Samstag, 1. Juni 2019

Was taugt Fichte für die Gegenwart?

Moulin, Objet trouvé à Pompéi

Es zieht sich durch die ganze Wissenschaftslehre bis hin zum Atheismusstreit eine doppelte Auffassung von Vernunft.

Immer wieder heißt es, wir machten die Vernunft selber. Und dann stellt sich das Selbermachen als das Auf- finden eines seinem Stoff nach schon Gegebenen dar.

Nach den Voraussetzungen der Wissenschaftslehre kann Vernunft nur aus den von den Ichen selber hervor- gebrachten Bildern stammen. Ein anderes Material kann sie nicht haben. Sie ist Bildung und nicht Abbildung.

Das Einschmuggeln einer irgendwie gearteten Vorherbestimmung widerspricht der Transzendentalphilosophie. Es ist ein dogmatischer Überrest, ein metaphysische Schlacke, die dem kritischen Blick entgangen war. Wer die Philosophie Fichtes für die Gegenwart brauchbar machen will, muss das kritische Geschäft an dieser Stelle neu beginnen. 

29. 5. 15
 

Ich mache kein Hehl daraus: Ich betrachte Fichtes Wissenschaftslehre als aktuelle, praktisch gültige Philosophie für unsere Tage. Dass man sie dafür von zeitbedingten Schlacken reinigen muss, ist keine Frage. 

Aber insbesondere muss man klarstellen, was man dazurechnen will und was nicht. Ich sage es unverblümt, mich interessiert Philosophie nur als Transzendentalphilosphie, und dazu gehört die Philosophie Fichtes nur bis zum Jahreswechsel 1799/1800 (bis zu den Rückerinnerungen und nicht mehr in der Bestimmung des Menschen)

Die Zäsur geschah, als er sich unterm Zuspruch Jacobis entschloss, seinem Schwanken zwischen zwei Vernunft- begriffen - einem dogmatischen und einem kritischen - schließlich ein Ende zu setzen und energisch in die Rei- he der Dogmatiker einzuschwenken. 

Man muss die ursprüngliche Wissenschaftslehre nicht gegen Fichtes dogmatische Wendung verteidigen. Die darf man umstandslos ignorieren.

Nicht ignorieren kann man den Umstand, dass Fichte seinen ursprünglichen Ansatz ja wegen des unverhofften Atheismusstreits nicht hat vollenden können. Er war, da werde ich mir mit der Zeit immer sicherer, kurz davor.

Sachlich war es die Unsicherheit hinsichtlich des Absoluten, die ihn vor Jacobi zu Fall gebracht hat, denn ohne die Idee eines absoluten Zwecks als Zielpunkt des Systems hing die Eingangsidee vom reinen Wollen einsam und verwaist frei in der Luft. Er meinte, sie irgendwo her leiten zu sollen. Doch hätte er diese wie jene lediglich po- stulieren müssen: als ästhetische Fiktion, die dem Ganzen ihren Sinn mitteilt.



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