Dienstag, 16. Mai 2017

Zum Abschluss doch noch eine Naturdialektik?



8. Sonach wäre unsere Aufgabe gelöst, denn beide Bestimmbaren an beiden Enden der Synthesis sind durch einander bestimmt. Das Individuum der Vernunftwelt wird demnach in die Sinnenwelt hineingesetzt und eins mit ihr in einer gewissen Rücksicht. Umgekehrt erhält die Sinnenwelt ein Analogon der Freiheit, id est es kommt in sie der Begriff eines Hervorbringens, eines Erschaffens; es ist aber Erschafffen nach bestimmten festen Re- geln. 

Notabene den Weg, wie wir zum Resultate gekommen sind. Wir sind bloß von einem Ende, von der idealen Rei- he ausgegangen und sind von diesem unvermerkt zum anderen, zu der Bestimmung der Sinnenwelt gelangt. Der Analogie nach hätten wir glauben sollen, wir würden von beiden Gliedern β und B einzeln haben ausge- hen müssen, beide untersuchen, und nun erst in der Mitte ein X finden, in dem sie zusammengetroffen hätten [sic]

Dies war nicht nötig, da das hier Gedachte Gesetz der Wechselwirkung ist, in welchem ein Ineinandergreifen der wirkenden Glieder liegt, so dass man von einem aufs andere kommt, wenn man es nur richtig fasst. Von der anderen Seite hätten wir nicht fortkommen und unser Ziel nicht erreichen können. So konnten wir es, weil Freiheit und Selbsttätigkeit das Erste und Höchste ist, von dem die Versinnlichung in der Sinnenwelt sich leicht zeigen lässt.

Es ist eine Wechselwirkung, die wir aufgestellt haben. Zuvörderst: Die Vernunftwelt steht mit sich selbst in Wechselwirkung, id est vernünftige Wesen wirken auf einander ein, oder transzendental: In jedem Individuum ist etwas, weshalb es auf Vernunftwesen außer sich schließen muss. Ebenso steht die Sinnenwelt mit sich selbst in Wechselwirkung, denn das aufgestellte Gesetz der Organisation ist bloß //239// Zusammenwirken aller Natur- kräfte im Universum.

Die Vernunftwelt steht in Wechselwirkung, die Sinnenwelt und beide Welten stehen mit einander in gegensei- tiger Wechselwirkung und erscheinen so: Zuvörderst in artikulierten Leibern greift Natur und Freiheit in einan- der vermittelst der Freiheit des Individuums, und so wirkt Freiheit in die ganze Natur. Umgekehrt, die Natur bringt erst artikulierte Leiber hervor und produziert auf dem gemeinen Standpunkt Ver- nunftmöglichkeit und greift ins Reich der vernünftigen Wesen ein.

Dadurch ist unsere Synthese  geschlossen, und da alles, was im Bewusstsein vorkommt, sie enthält, so ist unsere Aufgabe vollständig gelöst und unsere Arbeit vollendet.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 238f.  
   



Nota. - Der strenge Beweisgang war hier nicht nötig, weil dieser Gedanke ja schon im Gesetz der Wechselwir- kung enthalten war - Setzt er hier nicht voraus, was er uns erst noch zu beweisen hatte? 

Nein, denn dass in 'der Natur' wirklich ein Gesetz der Wechselwirkung herrsche, wird ja gar nicht behauptet. Behauptet wird lediglich, dass man sich weder 'die Natur' noch ein Verhältnis von sinnlicher und Vernunftwelt vorstellen kann, ohne sie sich in Wechselwirkung vorzustellen. Dass nämlich das Bestimmen des Vorgestellten anders als durch Entgegensetzen nicht geschehen kann, ist längst zur Prämisse der Darstellung geworden. Ver- mittelst der Freiheit des Individuums greifen Freiheit und Natur in einander und von da aus in die ganze Natur. Es ist Transzendentalphilosophie und keine spekulative Metaphysik. 
JE



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