eine Geschmackssache. Aber die darf ich jedem zumuten, der mit mir in einer Welt leben will: Sie hält mir beide Welten zusammen.

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Die Unterscheidung von unserer und meiner Welt gehört zur Transzendentalphilosophie, als ihre Grenze.

*) in Allgemeine praktische Philosophie (1808) in: SW Bd. 8, Hamburg 1890, S. 29






Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog.

Freitag, 1. Mai 2015

"Erlaubte Befriedigung".


Ph. O. Runge

Aus der Vereinigung des Nichtdürfens und der Begierde entsteht ein Erlaubtsein der Befriedigung der Begierde. Dasjenige, was innerhalb des Umkreises dessen liegt, was ich darf, ist erlaubt.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 145


Nota.- Das macht mir die Sache kein bisschen begreiflicher. Sollte er unter Begierde schlechthin das Laster verstehen? Aber wo käme das so plötzlich her? Es der Natur anlastern oder der Erbsünde, steht einem Transzendentalphilosophen jedenfalls nicht zu.
JE